Dienstag, 27. Dezember 2011

Geschäft mit der Kontrolle





Lebensmittel. Noch nie wurden Produktion und Verarbeitung so genau überwacht. Nicht alle Kontrollen bringen auch Zusatznutzen.

HANS GMEINER Salzburg (SN). 108 Millionen Kilogramm Fleisch, mehr als 900 Millionen Kilogramm Gemüse, 250 Millionen Kilogramm Obst, Hunderte Millionen Kilogramm Kartoffeln, 150 Millionen Kilogramm Käse und vieles andere mehr kommen jährlich auf den heimischen Tisch. Diese Mengen machen die Kontrolle der Agrar- und der Lebensmittelproduktion zu einer herkulischen Aufgabe. Die Suche nach gesundheitsschädlichen Stoffen, nach Chemierückständen und die Überwachung der Produktionsvorschriften gleichen der Suche nach einer Stecknadel im Heuhaufen. Dennoch gilt, was Martin Greßl von der AMA-Marketing so formuliert: „Essen war trotz der manchmal für Schlagzeilen sorgenden Lebensmittelskandale noch nie so sicher wie heute.“
Dieses Vertrauen kostet. Die staatliche AGES etwa, die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Jahresbudget: 90 Mill. Euro), kassiert jährlich mehr als 26 Mill. Euro an Gebühren und Tarifen. Vom Geschäft mit der Sicherheit von Lebensmitteln profitieren aber immer mehr private Kontrollunternehmen, Zertifizierungsstellen, Labors, NGOs wie Global 2000 und mit dem Grünen Wolfgang Pirklhuber, der eine Kontrollfirma leitet, sogar Nationalratsabgeordnete. Ihre Umsätze wuchsen in den vergangenen Jahren kräftig.
Die Überwachung der Biobauern, die Absicherung einer GVO-freien Produktion, die immer genaueren Analysemethoden und die Vielzahl an Lebensmittel-Gütezeichen waren die Grundsteine für den neuen Geschäftszweig. Vor allem aber die Verarbeiter und die Handelskonzerne sorgten für immer neues Geschäft. Rewe, Spar, Hofer und Co. haben ihre Qualitätsmanagement-Abteilungen auf bis zu 50 Mitarbeiter aufgestockt. Ihre Strategie, sich mit immer neuen, über den gesetzlichen Vorschriften liegenden Extrastandards für Bioprodukte, nachhaltige Produktion, Gentechnikfreiheit oder Pestizidanwendungen von der Konkurrenz zu differenzieren, lässt die Kassa klingeln.
Typisch dafür ist die Entwicklung der Austria Bio Garantie (ABG). Wie die meisten Kontrollunternehmen wurde die ABG mit der Überwachung von Biobauern groß, heute trägt auch die Überwachung von Verarbeitungs- und Handelsunternehmen im In- und Ausland zu einem Gutteil des Umsatzes bei. Das Geschäft der ABG und des Tochterunternehmens VetControl legte in den vergangenen Jahren um gut 30 Prozent zu. Die zirka 80 fixen und 150 freien Mitarbeiter erwirtschaften mittlerweile einen Umsatz von 5,5 Mill. Euro. Das entspricht einem Marktanteil von rund 60 Prozent. Während die Zahl der Biobauern, die man kontrolliert, bei zirka 10.000 stagniert, erhöhte sich die Zahl der von dieser Gruppe kontrollierten Verarbeitungsbetriebe von 400 auf heute 1100. „Unsere Verantwortung wurde größer“, ist sich Firmenchef Hans Matzenberger bewusst.
Zu den Großen der Branche zählen auch der Zertifizierungsspezialist Quality Austria oder die Lebensmittel-Versuchsanstalt (LVA). Dieses privatwirtschaftlich organisierte Unternehmen macht in seinem Labor jährlich rund 50.000 Lebensmittelproben. Mit einem Umsatz von acht Mill. Euro hält es ein Drittel des Markts.
Gut im Geschäft ist auch die AMA-Marketing mit ihren Gütesiegel- und Produktsicherungsprogrammen. Das AMA-Gütesiegel auf Lebensmitteln gilt als besonders vertrauenswürdig, die Anteile in den einzelnen Produktsparten legen beständig zu. „Wir bauen die Qualitätssicherung zwischen Stall und Tisch ständig aus“, sagt Greßl, der für das Qualitätsmanagement zuständig ist.
Greßl hält jeden Euro für gut investiertes Geld. „Ein einziger in die vorbeugende Qualitätssicherung investierter Euro erspart zehn Euro an Korrekturaufwand und 100 Euro, wenn es zu ernsthaften Problemen kommt.“
In Expertenkreisen sieht man in der Kontrolle der Agrar- und Lebensmittelproduktion enormen Verbesserungsbedarf. „Wir sind gut, aber nur Mittelmaß“, sagt Leopold Girsch, in der AGES für den Bereich Landwirtschaft verantwortlich. „Angesichts der Kosten müssten wir top sein.“
Die vielen Doppelgleisigkeiten vor allem in der staatlichen Kontrolle, die zwischen Gesundheits- und Landwirtschaftsministerium und Ländern und Kommunen aufgeteilt ist, gelten in der Lebenmittelbranche als „aufgelegter Elfmeter für eine Verwaltungsreform“. Unzufrieden ist man auch mit der Biokontrolle. Dort sieht man ein Einsparungspotenzial von bis zu 80 Prozent.
Auf politischer Ebene hat man die Probleme zumindest erkannt. Landwirtschaftsminister Niki Berlakovich lässt derzeit die Aufwendungen und Mehrgleisigkeiten prüfen und denkt daran, die Kontrollaktivitäten zu bündeln. Und im Gesundheitsausschuss des Nationalrats herrscht Einigkeit darüber, dass die Lebensmittelkontrolle einer grundlegenden Reform bedürfe.
Man ist sich bewusst, dass angesichts der Dynamik Anpassungsbedarf herrscht. „Es geht um die Vernetzung nicht nur der Kontrollen, sondern auch der Warenströme“, sagt Hans Matzenberger.
Dass es immer wieder Lebensmittelskandale geben wird, ist dennoch nicht auszuschließen. „Eine Kontrolle kann nur eine Stichprobe sein“, sagt Oskar Wawschinek von der Lebensmittel-Versuchsanstalt. „100 Prozent Kontrolle gibt es nicht. Denn das würde logischerweise null Prozent Essen bedeuten.“

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft / 27.12.2011

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