Donnerstag, 2. Juli 2015

Brechende Dämme



Spätestens nach dem gescheiterten Flüchtlingsgipfel und dem dortigen, dem Vernehmen nach ungestümen und sogar lauten Aufeinanderprallen roter und schwarzer Granden, die eigentlich an einem Strick ziehen sollten, ist wieder die Rede von einer Regierungskrise. Ob zu Recht oder zu Unrecht, sei dahingestellt. Was jedenfalls zu konstatieren ist, ist eine Krise des Regierens. Statt klarer Linien und klarer Beschlüsse gibt es Zögern und Zaudern und voreilig verkündete Ergebnisse, die selten halten, was angekündigt war. Zuerst die von vielen als missraten empfundene Steuerreform, dann der hilflose, mitunter feindselige und oft nachgerade zynische Umgang mit dem immer stärker anschwellenden Flüchtlingsstrom. Da nimmt nicht wunder, dass das Klima in diesem Land immer giftiger wird. Dämme brechen. Mit einem Mal sind wieder offene Gräben zwischen Gesellschaftsgruppen sichtbar, tun sich Gegensätze auf, die man längst überwunden glaubte und bekommt man Dinge zu hören, die man glaubte nie mehr hören zu müssen.

Dass eine Abgeordnete in einer Rede im Nationalrat vorschlägt, Flüchtlinge in Bundesheer-Transportmaschinen abzuschieben, weil die "da so laut schreien können, wie sie wollen", ist unerhört. Genauso unerhört ist die Taferl-Aktion der oberösterreichischen Sozialdemokraten, mit der sie gegen eine - gar nicht geplante - Errichtung eines Asylzentrums in Linz Stimmung machten. Und gar nicht zu reden ist von Straches beispielloser Aktion, das Amokfahrt-Drama von Graz zur Stimmungsmache gegen Migranten und Flüchtlinge zu nutzen.

Was man längst überwunden glaubte, ist mit einem Mal wieder da. Nicht nur irgendwo in der Ferne und via Medien. Auch in der unmittelbaren Umgebung brechen die Dämme und fallen immer öfter die Hemmungen. Immer mehr glauben, in dieser Stimmung wieder alles sagen zu dürfen und nehmen sich kein Blatt vor den Mund, wenn es um "Empfehlungen" und "Lösungen" für das Flüchtlingsproblem geht. Da ereifert man sich darüber, dass in einem Zeltlager das Essen kritisiert wurde und es Streit gab. Da erzählt man sich an den Stammtischen Gerüchte über Flüchtlinge und strickt Mythen weiter, die jeder Wahrheit entbehren. Ungefragt und ungeprüft. Und da versteigt sich da und dort auch einmal einer, das Wort "Kugel" als "billigste Lösung" in den Mund zu nehmen.

Längst kommen diese Dinge nicht mehr aus der einschlägigen Ecke, sondern auch von Sozialdemokraten oder Parteigängern der Volkspartei. Denn mit Parteizugehörigkeit hat das nichts zu tun. Diese Leute sind überall.

Und niemand scheint sie zu bremsen. Selbst von kirchlichen Würdenträgern wird kolportiert, dass sie sich über die Kritik am Essen mokieren und da und dort eher in den Chor der Alles-und Besserwisser einstimmen, als sich gegen den Dammbruch zu stellen. Die Kirchenvertreter tun das zu wenig, die Vertreter der politischen Parteien ohnehin, aber auch viele anderen, die in der Gesellschaft etwas bewirken könnten. Sie halten sich zurück. Typisch österreichisch zurück, möchte man sagen. Nur nicht anstreifen.

Dabei wäre das gerade jetzt besonders wichtig, sollte die Diskussion nicht mehr weiter eskalieren und sollten nicht noch mehr Dämme brechen. Jeder ist gefordert, in seinem Umfeld dem allerorten aufschießenden Wahnsinn Paroli zu bieten. Dabei geht es gar nicht um die großen Dinge, wie darum, Quartiere für die Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen, direkte Hilfe anzubieten oder Ähnliches, sondern einfach darum, nicht beifällig zu nicken, wenn jemand in der Arbeit, am Stammtisch oder sonstwo allzu krude und menschenverachtende Ideen und Meinungen zur Flüchtlingspolitik und zum Thema Migration und Ausländer kundtut. Es geht darum, dass man sich dann nicht wegduckt, sondern zeigt, dass man anders denkt, dass man den Gerüchten nicht freie Bahn lässt, sondern klar dagegen Stellung bezieht. Nur so kann man jenen den Rücken stärken, die sich gegen den Dammbruch wehren. Es gilt zu zeigen, dass man anderer Meinung ist und das zu sagen, statt sich um der guten Ruhe willen zurückzulehnen.

Viel zu viele in diesem Land tun das nicht. Sie machen damit den Weg frei nicht nur für die Freiheitlichen und ihr Gedankengut, sondern tragen auch dazu bei, dass sich auch die anderen Parteien zunehmend an diesem Gedankengut orientieren, um bei den nächsten Wahlen zum Erfolg zu kommen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 2. Juli 2015

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