Mittwoch, 3. Juni 2015

Fragen zum Generalverdacht



Ein Land steht unter Generalverdacht. Die Aufregung ist groß. Was die Politik sich im Zuge der Steuerreform herauszunehmen gedenkt, wird als nichts denn als Zumutung empfunden. Da werden Grenzen überschritten, da sehen viele zurecht Grundrechte aus den Angeln gehoben. Dass vom Überwachungsstaat die Rede ist und das manche an totalitäre Staaten und die dortigen Gepflogenheiten erinnert, kann ihnen nicht einmal übel genommen werden.

Aber das ist es nicht allein. Dieser Generalverdacht, der allen Menschen alles zutraut und der nicht mehr von der Unschuldsvermutung und damit vom guten Menschen ausgeht, sondern von vorneherein Schuld und das Schlechte annimmt, zeigt, wie sehr die Finanznot der öffentlichen Haushalte und der fahrlässige Umgang mit dem Geld die Gesellschaft und die Grundsätze, auf denen sie fußt, aus dem Lot gebracht hat. Das Vertrauen zwischen den Bürgern und ihrem Staat, den sie eigentlich gemeinsam bilden, ist grundlegend gestört. Misstrauen allerorten. Jeder glaubt draufzuzahlen. Jeder befürchtet übers Ohr gehauen zu werden. Jeder befürchtet hinters Licht geführt zu werden. Und jeder nimmt sich, von dem er glaubt, dass es ihm vorenthalten werde. Da wie dort. Auf der Seite des Staates. Und auf der Seite der Bürger.

Mit der Schnüffelei und dem Ruf nach mehr Transparenz entblößt sich das Gemeinwesen dieses Landes selbst. Sie haben den Geruch von Verzweiflungsakten. Kann man sich auf die Gesetze und Vorschriften und darauf, dass sie auch umgesetzt werden, nicht mehr verlassen? Hat man in der hektischen Suche nach Geld das Vertrauen in die Arbeit der eigenen Institutionen verloren? Ist man wirklich soweit, dass die Rechte nicht weiß, was die Linke tut? Und hat man tatsächlich den Überblick verloren im Dschungel der Vorschriften und Gesetze, die sich in den vergangenen Jahrzehnten und oft sogar Jahrhunderten schier kaskadenartig aufgebaut haben. Oder sind sie so schlecht, dass sie kaum durchgesetzt werden können? Ist der Apparat zu schlecht ausgestattet, zu wenig effizient oder gar zu wenig qualifiziert? Warum reicht es nicht mehr, dass etwa ein Amt die Korrektheit von Vorgängen bestätigt und die Zahlen kennt? Warum kann man sich darauf nicht mehr verlassen? Ist die Politik wirklich zu schwach, umzusetzen, was sie beschließt?

Da nimmt nicht Wunder, dass viele Bürger das Vertrauen verloren haben, dass der Staat gut geführt ist und ihr bestes will. Viele sind längst überzeugt davon, dass die Führung überfordert und ohne Vision ist, sondern nur Lobbies bedient und dabei nichts als Geld verschleudert.

"Hilf dir selbst, sonst hilft dir keiner" - das haben viele Bürger zu ihrem Lebensmotto gemacht, um sich dagegen zu wehren. Man nimmt, was man kriegen kann und man gibt nur, was sich gar nicht vermeiden lässt. Diese Kultur wurde in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten regelrecht gezüchtet. Von maßlosen Politikern und Parteien, die auf rücksichtlosen Populismus setzten, um zu Stimmen zu kommen, aber auch von Interessenvertretungen und von Gewerkschaften. Verantwortungslose Beamten spielten mit, Medien auch, Unternehmungen, Bürger, die Selbstbewusstsein mit Selbstbedienung verwechselten und vieles andere mehr.

Der gläserne Bürger als Antwort darauf ist zu wenig. Im Gegenteil. Das Misstrauen in den Staat wird weiter wachsen. Denn besser ist bisher trotz immer neuer Vorschriften nichts geworden. Beim vereinfachten Zugriff auf die Konten oder bei der Registrierkassenpflicht wird es nicht anders sein. Und auch nicht beim Mystery-Shopping in den Arztpraxen. Sie lösen das grundsätzliche Problem nicht.

Misstrauen, wie es in diesem Land zwischen dem Staat und seinen Bürgerinnen und Bürgern herrscht und wie es die Wahlergebnisse vom vergangenen Sonntag in der Steiermark und im Burgenland zeigen, kann keine Basis für die Zukunft sein, sondern ist nichts denn eine gefährliche Bedrohung für die Gesellschaft. Der Staat muss alles daran setzen, das Vertrauen in seine Institutionen selbst wieder herzustellen. Verlangt sind klare und effiziente Strukturen, die die politischen Vorgaben umsetzen können. Ohne Schnüffelei und ohne Aushebelung von Grundrechten. Und ohne jede und jeden in diesem Land unter Generalverdacht zu stellen.

Denn eine Gesellschaft, in der man auf nichts mehr Vertrauen kann und in der man sich mit nichts denn mit Misstrauen begegnet, kann die Anforderungen, denen sie sich stellen muss, nicht bewältigen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 3. Juni 2015

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