Donnerstag, 20. August 2015

Das Große im Kleinen



"Hätte nie gedacht, dass Amnesty International je so einen Bericht über eine öffentl. Einrichtung in Ö. vorlegen würden", twitterte ZIB 2-Moderator Armin Wolf nach der Veröffentlichung des Berichts über die Zustände im Flüchtlingslager Traiskirchen. So wie dem Fernsehstar ging es wohl vielen in diesem Land. Amnesty-Berichte in dieser Schärfe kannte man bisher nur aus fernen Ländern, aus üblen Diktaturen, aus der Dritten Welt und aus Kriegsgebieten und Unruhezonen. Aber jetzt gibt es so einen Bericht auch aus Österreich. Einen Bericht von außen, von einer unverdächtigen Organisation, der man gemeinhin große Wertschätzung entgegenbringt und die in hoher Glaubwürdigkeit steht.

Der Bericht, der selbstredend auch Häme und plump-thumben Hurrapatriotismus - "unser Land wird besudelt" (ein Kolumnist der Kronenzeitung) - befeuerte, zeigt im Kleinen und Konkreten die Probleme, an denen dieses Land auch im Großen immer stärker leidet, mit denen es immer weniger zurecht kommt und die dafür sorgen, dass man dabei ist, international den Anschluss zu verlieren.

Was der Amnesty-Bericht aufzeigt, hemmt und bremst Österreich nicht nur in Traiskirchen, sondern überall. Die überbordende Bürokratie, die jedwedes Handeln und jedwede schnelle Reaktion auf Entwicklungen hemmt, das Herumschieben von Zuständigkeiten, das Herumdrucksen, das Aufschieben von Entscheidungen und das Wegschauen, die geringe Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, die dürftige Lösungskompetenz, diese alles blockierende "Mir-san-mir"-Mentalität und die oft dröhnende und feiste Selbstzufriedenheit. Vorwiegend verweigert man sich Entwicklungen und lügt sich mit Hingabe selbst in den Sack - überall und auf allen Ebenen. Das gilt im Umgang mit der Wirtschaft, mit der Bildung und für viele andere Bereiche, in denen man sehenden Auges in die Probleme schlittert, aber nicht fähig ist einzugreifen.

Der Amnesty-Bericht kann durchaus als Beleg dafür genommen werden, wie sehr Österreich den Bezug zur Realität verloren hat. Wie sehr es sich im selbstverliebt aufgebauten Wolkenkuckucksheim verloren hat. Diese Arroganz der Gutheit und Selbstüberschätzung, die in diesem Land grassiert, wie eine Seuche, ist mit Karacho an die Wand gefahren
- in Traiskirchen und überall im Land. Der Absturz in den internationalen Rankings ist Beleg dafür.

Der Amnesty-Bericht ist in diesem Jahr schon der zweite Bericht von neutraler Stelle , der klar wie nie zuvor Mängel in diesem Staat offenlegt. Im Frühjahr legte schon der Griess-Bericht die Finger in die Wunden in einer Klarheit, die man bisher in diesem Land nicht kannte, in dem zumeist nur wenig an die Öffentlichkeit kommt, das nicht parteipolitisch gefällig geföhnt und gebürstet ist.

Nichts würde dem Land und seiner Zukunft besser tun, als wenn die beiden Berichte tatsächlich Veränderungen anstoßen würden. Die Voraussetzungen sind gut. Der Griess-Bericht zur Hypo Alpe Adria brachte eine neue Qualität in die politische Diskussion. Der Amnesty-Bericht wird das hoffentlich auch tun.

Dass in Österreich immer mehr Menschen bereit sind, auf neuen Wegen mitzugehen und Veränderungen mitzutragen, zeigt die mittlerweile beachtlich anwachsende private Hilfe für die Flüchtlinge. Man zeigt auf gegen die blindwütige und undifferenzierte Menschenverachtung, man will nicht mehr wegschauen und sich wegducken, man will Veränderung.

Es gibt diesen guten Kern im Land. Beim Umgang mit den Flüchtlingen, in der Wirtschaft, in der Bildung. Es gibt die Leute in den Unternehmen, in den Schulen, in den Universitäten, in der Verwaltung. Es gibt sie überall und auf allen Ebenen. Jene, die genug haben vom verzopften Österreich, das nur mehr mit sich selbst beschäftigt ist.

Ihnen muss der Weg freigemacht werden von der Politik aber auch von all den anderen, die etwas zu sagen haben in diesem Land. Die Hoffnung lebt. Als gelernter Österreicher weiß man freilich - mehr ist es aber auch nicht. Es steht eher zu befürchten, dass Österreich die Zeichen dennoch nicht verstehen wird und noch tiefer hineinrutscht. Verantwortlich dafür sind die, die in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten an der Macht waren - und nicht die, vor denen man sich jetzt allerorten fürchtet, dass sie die Macht übernehmen, weil sie keine Scheu haben, die Stimmung der vergangenen Monate für sich zu nutzen.

Meine Meinung, Raiffeisenzeitung, 20. August 2015

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