Donnerstag, 22. März 2012

Die eitle Welt der Selbstgerechten






Das Drama um Griechenland und um den Euro, die Korruptionsvorwürfe, die die Politik erschüttern, die Aufregung, weil sich Politiker mit der Justiz anlegen - diese und ähnliche Themen machten die letzten Wochen und Monate zu wahren Hoch-Zeiten für die Selbstgerechten. Jene, die immer alles gewusst haben, die immer auf der Seite des Guten sind, die immer wissen, was richtig ist und was sich gehört, die mit dem erhobenen Zeigefinger durchs Leben gehen und rasch mit Beurteilungen und Urteilen zur Hand sind.

Sie sitzen bei den Stammtischen dieser Republik, aber auch in Zeitungsredaktionen und natürlich in der Politik. Zwischentöne sind ihnen fremd, Abwägung auch. Krachen muss es.

Oft haben sie recht, das sei ihnen unbenommen. Manchmal freilich muss man sich schon wundern, wer und wie viele da über die Tachinierer in Griechenland schimpfen, über die Zocker in den Banken, über korruptionsanfällige Politiker und über Parteienvertreter, die es wagen, Justizorgane zu kritisieren - ausgerechnet in Österreich, in dem vielen Bewohnerinnen und Bewohnern genau diese Verhaltensmuster, die nun schon seit geraumer Zeit für Erschütterungen im politischen und wirtschaftlichen Leben, ja in den Grundfesten des Staatsgefüges sorgen, von klein auf bekannt sind. Diese Muster werden hierzulande ja nachgerade mit der Muttermilch aufgesogen und oft regelrecht gefördert.

Dass Polizisten "Wappler“ sind, die einem nichts Gutes wollen, bekommt schon jedes Volksschulkind mit. Wer eine Verkehrsstrafe kassiert, wehrt sich mitunter lautstark und setzt alle Hebel in Bewegung, um sie zu verhindern.

Möglichst wenig und leichte Arbeit, kurze Arbeitszeiten, viel Freizeit und Geld und eine frühe Pension gelten vielen in diesem Land als wichtigste Lebensziele.

Dass ein kleines Trinkgeld manchen Wunsch erleichtert, ist ohnehin Teil der Wirtschaft.

Selbst die Lust am Spiel, am Zocken, ist hierzulande kaum jemandem unbekannt. In den Trafiken stehen Woche für Woche Mama, Papa, Oma und Opa und die dazugehörige Jugend an, um mit ihrem Geld Lotto und Toto zu spielen. Allerorts schießen Wettbüros aus dem Boden, in denen die Leute oft mit dem Geld der Familie gambeln und zusammen fast so wie die Banker Milliarden verzocken. Mehr als 13 Milliarden Euro, fast fünf Prozent des BIP, verwetten Österreicherinnen und Österreicher jährlich in den Casinos, bei Lotto und Toto, in den Wettbüros und im Internet, wird geschätzt (nebenbei gesagt: Der Staat verdient gut damit). Kein Wunder, dass ein Automatenhersteller binnen weniger Jahre zum reichsten Mann des Landes wurde.

Da ist bemerkenswert, wie mit diesem Hintergrund die Griechen als faul abgekanzelt werden, wie manche sich über die Zockermentilität der Banken und der Banker ereifern und bei Politikern Korruption praktisch automatisch annehmen und über Politiker diskutiert wird, die sich mit der Justiz anlegen - zumeist von ein und den selben Leuten.

Freilich, es gilt nichts zu beschönigen, gar nichts. Schon gar nicht, was Politik und Politiker betrifft. In Österreich ist der Handlungsbedarf hoch wie kaum anderswo. Aber es sollte klar und bewusst sein, dass von diesen Verhaltensmustern, denen so viele in Österreich im Kleinen nachhängen und die sie nicht als ungewöhnlich empfinden, ein direkter Weg zu den großen Problemen führt, die dieses Land derzeit beschäftigen und plagen. Denn in großem Stil, auf politischer Ebene, in den Chefetagen von Banken, im öffentlichen Leben oder in Institutionen, entfalten Verhaltensmuster wie diese eine verheerende Wirkung. Genau das erleben wir derzeit. Dann freilich werden sie zur Gefahr für das gesamte System. Ganz abgesehen davon, dass es darauf nicht vorbereitet ist, ist es wohl einer der Gründe dafür, dass sich das öffentliche Österreich so schwer tut, damit zurecht zu kommen.

Nicht zuletzt das macht es so schwer, mit den Problemen fertig zu werden und die richtigen Maßnahmen zu treffen. Weil man diese Muster verinnerlicht hat, scheint in diesem Land jede Fähigkeit zu einer ernsthaften Selbst-Reflexion oder gar Auflösung der Probleme abhanden gekommen zu sein. Und wenn es sie doch gibt, dann bleibt sie auf Hinterzimmer beschränkt oder wird in hohen Papierstapeln und meterlangen Ordner-Wänden erstickt, weil es niemand wagt, die Dinge anzugreifen.

Das Land versinkt dabei. Langsam zwar, aber wie es scheint unaufhaltsam. Und jedenfalls sehr selbstgerecht.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 22. März 2012

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