Donnerstag, 1. März 2012

Auch Macht macht Ungerechtigkeit





Gerechtigkeit ist, so scheint es, das neue Mantra in der heimischen Politik. Alles dreht sich darum, alle führen das Wort im Mund. Alle geben es als Maß und Ziel ihres Handelns aus.

Als Maßstab dafür genommen wird ausschließlich Geld.

Warum das gerade in Österreich so ist, wo jedes Bundesland und jede öffentliche Körperschaft nichts anders lieber tut, als eigene Vorschriften zu machen, wo es 22 Sozialversicherungsanstalten mit zum Großteil sehr unterschiedlichen Tarifen und völlig unterschiedlichen Pensionssystemen gibt, ist freilich nur schwer verständlich.

Diese Strukturen werden bislang allenfalls als teurer Geldfaktor wahrgenommen. Dass sie das kleine Österreich und seine acht Millionen Einwohner regelrecht auseinander dividieren und sedieren, ist hingegen kein Thema. Schon gar nicht in der Gerechtigkeitsdiskussion.

Dabei tragen sie oft wesentlich mehr zum Gefühl fehlender Gerechtigkeit in diesem Land bei, als es zu wenig abgestufte Steuersätze und allfällige Steuerlücken je könnten. Sie sind die Wurzel zahlloser Ungerechtigkeiten im täglichen Leben und sorgen für sehr viel mehr Verärgerung und Neid. Der Oberösterreicher staunt über Kostenerstattungen in Niederösterreich, die Vorarlbergerin wundert sich über die Zuschüsse in der Steiermark, der ASVG-Pensionist ärgert sich über die Beamtenpensionen. Die Beispiele sind zahllos.

Zum Thema wird das freilich, allem populistischem Nebel um die Gerechtigkeit zum Trotz, nicht gemacht. Schon gar nicht von jenen, die hinter den Kulissen die Fäden in der Hand halten und in ihren Parteien als die starken Männer gelten. Dort zählt die Macht und sonst nichts. Allenfalls neigt man der Häme zu, mit der man genussvoll zeigt, wer in diesem Land wirklich das Sagen hat.

Zwei auch körperlich sehr mächtige Menschen taten sich dabei besonders hervor. In einem Ö1-"Mittagsjournal“ lieferte Gewerkschaftspräsident Neugebauer, der dieser Spezies zweifellos angehört, und sich seinen Skiurlaub nicht von Verhandlungen stören ließ, ein beeindruckendes Beispiel dafür. Interviewer: "Wie haben Sie es geschafft, der Regierung die Einsparungen bei den Beamten um ein Drittel herunterzuverhandeln?“ - Neugebauer: "Wenn man eine starke Gewerkschaft ist, muss man gar nicht persönlich anwesend sein. Dann erledigt man so was telefonisch.“ - Interviewer: "Also die Regierung ist vor Ihnen in die Knie gegangen?“ - Neugebauer: "Ich hab ihnen nicht dabei zugeschaut.“

Um keinen Deut anders hielt es der Wiener Bürgermeister. Dass sich seine Partei groß das Etikett Gerechtigkeit an die Brust geheftet hat, scheint ihn nicht im geringsten zu kümmern. Er toppt Neugebauer ohne große Mühe. Die jüngst bekannt gewordenen Zahlen aus dem Wiener Magistrat müssen für jede Supermarktkassierin in diesem Land, für jeden kleinen Angestellten in einem Unternehmen, für jeden Arbeiter im Straßenbau, für Lehrer und all die anderen, die nicht auf der Lohnliste des Wiener Magistrats stehen, nichts anders als Hohn sein.

Während sich die Regierung müht, das Pensionsantrittsalter über die Grenze von 60 Jahre zu bringen und in Brüssel längst offen über Arbeiten mit 70 diskutiert wird, geht in Wien jeder zweite Landes-und Gemeindebedienstete wegen Dienstunfähigkeit mit kaum 51 Jahren in Pension.

Als ob das nicht genug wäre, brachte kürzlich ein Kontrollamtsbericht zu Tage, dass es die rund 65.000 Bediensteten der Stadt Wien auf durchschnittlich 22,9 Krankenstandstage im Jahr bringen. Das ist nicht viel weniger als ein ganzer Arbeitsmonat, den ein Magistratsmitarbeiter zusätzlich zum Urlaub am Arbeitsplatz fehlt. Dazu kommen mehr als 5.200 Mitarbeiter, die als Langzeitkranke gelten, weil sie mehr als 60 Tage krank gemeldet sind. Um die Zahlen einordnen zu können: Abseits des Wiener Magistrats beträgt die Krankenstandsdauer im Schnitt pro Jahr 12,9 Tage.

Herunterhandeln, Privilegien sichern und mauern, allein schon um die eigene Macht zu festigen und einzuzementieren: Neugebauer und Häupl sind nur zwei Beispiele dafür, wie man in Österreich Machtpolitik macht und wie das kleine Land auch in so einfach erscheinenden Dingen wie Pensionsantrittsalter oder Krankenstand in eine Neidgesellschaft zersplittert wird und die Gerechtigkeit aus dem Lot gerät.

Aber nicht nur das: Sie zeigen auch exemplarisch, warum in diesem Land allerorten in den öffentlichen Haushalten die Finanzen aus den Rudern laufen - und wo wirklich über Gerechtigkeit geredet werden sollte.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 1. März 2012

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