Dienstag, 22. Juni 2010

Bauern zittern sich in die Zukunft





Die leeren Kassen stellen das EU-Agrarsystem infrage. Bei der Diskussion der EU-Agrarreform ist das derzeit kaum ein Thema. Das wird sich wohl noch ändern.


HANS GMEINER Salzburg (SN). Die Diskussion über die Gestaltung der EU-Agrarpolitik ab 2014 gewinnt an Fahrt. In Brüssel und Wien legt man die Strategie defensiv an. Angesichts der sich abzeichnenden Budgetnöte will man retten, was möglich ist. An grundlegende Änderungen denkt man aber einstweilen nicht. Einen Plan B für eine Landwirtschaft, die mit wesentlich weniger Geld auskommen muss, gibt es nicht. Und auch keine Diskussionen darüber.

„Evolution statt Revolution“ ist die Devise, der sich nicht nur Österreichs Landwirtschaftsminister Niki Berlakovich, sondern auch Agrarkommissar Dacian Ciolos verschrieben hat. Darauf deutet zumindest hin, was er bisher zur Reform sagte. Er gab sich als Befürworter einer multifunktionalen Landwirtschaft zu erkennen, will die Treffsicherheit der Förderungen verbessern, sprach sich für die Beibehaltung des Zwei-Säulen-Modells mit Direktzahlungen und Mitteln für die Ländliche Entwicklung aus und redete Maßnahmen das Wort, die Agrarmärkte stabil halten können.

Noch ist nichts von dem, was in bäuerlichen Kreisen mit immer größerer Aufgeregtheit diskutiert wird, fix. Kein EU-Land hat bisher Position bezogen. Und was von dem, das man sich in Österreich wünscht, in die künftige Agrarpolitik einfließt, ist nichts als Spekulation.

Dass die Diskussion heftig wird, ist aber schon jetzt in einigen Bereichen abzusehen. So ist bereits jetzt die vor allem von den neuen EU-Staaten geforderte Vereinheitlichung der Hektarprämien umstritten. Die Bauern in diesen Ländern würden dadurch stark gewinnen, jene in den alten Ländern hingegen deutlich verlieren. „Das ist nicht sinnvoll“, sagt Österreichs Landwirtschaftsminister und will die Kaufkraft als Kriterium berücksichtigt sehen.

Österreich ist von diesem Thema gleich doppelt betroffen, weil man zudem das bisherige System, das sich an den Ausgleichszahlungen aus den 1990er-Jahren orientierte, neu gestalten muss. Brüche will Berlakovich dabei vermeiden. „Ein Hektar Alm kann nicht so bewertet werden wie ein Hektar bestes Ackerland.“

Für Unruhe in der österreichischen Bauernschaft sorgt auch, was als Kriterien für benachteiligte Gebiete im Gespräch ist. Kommt das, was derzeit in Brüssel heftig diskutiert wird, fallen vor allem Bauern in Regionen aus dem Voralpengebiet, wie etwa im Salzburger Flachgau, um einen Gutteil ihrer Gelder um.

Dass das ganze Agrarsystem angesichts der knappen Kassen infrage gestellt werden könnte, ist derzeit zumindest offiziell noch kein Thema. Einzig die neue britische Landwirtschaftsministerin ließ bisher aufhorchen: „Es gibt kein Geld, also müssen wir die richtige Reihenfolge festlegen.“

Denn vor diesem Hintergrund der leeren Budgetsäckel könnte alles, was derzeit diskutiert wird, sehr schnell zu Makulatur werden. Und Österreichs Bauern könnten besonders betroffen sein.

Weil sie bisher überdurchschnittlich Mittel aus den Töpfen der Ländlichen Entwicklung abholten, droht laut Berlakovich in diesem Bereich eine Halbierung. Dann wären nicht nur die Förderungen für die Bauern im Voralpengebiet, sondern auch jene für die Bergbauern und die Biobauern sowie die Umweltprogramme gefährdet – gut ein Viertel der Mittel, die derzeit auf Österreichs Höfe fließen, wären weg.

Wie schnell knappe Kassen die schönsten agrarpolitischen Konzepte durcheinanderwirbeln können, erlebten die heimischen Bauern schon in den vergangenen Monaten. Mit dem Wunsch aus den Budget-Sparvorgaben, die EU-Gelder herauszurechnen, erlitten die Bauern Schiffbruch. Nun kann der Minister nicht ausschließen, dass die Agrarförderungen nicht schon in den nächsten drei Jahren gekürzt werden müssen.

Nicht zuletzt deshalb sagt er wohl zu Bauern, die ihn danach fragen, was auf sie zukommt: „Die Politik kann keinem Betrieb die Garantie geben, dass er überlebt.“


Salzburger Nachrichten - Wirtschaft / 22.06.2010

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