Donnerstag, 23. Juli 2009

Weniger Bauern? Vorstoß in eine Tabuzone





"Raiffeisenzeitung" Nr. 30+31/09 vom 23.07.2009

Das Zerren auf dem Milchmarkt legt das Dilemma der Agrarpolitik und der Bauern bloß. Da soll für eine Milchprämie reichlich Geld fließen, die nichts anderes tut, als dafür zu sorgen, dass die Bauern weiterhin zuviel produzieren können. Nicht anders ist es bei den Millionen für die Exportförderungen und bei den Einlagerungsaktionen, mit denen Brüssel die Lage auf dem Milchmarkt unter Kontrolle bringen will und alle den anderen Maßnahmen, die angekündigt und diskutiert werden.
Der Erfolg ist mehr als bescheiden. Die Preise rauschen unbeeindruckt nach unten. Nicht die Bauern liegen falsch, nein der Markt ist es, meint man vielerorts in der Verzweiflung allen Ernstes. All diese Bemühungen sind nicht nur Manifestation der Hilflosigkeit. Sie sind auch – und das vor allem – Manifestationen der Ideenlosigkeit und vor allem des politischen Kleinkrämertums und der politischen Feigheit.
Bei Milch ist es so. Aber bei Getreide, bei Fleisch und in vielen anderen Produktionssparten ist es kaum anders.
Viele Bauern leiden und verzagen. Die Wirtschaftskrise drückt, die Märkte sind schlecht und Brüssel will schon bald die Agrargelder kürzen. In dieser Situation drängt sich die Frage auf, ob jetzt nicht die Zeit für einen großen Schnitt wäre. Für einen Schnitt, der die österreichische Landwirtschaft, die in vielen Bereichen an ihrer Kleinstrukturiertheit leidet, auf ein Niveau hebt, der sie in die Lage versetzt, im internationalen Wettbewerb zu bestehen. Für einen Befreiungsschlag, der die heimische Landwirtschaft stark genug macht, mit den Anforderungen der nächsten Jahre und Jahrzehnte zurechtzukommen, der sie unabhängiger macht von öffentlichen Geldern, von politischen Konstellationen und politischen Veränderungen. Für einen Schnitt, der den Bauern wieder Kraft gibt.
Denn die haben sie derzeit oft nicht. Trotz aller Hilfen und Ausgleichszahlungen. Wie denn auch? Ein durchschnittlicher Betrieb hat kaum 20 Hektar als Wirtschaftsbasis, mit durchschnittlich zehn Kühen oder 80 Schweinen im Stall gehört er zu den Schlusslichtern in Europa. In der Milchwirtschaft, im Ackerbau, in der Schweinehaltung und in vielen anderen Sparten.Viele der Bauern leiden unter dieser Situation. Die Sorgen um die Zukunft drücken und nicht selten die Probleme mit der Hofnachfolge. Sie wissen nicht, wie sie damit zurechtkommen sollen, wenn sie hören, wie in aller Welt der Trend zu größeren Betriebseinheiten geht, wie von allen Seiten gefordert wird, dass sie noch günstiger produzieren sollen, wie sie zur Kenntnis nehmen müssen, dass die Preise unkalkulierbar rauf- und runtersausen und dass sie um die Fördermittel bangen müssen.
„Zum Leben zu wenig, zum Sterben zuviel“ sagt man da wohl. Viele würden lieber heute als morgen aufhören, wenn sie sich’s denn nur leisten könntenDarum wäre es an der Zeit, dass die Agrarpolitik endlich über ihren Schatten springt und über ein Tabu redet – über eine Verringerung der Zahl der Bauern.Was wäre, wenn man, so die ketzerische Frage, nicht wie bisher alles daran setzt, möglichst alle Bauern weiter in der Produktion zu halten? Was wäre, wenn man mit einem Teil der Agrar-Millionen all jenen Bauern, die aus der Landwirtschaft aussteigen wollen, ein Angebot macht? Eine Abschlagszahlung auf die Hand und dafür steigen sie aus der Produktion aus, geben Kontingente zurück, räumen die Ställe aus, verpachten den Grund.
„Ein unmoralisches Angebot“ wird wohl mancher aufschreien. Aber, was spricht wirklich dagegen? Die frei werdenden Flächen und Kapazitäten würden anderen Bauern helfen, sich für die Zukunft stark genug aufzustellen. Sie könnten günstiger produzieren, ihre Maschinen besser ausnutzen, die Kosten senken. Und die Aussteiger hätten Startkapital, um außerhalb der Landwirtschaft eine neue Existenz aufzubauen.
Es gibt genug Bauern, die lieber heute als morgen die Stalltür für immer zumachen und den Pflug abstellen möchten, denen die Doppelbelastung im Nebenerwerb längst zuviel ist, die keine Perspektive für ihren Betriebe sehen und trotzdem weitermachen (müssen).Ist es da nicht, um bei der Moral zu bleiben, noch unmoralischer, solchen Bauern keine Wahlmöglichkeit anzubieten und sie statt dessen so lange werken zu lassen, bis sie wirklich nicht mehr können und ohne Perspektive aufgeben müssen?
Das Thema ist heikel, keine Frage. Aber das darf kein Grund sein, es nicht zu diskutieren. Bisher fehlte der Mut dazu.Zu verdenken ist das den Verantwortlichen freilich nicht. Denn ein Agrarpolitiker, der sagt, „wir brauchen weniger Bauern,“ hat nach gängiger Sicht der Dinge seine Daseinsberechtigung verloren. Ganz abgesehen davon, dass er für jeden politischen Gegner ein gefundenes Fressen ist.
Sofort werden Totschlagargumente in Stellung gebracht. Die Menschen, die im Stich gelassen werden, die Landschaft, die niemand pflegt, das Tal, das zuwächst, die Almen, die verwaisen.
Dabei müssen sie allesamt nicht zutreffen. Es muss ja nicht gleich das Kind mit dem Bad ausgeschüttet werden. Die Landschaften können dennoch schön und offen und die Menschen in den Regionen gehalten werden, Almen müssen nicht automatisch verwildern und Täler zuwachsen.
Was jetzt passiert, ist eigentlich schlimmer, denn jetzt wird dieser Prozess völlig ungesteuert sich selbst überlassen. Dabei wird oft nichts als Geld verschwendet, Unmut provoziert und Leid produziert.Die Entwicklung der Agrarmärkte verlangt zuerst einmal mutiges Denken und dann mutige Schritte.Von beidem ist in Österreich wenig zu spüren. Wenn diskutiert wird, dann wie eh und je über Förderungen und deren Gestaltung, kaum aber darüber, wie man der Landwirtschaft und den Bauern langfristig Stärke geben kann. Genau dafür aber ist es hoch an der Zeit. Wegen der Entwicklungen auf den Märkten und wegen der Entwicklungen auf den politischen Parketten dieser Welt.

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