Donnerstag, 24. März 2011

Wir kleinen Lichter wir





Die Geigerzähler sind ausverkauft. Nicht in Tokio, nein – in Wien. Während in Japan tausende Menschen ums nackte Leben kämpfen und ein ganzes Land, immerhin die drittgrößte Industrienation der Welt, um seine Zukunft ringt, macht man sich in Österreich wichtig. Was wurde nicht alles geäußert in den vergangenen zwei Wochen, was nicht alles erklärt und gezeigt. Schnelles politisches Kleingeld da, eine kecke Forderung dort. Die Schlagzeilen, die Wortmeldungen von Krethi und Plethi und deren Verwandten - wie zeigte man sich doch betroffen und besorgt.

Das freilich, so festigte sich nach Tagen der Eindruck, nicht so sehr wegen der Japaner und Japan, sondern eher wegen sich selbst und der eigenen Zukunft.

Endlich, so schien es, hatten die Stammtische, die Diskussionszirkel, die Medien und all die anderen - endlich hatten sie wieder etwas, wo sie ihre eigene Bedeutung und Wichtigkeit, ihr zuweilen offensichtlich angekratztes Ego und ihre latente Sorge um sich selbst festmachen konnten. In einem Leben, wie sie es verstehen. Im eigenen Leben. Klein, fein, gut versichert und oft so übersichtlich, dass es fad geworden ist. So eine Katastrophe, zumal so eine Atomkatastrophe in einem fernen Land, ist da schon was. Noch dazu, wo man rund um die Uhr live dabei sein kann. Im Lehnstuhl.

Endlich kann man seine Ängste äußerln führen, endlich haben sie eine Projektionsfläche und damit einen Sinn. Ein Geigerzähler im Kasten gehört da dazu – das ist die Katastrophe herunter gebrochen auf die eigenen Verhältnisse, auf das eigene Leben. Man ist. Man spürt sich. Und man ist wichtig. Man ist betroffen. Und man kann sich Sorgen machen um das Fortkommen. Guten Gewissens und im Brustton der Überzeugung.

Dieses Muster ist überall. Bei Ägypten und Libyen genauso, wie bei der Diskussion um den Welthunger und die Nahrungsmittelpreise, bei Themen um die Integration von Ausländern, in vielen anderen politischen Feldern, ja sogar zuweilen, wenn’s ums Ehrenamt geht. Ich zuerst, heißt es da allzu oft.

Hinge nicht der Preis für Sprit und Heizöl damit zusammen, wären Ägypten und Libyen wohl Länder wie viele andere in Afrika auch, deren Schicksal hierzulande gewöhnlich wenigen nahe geht. Würden nicht Brot und Milch - und sei’s nur um ein paar Cent - teurer, würden viele von Hungerrevolten in Mexiko und anderswo kaum Notiz nehmen. Und würde nicht da und dort für Tochter und Sohn zumindest ein Platz in einer Schule, in einem Studentenheim oder hinter einer Werkbank oder an einem Schreibtisch herausschauen, wäre wohl selbst manches Ehrenamt, zumal manches politische Ehrenamt, verwaist.

Allzu oft bestimmt die Brieftasche die Einstellung. Und nicht das Herz, der Geist und die Courage.

Wir kleinen Lichter wir.

Viel zu selten, so zuweilen der Eindruck, moralische Ansätze, die frei sind von hintergründigen Interessen. Stattdessen allzu oft ein Denken, das kommerzielle Züge trägt. Beistand, Hilfe und Mitgefühl scheint es dann nur zu geben, wenn ein Ereignis an die eigene Brieftasche oder allenfalls an die eigene Gesundheit gehen könnte.

Reichlich wenig in einem Land, dass sich gerne für Gipfelpunkt und Vorbild in Sachen Zivilisation hält und das sein moralische Gewissen mit einem Jahr für Jahr neuen Spendenrekord für Licht ins Dunkel befriedigt.

Das mag mit Vielem zu tun haben. Mit den Medien, mit der Politik, mit der Bildung. Das mag eine Erklärung sein. Eine Entschuldigung darf es nicht sein. Denn die Verantwortung liegt bei den Menschen selbst. Genau die aber sind immer weniger bereit zu nehmen. Verantwortung zu übernehmen gehört nicht zu den Dingen, die heute angestrebt werden werden. Selbstverständlich ist das schon gar nicht.

Die Gesellschaft zieht sich in sich zurück. Die Verantwortung gibt man lieber ab. An die Politik, an die Medien, an die Wirtschaft, an den Chef.

Das Leben leben die anderen. Die Japaner, die Libyer - im Fernsehen. Und wir schauen erste Reihe fussfrei zu.

Man ist sich selbst genug. Leben in einem Kokon. Österreich in Österreich. Besorgt vor allem um sich selbst. Mit Geigerzähler – und einem Argusauge auf die Brieftasche.


Raiffeisenzeitung - 24. März 2011

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