Donnerstag, 4. Oktober 2012

Das Land braucht mehr Sorgsamkeit





Die Österreicher halten ihr Land für schön und sich für freundlich. "Warum das?“, fragt man sich freilich, wenn man Kilometer für Kilometer durch die Fertigbeton- und Supermarktwüsten der Vorstädte, durch Dörfer mit in grellen Farben in einer oft seltsamen Art und Weise angestrichenen Häuser, die für modern und Design gehalten wird, fährt, wenn man in ausgestorbenen und verfallenden Ortszentren strandet oder sich mit dem Auto durch von oft aberwitzigen Skulpturen verstellte Kreisverkehre windet. Und man fragt sich das auch, wenn man von rüden Kellnern, herablassenden Beamten oder einer gelangweilten telefonierenden Kassierin beamtshandelt wurde .

Zuweilen machen das Land und seine Bewohner den Eindruck, als seien sie nichts anderes, als die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Ohne Linie und Konzept, selbstherrlich, undurchsichtig und oft wirr. Man nimmt sich das heraus, vom dem man überzeugt ist, dass es einem zusteht. Man druckt sich um Dinge herum, man tut Sachen wider besseres Wissen, man hofft, dass niemand draufkommt und nichts auffällt.

Statt Schönheit und Freundlichkeit gibt es oft nur Hässlichkeit, Sorglosigkeit, Präpotenz und Bosheit. Allzu oft.

Österreich muss auf sich aufpassen. Die Landstriche, um die man am besten einen Bogen macht, werden mehr. Die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft, auf die man vor allem in Fremdenverkehr und Tourismus so gerne setzt, werden hingegen immer weniger. Und der Service, auf den man nicht weniger stolz ist, immer öfter schlechter.

In vielen anderen Ländern, über die man sich immer noch oft und gerne mokiert, ist das zuweilen längst ganz anders. Das gilt auch und ganz besonders für unsere Lieblingsnachbarn, die Deutschen.

Wer sich je in Berlins Gastronomie herumtrieb, wird das bestätigen. Und wer je mit dem Auto durch Bayern kurvte, auch. In Sachen Freundlichkeit und Service ist man dort vielerorts längst sehr viel weiter als bei dem oft so zuckersüßen und gerne in Tracht gewandeten Getue hierzulande. Das nämlich stellt sich oft sehr schnell als nichts anderes als dünne Maskerade heraus, hinter der sich Bosheit und Verachtung verstecken, wenn man als Gast und Kunde nicht spurt * und oft nicht nur dann.

Und während es die Bayern geschafft haben, ihre Orte nicht bis hinter den Horizont ausfransen zu lassen, nimmt sich die Raumordnung bei uns in manchen Gegenden aus, als sei sie weit nach Mitternacht in Wirtshäusern entworfen worden.

Das Land muss aufpassen, dass es in seiner Selbstverliebtheit, die in vielen Bereichen längst jede Kritikfähigkeit aufgefressen hat, nicht die Überfuhr verpasst. Das gilt nicht nur für die Bildung, die sozialen Standards, die Wirtschaft. Das gilt auch und vor allem für das Umfeld, in dem sich das tägliche Leben abspielt.

Viele Menschen müssen immer weiter fahren, bis sie dort sind, wo sie das Österreich finden, auf das sie stolz sind und das sie lieben. Immer länger werden die Ausfahrtschluchten der Städte, immer dicker die Speckgürtel, die zu überwinden sind. Und dann haben sie noch lange keine Garantie, dort zu finden, was sie suchen. Abseits von Seen und Sehenswürdigkeiten kämpfen viele Gemeinden und Dörfer gegen den Untergang. Keine Arbeit, keine Mittel, keine Ideen. Und immer öfter als Folge davon auch keine Menschen mehr, die dort leben.

Die Gestaltung der Umwelt und die Dörfer am Leben zu halten ist eine der größten Herausforderungen, vor denen Österreich steht. Viel zu oft wird etwa Dorferneuerung immer noch mit Behübschungs- und Blumenschmuckaktionen verwechselt. Wo sie aber ernsthaft angegangen wird, gibt es zwar oft großartige und beeindruckende Ideen und Konzepte. Die Bewohner werden damit aber allzu oft allein gelassen und scheitern prompt an der Umsetzung.

Die Beispiele häufen sich, wo sich rasch zeigt, dass die tollen Pläne für den Ortskern nicht das Papier wert sind, auf dem sie gezeichnet wurden, während den Bewohnern nichts anderes bleibt, als das Dorf zu fliehen und am Ortsrand die Tankstellen, Schnellbäckereien und Buffets weiterwuchern.

Das Land, in dem so viele die Schönheit des Landes und die Freundlichkeit seiner Bewohner als dessen größtes Kapital schätzen, sollte sich angewöhnen, ehrlicher mit sich umzugehen. Und sorgsamer. Die Schönheit des Landes droht verbraucht zu werden. Und die Freundlichkeit der Menschen auch. Zumal der Zusammenhang zwischen beiden nicht zu leugnen ist.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung  4. Oktober 2012

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