Donnerstag, 28. Juni 2012

Kroatien: Mit wenig Schwung nach Europa




In einem Jahr wird Kroatien EU-Mitglied. Im Land auf dem Balkan aber herrscht alles andere als Aufbruchstimmung.

HANS GMEINER Zagreb (SN). Ein Jahr vor dem EU-Beitritt am 1. Juli 2013 steckt Kroatien in einer tiefen Krise. „Das Land hat vier Jahre Stagnation und Rezession hinter sich und steuert in Richtung Depression“, sagt Roman Rauch, der österreichische Wirtschaftsdelegierte in Zagreb. „Die Impulse fehlen, die Investitionen fallen.“ Die Wirtschaftszahlen des Landes, das 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Tourismus erwirtschaftet, sind miserabel. Die Industrieproduktion sank im Vorjahr um ein Prozent, die Investitionstätigkeit ging um 7,2 Prozent zurück. Heuer werden rund 27.000 Firmenpleiten erwartet, jeder vierte Kroate ist arbeitslos, das Kreditrating des Landes liegt nur eine Stufe über dem sogenannten Ramschniveau.

„Nun kommt Gott sei Dank der EU-Beitritt“, sagt Rauch. Was ausländischen Investoren Sicherheit gibt, könnte aber für viele Sparten der kroatischen Wirtschaft ein Schockerlebnis werden, befürchtet er. „Weite Bereiche der Wirtschaft sind auf den Beitritt nicht vorbereitet.“ Man habe keinen Begriff davon, was der dann offene Markt für die kroatischen Unternehmen bedeute. „Innerhalb von zwei Stunden können täglich frische Semmeln von Graz nach Zagreb geliefert werden“, nennt er ein Beispiel dafür, wie es für viele kroatische Betriebe eng werden könnte.

Schon bisher sei es nicht gelungen, die von der EU im Vorfeld des Beitritts angebotenen Hilfen zu nutzen. „Es ist noch nicht heraus, was Kroatien will.“ Von den angebotenen 1,8 Mrd. Euro seien derzeit nur 20 Prozent ausgeschöpft. „Das Land hat seine strukturellen Probleme nie aufgearbeitet“, sagt Rauch. Sanierungsvorhaben der Regierung und Privatisierungspläne seien bisher kaum vorangekommen.

Für Österreichs Unternehmen sieht Rauch nicht schwarz. „Alles was die EU finanziert, bietet Chancen“, sagt er. „Alles andere aber bleibt bis auf wenige Ausnahmen schwierig.“ Vor allem für Branchen und Unternehmen, die Bildung, Umwelt, Nachhaltigkeit und Energieeffizienz zum Thema haben, sind die Aussichten in Kroatien nach Einschätzung des Handelsdelegierten intakt. „Drei Viertel der Häuser in diesem Land sind gegen Kälte nicht gedämmt“, nennt Rauch ein Beispiel für Marktchancen. Schwierig hingegen sei das Baugeschäft, das im Vorjahr um fast zehn Prozent gefallen sei. „Der Autobahnbau ist ausgereizt.“

Obwohl Slowenien zwischen Österreich und Kroatien liegt, gilt das Land an der Save als „erweiterten Heimmarkt“. Das Exportvolumen erreichte im Vorjahr rund 1,133 Mrd, Euro. Dem stehen Importe in der Höhe von 630 Mill. Euro gegenüber.

Mit mehr als sechs Mrd. Euro ist Österreich wichtigster Auslandsinvestor in Kroatien. Derzeit verfügen 700 heimische Unternehmen dort über eigene Niederlassungen. Trotz des politischen Engagements Österreichs für einen EU-Beitritt Kroatiens haben sie es nicht leicht. Administrative Probleme und Korruption gehören zum täglichen Brot.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 28. Juni 2012

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