Donnerstag, 29. März 2012

Orientierungssehnsucht im Weihrauchnebel





Es war wohl Zufall, dass kürzlich am gleichen Tag und zur gleichen Stunde in Linz zwei deutsche "Wirtschaftsweise“ zur Schuldenkrise, zum Euro und zur Lage der Weltwirtschaft referierten. Kein Zufall war es wohl, dass sich dort jeweils rund 1.000 Besucher in den Sälen drängten.

Wenig ist das nicht, zumal dann, wenn eher spröde Wissenschafter am Podium stehen und sich mit sperrigen Themen auseinandersetzen. Der Besucherandrang ist deutlicher Beleg dafür, wie viele Menschen nach Information hungern und Orientierung im Weihrauchnebel suchen, den die heimische Politik und Wirtschaft verbreiten.

Sie haben es schwer in Österreich, einem Land, das sich als Insel der Seligen begreift, in dem der Blick über den Tellerrand weitgehend fremd ist und in dem Weltläufigkeit und Internationalität allenfalls an Erfolgen von Skifahrern gemessen werden.

Entsprechend beschränkt und enden wollend sind Angebot und Möglichkeit zu umfassender und vor allem ungefärbter Information zu kommen und entsprechend schlicht zumeist die Diskussion. Man neigt dazu, Probleme kleinzureden. In der Sehnsucht, die Krise überwunden zu sehen, sagt man Sachen, die wenig mit der Realität zu tun haben, und steckt den Kopf lieber in den Sand.

Der Diskurs, die Auseinandersetzung mit schwierigen Themen, ihnen gar auf den Grund zu gehen, daraus Schlüsse zu ziehen und entsprechende Handlungen zu setzen, ist freilich die Sache Österreichs nicht. Dafür fehlt es an der entsprechenden Kultur. Dafür fehlt es dem Land aber auch an der fundierten Expertise.

Das hat weniger damit zu tun, dass es hierzulande an Leuten mit entsprechendem Wissen fehlt, sondern viel mehr mit den Strukturen, die sich in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt haben. Politik, Interessenvertretungen, Organisationen und Unternehmensgruppen haben längst die Diskussion und die Menschen, die sie führen könnten, für ihre Interessen vereinnahmt. Oder, die andere Variante, sie verstehen es, sie mit entsprechenden Mitteln in Zaum zu halten. Sie haben damit Geist und Esprit in diesem Land in den Schwitzkasten genommen und es nicht nur der Freiheit und Offenheit, sondern vor allem auch seiner Kraft beraubt.

Das ist schlimm. Schlimmer noch ist freilich, dass die Wissenschaft und all die anderen, die etwas zu sagen hätten, das mit sich geschehen lassen haben. Verschreckt vom politischen Einfluss etwa scheut das Gros des wissenschaftlichen Personals dieses Landes die öffentliche Diskussion. "Das tue ich mir nicht an“, sagen viele von ihnen und ziehen das Leben im Elfenbeinturm dem oft rauen Wind eines öffentlichen Diskurses vor.

In der Diskussion respektive der Nicht-Diskussion rund um die aktuellen Wirtschaftsfragen zeigen sich die Folgen davon im ganzen Ausmaß. Das Niveau ist bescheiden, der Informationswert gering, die wissenschaftlichen Claims sind abgesteckt, die dahinter stehenden Absichten durchsichtig. Zu eng sind die Verflechtungen längst, als dass die Diskussion ins Grundsätzliche kommen könnte. Was die immergleichen wenigen Wirtschaftwissenschaftler und Wirtschaftsforscher, die sich in der Öffentlichkeit äußern, sagen, kennt man. Und welche Parteien, Institutionen und Interessengruppen - und damit Absichten - dahinter stehen und wem sie als Feigenblatt dienen, auch.

Das ist in Österreich offenbar unvermeidlich. Warum das so ist, kann man sich erklären, weil man es kennt. Zu akzeptieren ist es nicht. So wie die Politik und die Medien nicht aus der Verantwortung um die Informations- und Diskussionspflicht zu entlassen sind, ist es auch die Wissenschaft nicht.

Was für die Wissenschaft gilt, gilt freilich auch für die Wirtschaft. Auch dort versteckt man sich lieber hinter den ständig mit den immergleichen Meinungen auftretenden Wirtschaftskapitänen, als mit eigenem Wissen und eigener Erfahrung zur Auf- und Erklärung der Lage beizutragen.

Die Menschen dieses Landes haben ein Recht auf Offenheit, auf Vielfalt, auf Ehrlichkeit, auf Qualität und auf das, was man salopp als G’scheitheit bezeichnet. Vor allem haben sie ein Recht auf mehr als partei- und interessenspolitisch gefärbte Einschätzungen, auf eine österreichische Sicht der Dinge und auf österreichisches Antworten.

Gefordert sind die, die schweigen und es sich leicht machen. Die Leute brauchen sie. Und das Land erst recht.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 29. März 2012

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

 
UA-12584698-1