Donnerstag, 13. März 2014

Wirkliches Leben



Die Erfahrungen, die dieser Tage der Salzburger SP-Landesparteiobmann Walter Steidl, vom Sessel des Landeshauptmann-Stellvertreters auf die harten Oppositionsbänke verbannt, in einem Interview schilderte, möchte man gerne weiter empfehlen. Sie könnten der heimischen Politik gut tun, sie könnten dem Land gut tun. Und sie könnten den ewig gleichen Trott endlich einmal durchbrechen. Aus dem offiziellen Leben von Stadt und Land sei man ausgeschlossen, gab er zu Protokoll, dafür gebe es wieder mehr Kontakt zum "wirklichen Leben der Leute".

Das hört man gerne, das lässt sich ausbauen und man ist geneigt, das als fixe Verpflichtung zu fordern. Zumal, wenn man all das Revue passieren lässt, was einem so im Laufe der Legislaturperioden der diversen Gebiets- und anderen Körperschaften unterkommt. An Unsinnigkeiten, die an den wirklichen Bedürfnissen der Leute vorbeigehen, an Weltfremdheiten und an Weichenstellungen für diese Lobby und jene und an Gefälligkeitsgesetzen für Parteifreunde. Teuer meist, wirkungslos oft, und ärgerlich zuweilen. Die Liste wäre wohl lang, die ausschließlich darauf zurückzuführen ist, dass die Damen und Herren in der Politik, in den Gemeinden genauso, wie in den Ländern und im Bund, bei ihrer Arbeit das "wirkliche Leben der Leute", wie Steidl es nennt, nicht immer im Auge haben, weil sie es schlicht und einfach nicht mehr kennen.

Auch wenn das gerne zur Häme verleiten mag, für die Damen und Herren in der Politik ist es in der Tat oft alles andere als einfach, das "wirkliche Leben der Leute" zu kennen. Und das nicht so sehr, weil sie im fernen Wien oder in der fernen Landeshauptstadt arbeiten und dort ihre Zeit in Sitzungen und Ausschüssen versitzen und, abgeschlossen im Dienstwagen, von einem Termin zum anderen hetzen. Das mag, das sei zugegeben, seinen Anteil daran haben, dass manche den Boden der Realität unter den Füssen verlieren, zumal dann, wenn sie über lange Zeit auf dem politischen Parkett tanzen, und nicht dort, wo sie herkommen. Am Arbeitsplatz im Industriebetrieb, an der Kassa im Handel, in den verwinkelten Räumen des kleinen Gewerbetriebes oder im Kuhstall auf dem Berghang weit über dem Tal.

Das ist nur die eine Seite. Denn dass es für die Damen und Herren Politiker mitunter schwierig ist, das "wirkliche Leben der Leute" kennen zu lernen, hat auch mit denen zu tun, die sie vertreten wollen und sollen. Wie zeigen die ihr "wirkliches Leben"? Ist es der Bittsteller, der mit seinem ganz speziellen eigenen Anliegen zum Sprechtag kommt, der das "wirkliche Leben der Leute" repräsentiert. Ist der repräsentativ, der den Mumm hat, bei einer Veranstaltung aufzustehen und etwas zu sagen? Oder die, die mit einem um ein Kompliment heischenden Lächeln an der Bar um den Politiker herumscharwenzelt, um auf sich aufmerksam zu machen? Sagen die Leute, was sie wirklich denken, oder lieber das, von dem sie glauben, dass es gehört werden will? Ist das überhaupt bei jedem von Relevanz oder ist es bloß Wichtigtuerei fern der Realität? Wer unterscheidet und wie? Und wie ist das Bild, das dabei herauskommt? Zumal in Österreich, wo dem Bürgerinnen und Bürgern immer noch eine gewisse Unterwürfigkeit und vorauseilender Gehorsam im Umgang mit Obrigkeiten, zumal politischen, eigen ist.

In diesem Umfeld erstaunt nicht, dass Weichenstellungen oft kaum nachvollziehbar sind und als wirklichkeitsfremd empfunden werden. Denn viel zu oft scheinen es die besonders Lauten zu sein, die sich durchsetzen, oft die besonders gut Organisierten und oft sind es auch die ganz Stillen, bei denen man sich das Publikum fragt, wie die das gemacht haben.

Aber repräsentieren all diese Prozesse "das wirkliche Leben der Leute"? Was ist mit denen, die weder laut sind noch gut organisiert, noch sich besonders auf die heimlichen Wege verstehen?

Der Verdacht liegt nahe, dass die oft zu kurz kommen. Und der Verdacht liegt nahe, dass dieses Zu-Kurz-Kommen bei vielen längst in das gemündet ist, was das Land als Politikverdrossenheit beschäftigt.

Salzburgs ehemaliger Landeshauptmann-Stellvertreter hat, niemandem etwas schuldig und von niemandem mit Begehrlichkeiten angebaggert, wohl tatsächlich in seiner neuen Position die besseren Chancen, "das wirkliche Leben der Leute" kennen zu lernen. Ihm macht niemand etwas vor, weil niemand etwas von ihm erwartet. Nicht in die eine und nicht in die andere Richtung.

Und genau das ist die Position, die vielen anderen Politikerinnen und Politikern in diesem Land auch gut täte.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 13. März 2014

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