Donnerstag, 10. Oktober 2013

Gott behüte



In fetten Lettern warnte die SPÖ im Wahlkampf vor Schwarz-Blau. Nun hat sie die Diskussion selbst am Hals. Ungut, klebrig und wie eine lästige Fliege. Die Parteispitze tut sich schwer damit, dass mit einem Mal einige prominente Gewerkschafter vorpreschten und den strikten Isolierungskurs, den die SP gegenüber den Freiheitlichen seit Vranitzkys Kanzlerschaft in den 1990er Jahren fährt, in Frage stellten. Man soll die Blauen nicht länger tabuisieren meinen sie, alleine schon, um sich in den Verhandlungen um die Bildung einer Regierung nicht alle Optionen zu nehmen und sich der Volkspartei auf Gedeih und Verderb auszuliefern. Wie groß der Druck ist, zeigt alleine, dass selbst Wiens Bürgermeister Häupl ausrückte, um klarzustellen, dass eine Koalition mit Strache unter keinen Umständen in Frage komme. "Da ist der Gang in die Opposition die bessere Alternative" gab er gegenüber dem Ö1-Mittagsjournal zu Protokoll. Faymann, Häupl und Co. blocken ab und lassen Diskussion am liebsten erst gar nicht aufkommen. Dabei freilich tun sie sich immer schwerer. Nicht nur ein paar Gewerkschafter, sondern auch die Parteibasis, zumal jene der gestandenen Roten älteren Semesters, hat schon lange Probleme mit der Linie der Partei-Oberen. Viele der klassischen SP-Wähler von einst fühlen sich mit ihren Ängsten und Sorgen längst viel besser bei Strache aufgehoben. Sie können mit Straches Warnungen vor Überfremdung, Eurokrise und EU -und seien sie noch so krude -viel mehr anfangen, als mit der diffizilen, wiewohl ehrenhaften, Ausländerpolitik der eigenen Roten, ihrer EU-Linie und ihrer Haltung zur Wirtschaftskrise. Man möge sich nur an den Stammtischen umhören.

Da vergreift selbst das seit Jahren mit aller Kraft gepushte Gerechtigkeitsthema nicht mehr wirklich, da zieht Straches "Nächstenliebe" eher. Der blaue Parteiführer trifft mit seinen Ansichten und Forderungen den Roten Bauch sehr viel mehr als die Strategen aus der Löwelstraße. Und es verwundert nicht, dass Wahlanalysten zum Schluss kommen, die FPÖ sei die neue Arbeiterpartei.

In der Situation, in die die SPÖ geraten ist, ist sie nicht alleine. Die ÖVP steht kaum anders da. Da wie dort hat man den Kontakt zu einem wesentlichen Teil der Bevölkerung verloren . Da wie dort hat man all die Jahre nie eine Linie gefunden mit Populisten des Zuschnitts eines Haider oder jetzt eines Strache umzugehen. So wie zuvor Haider, haben sie versucht, den Wiener Zahntechniker auszugrenzen, lächerlich zu machen, mit Verachtung zu strafen, für nachgerade dumm zu verkaufen und als Teufel an die Wand zu malen. Weil sie übersahen, dass sie damit Gleiches auch all jenen unterstellten, für die Strache wenn schon nicht die Lösung, so zumindest der nötige Stachel im fett gewordenen Fleisch von Rot und Schwarz ist, kann Strache nun sagen: "Eine Million Wähler kann man nicht ignorieren."

Da ist ihm zweifellos recht zu geben. Das aber freilich nicht in seinem Sinn. Aufgabe der beiden Noch-Großparteien ist es, mit dem Phänomen Strache endlich einen richtigen Umgang zu finden und die Wähler aus dem politischen Schmuddeleck zurückzuholen. Im Interesse der Gesellschaft, die sich aufzuspalten droht, aber auch aus eigenem Interesse. Nochmals so abzurutschen, wie bei diesen und den vorangegangenen Wahlen, können sich weder die SPÖ noch die ÖVP leisten. Denn dann kommen sie gar nicht mehr in die Situation, eine Partei wie die FPÖ auszugrenzen. Denn dann liegt der Ball wirklich bei Leuten von Straches Zuschnitt.

SPÖ und ÖVP sind gefordert, die Wahler zurückzugewinnen. Und sie sind gefordert, Straches Wähler ernst zu nehmen und ihnen Lösungen anzubieten, für die sich das Land nicht zu schämen braucht. Es geht darum, den Weg zu den jetzigen Strache-Wählern zu finden, ohne dabei den besseren respektive ärgeren Strache zu machen. Gott behüte. Dabei wird man nicht umhinkommen, über Grenzen zu gehen, eigene Postionen zu überdenken und das Argumentations-Arsenal neu zu sortieren. Dass man den politischen Anstand verlieren muss, heißt das freilich nicht. Der Druck ist groß. Was viele der jetzigen Strache-Wähler suchen, sind Antworten auf ihre Fragen und Lösungen für ihre Probleme. Und die muss man ernst nehmen und anständig im besten Sinn des Wortes zu lösen versuchen -nicht mit erhobenem Zeigefinger, nicht hochnäsig, nicht abschätzig und vor allem nicht mit noch mehr Strache.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 10.10.2013

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