Donnerstag, 31. März 2011

Erregung auf einem schmalen Grat






Die Erregung ist eine große. Ein Korruptionsskandal erschüttert das Land. Was Ernst Strasser getan hat, ist, so wie es aussieht, in jedem Fall weit jenseits aller Grenzen und völlig inakzeptabel. Und möglicherweise kriminell.

Aber es verwundert schon, dass allerorten so getan wird, als sei dieser Skandal vom Himmel gefallen. Es amüsiert geradezu, wie man überall versucht, sich zu distanzieren und zu beobachten, wer sich dabei besonders hervortut. Und es erstaunt, wie alle so tun, als ob sie gerade einmal das Wort "Korruption“ kennen, sonst aber schon gar nichts - in einem Land, in dem der Begriff "einen Schmattes reiben“ zur Umgangssprache gehört und in dem schon Heranwachsende den Spruch "Wer schmiert, der fährt“ lernen und gleich mit einem Zwinkern in den Augen mitgegeben bekommen, dass damit nicht ein paar Tropfen Öl auf die Fahrradkette gemeint sind.

Viele von denen, die jetzt so aufgeregt und selbstgerecht tun, sollten einmal vor der eigenen Tür kehren. Nicht nur die in der Politik und in der Wirtschaft, die ohnehin unter Generalverdacht stehen.

Wie war das kürzlich mit dem Trinkgeld, das man dem Werkstattmeister zusteckte, damit man das Auto schon am Mittwoch und nicht erst am Freitag bekommt? Oder im Krankenhaus, als man gleich nach dem Bezug des Zimmers einen "Zwanziger“ hinlegte - um gute Stimmung bei den Krankenschwestern zu erzeugen? Oder die Weinflasche dafür, dass man etwas besonders günstig platzierte?

Hat funktioniert, oder? Das Geben. Und das Nehmen. Es läuft wie geschmiert, sagt man dann wohl. Viele haben es sich in dieser Welt eingerichtet, in der sich jeder Geber von Nehmern umgeben weiß. Eine Hand wäscht die andere.

Der Grat ist schmal. Aber viele in Österreich haben es sich auf diesem schmalen Grat eingerichtet. In der in diesem Land offenbar typischen Weise, die kaum je bei sich selbst Zweifel oder Unrecht sieht, immer aber bei allen anderen.

Es stünde dem Land gut, Strasser, diesen Fall und das Thema Korruption nicht so selbstgerecht abzuhandeln, wie man das bisher tut. Ein Nachziehen der gesetzlichen Regelungen, ein Anziehen der juristischen Daumenschrauben da und dort ist zu wenig. Es geht um mehr. Es geht um eine Grundstimmung, es geht um eine Kultur, die weit über den eigentlichen Kern der Korruption hinauswuchert. Wiewohl sie dennoch zweifellos damit zu tun hat und die Grenzen fließend sind.

Was ist noch recht, was nicht mehr? Was ist anrüchig?

In Österreich hat man, so scheint es, längst jedes Gespür dafür verloren. Wie etwa sind die Millionen teuren Regierungsinserate zu werten, die hauptsächlich bestimmten Zeitungen zugeschoben werden? Wie die Parteispenden? Wie das Sponsoring mancher Firmen? Die Beispiele sind zahllos wie die Fallen.

Dinge wie diese sind gang und gäbe, um jemanden oder etwas zu beeinflussen. Nicht nur "bei denen da oben“, sondern auch im alltäglichen Leben.

So einen "kleinen Strasser“ wünscht man sich allzu gerne in Österreich. Zumindest ab und an, wenn nichts mehr weitergeht, wenn etwas aussichtslos erscheint, wenn man unbedingt etwas erreichen oder haben will. Einen "Strasser“, der einem etwas richtet, was man selbst nicht hinbekommt, der einem Zugang schafft, der Möglichkeiten öffnet. Ein bisserl Abseits der geregelten Gänge, vielleicht auch ein bisserl abseits der Vorschriften, wenn’s sein muss. Einen Arbeitsplatz, eine Straßenlaterne, ein bestimmtes Stimmverhalten, eine rasche Genehmigung. Intervenieren da, Kontakte herstellen dort.

Es müssen ja nicht gleich 100.000 Euro dafür nötig sein. Das geht subtiler und auf anderen Wegen. Österreichisch eben. Manchmal im Stillen, manchmal unverhohlen. "Wozu glaubst, dass ich dir das gezahlt habe?“, wird dann schroff gefragt oder "Warum hab ich dich eigentlich gewählt?“

Die Muster sind zu ähnlich, als dass man sich an großen Skandalen wie jenem, über den sich jetzt ganz Österreich so erschrocken zeigt, abputzen kann. Österreich muss darüber nachdenken. Ganz Österreich. Nicht nur die Menschen in der Politik, in den Amtsstuben und in den Chefetagen der Wirtschaft. Auch die in der Wohnung im dritten Wiener Bezirk, die im Reihenhaus am Stadtrand in Innsbruck und die im Häuschen draußen im steirischen Dorf.

Raiffeisenzeitung - 31. März 2011

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