Donnerstag, 24. September 2015

Ungewollte Folgen



Am kommenden Sonntag wählt Oberösterreich, zwei Wochen später Wien. Die Bedeutung, die den Wahlgängen in diesen Ländern, die jeweils von Schwergewichten der Koalition regiert werden, ist schon im Normalfall außerordentlich. Die Flüchtlingskrise, der Umgang der Politik damit und die vergeblichen Bemühungen, sie unter so etwas wie Kontrolle zu bringen, geben diesen Wahlen diesmal eine zusätzliche Dramatik und Brisanz, die das Land nachhaltig verändern kann.

Sollte Pühringer auch nur annähernd die zehn Prozentpunkte verlieren und die FPÖ die 16 Prozentpunkte gewinnen, wie das prognostiziert wird, und sollte Strache auf Kosten von Häupl in Wien so zulegen, wie das erwartet wird, ist ein innenpolitisches Erdbeben unvermeidbar. Das hieße wohl, dass Strache und seine Gefolgsleute in die Position kommen, tatsächlich das Ruder in diesem Land in die Hände zu kriegen. Auch das legen Umfragen nahe. 33 Prozent der Wähler würden derzeit bei der FPÖ das Kreuzerl machen und die einst dritte Kraft im Lande zur ersten machen.

Man mag den Wählerunmut verstehen und den Drang, es den beiden Großparteien zu zeigen -allein ein solches Wahlergebnis kann Folgen haben, die von den Wählern so nicht gewollt sind. Man hat zwar sein Mütchen in der Wahlzelle gekühlt, muss dann aber womöglich feststellen, dass man damit nichts denn einen noch größeren Schaden angerichtet hat.

Da hat man möglicherweise in Oberösterreich einen der fundiertesten und besten Politiker Österreichs, der eine untadelige Bilanz, wie kaum ein anderer vorlegen kann, schwer beschädigt oder gar ins Ausgedinge geschickt, nur weil man in einer einzigen Frage nicht mit ihm einverstanden war. Da hat man möglicherweise in Wien einem Blender auf den Bürgermeistersessel geholfen, der seit Jahren durch nichts als starke Sprüche und Hetzereien auffällt, aber immer dann, wenn konstruktive Lösungen gefragt sind, auf Tauchstation geht. Und da liefert man, weil Wien und Oberösterreich zu den wichtigsten Bundesländern zählen, möglichweise das ganze Land dem Tun von politischen Hasardeuren und Blendern aus. Erklärbar ist das, was da möglicherweise kommen wird, allemal. Auch daran, es zu akzeptieren, geht kein Weg vorbei. Aber zu ertragen ist es mit hoher Wahrscheinlichkeit kaum. Denn die Freiheitlichen sind es sicherlich nicht, die in Österreich die Wende schaffen, die sich so viele Menschen hierzulande wünschen und erwarten. Und schon gar nicht in die Richtung, die dieses Land so dringend bräuchte. Mehr als dumpfe Biertischpolitik, die sehr schnell an der Realität zerschellt und auf Kosten vieler Menschen geht, wäre nicht zu erwarten. Und das nicht nur, weil die politischen Ziele nichts als dünn und handgestrickt einfach sind, sondern auch, weil es auch am Personal fehlt. Man erinnere sich nur an die Sickls, Forstingers und Krügers aus den Jahren der schwarz-blauen Koalition. An die Maischbergers, die Reicholds und die Scheuchs. Und gar nicht zu reden von Haider, der ein ganzes Bundesland in den Bankrott schickte und dem ganzen Staat eine schwere finanzielle Krise zufügte, an der wir alle noch lange zu zahlen haben.

Leute wie diese stehen jetzt wieder an der Schwelle. Hochgespült von der Flüchtlingskrise und seit Jahren mit allen Kräften nachgerade beworben von rot und schwarz, die es nicht und nicht lernten, mit den Zeichen der Zeit und der wachsenden Unzufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land umzugehen. Die immer nur kalmieren, alles kleinreden, sich nicht den wichtigen Fragen stellen und viel zu selten Leadership zeigen.

Dass die Freiheitlichen so groß werden, wie sie nun zu werden scheinen, ist aber nicht nur der SPÖ und der ÖVP zuzuschreiben. Das gilt in gleichem Maß auch für jene Parteien, die sich für Alternativen und die Besseren halten. Sie haben bisher nichts bewiesen, als dass sie genau das nicht sind. Das gilt für die Grünen, die seit mehr als 20 Jahren nicht vom Fleck kommen mit ihrer bräsigen Selbstzufriedenheit. Das gilt für die Stronach-Partie sowieso. Und das gilt auch für die NEOS. Dass auch sie nicht anders ticken, bewiesen sie erst in der vergangenen Woche mit dem Inseraten-Bonus, den sie Medien ganz im Stil der Parteien, die sie so gerne kritisieren, anboten - mit dem strengen Geruch einer Finanzierung aus Parteiförderungsgeldern, die nach den Wahlen fließen sollen.
Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 24. September 2015

Donnerstag, 17. September 2015

Russlands Fremdenlegion



Die öffentliche Meinung und wie sie zustande kommt, ist zuweilen ein Phänomen. Ein Phänomen ist auch, welche Verbindungen es da gibt und wer mit wessen Argumenten an die Stammtische zieht und in die Streitgespräche. Auffällig oft kommt dabei vor, dass da weltanschaulich völlig gegensätzliche Richtungen zur gleichen Wortwahl greifen und zu den gleichen Schlussfolgerungen kommen.

Derzeit ist besonders augenscheinlich, wie sehr sich die Argumentationslinien Russlands mit jener der Rechten Europas und damit auch Österreichs FPÖ treffen, ehe sie an den Stammtischen dieses Landes zu dem werden, was dann als öffentliche Meinung, respektive Volksempfinden, den politischen Takt im Land vorgibt. Wie schon bei der Ukraine-Krise, dem Russland-Boykott und bei der Griechenlandkrise drängt sich zuweilen der Eindruck auf, als holten sich Strache und Konsorten direkt in Moskau ihre Parolen ab, um sie hierzulande zu verbreiten und damit Stimmung zu machen. Was seinerzeit in den Jahren des Kalten Kriegs die Kommunisten und die anderen Linken machten, erledigen nun die Rechten - als Moskaus Sprachrohr.

Wenn Putin davon fabuliert, dass es Probleme geben werde, wenn der Westen "seine falsche Politik, vor allem in den Regionen der islamischen Welt, des Nahen Ostens und Nordafrikas fortsetzt", darf man sicher sein, dass man sich diese Einschätzung hierzulande in einschlägigen Kreisen umgehend zum Argument macht. Und wenn man in Moskau meint, es komme eine "Lawine nach Europa, der niemand Herr werden" könne, ist das nicht anders. Und auch nicht, wenn von dort aus in die Welt gesetzt wird, dass es sich bei den Flüchtlingen um "junge, kräftige, waffenfähige Männer" handelt, unter denen sich "ganz bestimmt Agenten und Werber für den Islamischen Staat" befinden und dass der Flüchtlingsstrom nichts sei als "ein Trojanisches Pferd von islamischen Terroristen", die, arbeitsscheu und geldgierig, zu Verbrechen neigten.

Die Liste solcher Aussagen und Einschätzungen ist lang, der Weg nach Westeuropa und Österreich kurz. Bei allen Krisen der vergangenen Jahre, die Europa plagten, war das so. Die Rechten nahmen die Vorwürfe und Sticheleien aus Russland auf und machten sie zu ihren Argumenten. Sie tun das nicht von ungefähr.

Putin arbeitet, da sind sich die politischen Beobachter einig, ganz gezielt am Aufbau einer Achse zur europäischen Rechten. Dazu gehört, dass Frankreichs Marie Le Pen auch schon einmal Geld bekommt, wenn sie's braucht. Dazu gehören Orbans gute Kontakte zum Kreml. Und zu dieser Zielgruppe gehört auch H.C Strache, der als Putin-Verehrer gilt. Er verteidigte, ganz so als wäre er PR-Agent des Kreml, die Annexion der Krim genauso, wie er Zweifel am Abschuss der Passagiermaschine über der Ostukraine äußerte, geißelt schon einmal die "Falken in der US-Regierung" und vertritt die Meinung, dass in den vergangenen Jahrzehnten nicht Russland als Aggressor aufgetreten sei, sondern es die Nato und die EU gewesen seien, die sich in Richtung russischer Grenze ausgedehnt hätten. Ganz so, als hätte es keine Mehrheit in der Bevölkerung in diesen Staaten gegeben, die nichts sehnlicher als genau das gewollt hätte.

Diese Mischkulanz aus Taktik, strategischen Überlegungen und politischen Eitelkeiten wirkt jedenfalls. Auch, weil Europa und seine schwache Europäische Union und auch die USA dem nichts entgegensetzen. Im Gegenteil. Man duckt sich weg, man schiebt auf, man sitzt aus, man schaut weg und man redet sich die Probleme lieber schön - und trägt auf diese Weise nachgerade vorsätzlich dazu bei, dass sich vieles von dem, was aus Russland in Europa gestreut wird, bestätigt. Die Ereignisse der vergangenen zwei Wochen sind beredtes Beispiel dafür. Da nimmt nicht wunder, dass die Stimmung im Land, die vor einer Woche noch zu drehen schien, nach den Vorgängen am Wochenende wieder am Kippen ist.

Dabei geht es gerade jetzt um Klarheit. Und es geht um Augenmaß, Machbarkeit und Verantwortung. Nur so ist zu vermeiden, dass Dinge entgleiten, wie das derzeit mit der Flüchtlingskrise der Fall zu sein scheint. Es gilt die Mitte zu finden. Mit einfachen Antworten und Lösungen, wie sie auf der einen Seite von den Flüchtlingshelfern und auf der anderen Seite von den Einwanderungs-Gegnern geboten und gefordert werden, ist niemandem geholfen. Schon gar nicht der Sache und den Menschen, die Hilfe suchen - nur den Rechten, Strache und wohl auch Russlands Putin.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 17. September 2015

Freitag, 11. September 2015

Beruhigungspillen für die Bauern



Auch im vierten Jahr der Agrarkrise gibt es kaum mehr als Ankündigungen.

HANS GMEINER

Ried/Innkreis. Österreichs Agrarpolitik kommt in ihren Bemühungen, die Krise auf den Agrarmärkten für die Bauern zumindest etwas abzufedern, nicht recht voran. Viel mehr als Versprechungen und Ankündigungen hat man nach wie vor nicht zu bieten. Gestern wurde auf der Rieder Messe als politischer Erfolg gefeiert, dass noch heuer „mindestens 50 Prozent der Direktzahlungen und 75 Prozent der Umwelt- und Bioförderungen“ für 2015 ausgezahlt werden und der Rest nächstes Jahr folgen soll.

Dabei ist das deutlich weniger als in den vergangenen Jahren üblich. Da gab es für die Bauern im Herbst 75 Prozent der Umweltgelder und vor Weihnachten 100 Prozent der Direktzahlungen aus Brüssel. Weil sich in den vergangenen Wochen in der Bauernschaft hartnäckig Gerüchte hielten, dass die Auszahlung der Förderungen überhaupt auf das kommende Jahr verschoben werde, klopft man sich für die nunmehrige Lösung selbst auf die Schulter. Dass es überhaupt zu Veränderungen in der Auszahlung kommt, begründete Landwirtschaftsminister Rupprechter Donnerstag auf der Rieder Messe mit dem Hinweis auf die Umstellungen, die sich im Zuge der EU-Agrarreform ergeben hätten.

Unklar ist nach wie vor, wie viel Österreich von den 500 Mill. Euro bekommt, die zu Beginn dieser Woche beim Agrarministerrat in Brüssel als Krisenhilfe der EU für die Milchbauern in Aussicht gestellt wurden. In der nächsten Woche sollen Nägel mit Köpfen gemacht werden. Die Gelder sollen jedenfalls, wie Rupprechter sagte, „in strategische Zukunftsinvestitionen“ für die Milch- und Fleischerzeuger fließen. Was man wirklich mit dem Geld machen will und wann die Bauern davon in ihren Brieftaschen etwas merken werden, ist ungewiss.

Das gilt auch für die in den kommenden Monaten geplanten Marktoffensiven in den USA und in Japan und eine für das nächste Jahr geplante Ernteversicherung. Und das gilt weiters auch für die neue Exportservicestelle, die mit Beginn 2016 kommen soll. Sie wurde heuer im Jänner als Exportagentur angekündigt, die neue Märkte erobern und die Agrarexporte ankurbeln soll. Nun wird es ihre Aufgabe sein, veterinärbehördliche Abläufe beim Export zu vereinfachen.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 11. September 2015

Donnerstag, 10. September 2015

An die Wurzeln geht man nicht



Es ist nur wenige Wochen her, da herrschte, wenn das Wort Flüchtling auch nur in den Mund genommen wurde, meist Ablehnung, Angst gar, Vorsicht und Zurückhaltung. Mit den Menschen, die übers Meer, über die Türkei und über den Balkan aus dem Nahen Osten nach Europa drängten, wollte man hier tunlichst nichts zu tun haben. Nicht als Politikerin oder Politiker und auch nicht als Privater. Abwimmelnde Erklärungen überall, offene Ablehnung meist, zuweilen gar von Hass getragene Parolen. Überall sperrte man sich dagegen, zu helfen.

Wenige Wochen später ist das anders. Da flatterte dieser Tage den Bürgern einer kleinen Landgemeinde in Oberösterreich, wo in zwei Wochen Wahlen anstehen, eine Sonderausgabe der Gemeindezeitung ins Haus. Ein "Gäste-haus für Kriegsflüchtlinge" kündigten da der Bürgermeister und die Chefs der beiden großen Fraktionen im Gemeinderat gemeinsam an. "Wir sind uns sicher, dass wir alle in dieser schwierigen Situation unser Herz für die Menschen aus Kriegsländern nicht verschließen und die Ängste und Vorbehalte nicht in den Vordergrund stellen", heißt es da.

Vor Monatsfrist hätte es das in dieser Form wohl nicht gegeben. Inzwischen ist diese Initiative eine von vielen. "Respect Refugees" tönt es allerorten. Aus der Ablehnung wurde nachgerade so etwas wie eine Welle von Hilfsbereitschaft. Auf einmal funktioniert, was so lange nicht funktionieren zu können schien. Man zeigt auf und man fürchtet sich nicht mehr vor Kritik oder gar gesellschaftlicher Ächtung. Immer mehr wollen helfen. Private, Medien, Organisationen und Unternehmungen bis hin zu den ÖBB werden aktiv. Und selbst der noch vor wenigen Wochen so heftig kritisierten Verwaltung und der Polizei wird plötzlich dickes Lob gespendet und Professionalität bescheinigt.

Die Stimmung dreht sich im Land. Auch der Stil der Diskussion. Die Verantwortung wird angenommen. Die aufdräuenden Fragen werden nicht mehr kleingeredet oder ungebührlich aufgeblasen, sondern ganz sachlich als Herausforderungen begriffen, die es zu lösen gilt.

Klein sind die freilich nicht. Wenn der Zustrom so anhält, wie heuer, wächst Österreich jedes Jahr eine Stadt in der Größenordnung von Innsbruck, das 120.000 Einwohner zählt, zu, heißt es inzwischen selbst in Leitartikeln seriöser Zeitungen. "Wo sollen diese Menschen wohnen", wird da gefragt. Welche Jobs sollen die Zugewanderten ausüben und was ist mit den benötigen Schulplätzen.

Der Wandel im Meinungsklima macht Mut, dass Antworten auf diese Fragen gefunden werden. Man kann nur wünschen, dass die Politik diese Stimmung in nachhaltige Lösungen gießen kann, die für alle tragbar sind, mit denen alle leben können und die vielleicht sogar zur Chance werden. Und für die sich niemand zu schämen braucht.

Noch ist man davon freilich weit entfernt. Und ohne internationale Abstimmung wird es nicht gehen. Längst ist das Thema Flüchtlinge zu einer Nagelprobe für Europa geworden. Vor allem Deutschland wird nicht immer so offen sein, wie in den vergangenen Tagen. Es verwundert freilich, dass in der öffentlichen Diskussion mögliche Lösungen für das Flüchtlingsproblem direkt an seinen Wurzeln - den Zuständen in Syrien und in den anderen Ländern selbst, aus denen die Menschen nach Europa drängen -eine völlig untergeordnete Rolle spielen. Gesellschaftlicher oder gar politischer und diplomatischer Druck sind kaum zu erkennen. Die Vereinigten Staaten und Russland blockieren sich wie eh und je gegenseitig und die UNO tut sich schwer, Bewegung in so etwas wie einen Friedensprozess zu bringen.

Was mit den Flüchtlingen und was in Europa passiert, scheint den Verantwortlichen außerhalb des alten Kontinents ohnehin einerlei. Die Probleme Europas spielen für sie keine Rolle. Erst in der Vorwoche ließ das Weiße Haus keinen Zweifel dran, dass man nicht willens ist, in den USA Flüchtlinge aufzunehmen.

Solange dieses Denken herrscht, so lange Europa auf der internationalen Bühne so brustschwach gegenüber den Supermächten ist, und solange es zu keinem internationalen Schulterschluss kommt, bleibt die Lage freilich fragil. Und das wird wohl lange so bleiben, bedenkt man, wie schwierig und langwierig es war, in Österreich etwas zu bewegen und wie schwierig es ist, die EU-Staaten auf eine halbwegs gemeinsame Linie zu bringen.

Umso wichtiger ist wohl Sachlichkeit und Nüchternheit im Umgang mit dem Thema. Und ein starkes Europa auf der internationalen Bühne.

Gmeiner meint - Raiffeisenzeitung, 10. September 2015

Samstag, 5. September 2015

In der Krise gibt es keinen Österreich-Bonus



Die österreichische Landwirtschaft steckt in einer Krise. Die Milchpreise sind im Keller, die Schweinepreise ebenso. Auch mit den Preisen im Ackerbau ist es nicht weit her. Und zu all dem in vielen Landstrichen noch die Probleme und Ertragsausfälle wegen der Dürre.

"Existenzbedrohend" empfinden das viele. Und ihnen kann man durchaus beipflichten.

Die Krise zeigt die Grenzen der Politik auf. Gegen den Markt tut man sich schwer. Preiskrisen, wie sie die Bauern in diesen Monaten erleben und die nun zu eskalieren scheinen, legen schonungslos die Defizite der heimischen Landwirtschaft offen. Mit Betriebsgrößen, wie sie in Österreich üblich sind, muss der Atem der Bauern selbstredend kurz sein. Geringere Erlöse und kleinere Deckungsbeiträge können sie bei den im internationalen Vergleich geringen Tierbeständen und der geringen Flächenausstattung kaum verkraften, schon gar nicht über längere Zeiträume.

Grenzen werden auch der Qualitätsstrategie aufgezeigt, die bisher als Österreichs Antwort auf die strukturellen Defizite der heimischen Landwirtschaft galt. Auch sie kann dem Preis-Tsunami kaum Widerstand leisten. Das gilt für Fleisch genauso wie für Milch und Milchprodukte und Ackerfrüchte.

Verschärfend kommt hinzu, dass die Besonderheit der österreichischen Qualität den Märkten kaum bezahlt wird. Große Hoffnungen darauf zu setzen, erweisen sich schnell als Fata Morgana. Typisch dafür ist die gentechnikfreie Produktion der heimischen Milch. Seit Jahren gelingt es nicht, diese für die Bauern kostspielige Produktion zu Geld zu machen. Man hat sie seinerzeit den Produzenten einfach aufgedrückt, ohne sich eine entsprechendes Vermarktungskonzept dazu überlegt zu haben.

Vieles andere, was als österreichische Qualität beworben und verkauft wird, ist ohnehin nicht viel mehr als ein Marketing-Gag, erdacht von findigen Köpfen, die das Image des Landes einfach den Agrarprodukten überstülpten, um es so auch für die Landwirtschaft zu nutzen.  Diese Art von Qualität, kaum definiert und an Regeln festgemacht, unterscheidet sich zumeist in nichts von anderen Produkten auf den Märkten - außer, dass sie eben in Österreich gewachsen und erzeugt und rot-weiß-rot markiert sind.

Andere Länder agieren genauso und werben mit der von ihr selbst erklärten Qualität. Und auch andere Länder sind stolz auf ihre Produkte.

Österreichs Agrarprodukte stehen auf den internationalen Märkten zwar in einem guten Ruf und werden auch gerne gekauft. Bei den Preisen, die dafür gezahlt werden, gibt es aber keinen Österreich-Bonus. Und erst recht nicht, wenn die Preise ohnehin überall den Bach hinuntergehen.

Die Situation, in die die Bauern nun geraten sind, ist schwierig. Noch schwieriger macht es für sie, dass sie in vielen Produktionsbereichen zusätzlich zu den ohnehin nicht wenigen Auflagen ohne Not auch noch mit vielen in Österreich hausgemachten Vorschriften belastet sind. Damit haben sie ein Extra-Binkerl zu tragen, dass zu all den strukturellen Nachteilen die Wettbewerbsfähigkeit noch weiter schmälert.

Das ist unverständlich. Die Bauern haben den Eindruck, dass Forderungen nach solchen Auflagen oft viel zu oft viel zu rasch nachgegeben wird, um das Ansehen der Bauern nicht zu beschädigen.

Diese Strategie mag da und dort aufgehen. Wenn man aber übertreibt und sich nicht mit allen Kräften auf die Füße stellt, wird es möglicherweise aber bald keine Bauern mehr geben, deren Ansehen man beschädigen könnte.

Gmeiner meint - Blick ins Land, 4. September 2015

Donnerstag, 3. September 2015

Bürokratie als Staatsform



Eine bekannte und viel befahrene Straße zwischen zwei bekannten Orten in Oberösterreich. Eine Bundesstraße, ein unübersichtliche Kurve, ein zerbeulter Wagen mitten auf der Fahrbahn und ein zerdepschtes Motorrad. Daneben eine aufgeregte, weinende Frau und ein geschockter, aber ansonsten unversehrter Motorradfahrer. Ein Mann versucht die heranbrausenden Autofahrer zu warnen.

Anruf beim Polizei-Notruf. "Zwischen den zwei Orten ist ein Unfall passiert. Wir brauchen dringend Hilfe"."Wo?""Na auf der Bundestraße zwischen den beiden Orten.""Bei welchem Kilometer?""Na, weiß ich nicht. Zwischen den beiden Orten, da kann man eh nichts verwechseln.""Eher beim einen, oder eher beim anderen Ort?""Ich bitte Sie, warum wollen Sie das so genau wissen wissen? Wir brauchen dringend Hilfe.""Ich muss das wissen, es geht um die Zuständigkeitsgrenze."

Österreich, wie es jeden Tag ist. Beim Unfall in Oberösterreich, bei der Aufnahme der Flüchtlinge in Traiskirchen, in Ämtern, bei Ärzten. Die Bürokratie ist in diesem Land überall zuerst. Sie zerrt und zehrt an den Nerven, sie ist oft nichts als eine Zumutung, sie ist oft menschenverachtend und oft auch gefährlich. Zuerst Name, Adresse, Geburtsdatum und Geburtsort. Vorher geht gar nichts - gleich worum's geht. Und sei's um Gesundheit oder gar Leben.

Der Kampf gegen die Bürokratie in diesem Land geht über Jahrzehnte. Immer wieder unterhalten die Zeitungen das Publikum mit immer neuen Volten wie diesen: Da wird berichtet, dass in Wien schon einmal ein Juwelier wegen eines zu großen Hammers Schwierigkeiten mit der Aufsichtsbehörde bekam. Dort sorgte ein Nagelstock, wie man ihn von Skihütten kennt, für Schlagzeilen, weil ein Wirt weitab von Skipisten einen ebensolchen ohne gewerbebehördliche Änderung aufstellen wollte. Und in Klagenfurt verlangte dem Vernehmen nach die Behörde von einem Unternehmen in der Nähe des Flughafens für Bodenpflanzen, die maximal 15 Zentimeter hoch werden, ein Luftrechtsgutachten, um sicherzustellen, dass der Flugverkehr nicht behindert wird.

Wenn es nur alleine solche Abstrusitäten wären. In Österreich ist mitunter Bürokratie zur Staatsform geworden. Da sind die unzähligen Parallelstrukturen von Bund und Ländern, über die die Industriellenvereinigung nicht zu Unrecht als "Xerox-Föderalismus" lästert, weil in den Ländern ohnehin oft nur Gesetze aus Wien nochmals beschlossen werden. Und wenn das ausnahmsweise nicht der Fall ist, dann entstehen Unterschiede, über die man sich als Bürger nur verwundert die Augen reiben kann. Die Jugendschutzgesetze der Länder etwa zählen zu dieser Spezies und auch die Bauordnungen. Was dort erlaubt ist, ist hier verboten. Und das, obwohl alles Österreich ist.

Zu den Absonderlichkeiten in diesem Land gehören auch die 36 Dienstrechte für die öffentlich Bediensteten in Bund, Ländern und Gemeinden oder der 1.500 Zulagen umfassende Nebengebührenkatalog, der den Bediensteten der Stadt Wien zuweilen üppige Zuverdienstmöglichkeiten verschafft.

Aber all diese Vorwürfe, all diese Anprangerungen, all die Aufzählungen nutzen kaum. Die Fortschritte beim Bürokratieabbau sind kaum wahrnehmbar. Und gelingt irgendwo eine Vereinfachung, darf man sicher sein, dass gleichzeitig zumindest zwei neue Verkomplizierungen und ein noch dickeres Vorschriftenpaket entstanden sind. Kein Wunder, dass der gelernte Österreicher zusammenzuckt, wenn Politiker einen Abbau von Bürokratie ankündigen. Statt einfacher zu werden, wird alles immer noch komplizierter. Immer mehr will man wissen, immer detaillierter werden die Vorschriften. Immer größer der Papierkrieg.

Der Hausverstand, das Vertrauen, das Herz sind dabei längst unter die Räder gekommen. Und das nicht nur in den Ämtern und bei den Behörden. Auch in anderen Einrichtungen, wie dem Gesundheitswesen und auch selbst in den vielen Wirtschaftszweigen und Unternehmungen, die sich sonst so oft über die Bürokratie alterieren, hat man keine Hemmungen. Überall Papiere, Codes, Genehmigungen, Kontrollen, Unterschriften und Gegenunterschriften.

"Vurschrift ist Vurschrift" ist nach wie vor der wichtigste Leitsatz, nicht nur in der heimischen Verwaltung.

Und Zuständigkeitsgrenze ist Zuständigkeitsgrenze. Da nimmt nicht wunder, dass Österreich nicht mehr recht vorankommt. Vielleicht, weil sich niemand mehr zuständig fühlt - weil man nicht mehr weiß, wo die Zuständigkeitsgrenzen sind.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 3. September 2015
 
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