Dienstag, 6. September 2011

Bittersüßes Zuckergeschäft





Die Reform des EU-Zuckermarkts floppt. Zucker ist teuer wie nie, Arbeitsplätze sind weg, die Bauern haben nichts davon.

HANS GMEINER Salzburg (SN). Die Ernte der Zuckerrüben beginnt heuer früher als üblich. Seit Wochenbeginn fahren die Erntemaschinen der Bauern, am Donnerstag läuft die Produktion in der Zuckerfabrik in Tulln an. „Die Agrana hat keinen Zucker mehr“, heißt es unter den Rübenbauern. „Stimmt nicht“, kontert Johann Marihart, der Chef des heimischen Zuckerriesen. „Wir liefern ganz normal und wollen mit dem früheren Termin vor allem die Fabriken besser auslasten.“ Dass Zucker gesucht ist, mag er aber nicht verneinen.

Vor zehn Jahren, als Länder wie Brasilien begannen, sich über die Welthandelsorganisation WTO Zugang zum europäischen Markt zu verschaffen, rechnete damit niemand. Zucker gab es damals reichlich und billig. Die EU war mit ihrer Zuckermarktordnung, die die Grenzen dicht hielt und Bauern und Industrie sicheren Absatz und weit über dem Weltmarkt liegende Preise garantierte, eine uneinnehmbare Festung.

Eine Position, die nicht haltbar war. Brüssel musste einlenken und fuhr die Jahres-Zuckerproduktion zwischen 2006 und 2009 um rund 30 Prozent auf zwölf Millionen Tonnen Zucker zurück. Die Preise für die Bauern wurden um mehr als ein Drittel gesenkt, blieben aber garantiert und über dem damaligen Weltmarktniveau. Den ärmsten Ländern der Welt wurden zudem Lieferkontingente garantiert und damals deutlich über dem Weltmarkt liegende Preise zugestanden.

Vor allem in unproduktiven Regionen wie in Osteuropa wurden 80 von 180 Zuckerfabriken geschlossen, und der Rübenanbau wurde eingestellt. 25.000 Arbeitsplätze gingen verloren. Die EU wurde vom Nettoexporteur von Zucker zum Nettoimporteur.

„Das kann nicht falsch sein, dachte man sich damals bei der EU, weil es ja billigere Zuckerproduzenten als die Europäer gibt“, sagt Marihart, der auch Sprecher der Europäischen Zuckerindustrie ist. Eine grobe Fehleinschätzung. Marihart: „Die Situation hat sich inzwischen dramatisch geändert.“ Die immer stärker werdende brasilianische Währung, der Ausbau der Biospritprojekte in Brasilien und die allgemeine Rohstoff-Hausse hätten die Preise in die Höhe getrieben. „Dazu kamen die Beschränkung der Produktion in Europa und die daher fehlenden EU-Exporte“, sagt Marihart.

Ab 2008 explodierte der Zuckerpreis auf den Weltmärkten. Mit umgerechnet rund 500 Euro je Tonne liegt er heute mehr als doppelt so hoch wie noch in den Jahren davor.

Das stellte auch die Zuckermarkt-Liberalisierung der EU auf den Kopf. Auf dem Weltmarkt sind die Preise inzwischen höher als in der EU. Weil sogar die ärmsten Länder der Welt auf ihre Sonderkonditionen in Europa verzichten und ihre Ware lieber auf dem freien Markt verkaufen, hat man bei der Versorgung alle Hände voll zu tun. Seit zwei Jahren behilft sich die EU mit Sonderaktionen, um die Versorgung zu sichern. Vor diesem Hintergrund verlangen sowohl die Zuckerindustrie als auch die Rübenbauern von der EU-Kommission eine Umkehr. „Es geht um die Steigerung der Wertschöpfung in Europa“, betont Marihart.

Auch für die Rübenbauern erweist sich die Zuckermarktordnung, die sie eigentlich schützen soll, nun als Bremse. Weil ihre Preise langfristig vor dem Anbau im Frühjahr festgelegt werden, bekamen sie von der Preisexplosion bisher kaum etwas zu spüren.

Das Verhältnis der Bauern zur Agrana ist vor diesem Hintergrund gespannt. In den Verhandlungen im Frühjahr gestand der heimische Zuckerriese seinen Lieferanten erst nach großem Druck eine Erhöhung des Angebots zu. Jetzt pochen die Bauern auf eine Nachzahlung. „Die Rübenpreise gehören nicht allein der Agrana“, sagt Rübenbauern-Präsident Ernst Karpfinger. „Wenn die Preise dauerhaft hoch bleiben, müssen wir über eine Nachzahlung reden.“

Das könnte durchaus notwendig werden. Derzeit deutet nichts auf ein Absinken des Weltmarktpreises bei Zucker hin. Brasilien erwartet eine schlechte Ernte und muss sogar Biosprit aus den USA importieren, weil man selbst zu wenig Zuckerrohr für dessen Erzeugung hat.

Die Bauern trauen dem derzeitigen Preishoch dennoch nicht. Daher laufen sie Sturm gegen die 2015 beabsichtigte völlige Marktliberalisierung. Sicherheit und Berechenbarkeit sind ihnen lieber. „Eine Marktordnung schützt nicht nur Bauern, sondern auch Konsumenten vor Preissprüngen“, sagt Karpfinger.


Salzburger Nachrichten Wirtschaft / 06.09.2011

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

 
UA-12584698-1