Montag, 22. September 1997

Vom leisen Verschwinden





Ein Landwirt erzählt aus seinem Alltag. Und darüber, wie die Zukunft für die heimischen Bauern im nächsten Jahrtausend aussehen könnte.

Es gibt ein Bild, das zeigt die Großeltern umringt von mehr als einem Dutzend Frauen und Männern - ein Foto zur Erinnerung an den Abschluß der Ernte. 1947.

Die Eltern beschäftigten anfangs noch zwölf Mitarbeiter. Das war Ende der fünfziger Jahre. Als sie den Hof Ende der achtziger Jahre übergaben, waren sie längst auf sich allein gestellt.

Ich bewirtschafte den Hof im Nebenerwerb. Alleine.

Zeichen des Wandels der Landwirtschaft: Wo einst Kühe standen, stehen seit 30 Jahren ausgemusterte Arbeitsgeräte, Möbel und die alte Viehwaage. Wo die Schweine im Stroh wühlten, lagert seit mehr als 20 Jahren Holz. Und wo früher das Futtergetreide eingelagert wurde, finden die Mäuse schon lange nichts mehr.

Von außen ist all das - typisch für die gesamte Landwirtschaft - nicht erkennbar. Ein stattlicher Vierkanter, ein riesiges Nebengebäude, das sogenannte Backhaus, eine große Scheune. Seit mehr als 20 Jahren wird der Betrieb ausschließlich als Ackerbaubetrieb geführt. 50 Hektar Weizen, Gerste, Raps, Mais, Zuckerrü-ben. Und das im Herzen Oberösterreichs, zwischen Linz und Wels.

Doch: Auch unter diesen Voraussetzungen, die in Österreich zweifellos zu den guten zählen, fällt Zuversicht schwer. Es sind vor allem die Perspektiven, die fehlen: Die Preise sind bei den meisten Produkten so gering, daß schon jetzt zumeist nicht einmal die Kosten für die Betriebsmittel zu erwirtschaften sind. Es geht längst nicht mehr um Groschen, die pro Kilogramm fehlen - es sind Schillinge.

Wie kein anderer Wirtschaftszweig ist die Landwirtschaft auf Ausgleichszahlungen angewiesen. Und damit in immer stärkerem Maß auf politischen Goodwill. Dennoch klafft die Schere zwischen den Einkommen der Bauern und den Löhnen und Gehältern der Arbeiter und Angestellen immer weiter auseinander.

Aussicht auf Verbesserung besteht nicht. Die nationalen Förderungen werden wesentlich geringer. Und: Fischlers "Agenda 2000", das neue agrarpolitische Konzept der EU, mag den EU-Haushalt in Ordnung bringen, umgelegt auf den einzelnen landwirtschaftlichen Betrieb bedeutet sie das genaue Gegenteil.

Faktum ist: 50 Hektar sind zu wenig, um einen Ackerbaubetrieb im Vollerwerb zu bewirtschaften. Wer auf Sicht von Getreide, Mais, Zuckerrüben alleine leben will, braucht in Zukunft 200 Hektar unter dem Pflug. Mindestens. Ohne zusätzliche Einkünfte läuft daher nichts. Der Lebensstandard will gesichert sein. Und die Erhaltung des Hofes kostet viel Geld.

Meine Entscheidung hat sich ergeben: Der Ackerbaubetrieb mit seinen Saison-Schwerpunkten im Sommer und im Herbst läßt sich gut mit der freiberuflichen Tätigkeit als Journalist verbinden. Der Nebenerwerb, wie ich ihn bisher praktizierte, erscheint mir auch für die Zukunft als eine praktikable Lösung, zumal die Voraussetzungen für einen Ausbau der Landwirtschaft und auch das nötige Umfeld fehlen: Die Pachtpreise sind hoch, der Wiederaufbau der Tierproduktion würde Millioneninvestitionen erfordern, es fehlt dafür an Knowhow, und es fehlt an personellen Kapazitäten - ganz abgesehen davon, daß es wenig attraktiv ist, in eine Krisenbranche, die die Landwirtschaft zweifelsfrei ist und auf Sicht bleiben wird, zu investieren.

Als einzige Möglichkeit bietet sich an, durch den Einbau von Wohnungen ein zusätzliches Einkommen zu schaffen. Aber: Die Kosten sind enorm und mit den am Land üblichen Mieten praktisch nicht zu verdienen.

Wie der Betrieb 2010 aussehen wird? Man wird nach außen immer noch nichts erkennen. Und im Inneren wird der Wandel wieder ein Stück vorangekommen sein. Die landwirtschaftliche Tätigkeit wird weiter rationalisiert - Landwirtschaft "light" also. Ackerbau mit wenigen Früchten, geringem Zeitaufwand und minimalen Investitionen. Wie sich meine Landwirtschaft entwickeln wird, ist absehbar: Die Zusammenarbeit mit den Nachbarn wird stark an Bedeutung gewinnen, die gemeinsame Bewirtschaftung der Felder, die Anschaffung von Gemeinschaftsmaschinen - etwas, das vor noch gar nicht allzu langer Zeit vielen der bäuerliche Stolz verbot.

Keine tiefgreifenden Veränderungen wird es aber in der Produktion geben: Getreide, Mais, Zuckerrüben werden weiterhin die wichtigsten Früchte sein. Zumindest in den nächsten 15 Jahren. Aber: Produktionsauflagen machen die Arbeiten nicht einfacher. Immer größere Probleme macht das rapid schwindende Verständnis für die Arbeit der Bauern.

Meine Situation sehe ich durchaus als privilegiert. Daraus beziehe ich meine Zuversicht. Andere haben es schwerer, wesentlich schwerer. Die Veränderungen, die kommen, werden dramatisch sein.

In meiner Gemeinde gab es vor 25 Jahren noch mehr als 50 Vollerwerbsbauern. Heute sind es sechs, die ausschließlich von der Landwirtschaft leben. Nach der jetzt wirtschaftenden Generation werden es gerade drei, vier sein. Und das in einem der besten Produktionsgebiete Österreichs.

Aufgeben will ich die Landwirtschaft nicht. Das Herz hängt daran. Es sind die persönlichen Wurzeln, derentwegen man viel in Kauf nimmt. Das mag für Außenstehende schwer nachvollziehbar sein, aber das, was einen hält, ist Überlebensstrategie. Zumindest noch für meine Generation.
 
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