Donnerstag, 6. Februar 2014

Wir Rauschkinder



Die Speisekammern der Haushalte sind mit Knabbereien und Getränken gefüllt, die Zeitungen versuchen sich mit Olympia-Extras zu übertrumpfen, der ORF wirbt damit, 430 Stunden live übertragen zu wollen. Und eine Österreich-Flagge ziert wohl die eine oder andere Couch im Land.

Dabei sein ist alles. Seit Wochen macht sich das Land bereit für den nationalen Rausch. An olympischen Winterspielen hängt Österreichs nationale Identität und das Selbstbewusstsein seiner Bewohner wie an kaum einem anderen Ereignis. Toni Sailers drei Goldmedaillen in Cortina d'Ampezzo 1956, Franz Klammer Abfahrtssieg in Innsbruck zwanzig Jahre später, Hermann Maiers Jahrhundertsturz in Nagano oder der Ausschluss von Karl Schranz aus Olympia gehören zu den tragenden Säulen der österreichischen Identität.

So etwas verbindet, so etwas stützt, so etwas gibt Kraft und Rückhalt. "Wir sind wer." Das tut gut. Und das braucht man hierzulande. Das vor allem. Sonst hat man ja nicht viel, mit dem man international Renommee machen könnte. Im Sport nicht, was noch zu verkraften wäre, aber auch nicht in ernsthafteren Sparten des internationalen Lebens und der internationalen Staatengemeinschaft. Österreich ist politisch längst unbedeutend. In der Weltpolitik hat man schon vor hundert Jahren jede Bedeutung verloren. Und die Wertschätzung, die man noch vor dreißig Jahren hatte, hat man auch gewusst, leichtfertig und selbstzufrieden zu verspielen. In der Wirtschaft kommt man in internationalen Rankings kaum an den vorderen Plätzen vor, und wenn doch, dann, wenn es um Negativa wie hohe Lohnkosten, Standortbewertungen oder Bildung geht. Nicht einmal in der Kunst bringt man es mehr zu besonderer Bedeutung, schon gar nicht zu der, die man in den vergangenen Jahrhunderten vor allem in der Musik, aber auch in der bildenden Kunst hatte.

Österreich ist ein kleines Land in den Ostalpen, das sich oft zerrissen gibt und in dem sich die Menschen und die Gesellschaftsschichten, in denen sie leben, immer schwer tun, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Es ist ein Land, das mit der Verwaltung seiner selbst und der Beschau seines Nabels derart beschäftigt ist, in dem niemand die Kraft aufbringt, sich um Perspektiven zu kümmern und welche zu entwickeln, geschweige denn, sie dann auch umzusetzen. Da verbrennt man die Energie darein, den Steuerkuchen zu verteilen oder darein, wie jüngst der Tiroler Landeshauptmann, um Steuerhoheiten zu rangeln. Da muss der Bundespräsident Dinge einmahnen, die anderswo selbstverständlich sind. Da taumeln die politischen Parteien von einem Wahlkampf in den nächsten, statt Politik zu machen und zu regieren. Da erschöpft sich politische Aktivität darin, alle anderen schlecht zu machen und anzupatzen und nicht darin, alles zu versuchen, gemeinsam an einem Strang zu ziehen, um das Land voranzubringen.

Ausgeleiert ist längst alles und eingefahren. Und ermüdend. Das vor allem. Es laufen die ewig gleichen Muster und die ewig gleichen Mechanismen ab. Mitunter scheint sich alles im Kreis zu drehen.

Nicht zuletzt all das gibt gerade olympischen Winterspielen in diesem Land eine so besondere Bedeutung. Da kann man sich ungeniert auch einmal selbst zum Sieger machen, wenn Marcel Hirscher, Anna Fenninger, Marlies Schild oder Gregor Schlierenzauer um Medaillen wedeln oder springen. Das sind dann "unsere Medaillen" und "unsere Triumphe". Man greift beherzt zu und stimmt begeistert in diesen Ton ein - so billig kommt man sonst nie zu Erfolg. Und ist umso dankbarer dafür, wenn man sonst keinen hat.

Das ist in kaum einem anderen Land der Welt so. Und schon gar nicht prägen anderswo Sportarten, die im Weltmaßstab -in Österreich hört man das freilich gar nicht gerne -lediglich zu Randsportarten zählen, in einem so großen Maß die nationale Identität.

Aber das ist bezeichnend für dieses Land. Viele, allzu viele, haben den Blick fürs Wesentliche verloren. Viel lieber ergeht man sich in Nebensächlichkeiten, ereifert sich darin und verschwendet darin alle Energien.

Da bleibt dann freilich nichts anderes, als sich daran aufzubauen, wenn man denn zumindest so etwas hat wie gute Skifahrer oder Skispringer. Was aber wäre, wenn wir nur Fußballer hätten? Wie stünde es dann um unser Selbstbewusstsein?

Alleine das sollte zum Nachdenken geben.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 6. Februar 2014

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