Donnerstag, 1. Dezember 2011

Neue Besen für braune Winkel





Deutschland ist seit Wochen erschrocken wegen des Neonaziterrors, der in den vergangenen Jahren mindestens zehn Menschen das Leben gekostet hat. Völlig perplex ist man mit einem Mal genötigt dort hin zu schauen, wo man nicht so gerne hinschaute und ist erschüttert.

In Österreich war von der Aufregung im Nachbarland nicht viel zu merken. Die Schuldenkrise hielt das Land in Atem, die Regierung das übliche Wermitwem und die ausbleibenden Schneefälle.

Dabei wäre es unserem Land durchaus ganz gut angestanden, sich etwas näher mit den Vorgängen in unserem Nachbarland auseinanderzusetzen. Gut, von terroristischen Neonazi-Zellen ist in Österreich einstweilen nichts bekannt. Aber immerhin: Es gibt auch hierzulande eine Neonazi-Szene. Nicht so sehr in Städten, sondern eher draußen, am flachen Land - in Niederösterreich, in Oberösterreich, in Salzburg, aber auch in anderen Bundesländern. Und es gibt durchaus Verbindungen nach Deutschland.

Wollen wir den Verfassungsschützern glauben, wenn sie sagen, sie hätten die Szene im Griff. Mehr Sorgen macht, dass sich in unserer Gesellschaft hartnäckig dieses gewisse braun gefärbte Unterfutter hält. In allen Parteien und in allen Gesellschaftsschichten. Reden davon mag kaum jemand, zugeben will es erst recht niemand.

Es ist oft erschreckend, was durchaus angesehene Leute von sich geben, wenn sie meinen, unter sich zu sein. Die Verteidigung des Autobahnbaues als "eine gute Seite“, die Hitler gehabt habe, ist da noch das Geringste. Problematischer wird es, wenn zu fortgeschrittener Stunde mit einem Mal davon die Rede ist, dass "mit den Juden ja wohl was gewesen sein muss“, weil sie ja nicht nur von den Nazis verfolgt worden seien.

Und das ist bei weitem noch nicht alles.

Erschreckend ist, und um dieses Thema drückt sich Österreich herum, wie diese Einschätzungen bedient und am Köcheln gehalten werden. Selten plump, meistens sehr subtil. Viele der Bücher über die Nazizeit etwa, die von Buchhandlungen unter dem Mäntelchen der Geschichtsaufklärung feilgeboten werden, sind nichts anderes als Rechtfertigungsliteratur, die mit den Ewiggestrigen als Käufer spekulieren. Oft verherrlichen sie den Krieg, stilisieren ihn zum Abenteuer hoch und tragen den vorgeblichen Heldenruhm von Menschen fort, die heute längst als Kriegsverbrecher geächtet sind.

Nicht anders ist es mit vielen der Fernsehdokumentationen über die Jahre zwischen 1939 und 1945, mit denen vor allem viele deutsche Sender ihr Programm gerne füllen. Auch sie können mitunter die Begeisterung und Bewunderung kaum in Zaum halten und lassen jede Distanz vermissen.

Viele dieser Bücher, Dokumentationen und anderer Aufklärungsbemühungen machen im besten Fall nicht viel mehr als ein gutes Gewissen, etwas zu tun. Ihre Wirkung ist im besten Fall gering, allzu oft sogar fragwürdig.

Vorangekommen ist man damit in den vergangenen Jahrzehnten kaum. Wie sonst ist es möglich, dass sich all die fragwürdigen Einschätzungen, allesamt längst international widerlegt und geächtet, hierzulande nicht nur in Hinterzimmern so lange halten? Wie sonst ist es möglich, dass mit politischen Parolen, die in dieser Ideologie ihre Wurzeln haben, immer noch Wähler mobilisiert werden können?

Viele der Mittel und Bemühungen, über Nazizeit und Ideologie aufzuklären, sind längst zur politisch-historischen Folklore verkommen. Davor sind auch jene nicht gefeit, denen dieses Engagement ein ernstes Anliegen ist. Ihre Arbeit geht zu oft ins Leere, sie erreichen die Menschen nicht. Nicht selten, weil sie ebenso schwarz-weiß malen wie jene, die sie überzeugen wollen. Nicht selten freilich auch wegen der damit gerne einhergehenden Selbstgerechtigkeit, die oft nicht einmal Fragen zulässt.

Das hat aber auch damit zu tun, dass diese Leute von der politischen Öffentlichkeit zu oft allein gelassen und sogar desavouiert wurden. Und es hat damit zu tun, dass bisher bei der Erklärung und Aufklärung dieser Zeit und der damit einhergehenden Ideologie die Quantität eine allzu große Rolle spielte - viele Bücher, viele Filme, viele Veranstaltungen.

Darob gerieten Qualität, Inhalt und Wirkung aus dem Fokus.

Das freilich sollten sie nicht. Daran sollte man arbeiten. Dringend. Und frei von jeder Selbstgerechtigkeit und ohne Vorbehalte - wenn uns Nachrichten wie jene aus Deutschland erspart bleiben sollen.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 1. 12. 2011

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