Donnerstag, 22. Dezember 2016

Dünnes Eis



Die Festtagstische werden sich wieder biegen. Die Wirtschaftsforschungsinstitute signalisieren Zuversicht. Alles paletti scheint es. Und doch: Das Eis ist dünn, auf dem wir in Europa Party machen und es uns gut gehen lassen. So dünn wie schon lange nicht mehr. Der Anschlag von Berlin führte das drastisch vor Augen.

Die Welt heute, zu Ende des Jahres, ist eine andere, als sie es noch zu Beginn 2016 war. Es ist das Jahr, an dem viel von dem zum Durchbruch kam, wovor seit Jahren gewarnt wurde, und viel von dem, was seit Jahren erwartet wurde.

Vieles von dem, was noch vor Jahresfrist als undenkbar galt, ist es heute nicht mehr. Vieles von dem, was für unmöglich gehalten wurde, ist auf einmal Wirklichkeit. Vieles, was man bewältigt glaubte, zeigt, dass es immer noch da ist. Die Tektonik der Macht scheint sich nachhaltig zu verschieben und die Ordnung, die in den vergangenen Jahrzehnte die Welt so recht und schlecht zusammenhielt, zum Auslaufmodell zu werden.

In den Vereinigten Staaten kommt ein Milliardär mit einem kruden Weltbild ins Weiße Haus, über den man noch vor Jahresfrist rund um den Globus wegen seiner Schrullen allenfalls schmunzelte. Russland kehrte in diesem Jahr mit Nachdruck auf die Weltbühne zurück, führte in Syrien die USA und Europa regelrecht vor und zeigte klar und unmissverständlich, wie schon seit Jahrzehnten nicht mehr, dass es zu allem bereit ist, um an Gewicht zurück zu gewinnen. An der südosteuropäischen Grenze baut ein Staatspräsident sein Land unter dem hilflosem Staunen Europas zur Diktatur um. Und in Europa sind Dinge in Bewegung geraten, die die Einheit der Europäischen Union nachhaltig bedrohen. Großbritannien hat sich für den Austritt aus der Europäischen Union entscheiden, deren tragende Säule es immer war. In Deutschland wird an Angela Merkel und der Mehrheit ihrer Koalition gerüttelt. In Österreich und in vielen anderen europäischen Staaten stellen populistische rechte Parteien deutlich wie nie den politischen Führungsanspruch. Und in Brüssel sitzt eine hilflose wie unbeholfene Führung, der nicht mehr einfällt als, wie erst kürzlich EU-Kommissionspräsident Jean Claude Juncker, zu lamentieren, dass es "an allen Ecken und Enden" brenne.

Aber nicht nur die Politik sorgt dafür, dass das Eis dünn ist, auf dem wir Party machen. Auch die Wirtschaft hat nicht die Kraft, jene Zuversicht zu nähren, dass es so weitergehen wird, wie bisher. In Europa zeigt sich längstens nach dem Scheitern von Renzis Referendum Anfang Dezember, dass die Eurokrise alles andere als bewältigt ist und jederzeit ihre Fratze wieder zeigen kann. Die Arbeitslosigkeit ist ein unbewältigtes Problem. Und weltweit wird vielen angesichts der Börsen mitunter schwindlig.

Es ist in diesem Jahr viel von dem in der Wirklichkeit angekommen, was sich lange angekündigt hat, was man falsch eingeschätzt hat, worauf man nicht reagiert hat und von dem man geglaubt hat, es aussitzen zu können. Der Populismus hat die Oberhand gewonnen und damit die postfaktische Politik, die auf Gefühle und Instinkte abzielt, aber nicht auf Fakten und Lösungen. Social Media wie Facebook und Twitter kamen zum Durchbruch und mit einem Mal wird über Eliten diskutiert, über eine gespaltene Gesellschaft und über das "System". Und das mit einer Macht und Intensität und oft auch mit einer Gehässigkeit, wie seit Jahrzehnten nicht. Verachtung, Hass und Geringschätzung blitzen durch. Und es werden Töne angeschlagen, die kaum je bisher zu hören waren. Sogar Worte wie "Bürgerkrieg" waren auf einmal in der innenpolitischen Diskussion.

Man staunte und musste lernen, wie schnell sich die Gesellschaft polarisieren kann. Man musste erkennen, wie schnell sich auch in einem Staat wie Österreich die Dinge drehen könnten, wenn jemand ans Ruder geriete, der sich nicht an die Gepflogenheiten hält, die bisher den Staat zusammenhielten. Man staunte, wie schnell man inzwischen darüber nachdenkt, das Bundesheer für polizeiliche Aufgaben einzusetzen. Früher hätte das eine breite Diskussion ausgelöst und wäre Österreichs unselige Vergangenheit beschworen worden, heute denkt man sich vielerorts, wie etwa bei den ÖBB, nichts dabei.

Es ist wohl so, dass der Populismus weltweit seinen Durchbruch geschafft hat. Für jene, die überzeugt sind, dass damit noch schwierigere Zeiten kommen, ist das schlimm. Lange werden sie nicht alleine sein. Denn auch für jene, die sich derzeit darüber freuen, wird es schlimm werden.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 22. Dezember 2016

Donnerstag, 15. Dezember 2016

Das gute Österreich



Im Frühsommer, als klar war, dass die Bundespräsidenten-Stichwahl wiederholt werden musste, gab es für die zahllosen Ehrenamtlichen, die sich als Wahlbeisitzer um eine korrekte Abwicklung kümmerten, keinen Dank, aber jede Menge Häme. Bei der Wiederholung der missglückten Wahl Anfang Dezember war das anders. Da gab es von allen Seiten Dankesbekundungen dafür, dass sie sich Zeit genommen haben und dafür, dass sie die Aufgabe im öffentlichen Interesse übernommen hatten.

Gott sei Dank, denn allzu oft wird vergessen, dass ohne die ehrenamtliche Mitarbeit der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land sehr viel nicht funktionieren würde -ganz abgesehen davon, dass sehr vieles sehr viel teurer wäre.

In kaum einem anderen Land setzt man bei der Bewältigung von Aufgaben, die eigentlich dem Staat zustünden, so sehr auf freiwillige Helfer wie in Österreich. Das gilt für das Feuerwehrwesen, das gilt für den Katastrophenschutz, für das Rettungswesen, für die Jugendarbeit und für viele soziale Bereiche bis hin zur Hilfe für die Flüchtlinge, die trotz aller Probleme und Anfeindungen von zahllosen Bürgerinnen und Bürgern unverdrossen als Dienst an der Menschlichkeit aufrechterhalten wird.

Es ist nur schwer auszumalen, wenn es all dieses Engagement in diesem Land nicht gäbe. In Österreich mag vieles nichts funktionieren wie es sollte und könnte, die ehrenamtliche Tätigkeit, die Übernahme von Hilfeleistungen und anderem funktioniert wie sonst nur wenig.

Mehr als 3,3 Millionen Österreicherinnen und Österreicher über 15, wurde erst kürzlich aus Anlass des jährlichen UN-Tages der Ehrenamtlichen von allen Seiten betont, engagieren sich in ihrer Freizeit ehrenamtlich. Viele in eher gesellschaftlich orientierten Vereinen, in politischen und anderen Organisationen der Zivilgesellschaft, viele aber auch in Organisationen, die konkrete Hilfe anbieten. Sie bringen es auf rund 14 Millionen Arbeitsstunden pro Woche und sind im Schnitt gut 30 Tage pro Jahr fürs Ehrenamt tätig. Etwas Sinnvolles zu tun, zu helfen, Anerkennung zu bekommen - das sind in einer Gesellschaft, in der sich viele viel zu wenig beachtet fühlen, in der die Arbeit oft als sinnentleert und wenig wertgeschätzt empfunden wird, für viele Menschen die Triebfedern, sich ehrenamtlich zu engagieren.

"Ein wirklich wertvoller Schatz", nannte das der Vorarlberger Landeshauptmann einmal. Wie recht er hat. Es gibt nicht nur die raunzerische, die jammernde und die schimpfende Seite Österreichs und die, die nur auf sich und sonst aber wegschaut. Es gibt auch die gute, die, auf der geholfen wird, die, auf der man einander unter die Arme greift.

Das Engagement der Ehrenamtlichen zeigt die Kraft, die in diesem Land steckt und die man gerne öfters sehen und spüren würde. Sie zeigt, dass viele Menschen füreinander Verständnis haben und es vielen, viel mehr als man glauben mag, ein Anliegen ist, zu helfen, wo Hilfe notwendig ist. Und dass sie in der Tat bereit sind, dafür etwas zu tun.

Diese Seite der Österreicherinnen und Österreicher spiegelt sich übrigens auch in ihrem Spendenverhalten wider. Sonst schnell in heller Aufregung, wenn irgendwo die Preise und Gebühren antgehoben werden, bringen sie Jahr für Jahr fast schon zuverlässig immer neue Rekorde an Spenden, mit denen geholfen werden kann.

Das Interesse an ehrenamtlicher Tätigkeit ist dem Vernehmen nach im Wachsen. Vor allem junge Menschen zeigten sich vermehrt interessiert. Das ist gut so. Denn, auch das sagt im Umfeld des Tages des Ehrenamtes ein Verantwortlicher einer Hilfsorganisation, "es gibt ganz klar Bedarf an helfenden Händen".

Auch wenn sie hoch im Kurs stehen, in diesem Land brauchen die helfenden Hände Hilfe. Zu oft noch haben die Organisationen mit bürokratischen Hürden zu kämpfen, zu oft noch sind sie anderen Einrichtungen gegenüber benachteiligt. Und zu oft fehlt es ihnen auch an den nötigen Mitteln. Dabei wäre es oft einfach, den Helfern zu helfen. Die Verbesserung der gesetzlichen Rahmenbedingungen wird da und dort gefordert, die steuerliche Absetzbarkeit von Aufwendungen im Zusammenhang mit der Freiwilligenarbeit, die Anrechnung freiwilliger Tätigkeiten im Rahmen von Berufsausbildungen und Ähnliches.

Die Fortschritte könnten größer sein. Aber es gibt sie. Für Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehren ist in Hinkunft die Hepatitis-Impfung kostenlos.

Das lässt hoffen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 15. Dezember 2016

Mittwoch, 7. Dezember 2016

Sieger und Gewinner



Die Bundespräsidentenwahl hat einen Sieger. Was dennoch bleibt, ist die Frage: Wer hat gewonnen? Allzu blauäugig urteilt wohl ein Kommentator, der gleich nach Bekanntwerden des Wahlergebnisses vollmundig davon schrieb, Österreich habe den weltweiten Siegeszug der Rechtspopulisten gestoppt. Da unterschätzt der gute Mann nicht nur die internationale Bedeutung Österreichs. Er unterschätzt wohl auch die rechten Kräfte in diesem Land und die FPÖ.

Darum ist man wohl gut beraten, die Kirche im Dorf zu lassen. Alexander Van der Bellen wird nun zwar Bundespräsident, was viele freut und vielen einen Stein vom Herzen fallen ließ. Aber anders geworden ist in diesem Land dadurch nichts. Die Probleme -von der Arbeitslosigkeit, über das Sozialsystem bis hin zu den Budgetsorgen -sind dieselben, wie sie auch am Freitag vor dem Wahlsonntag waren. Auch die gesellschaftlichen Gräben wurden nicht kleiner, an der Diskussion um Eliten und System ändert sich nichts, nichts an der Verrohung der Kommunikation und auch nicht am Phänomen der Wutbürger, die sich zunehmend in Schattengesellschaften heimisch fühlen, weil sie sich von der Politik übersehen und nur geringgeschätzt wähnen.

Festzuhalten ist, dass das, was da seit Sonntag von vielen als Sieg gegen Rechts, für Europa und weiß Gott was noch gefeiert wird, der größte Erfolg ist, den die Freiheitlichen je in Österreich erreicht haben. Denn so, wie sich Van der Bellen freuen darf, zwei Mal gewählt worden zu sein, können die Freiheitlichen darauf verweisen, zwei Mal fast fünfzig Prozent der Stimmen für ihren Kandidaten errungen zu haben.

Noch nie war in diesem Land der Unmut und die Unzufriedenheit so sehr in einem Wahlergebnis fokussiert. 46,7 Prozent der Stimmen für Hofer messen genau das Potenzial der FPÖ und ihres Obmanns HC Strache in diesem Land ab. Und je schwächer die beiden Regierungsparteien, desto größer ist der Anteil, den sie sich davon auch bei Nationalratswahlen oder in den Landtagen holen können.

Aber nicht nur das. Diese 46,7 Prozent stecken das Potenzial ab für politische Ziele und Inhalte, deren Umsetzung für Österreich weitreichende Folgen haben kann. Die Abwendung von der Europäischen Union und Skepsis gegenüber dem Euro gehören dazu, die Abschottung der Grenzen, eine Verschärfung des sozialen Klimas, ein weiteres Niederreißen der Hemmschwellen im Umgang miteinander und vieles andere mehr.

Die 46,7 Prozent zeigen, dass die Menschen für diese Themen ansprechbar sind, dass sie bereit sind, dafür ihr Wahlverhalten zu ändern und auch ihre angestammten Parteien im Stich zu lassen.

Was schlummert da unter der Decke der Gemütlichkeit und der Wein-und Bierseligkeit in diesem Land? Die 46,7 Prozent irritieren und werfen die Frage auf, ob diese Menschen vorher, als die Stimmen auch auf SP und VP verteilt waren, anders dachten und die Einstellungen andere waren. Und sie lassen einen fragen, ob dann wirklich alles besser ist, wenn sie bei den nächsten Wahlen wieder anders wählen, wenn sie nicht wie diesem einem FP-Kandidaten die Stimme geben, sondern sie sich aufteilen auf SP, VP und Freiheitliche -so wie in den vergangenen Jahren. Ist Österreich nur dann ein Land, in dem der Rechtspopulismus blüht und auf das ganz Europa schaut, wenn hier der freiheitliche Kandidat 46,7 Prozent der Stimmen auf sich vereinen kann? Oder auch dann, wenn die Leute, die diesmal Hofer wählten, demnächst bei der SP oder der VP das Kreuzerl machen? Sind die dann wirklich anders?

Gelöst ist mit diesem Sieg Van der Bellens in diesem Land wohl gar nichts. Allenfalls gibt es eine Verschnaufpause. Die Lösung aller Probleme dem Bundespräsidenten aufzubürden, wäre wohl allzu viel der Erwartung. Viele, die den politischen Diskurs und das gesellschaftliche Klima in diesem Land bestimmen, müssen von ihren hohen Rössern herunter und die Menschen, für die einzusetzen sie vorgeben, ernst nehmen.

Weil zu befürchten ist, dass das nicht so schnell der Fall ist, gilt wohl der Spruch "Nach den Wahlen ist vor den Wahlen". Die FPÖ hat bereits am sonntäglichen Wahlabend damit begonnen, die nächsten Wahlen aufzubereiten. Dass sie dabei starke Karten hat, zeigt nicht nur das Ergebnis der sonntäglichen Wahl in Österreich. Das zeigt auch das Ergebnis des Referendums in Italien, das bestätigte, dass der Unmut der Wähler kaum bezähmbar ist. Und dass damit gefährliche Politik gemacht werden kann. Von wem, ist gleich.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 7. Dezember 2016

Freitag, 2. Dezember 2016

"Mit einer vollen Hose ist gut stinken"



In Österreich gibt es eine besondere Form der industriellen Landwirtschaft. Sie hat freilich nichts mit dem zu tun, wie man industrielle Landwirtschaft gemeinhin versteht. Hauptkennzeichen der österreichischen Variante ist, dass sie von landwirtschaftsfremden Industriellen und Wirtschaftskapitänen betrieben wird. Die eingesessenen Bauern ärgert das zunehmend.

In den vergangenen Jahren sorgten die branchenfremden Agrar-Investoren aus der Wirtschaft oft für Verärgerung, weil sie Grundstückspreise in für normale Bauern unerschwingliche Höhen trieben, um ihre Träume zu erfüllen. Genossen die Ihren Besitz möglichst diskret und unter Ausschluss der Öffentlichkeit, so sind es nun immer öfter Investoren, die meinen, sie müssten der Öffentlichkeit und der eingesessenen Landwirtschaft zeigen, wie man es macht und wie es geht. Über eine perfekte Marketing-Maschinerie präsentieren und inszenieren sie sich in oft missionarischem Eifer als Vorzeigebauern, die alles besser wissen und machen und die damit die eingesessene Bauernschaft oft als nichts denn dumm und unfähig aussehen lassen.

"Mit einer vollen Hose ist gut stinken", heißt es am Land gerne in solchen Fällen.

 Die Familie Dichand macht das seit langem mit dem Csardahof im Burgenland, bei dem nach wie vor ein gewisser Werner Lampert als Geschäftsführer im Firmenbuch steht. Im oberösterreichischen fühlt sich ein Großfleischhauer aus dem Alpenvorland seit einiger Zeit berufen, den Bauern auf seinem "Musterhof" , einem riesigen und teuer renovierten Vierkanter, zu zeigen, wie "Hofkultur" geht. "Artgerecht Haltung ist uns nicht genug", heißt es werbewirksam auf der Homepage und "Wir geben jedem Tier deutlich mehr Zeit zum Heranwachsen". In stylischen Bildern wird vom Metzgersohn und seiner Freundin eine Landwirtschaft gezeigt, die sich nur leisten kann, wer einige Millionen auf der Seite hat. Das ist zwar durchaus beeindruckend, dass sie auf Kosten der Bauern Image machen, ficht sie wohl nicht an.

Auch eine Salzburger  Brauerei hat die Landwirtschaft als Image-Vehikel entdeckt, sich im Innviertel ein Gut zugelegt und macht in Bio. "Durch diese Form der Landwirtschaft können sich die Böden erholen und die Humusschicht wieder aufgebaut werden", lässt man in ganzseitigen Zeitungs-Inseraten wissen, ganz so, als ob anderen Bauern das nicht auch ein Anliegen wäre.

Die normalen Bauern in diesem Land, die keine Millionen auf der Seite haben, die mit der Agrarpolitik und Preisen hadern, mit der Allmacht des Handels und mit all den Vorschriften und Auflagen, die für sie oft nicht denn Qual sind, stößt das zunehmend sauer auf. Da wird auf ihre Kosten der breiten Öffentlichkeit vorgegaukelt, was in der Realität, zumal in jener eine durchschnittlichen österreichischen Landwirts, nicht umsetzbar ist. Da ist kein Wunder, dass für sie in der Öffentlichkeit der Rechtfertigungsdruck immer größer wird.

Da ist den Bauern die Schadenfreude nicht zu verargen, wenn einer dieser selbsternannten Millionenschweren Superbauern einen Super-Flop hinlegt. Geschehen kürzlich im Mühlviertel, wo ein Bauindustrieller um dem Vernehmen nach mehr als zehn Millionen Euro einen Musterhof hinstellte der alle Stückerl spielt. Er haute ganz groß auf die Pauke. "Ethisch ist das neue Bio", tönte er.

Jetzt ist legte sein Bauunternehmen die größte Pleite des Jahres in Oberösterreich hin. Schuld könnten, vermuten manche, die Millionen-Kosten für den Bauernhof sein.
 
Gmeiner meint - Blick ins Land, 2. Dezember 2016

Bauern denken wieder an Investitionen



Die Erholung der Milch- und Fleischpreise lässt die seit Jahren krisengebeutelte Landtechnikbranche hoffen. Nach dem Tief mit kräftigen Einbußen keimt wieder Zuversicht.

Hans Gmeiner

Wels. „Es sind spannende Tage“, sagt Karl-Heinz Denk, Verkaufschef von Schauer Agrotronic, dem größten heimischen Stall-Hersteller. Er betrachtet die landwirtschaftliche Fachmesse Agraria, die noch bis zum Samstag in Wels stattfindet, für die Landtechnikbranche als Stimmungsbarometer. „Danach werden wir mehr wissen.“

Die Branche steckt in einem hartnäckigen Tief. Die Krise in der Landwirtschaft und die seit fünf Jahren in Folge nicht nur in Österreich rückläufigen Bauerneinkommen machen den Herstellern zu schaffen. Denn angesichts leerer Kassen stehen die Bauern bei Investitionen auf der Bremse. Die Ausgaben für Landtechnik und landwirtschaftliche Bauten lagen schon im Vorjahr mit rund 1,86 Mrd. Euro um fast 20 Prozent niedriger als noch drei Jahre zuvor. Heuer hat sich die Entwicklung fortgesetzt. „Von einer Juhu-Stimmung ist derzeit nichts zu spüren“, sagt Hubert Huber, in Oberösterreich für die Abwicklung der landwirtschaftlichen Investitionsförderungen zuständig.

In der Landtechnikbranche hat diese Entwicklung tiefe Spuren hinterlassen. Im Sommer schlitterte der Pflughersteller Vogel&Noot in die Insolvenz. Bei Schauer Agrotronic etwa schrumpfte der Umsatz in den vergangenen vier Jahren von rund 50 auf 35 Mill. Euro. Der Landtechnikhersteller Pöttinger musste bei Grünlandmaschinen für die Milchbauern, dem wichtigsten Standbein in der Produktion, Einbußen von zwölf Prozent hinnehmen. Und die Traktorenhersteller müssen sich auf einem Markt zurechtfinden, der binnen vier Jahren um ein Drittel geschrumpft ist.

In vielen Unternehmen produziert man seit Jahren nur mehr gebremst, manche Betriebe mussten sogar Mitarbeiter abbauen. Dabei ist die Branche alles andere als verschlafen. Unternehmen wie Pöttinger, Steyr-Case, Schauer Agrotronic, aber auch Einböck oder Reform erzielen einen Großteil ihres Umsatzes im Export und zählen international zu den Trendsettern.

An die 50 Unternehmen mit mehr als 5600 Mitarbeitern sind in Österreich in der Produktion von Landtechnik aktiv. Der gesamte Jahresumsatz der Branche liegt bei rund zwei Mrd. Euro. Die Nerven wirft man trotz der angespannten Lage nicht weg. „Für uns sind solche Entwicklungen nicht neu“, sagt Branchensprecher Heinz Pöttinger. Er erwartet, dass die Abwärtsentwicklung den Boden erreicht hat. Für das laufende Geschäftsjahr erwartet er für sein Unternehmen keinen weiteren Umsatzrückgang.

Pöttinger ist mit dieser Einschätzung nicht allein. Die Milchpreiserhöhungen der vergangenen Monate und die Erholung der Schweinepreise nähren die Hoffnung auf eine Wende. „Wir sind zuversichtlich, dass der Traktorenmarkt nicht mehr weiter schrumpft“, sagen Andreas Klauser und Rudolf Hinterberger von Case-Steyr. „Wir haben das Tal der Tränen hinter uns“, sagt auch Karl-Heinz Denk. Und auch Karl Deschberger, als Landtechnik-Händler im Innviertel direkt an der bäuerlichen Front, ortet nun ein „wieder erwachendes Interesse“.

Die Zuversicht hat freilich längst noch nicht alle erfasst. Stefan Mayerhofer, Technik-Vorstand der RWA, glaubt nicht, dass die Talsohle bereits erreicht ist. Nach einem Rückgang von fünf Prozent in seiner Lagerhaus-Gruppe im Technikbereich rechnet er auch 2017 mit einem Minus in dieser Größe.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 2. Dezember 2016

Donnerstag, 1. Dezember 2016

Die Kugel ist aus dem Lauf



Nach elf Monaten und drei Wahlkämpfen ist wohl alles geschrieben und gesagt worden. Man hat vieles erfahren, was man gar nicht erfahren wollte. Vieles, vor dem man sich fürchten kann und manches, das Sorgen macht. Und man hat vieles gesehen und gehört, was man für unmöglich gehalten hätte. Etwa, dass jemals ein Kandidat für die Position des Bundespräsidenten von Österreich, der schon einmal eine Pistole trägt, wenn ihm danach ist, in einem Interview ausdrücklich sagt, dass er im Amt, so er denn gewählt wird, auf das Tragen von Waffen verzichten will. Oder, dass man einen Alexander van der Bellen jemals in einem Trachtenanzug sieht. Nichts, aber schon gar nichts wurde ausgelassen.

Alles vorbei, am kommenden Sonntag wird gewählt. Die Dinge nehmen ihren Lauf, ohne jetzt noch großartig beeinflusst werden zu können. Die Kugel ist, sozusagen, aus dem Lauf. Aber auch, wenn alles gesagt worden ist, was wirklich kommt, weiß man dennoch nicht, wie der Wahlsieger -all der Ankündigungen und Versprechen zum Trotz -das Amt auslegen wird.

Wie noch keiner ihrer Vorgänger je zuvor haben beide Kandidaten davon geredet, starke Bundespräsidenten sein zu wollen und sind damit auf Stimmenfang gegangen, sich als Korrektiv zur Regierung positionieren und auch ins Tagesgeschäft eingreifen zu wollen. Was von diesen Versprechungen Wirklichkeit wird, ist schwer abzuschätzen, wenn sie auf die Anforderungen der Realpolitik treffen.

Fix ist nur, dass am Montag das Land ein anderes sein wird. Groß ist die Gefahr, dass Dämme brechen. Und das ganz gleich, welcher der beiden Kandidaten mehr Stimmen bekommt. Nach dem nicht nur längsten, sondern auch wohl hässlichsten Wahlkampf in der Geschichte des Landes scheint die Gefahr in der Tat groß, dass es im Land zu einer Zerreißprobe kommt. Weniger in der Politik, viel eher aber in der Gesellschaft. Quer gehen die Gräben durchs Land zwischen den Hofer-Befürwortern und denen, die mehr auf Van der Bellen halten, zwischen Stadt und Land, zwischen oben und unten.

Die Stimmung wurde in den vergangenen Wochen und Monaten oft unverantwortlich angeheizt. Grenzen des Anstands wurden gesprengt. Schon jetzt ist die Polarisierung nicht zu übersehen. Sie in den Griff zu bekommen, mit ihr umzugehen, ist wohl die größte Herausforderung, der sich nicht nur die Politik, sondern alle gesellschaftlich relevanten Kräfte in diesem Land und jeder Einzelne stellen muss.

Das gilt in erster Linie für jene, die auf der Verliererseite stehen werden. Für sie gilt es, wie für ihren Kandidaten, auch wenn es ihnen noch so schwer fällt, das Wahlergebnis zu akzeptieren. Das gilt aber, vielmehr möglicherweise sogar, auch für den Sieger und sein Gefolge. Alles zertrampelndes Triumphgeheul, das Begleichen offener Rechnungen und das Niederreißen der letzten Scham- und Anstandsgrenzen im Umgang mit politisch Andersdenkenden ist das Letzte, was dieses Land braucht. Es muss dabei immer um die Verantwortung für das Ganze gehen und nicht um Teilinteressen. Es muss immer Wege und Brücken geben, damit es weder Land noch Gesellschaft zerreißt. Angesichts dessen, wie sich die Stimmung in den vergangenen Wochen und Monaten aufgeheizt hat, wie sie Rückenwind bekam von internationalen Entwicklungen, vom Brexit, über das Erstarken der Rechten in Europa bis hin zu den US-Präsidentschaftswahlen, ist das wohl die größte Herausforderung.

Der Kampf um das Bundespräsidentenamt, dessen Sinn und Bedeutung kaum jemand in diesem Land schlüssig zu erklären vermag, zwischen zwei Männern, die seinerzeit monatelang zur Kandidatur für dieses Amt gedrängt werden mussten, hinterlässt viele Fragen und viele Spuren. Es gibt die Einschätzung, dass all die Untergriffe, die Wahlanfechtung und zahlloses andere mehr, das wir erleben und ertragen mussten, das Ansehen der Politik in diesem Land beschädigt und geschwächt haben. Mag sein, stärker wird die Politik damit wohl wirklich nicht gewesen sein. Es hat aber kaum einen Wahlgang gegeben, der die Bedeutung der Politik so drastisch vor Augen geführt hat, wie diesen. Kaum je war so klar zu erkennen, wo die gesellschaftlichen Linien gehen und auf welcher Seite die eine Hälfte des Landes steht und was sie anstrebt und auf welcher Seite die andere.

Was bleibt ist Unsicherheit. Was verlangt ist, ist Umsicht und Gelassenheit. In jedem Fall und von jeder der beiden Seiten.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 1. Dezember 2016

Donnerstag, 24. November 2016

"Die Politik" als Sündenbock



Über die Politik kann man klagen in Österreich. Zumal darüber, wie die Wirtschaft von der Politik behandelt wird. Keine Frage. Als Industrieboss, als Gewerbetreibender, als Wirt, als Bauer, als Freiberufler. Als Kleiner, als Mittelständler, selbst als Großer. Wirtschaftsfeindliches Klima, zu wenig Förderungen, zu viel Bürokratie, zu rigide Auflagen und Vorschriften. Und und und. Es gibt genug und es ist oft genug.

Da ist es naheliegend "die Politik" zum Sündenbock zu machen, wenn Unternehmen Schwierigkeiten haben oder gar Pleite gehen, Bauernhöfe zusperren müssen und Bäcker und Fleischer und andere Gewerbebetriebe auch. Und Wirte natürlich. Der Verweis auf "die Politik" ist der einfachste Weg, wenn es gilt, ein Scheitern zu begründen. Und der leichteste auch. Und auch der beliebteste.

Mit dem eigenen Verhalten oder den eigenen Fähigkeiten werden Schwierigkeiten oder gar Pleiten, in die man gerät, im Selbstverständnis der Betroffenen selten in Zusammenhang gebracht. Da wird so getan, als wären alle ohnehin gleich gut, die immer alles richtig machen. Allesamt praktisch Weltmeister halt.

Die Wirte dieses Landes seien als die Gruppe exemplarisch als Beispiel angeführt. Knapp ein Drittel der Wirtshäuser, hieß es dieser Tage in Oberösterreich, seien in den vergangenen fünfzehn Jahren verschwunden. Die in der Öffentlichkeit diskutierten Erklärungen dafür sind bekannt. Registrierkassa, Rauchverbot, Allergenverordnung, Probleme mit Arbeitsinspektoren und mit der Personalsuche.

Aber, diese Frage wird kaum gestellt, sind das wirklich die entscheidenden Gründe? Oder gibt es in vielen Fällen nicht auch andere? Etwa, dass sich viele Wirtshäuser viel zu lange als Wirtshäuser verstanden haben und nicht als Gasthäuser? Dass gute Wirtshäuser, ganz entgegen dem Selbstbild, das die Branche von sich hat, in Wirklichkeit mitunter so schwer zu finden sind wie die sprichwörtliche Stecknadel im Heuhaufen? Dass sich der Gast allzu oft in einem verstaubten Ambiente der 1960er-Jahre mit seit damals kaum veränderten Speisekarten regelrecht abgespeist, aber oft nicht bewirtet fühlt? Und warum fragt man sich nicht, warum all die Italiener und Chinesen, die oft in die stillgelegten Häuser eingezogen sind, trotz "der Politik", die auch für sie gilt, leben können und warum es nach wie vor gut funktionierende Gastwirtschaften gibt, denen die Gäste die Türen einrennen?

Es sei von den Wirten abgelassen. Sie sollten nur als Beispiel dienen. Als Beispiel für ein Verhalten, das in diesem Land um sich greift. Wenn es nicht so läuft, wie es laufen sollte und könnte, ist das praktisch immer Schuld von anderen, respektive der Politik. Den eigenen Beitrag zu dieser Entwicklung hingegen mag man meist nicht in Rechnung stellen.

Nicht nur bei den Wirten ist es oft so, auch bei den Fleischern und bei den Bäckern, bei den Bauern und wohl auch bei ganz vielen anderen Unternehmen, Freiberuflern und auch bei Privaten. Das zur Sprache zu bringen, von der Eigenverantwortung zu reden, ist freilich in diesem Land nicht sonderlich statthaft. Da läuft man sehr schnell Gefahr, als Nestbeschmutzer oder ähnlich Verachtenswertes gebrandmarkt zu werden.

Dabei wäre es durchaus oft angebracht, mit sich selbst zumindest ab und an so streng ins Gericht zu gehen wie mit Politik und Behörden. Aber da ist wieder die Politik vor. In dem Fall die Oppositionspolitik. Sie hat erkannt, dass man genau damit Stimmen machen kann. Damit, dass man "der Politik" die Schuld gibt, dass man auf die "Eliten" schimpft, auf "die da oben" und auf "das System". Und damit, dass man oft eine Zukunft verspricht, die es nicht mehr gibt. Eine Zukunft in der Vergangenheit. Hinter dem Zaun, abgeschottet und selbstzufrieden. Das Rad der Zeit zurückgedreht.

Ein guter Weg ist das wohl nicht. Schon in den vergangenen Jahren haben sich zu viele in diesem Land, vor allem viele, die jetzt ihr Scheitern auf "die Politik" zurückführen, auf solche Blender verlassen, auf jene, die immer beruhigten und die immer alles versprochen haben. Auf die, die die Vergangenheit beschworen und denen neue Wege immer ein Gräuel waren. Es sind oft die, die sich nun genau deswegen als Verlierer fühlen. Genau die freilich sind jetzt wieder die, die am meisten gehört werden. Die, die rückwärts wollen. In vielen Bereichen in eine Vergangenheit, in der man noch viel mehr gejammert hat, als man das heute tut. Aber das blendet man tunlichst aus.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 24. November 2016

Donnerstag, 17. November 2016

Wenn nichts mehr Gültigkeit hat



Wenn es um Themen wie Flüchtlinge geht, illustriert man die Berichte gerne mit vollverschleierten Frauen, blutigen Messern und montiert gleich auch noch eine Stopp-Tafel ins Bild. Die "Tiere in Not"-Kampagne ziert das Bild eines deutschen Schäferhundes. Dazwischen lässt man Hansi Hinterseer Sätze sagen wie "Wenn du in einem fremden Land bist, musst du dich an diese Regeln und Gesetze einfach anpassen. Wenn du das nicht tust, bist du halt weg" und bringt ein Foto von Norbert Hofer beim Schuhkauf. Scheu, sich trotzdem für "unabhängigen und kritischen Journalismus" zu loben, hat man dennoch keine.

"Wochenblick" heißt die Zeitschrift, die in Oberösterreich gemacht wird und die alle Medienkanäle bespielt. Wer dahinter steht, ist bis heute nicht klar. Es bleiben nur Mutmaßungen, wenn man angesichts der vorwiegenden "blauen" Themen die transportiert werden, die FPÖ als Finanzier im Hintergrund vermutet.

Auf Mutmaßungen ist man auch beim Internetportal "unzensuriert.at" angewiesen, das aus einem Blog des seinerzeitigen Dritten Nationalratspräsidenten Martin Graf hervorging. Auch dort werden Meldungen mit eindeutigem Stallgeruch unter dem Deckmantel eines Journalismus, der so tut, als verberge er nichts, verbreitet. Die Realität ist freilich eine andere. Es werden nicht einmal die Autoren der Texte angegeben, man verbreitet gerne Meldungen aus dubiosen Quellen wie "sputnik.polls", einer russischen Propaganda-Plattform, und man lässt, wie beim "Wochenblick", im Unklaren, wer hinter "unzensuriert. at" steht. Gemacht wird es von Leuten aus dem FP-Umfeld. Genauere Nachfragen blockt man aber gerne mit dem Hinweis auf Datenschutz ab.

Quellen wie diese sind es, aus denen sich der Hass und die Verunsicherung der Menschen nähren. Da geht es selten um Fakten, und viel öfter dafür um Gerüchte. Da werden mit Halbwahrheiten, Schreckensmeldungen und Weltverschwörungstheorien Ängste geschürt. Diese Medien sind zu einer Parallel-Öffentlichkeit geworden, in der Erwartungen bedient und Stimmungen erzeugt werden, die das Zeug haben, die Gesellschaft aus den Angeln zu heben. Denn da wird von den Nutzern, die sich den etablierten Medien gegenüber so gerne skeptisch zeigen, nichts mehr hinterfragt, da wird für bare Münze genommen, was man liest und sieht. "Krone","Heute" und "Österreich", die Rabauken vom heimischen Boulevard, nehmen sich dagegen wie seriöse Qualitätsmedien aus.

Niemand in Österreich versteht sich auf den Umgang und Einsatz mit dieser Art neuer Medien und auf das Spiel mit so genannnten sozialen Medien Facebook und Twitter so gut wie die Freiheitlichen. Geschickt haben sie eine parallele Medien-und Öffentlichkeitswelt aufgebaut und setzen diese Medien für ihre Ziele ein. HC Strache hat auf Facebook 455.000 Follower und versorgt seine Fans so direkt mit Informationen. Norbert Hofer bringt es auf knapp 300.000. Da kann Kanzler Kern nicht mit und auch nicht Außenminister Kurz. Und schon gar nicht Alexander Van der Bellen.

Augenscheinlicher, wie im ORF-Report in der Vorwoche, hätte man den Unterschied zwischen dem herkömmlichen und dem neuen Stil in der Kommunikation nicht machen können. "Wenn ich unterwegs bin zu einer Veranstaltung und ich sitze im Auto, dann mache ich eine kleine Nachricht mit meinem Handy", sagte Norbert Hofer. "Da gibt es immer sehr, sehr viele Aufrufe." Für Van der Bellen wäre das undenkbar. "Wie stellen Sie sich das vor?" fragt er zurück. "Ich setze mich sicher nicht privat hin und bediene irgendein Gerät und das vielleicht aus meiner Wohnung."

Man mag diese Haltung für ehrbar und sympathisch halten, effektvoller ist wohl die andere.

Die Entwicklung, die wir in Österreich erleben, ist erst der Anfang. Medien wie das "Wochenblatt" oder Plattformen wie "unzensuriert.at" schießen rund um den Globus aus dem Boden. Facebook und Twitter können längst Wahlen beeinflussen. Der Kampf um die US-Präsidentschaft zeigte es.

Das Ende der Entwicklung ist damit noch nicht erreicht. "Social Bots" ist das neue Schlagwort, das für Aufregung sorgt und vor dem einem bange werden kann. Solche Bots sind Programme, die sich in sozialen Netzwerken als Menschen ausgeben. Der Nutzer merkt nichts davon. Und auch nichts davon, dass er manipuliert wird. Im US-Präsidentenwahlkampf stammte dem Vernehmen nach jede dritte Pro-Trump-Nachricht auf Twitter von so einem Roboter.

Wie die Wahlen ausgegangen sind, ist bekannt.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 17. November 2016

Mittwoch, 16. November 2016

„Auszeithöfe“ heißt das neue Standbein für Bauern



Wien. Die Idee entstand, als ein Bankmanager davon schwärmte, wie toll er sich nach einer Reha auf einer Alm erholte. Genau das will die bäuerliche Organisation „Green Care“ für stressgeplagte, Ruhe und Erholung suchende Menschen auf sogenannten Auszeithöfen zu einem Angebot bündeln. „Wir wollen auf Bauernhöfen möglichst gesundheitsfördernde Rahmenbedingungen und entsprechende Strukturen bieten“, sagt Robert Fitzthum, Obmann von „Green Care Österreich“. „Einfachheit, Natur und der Kontakt zu Tieren stehen im Zentrum.“ Begleitet werden kann das Angebot von Ärzten und anderen Gesundheitsspezialisten. „Heil- und Pflegetätigkeiten sind aber explizit ausgenommen“, sagt Fitzthum.

Die Bauern, für die der neue „Green Care“-Zweig ein zusätzliches wirtschaftliches Standbein sein kann, werden in mehrmonatigen Lehrgängen für diese Aufgabe vorbereitet. Derzeit gibt es bereits vier zertifizierte Höfe.

Mit den „Auszeithöfen“ bietet „Green Care“ nunmehr insgesamt elf Angebote. Der Bogen reicht von Schule-am-Bauernhof-Programmen bis hin zu echten Pflegeangeboten für alte und beeinträchtigte Menschen. gm

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 16. November 2016

Donnerstag, 10. November 2016

Der Unterschied



Es ist nicht wirklich das, was Vertrauen erweckt in diesen Tagen. Weder die Wahlen in den Vereinigten Staaten noch die Entwicklung, die die Europäische Union nimmt. Da wie dort sind die Dinge in den vergangenen Monaten eskaliert. In Worten. Aber auch in Handlungen. Da wie dort macht sich Unsicherheit breit und wächst die Sorge. Da wie dort ist wenig Gutes zu erwarten. Und kaum etwas, was Vertrauen und Sicherheit geben könnte.

Die US-Amerikaner haben ihren Trump und ihre Clinton, die das Land tief spalten. Wir in Europa haben die Europäische Union und einen grassierenden Rechtspopulismus in den Mitgliedstaaten, der dabei ist, die europäische Idee zu zertrümmern.

Die Grundstimmung unterscheidet sich dennoch wesentlich. Während die Amerikaner an ihr Land glauben und nicht an seiner Bedeutung und schon gar nicht an seinem Gewicht in der Welt zweifeln, hadert man in Europa mit der Europäischen Union. Allerorten wachsen Skepsis und Ablehnung, immer größer werden die Zweifel an der Zukunft dieser Union, die gegründet wurde, um Europa zu vereinen und stark in der Welt der Wirtschaft und der Politik zu machen. Immer weniger glauben an das vereinte Europa. Statt dessen blüht allerorten der Nationalismus. Selbst die führenden Vertreter der Union scheinen inzwischen von Zweifeln befallen und nicht mehr weiterzuwissen. Sogar EU-Kommissionspräsident Jean Claude Juncker redet, wie erst kürzlich in Wien, von einer notwendigen Neugründung der Union, und Martin Schulz, Präsident des EU-Parlaments, plädiert dafür, die Union tiefgreifendend zu reformieren.

"Der kleinste gemeinsame Nenner wird stündlich kleiner", hieß es dieser Tage in einem Zeitungskommentar. Dem ist wohl zuzustimmen. Der Brexit, der Umgang mit den Migrantenströmen aus dem Nahen Osten und aus Nordafrika und das Gezerre rund um Ceta zeigten das wie selten zuvor. Die Handlungsfähigkeit der Union tendiert gegen null. Und die gemeinsame Politik auch. Das heimische Modell hat sich durchgesetzt. Entscheidungen, denen man in Brüssel zustimmte, werden inzwischen nicht mehr nur in Österreich für null und nichtig erklärt.

Längst haben rechtspopulistische Politiker Brüssel im Schwitzkasten und die EU hat keinen Handlungsspielraum mehr. Sie haben den Europapolitikern mit ihrem Nationalismus, der sich weder um die EU und ihre Idee kümmert und denen der Missbrauch von Demokratie oft zum Mittel geworden ist, die Schneid abgekauft. Die Politiker in der EU sind freilich nicht aus der Verantwortung zu entlassen, haben sie doch allzu lange, zu oft und oft auch allzu forsch an Ideen festgehalten, die in den Mitgliedstaaten und vor allem bei der Bevölkerung auf breite Ablehnung stießen. Fingerspitzengefühl schien dabei nie eine Rolle zu spielen.

Inzwischen macht die Europäische Union mitunter den Eindruck, sturmreif geschossen zu sein. Wirtschaftlich ist man angeschlagen und politisch hat man auf der internationalen Bühne kaum mehr Gewicht. Abgesehen von Angela Merkel gibt es niemand mehr, der von den großen Blöcken als Gesprächspartner akzeptiert wird. Und auch die deutsche Bundeskanzlerin hatte schon deutlich stärkere Zeiten und sehr viel mehr Rückhalt.

Außerhalb Europas hat man wohl keine Probleme mit dieser Europäischen Union, wie sie sich heute präsentiert. Viele werden das sogar begrüßen. Für Europa selbst hingegen kann das fatal werden. Schon jetzt kann man erkennen, wohin dieser Verlust von Einfluss führen kann. Im Syrienkonflikt hat man überhaupt nichts mitzureden. Obwohl das Flüchtlingsthema längst Thema Nummer eins in Europa und zum Sprengsatz für die Union geworden ist, muss man abwarten, ob die USA und Putin doch noch irgendwie zusammenfinden. In der Türkei schert sich Ministerpräsident Erdogan einen Teufel um das, was die EU sagt, und in Moskau ist es nicht anders. Europa hat nicht die Kraft dagegenzuhalten. Und das auch, weil der Glauben an Europa verloren gegangen ist -der Glauben der Menschen, die hier leben, und auch vieler Politiker, die sie vertreten. Auf Europa ist niemand stolz, aber dafür wieder umso mehr auf die einzelnen Staaten. Dort gibt man sich, angefacht von populistischen Parteien und groß gemacht auch von Regierungsparteien, die um ihr Überleben kämpfen, einem neuen Nationalismus hin und zerstört damit das, was den Kontinent auf der internationalen politischen Bühne stark und selbstbewusst machen könnte -undenkbar in Russland und undenkbar in den USA.

Aber Realität in Europa. Eine die fürchten machen kann.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 10. November 2016

Donnerstag, 3. November 2016

Schaum vorm Mund und Brett vorm Kopf



Es ist wieder so eine vergebene Chance, über die Landwirtschaft zu reden. Am 11. November startet der Film "Bauer unser". Mit jeder Menge Vorschusslorbeeren.  Doch was interessant beginnt und ausgewogen,  enttäuscht schlussendlich. Es ist wieder nichts, denn ein pauschales und undifferenziertes Anpatzen der Landwirtschaft.

Nichts dagegen, dass einschlägig bekannte Protagnisten wie Benedikt Haerlin, der den Weltagrarbericht mit verfasste, breiten Raum bekommen. Wenn aber dem gegenüber keiner anderen Meinung Raum gegeben wird und wenn einer wie der IG-Milch-Rebell Ewald Grünzweil ohne jede Relativierung sagen darf, dass es den "oberen Prozentsatz der Förderungen" nur für jene Bauern gibt, die "ihr Lebtag lang" Mitglied bei ÖVP und Bauernbund waren, ihr "Konto bei der Raika" haben und "am Sonntag brav in die Kirche gegangen sind", während sich die anderen mit dem "unteren Prozentsatz" zufrieden geben müssten, dann disqualifiziert sich der Film von selbst. Dann ist das nur billige Meinungsmache und man weiß den Informationswert des Restes einzuordnen.

Schade drum.

Vor wenigen Wochen gab es auch so eine vergebene Chance. Da machten manche Referenten eine Fachtagung der Ages zum Thema Ernährungssicherheit zu einem Fanal gegen die Biolandwirtschaft. "Bio lässt die Erträge schrumpfen und steigert die Abhängigkeit von Lebensmittelimporten" stand am nächsten Tag groß in den Zeitungen. Und viele rieben sich wohl feixend die Hände, weil es gelungen war, den Bios eins auszuwischen. Schade auch um diese Gelegenheit sich ernsthaft, ohne Parteibrille und vor allem ohne Schaum vorm Mund mit einem Thema auseinanderzusetzen, das rund 150.000 Familien brennend interessiert.

Warum ist es in diesem Land nicht möglich unvoreingenommen über Landwirtschaft und über die Probleme der Bauern zu reden, ohne sich gegenseitig schlecht zu machen? Es gäbe so viele Themen, die den Bauern unter den Fingern brennen und über die man diskutieren könnte, sollte und müsste. Aber es gibt offenbar auch zumindest ebenso viele Bretter vor den Köpfen der Verantwortlichen auf allen Seiten, die genau das verhindern.

Die Selbstsicherheit und gegenseitige Geringschätzung, mit der sich die gegenübertreten, schmerzt. Denn es ist alles andere als so, dass nur schlecht ist, was man zumeist und mit großer Lust pauschal am Gegenüber schlecht zu machen versucht. Die konventionelle Landwirtschaft in diesem Land leistet gute Arbeit, sie versucht am Puls der Zeit zu bleiben und die Anforderungen der Gesellschaft und der Märkte, zu stellen. Auch die Biobauern leisten hervorragende Arbeit auf hohem Niveau. Und gleiches gilt auch für die Unternehmen rund um die Landwirtschaft. Da sitzen keine geldgierigen, gewissenlosen Schlawiner, die von nichts eine Ahnung haben und den Bauern nur schlechtes wollen.

Aber all das wollen die Scharfmacher, die auf allen Seiten und auch in Politik und Standesvertretung sitzen, nicht zur Kenntnis nehmen. Nicht, dass man damit keinen Schritt vorankommt und nicht, dass man damit auch gleich das Bild ganzer Bauerngruppen und Wirtschaftszweige in der Öffentlichkeit schwer beschädigt.

Dass es so weit gekommen ist, hat wohl auch damit zu tun, dass man in vielen Bereichen innerhalb der Landwirtschaft die gemeinsame Gesprächsbasis verloren  hat. Durch überzogene Aussagen und Aktionen und durch politische Blindheit und durch Selbstherrlichkeit. Und wegen der vielen Bretter vor den Köpfen.
 
Gmeiner meint - Blick ins Land November 2016

Manifestationen des eigenen Versagens



Im Fernsehen lief dieser Tage wieder einmal eine Kampagne der Arbeiterkammer. "Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen wird immer schwieriger. Der Druck in der Arbeit steigt ständig. Trotzdem muss es gerecht zugehen", hieß es da. Man staunt. Die Arbeiterkammer sagt das? Unvermittelt drängt sich die Frage auf -ja, was haben die denn bisher gemacht in den vergangenen Jahrzehnten, dass sie eine solche Kampagne machen müssen? So wenig zusammengebracht?

Und das, obwohl sie im Land zu den einflussreichsten Organisationen zählt und obwohl sie großen Einfluss auf die Regierung hat, die von Parteifreunden geführt wird?

Über die Wirtschaftskammer lässt sich Nämliches sagen. Auch sie zählt zu den Schwergewichten im Land, auch sie ist zumindest indirekt seit Jahrzehnten in der Regierung, auch sie hat Gewicht, wie kaum sonst wer. Aber warum, fragt sich das der Beobachter zuweilen, muss dann Christoph Leitl immer noch über die zu hohen Lohnnebenkosten klagen, die Bürokratie, die den Unternehmen die Arbeit verleidet, die antiquierte Gewerbeordnung und über die zuweilen überbordende Steuerbelastung?

Nämliches lässt sich auch von den Parteien sagen, die in diesem Land den Ton angeben. Warum fühlen sich die Menschen, die zu vertreten sie vorgeben, so unwohl, so missverstanden und so wenig vertreten? Warum vertrauen sie ihnen immer weniger? Und warum sehen sie sie immer kritischer?

Das hat wohl damit zu tun, dass es zwar immer wieder jede Menge Ankündigungen gibt, sie aber immer weniger an konkreten Ergebnissen zu bieten haben. An Ergebnissen, die nicht alleine der Schadensbegrenzung dienen und nachträglich Fehler, die man den Menschen selbst eingebrockt hat, gutmachen sollen, sondern die eine neue Richtung vorgeben und wirklich Verbesserungen bringen.

Weil es so etwas kaum mehr gibt, wissen Sozialdemokraten seit langem nicht mehr wirklich, warum sie SPÖ wählen sollen. Und bei der ÖVP ist es nicht anders. Ist die ÖVP wirklich die Heimat der Wirtschaft, als die sie sich immer noch bezeichnet, fragt man sich dort. Und man fragt sich auch, ob man als Arbeitnehmer dort vertreten ist und immer öfter fragen sich selbst Bauern, ob das noch ihre Partei ist. Und immer mehr fragen, wie das alles überhaupt unter einen Hut zu bringen ist.

Dass diese Parteien seit Jahrzehnten das Land regieren und die Kammern so viel Macht haben, empfinden viele längst viel mehr als Fluch denn als Segen. Sie müssten, so denken sich immer mehr Menschen in diesem Land, mehr vorzuweisen haben, noch dazu bei dieser Machtfülle, die man hatte und immer noch hat.

Doch was sie vorzuweisen haben, wird immer öfter als zu wenig empfunden. Rekord-Arbeitslosenzahlen, Rekord-Steuerbelastung, schlechte Wirtschaftswachstumszahlen und jede Menge Zweifel am Wirtschaftsstandort Österreich sind nicht das, was man nach all den Jahrzehnten an den Hebeln der Macht eine überzeugende Bilanz nennen könnte.

Jede politische Forderung, jedes Wahlkampfversprechen, jede Kampagne gerät vor diesem Hintergrund daher zu einer Manifestation des eigenen Versagens. Man hatte ja die Möglichkeiten in der Hand, aber man bekam es eben nicht hin. Warum also, sollte man diesen Parteien weiter das Vertrauen schenken, warum soll man von den Interessenvertretungen viel halten?

Freilich steckt in dieser Sichtweise ein gehörige Portion Ungerechtigkeit. Politik ist eben nur die Kunst des Möglichen und sie ist immer nur ein Kompromiss. Aber es ist zu fragen, ob das Mögliche wirklich so klein sein muss, wie etwa das Wirtschaftspaket für Klein-und Mittelbetriebe, das man in der Vorwoche vorgestellt hat. Mit einem Mini-Investitionsprogramm für die Gemeinden und mit 25.000 zusätzlichen Arbeitsplätzen (bei gut 500.000 Arbeitssuchenden), die man in Aussicht stellt, aber ohne eine Lösung für die kalte Progression, die jede Gehaltserhöhung zu einem Raub der Steuer macht und landauf landab seit Jahren für Frust sorgt?

Das hat wohl damit zu tun, dass man sich durch die Politik der vergangenen Jahrzehnte selbst den -vor allem finanziellen -Spielraum sehr beschränkt hat und dass man sich nach wie vor nach Kräften am liebsten gegenseitig blockiert.

Aber das gibt immerhin wieder Stoff für neue Kampagnen, neue Forderungen und neue Wahlkampfparolen. Wenn aber an deren Glaubhaftigkeit gezweifelt wird, darf sich freilich niemand wundern.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 3. November 2016

Donnerstag, 27. Oktober 2016

Wir Armen wir



Geld kann man nie genug haben. Schon gar nicht in der Konsumgesellschaft, in der wir leben. Da steht, für die meisten Menschen zumindest, nicht mehr die Finanzierung der nötigsten Bedürfnisse im Vordergrund, sondern da geht es zumeist oft viel mehr darum, mit dem zur Verfügung stehenden Geld so viele Bedürfnisse und Gelüste wie nur irgend möglich zu befriedigen. Nicht zuletzt deshalb ist Geiz so geil geworden, wie uns die Werbung suggeriert, schafft man sich damit doch Spielraum, um vom Konsumangebot noch ein etwas größeres Stückerl leisten zu können. Der kleine Urlaub zwischendurch soll sich noch ausgehen, noch eine Jeans, der vierte Fernseher und das neues Handy auch. Wird ja gerade zum Diskonttarif angeboten.

Mitunter drängt sich der Eindruck auf, die ganze Gesellschaft sei auf Schnäppchenjagd. Hauptsache billig muss es sein, Hauptsache man kann noch etwas in den Einkaufskorb hineinstopfen. Und dennoch weiß jeder beredt darüber Klage zu führen, dass die Zeiten schlechte seien und der Euro alles teurer gemacht habe. Und das sind meist nicht jene, die wirklich jeden Cent umdrehen müssen, die so reden.

Die Aufregung ist schnell groß, wenn sich etwas bewegt in diesem Gefüge, das die Erfüllung der Träume bedrohen könnte. Erst in der Vorwoche präsentierte die Statistik Austria die jüngste Konsumerhebung. Da wurde in den Medien über die überproportional steigenden Ausgaben fürs Wohnen berichtet und darüber Klage geführt, dass sich die Österreicher "immer weniger leisten" könnten. Es wird wohl auch so sein. Die Aufregung verwundert dennoch oft, wenn man sich vor Augen führt, was man sich so alles leistet in diesem Land und wofür trotz allen Jammerns Geld da ist.

In einer Zeitung war just auf derselben Seite, wo sich der Bericht über die Konsumerhebung der Statistik Austria fand, eine Meldung zu lesen, derzufolge in Österreich trotz der Schockbilder auf den Packungen, ganz im Gegensatz zu Deutschland, nicht weniger Zigaretten verkauft würden. Im Sommer erst wurde bekannt, dass Österreichs Haushalte mehr Geld für Erotikartikel ausgeben als für berufliche Weiterbildung. Als bezeichnend für den Zustand der Republik und ihrer Bewohner kann man auch interpretieren, dass für Grabpflege und Beerdigungen von privaten Haushalten hierzulande mehr Geld ausgegeben wird als für Bildung. Zudem klingen die Berichte über hohe Glücksspielumsätze, über übervolle Schuhregale und über überquellende Kleiderkästen im Ohr, vollgestopft oft mit Stücken, die kaum mehr als ein, zwei Mal getragen wurden.

Viel Raum zur Interpretation lässt auch, dass die Ausgaben für Urlaub und Freizeit in Österreich über den Aufwendungen für Lebensmitteleinkäufe liegen. Die Bauern leiden darunter, wenn sie zuschauen müssen, wie ihre Produkte schier permanent im Aktionsmodus verramscht werden und jede Preiserhöhung etwa bei Milch oder Fleisch, und seien es nur um ein paar Cent, im Handumdrehen in Zeitungsschlagzeilen oder von Konsumentenschützern thematisiert und oft sogar skandalisiert wird. Und da reden sie noch gar nicht darüber, dass ein Drittel der Waren, die so vielen Konsumenten als zu teuer gelten, ohnehin im Müll landen. Aber vielleicht müssen sie genau deswegen so billig sein.

Die Gewichte haben sich in den vergangenen Jahren deutlich verschobenen. In all dem "Geiz ist geil"-Furor ist die Diskussion über den Umgang mit Geld, über dessen nachhaltige Verwendung, über die Wertigkeit von Produkten und Dienstleistungen und über das Sparen unter die Räder gekommen.

Aber nicht nur da ist jede Mühe vergebens, wenn man versucht die Folgen des billigen Konsums zu thematisieren. Auch in der Politik ist das kein Thema mehr. Wer spart, wird nicht belohnt. Im Gegenteil. Auf den wird zugegriffen. Und das nicht nur, wenn es um die Kapitalertragsbesteuerung geht oder wenn Pläne von einer Vermögenssteuer ventiliert werden. Da werden etwa im Sozialbereich die, die sich um nichts kümmern, genauso behandelt, wie jene, die Zeit ihres Lebens sparten. Im Gegenteil sogar. Wer etwas auf die Seite gelegt hat, zahlt eher drauf, während der, der ohne Not alles durchgebracht hat, genau dasselbe bekommt.

Das fügt sich in die Anspruchsmentalität, die sich in den vergangenen Jahren so rasant verbreitet hat und mit der man gelernt hat, alle Möglichkeiten auszunutzen. Das Motto dafür kommt aus der gleichen Ecke wie "Geiz ist geil" - "Ich bin doch nicht blöd, Mann!"

Meine Meinung, Raiffeisenzeitung, 27. Oktober 2016

Donnerstag, 20. Oktober 2016

Die Steigbügelhalter



In Österreich, man weiß es, hält man viel auf Vorschriften und auf deren Einhaltung nach Punkt und Beistrich. Man will nur ungern etwas dem Zufall überlassen. Und sicher will man auch sein. Überall. Darum hat man auch wenig Scheu, auf Auflagen noch weitere Auflagen aufzudoppeln. Im Umweltschutz, im Arbeitnehmerschutz und in all den vielen anderen Bereichen, in denen man sich Sorgen machen kann, weil man dem Hausverstand und dem Anstand nicht trauen mag.

Ganze Berufs- und Bevölkerungsgruppen in diesem Land haben sich dieser Auflagen-und Kontrollkultur verschrieben. Die Beamtenschaft sowieso, aber auch politische Parteien, Unternehmungen und auch zivilgesellschaftliche Organisationen und Gruppierungen. Von allen Seiten wird gefordert, durchgedrückt und umgesetzt. Arbeitsvorschriften, Umweltauflagen, Qualitätssicherungsmaßnahmen und tausend andere Dinge. Sei es aus Bestemm, sei es aus Rechtfertigung des eigenen Tuns, sei es, um für die eigene Organisation in der Öffentlichkeit in einen guten Ruf zu gelangen, oder sei es schlicht aus Marketinggründen, damit der Geldfluss aus öffentlichen Zuwendungen oder der Spendenzustrom nicht versiegt. Manchmal, das sei konzediert, freilich auch aus echter Besorgnis.

Diese unselige Allianz hat in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten vielen Branchen, man weiß es, einen beachtlichen Wust an Bürokratie gebracht, an Kosten auch und natürlich an Verdruss. Das ist schlimm genug.

Diese unselige Allianz hat aber noch viel mehr angerichtet als das. Sie hat in ihrem Drang, der oft von nachgerade missionarischem Eifer getragen ist, maßgeblich zur Zerstörung über viele Perioden gewachsener und bewährter wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Strukturen beigetragen. Sie hat damit großen Unternehmungen und Konzernen, der Industrialisierung, Automatisierung Anonymisierung und der Internationalisierung auch, der man sonst ja so skeptisch gegenübersteht, auch in Bereichen die Bahn frei gemacht, die ihnen und ihren Methoden verschlossen waren. Als Steigbügelhalter gleichsam.

Diesen Unternehmungen und Konzernen ist es halt leichter, mit all dem, was ihnen an Vorschriften und Auflagen aufgebürdet wird, zurecht zu kommen. Sie haben die nötigen finanziellen Mittel, sie haben das nötige Personal, sie haben die nötigen Strukturen.

Bäcker, Fleischer, Wirte, die vielen kleinen Gewerbebetriebe, die im ganzen Land wichtige Versorgungsstrukturen bieten, Bauern auch, tun sich dagegen schwer. Sie sind rasch überfordert damit, all die vielen Auflagen in der Produktion und die arbeitsrechtlichen Vorschriften und die Arbeitszeitvorschriften in ihrer Struktur unterzubringen. Sie haben nicht die Leute, die sich um all die Vorschriften kümmern, auf dass man nicht im Kriminal lande, ihnen wird rasch die finanzielle Decke zu kurz, wenn neue Auflagen Investitionen verlangen.

Das zehrt nicht nur am Nervenkostüm, das ist auch ein Faktor, den viele nicht stemmen können und wollen. Weil die Relationen zum Aufwand, zum zeitlichen, zum personellen und zum finanziellen, nicht mehr stimmen. Zahllos sind die vielen kleinen und mittleren Betriebe, die angesichts der immer neuen Vorschriften und Auflagen entnervt das Handtuch werfen. Seit Jahren.

Und so kommt es, dass wir heute immer öfter das Brot aus der Backbox des großen Handelskonzerns essen und die Würste, die andere in ihren konzerneigenen Fleischindustriebetrieben erzeugen werden, zu Mittag schnell bei einer der internationalen Ketten einkehren und dass man den Installateur oder den Maurer im Internet sucht.

Oft hat man eben gar keine Alternative mehr. Der örtliche Bäcker, der örtliche Fleischer und der Wirt haben zugesperrt. Den Installateur gibt es nicht mehr, die Baufirma wurde von einem Branchenriesen geschluckt und der Bauer hat entweder verpachtet oder den Stall so ausgebaut, dass da auch nichts mehr von der Romantik ist, die man sich wünscht.

Drollig nur, aber wohl bezeichnend, dass unter denen, die am lautesten über dies Entwicklung klagen, just jene sind, die genau diese Entwicklung mit ihren oft überzogenen Forderungen beförderten und immer noch befördern.

Dazu gehören die NGOs, dazu gehören Parteien und Gewerkschaften. Dazu gehören aber auch die Konsumenten. Aber die allesamt wollen das freilich nicht hören.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 20. Oktober 2016

Donnerstag, 13. Oktober 2016

Wenn sich zwei streiten



Wenn wir nicht in nächster Zeit - und ich meine damit die nächsten Monate - deutlich beweisen, dass wir regieren wollen, dann hat es keinen Sinn, auf Dauer weiterzuwurschteln", sagte ÖVP-Obmann und Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner in einem Interview. Und in einem anderen Interview sagte er: "Entweder bringen wir das Ding systematisch zum Laufen oder eben nicht. Dann reden wir über die Konsequenzen. Bis Jahresende muss etwas passieren."

Zwischen den beiden Interviews liegt ziemlich genau ein Jahr. Das erste Zitat stammt aus einem - ja, das gab's damals noch - Pressefoyer nach dem Ministerrat vom 6. Oktober 2015. Das zweite Statement stammt aus einem Hintergrundgespräch mit Chefredakteuren der führenden Zeitungen des Landes vom 18. September dieses Jahres.

In diesem Jahr dazwischen gab es gefühlte drei Neustarts, einen Wechsel im Kanzleramt, das Versprechen von einem New Deal, an dem sich viele begeisterten, eine Regierungsumbildung, jede Menge mit allerlei Ankündigungen bedrucktem Papier und neue Gesichter in den Parteisekretariaten.

Und die Regierung ist offenbar trotzdem wieder da, wo sie in den vergangenen Jahren immer war -in der Dauerkrise. "Die große Koalition ist am Ende", hieß es in Zeitungskommentaren Anfang November des Vorjahres. Und man konstatierte damals wie heute ein "Brodeln in Regierung und den Parteien" und fragte im Handumdrehen "Vernunftehe am Scheideweg?" Und jetzt ist wieder viel von all dem die Rede. Nach ein paar Wochen innenpolitischen Frühlings im Mai und im Juni rund um den Wechsel von Faymann zu Kern machte sich einigermaßen rasch wieder der innenpolitische Trott breit, der so viele Menschen in diesem Land frustriert. Die Betonierer auf beiden Seiten bezogen wieder Position, Kern entpuppte sich als straffer Ideologe, der mit der CE-TA-Umfrage unter seinen Parteimitgliedern bewies, auch keine Scheu vor billigstem Populismus zu haben. Schnell war die Regierung wieder im täglichen Hickhack festgefahren, das keinem anderen Luft und Raum lässt und schon gar nicht am Leben lassen will.

Zwischen Schwarz und Rot ist alles wieder wie vor einem Jahr. Das verwundert nicht, aber das irritiert. Nicht so sehr wegen der vielen Versprechen der vergangenen Monate, sondern vor allem angesichts der Umfragewerte, die den Regierungsparteien im monatlichen Takt ihren Rutsch in die Bedeutungslosigkeit vor Augen führen. Denn die zeigen in Wahrheit nichts anderes, als dass Schwarz und Rot, und was sie miteinander machen respektive nicht machen und sich gegenseitig vorwerfen, ein Nebenschauplatz in der Innenpolitik geworden sind. Abseits der Realität und - zumindest auf Bundesebene - offenkundig auch abseits des Wählerwillens.

Vor diesem Hintergrund ist zu fragen, was es soll, dass beide Parteien einander schon wieder wie eh und je bis aufs Blut bekämpfen. Statt sich gegenseitig zu stärken und zu unterstützen und alles zu tun, um eventuell doch bestimmende Kräfte im Land zu bleiben, gibt man sich aller Bedrohungen zum Trotz mit großer Lust dem Haxelbeißen, dem Vernadern und dem gegenseitigen Blockieren und Schlechtreden hin. Man gönnt einander keinen Erfolg, lässt aneinander kein gutes Haar und feiert als größte politische Erfolge, dem Partner in die Suppe gespuckt zu haben.

Aber nicht nur das. Man tut sich nicht nur gegenseitig alles erdenklich Schlechte an. Man hat auch keine Scheu in den eigenen Reihen Gleiches zu tun. Der ÖGB taucht Kern noch tiefer in die CETA-Bredouille, als er das schon selbst getan hat. Und der neue VP-Generalsekretär hat nichts Besseres zu tun, als öffentlich über mögliche Kanzlerkandidaten nachzudenken, ganz so als gäbe es keinen Parteiobmann, der in der VP normalerweise genau das ist.

Und man redet von Neuwahlen. Kaum verhüllt ist, wie man daran arbeitet, Positionen gegeneinander aufzubauen. Kern tut es seit Monaten, Kurz ebenso. Man bereitet sich auf den Tag X vor. Ganz so, als stünde zwischen den derzeitigen Regierungsparteien die Mutter aller Wahlschlachten an. Dabei ist die wohl gegen die FPÖ zu schlagen.

Aber das will man nicht zur Kenntnis nehmen. So wie man nicht zur Kenntnis nimmt, dass man mit all dem Hickhack nichts tut, als Straches Weg zu ebnen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 13. Oktober

Freitag, 7. Oktober 2016

Zukunft im wirtschaftlichen Biedermeier?



Das Glück in den eigenen vier Wänden, die zum Rückzugsort wurden, stand im Vordergrund. Tugenden wie Fleiß, Ehrlichkeit, Treue und Pflichtgefühl wurden hochgehalten. Die bürgerliche Familienstruktur war patriarchalisch. Man beschäftigte Personal für die Arbeiten im Haus. Und man vermutet, dass damals der Ausdruck Gemütlichkeit eingeführt wurde. Mit diesen Worten und Begriffen beschreibt Wikipedia das Biedermeier, die Zeit des Vormärz zwischen 1815 und dem Revolutionsjahr 1848.

Klein, selbstzufrieden, überschaubar und übersichtlich - das war es, was damals das Leben prägte.

Nun scheint es wieder soweit sein. Zumindest in der Wirtschaftspolitik, zumindest, wenn es wenn es danach geht, was sich immer mehr Menschen, aber auch immer mehr Politiker wünschen. Klein, überschaubar, übersichtlich und abgeschottet. Und sehr selbstzufrieden.

Und das nicht nur in Österreich, wo der Widerstand gegen die Freihandelsabkommen mit Kanada und den USA mittlerweile kaum mehr verhüllt regierungspolitische Linie geworden ist. Auch international ist die Globalisierung ins Gerede gekommen. Da und dort wird bereits ihr Ende ausgerufen. Protektionistische Strömungen werden immer stärker. Allerorten will man die Grenzen hochziehen. Weltweit sinkt die Offenheit gegenüber dem Freihandel, weltweit wächst die Skepsis, weltweit wächst die Wut. Man fühlt sich überrollt von der Entwicklung, man versteht die Zusammenhänge nicht, man fühlt sich als Verlierer, auf dessen Rücken andere Geld und Profit machen, während man selbst nicht mehr zurande kommt. Man glaubt an dunkle Mächte und böse Geister, die den Gang der Weltwirtschaft in finsteren Kammern ausbaldowern.

Man sehnt sich nach Übersichtlichkeit und nach Überschaubarkeit, man will die böse Konkurrenz am liebsten aussperren auf den Märkten für Waren und Dienstleistungen und auf dem Arbeitsmarkt und man will sich im eigenen Land nicht dreinreden lassen. Alle Eigenschaften, die  seinerzeit die Lebenskultur des Biedermaier kennzeichneten, scheinen nun vielen als Eckpunkte der künftigen wirtschaftlichen und politischen Kultur zu gelten. Dass im Biedermaier der Mann das uneingeschränkte Familienoberhaupt war und man sich ein paar Beschäftigte für die Verrichtung der täglichen Arbeit hielt, passt zur Sehnsucht, die heute viele Menschen nach einer starken poltischen Führungsfigur haben und dazu, dass man Ausländer allenfalls als Arbeitskräfte sieht.

Es sind die populistischen Führer rund um den Globus, die diese Sehnsüchte bedienen und mit ihnen immer offener und immer dreister ihr politisches Spiel spielen. Von unserem HC Strache, über die deutsche Frauke Petry, über Frankreichs Marine LePen und Hollands Geert Wilders bis hin zu Donald Trump.

Und es sind die Führer der westlichen Welt, die in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten am Ruder waren, die es verabsäumt oder nicht verstanden haben, den Menschen den Wert der Globalisierung zu erklären, sie für dieses Konzept zu gewinnen und die sie wohl viel zu oft auch nicht ernst genommen haben. Stattdessen ist man lieber allzu oft den leichteren Weg gegangen und hat sie mit Entscheidungen einfach überfahren, ohne auf Einwände ,wie die unterschiedliche Verteilung des Nutzens, einzugehen und hat damit alles Vertrauen verspielt.

Genau das macht rechts- wie linkspopulistischen Führer jetzt so sehr zur Bedrohung für die in den vergangenen Jahrzehnten gewachsene Weltordnung. Erst diese Ignoranz und dieses Versagen gibt ihnen den Rückenwind, die Macht an sich zu ziehen. Schon jetzt warnt die OECD, dass der Welthandel immer schwächer wächst und der Widerstand gegen die Globalsierung zunimmt.

Dabei könnte sich die Bilanz der Globalisierung durchaus sehen lassen. Aber da ist keine Rede davon, dass die Weltbevölkerung ernährt werden kann, obwohl sie sich seit 1950 verdreifacht hat, dass der Anteil der Armen kontinuierlich sinkt oder dass in Europa nicht von einem Sozialabbau geredet werden. Und auch nicht davon, dass Österreich zu den ganz großen Profiteuren zählt und der Globalsierung hundertausende Arbeitsplätze zu verdanken hat.

Aber es gibt eben auch Verlierer und Ängste. Nicht irgendwo auf der Welt, sondern mitten unter uns. Dass sie sich nach einen Wirtschafts-Biedermaier sehnen, ist verständlich. Es sollte daher alles getan werden, ihnen diese Ängste zu nehmen, indem man sie ernst nimmt. Schon einmal haben sich die Werte des Biedermeiers als untauglich erwiesen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 7. Oktober 2016

Donnerstag, 29. September 2016

Bankrotterklärung ohne Konsequenzen?



Manchmal passiert, dass Politiker und Standesvertreter, wohl unbedacht, nichts beschönigen und nicht nur beim politischen Gegner, sondern auch im eigenen Verantwortungsbereich dramatisieren. Die Äußerungen und Meldungen der heimischen Agrarspitzen zum jüngst vorgelegten Grünen Bericht 2016 sind dieser Kategorie zuzuzählen.

"Katastrophale Preissituation drückt Bauerneinkommen dramatisch", hieß es da in den offiziellen Stellungnahmen der Agrarspitzen. Und: "Es geht nur noch ums Existieren, ans Investieren oder Umsatteln ist vielerorts gar nicht zu denken." Die "Dramatik" sei "groß", "denn jetzt können Landwirte weder konsumieren noch investieren, und es fehlt ihnen auch an Liquidität". Mit minus 17 Prozent gegenüber dem Vorjahr habe es "wieder eine kräftige Delle" gegeben.  Seit 2011 hätten die österreichischen Bauern "mehr als ein Drittel an Einkommen verloren". Nehme man "die Frostschäden des späten Frühjahrs dazu, fehlen im heurigen Jahr zwischen 700 und 800 Millionen Euro". Und ein Ende sei auch heuer nicht in Sicht. "Die Abwärtsspirale droht sich auch 2016 weiter fortzusetzen."

Bei einer derartigen, wohlgemerkt von den Spitzenagrarieren höchstselbst und nicht von böswilligen Kritikern formulierten, Sätzen drängt sich normalerweise automatisch die Frage nach Konsequenzen auf. Nach politischen sowieso, wohl aber auch nach personellen, zumal dann, wenn die Agrarpolitik, die man seit Jahrzehnten verantwortet,  die Bauern in eine Situation gebracht hat, in der es eingestandermaßen - siehe oben - "nur noch ums Existieren" geht.

In der heimischen Landwirtschaft ist das anders. Da werden solche Fragen gar nicht gestellt. Nicht von den eigenen Leuten und Parteigängern und nicht einmal von denen, die sich als agrarpolitische Opposition sehen. Es gibt keinerlei Diskussionen, weder über Personen noch über Inhalte.  Mit einem guten Schuss Selbstzufriedenheit hat man für alles und jedes Erklärungen und findet die Schuld immer bei anderen. Da ist nur logisch, das man sich auch nichts denkt, wenn man, wie heuer zum Grünen Bericht, Erklärungen abgibt, die bei Licht betrachtet, nichts anders sind, als Bankrotterklärungen.

Nun sei den Verantwortlichen in der Agrarpolitik und in der Standesvertretung zugestanden, dass die Landwirtschaft, zumal, wenn sie so aufgestellt ist, wie die österreichische, ein äußerst schwieriges Feld ist, auf dem kaum Erfolge zu holen sind. Dann soll man aber den Bauern bitte auch all die hohlen Phrasen, leeren Ankündigungen und überzogenen Versprechen ersparen, mit denen man glaubt, sie bei der Stange halten zu können.

"Jetzt gilt es zusammenzurücken und auf unsere Stärken zu bauen", war einer dieser Stehsätze, die rund um den "Grünen Bericht" zu lesen waren. Landwirtschaftliche Produkte aus Österreich seien "besonders hochwertig, innovativ und vielfältig" und "mit kurz-, mittel- und langfristigen Maßnahmen werden wir die Herausforderungen gemeinsam meistern", was freilich die Frage aufdrängt, was man denn bisher getan hat.

Den Bauern wird das wohl kaum reichen als Antwort auf eine Krise in der es "nur noch ums Existieren" geht . Und wenig vertrauenserweckend ist auch die Ankündigung, dass das Landwirtschaftsministerium "mittel- und langfristig" auf "nachhaltige Maßnahmen zur Weiterentwicklung der bäuerlichen Familienbetriebe" setzen will. Das klingt zu bekannt, als dass man darein noch große Hoffnungen setzt. Zu oft schon hat man das gehört. Und schon zu oft wurde man enttäuscht.

Gmeiner meint - Blick ins Land 10/16, 29. September 2016

Heimeliger Selbstbetrug



An vieles, das in der heimischen Politik seit Jahr und Tag auf der Agenda ist, hat man sich ja so gewöhnt, dass man dazu neigt, es als gottgegeben hinzunehmen. Die Bürokratiewahn gehört dazu, die Steuerlast auch und vieles andere mehr. Und dazu gehören natürlich die Lohnnebenkosten, deren Senkung seit Menschengedenken Thema jeder Regierung ist. Was hat es nicht schon alles gegeben an Versprechungen, an Verhandlungen, an Vorstößen. "Mehr netto vom brutto" heißt es dann und wann immer wieder einmal. Ohne viel Ergebnisse freilich.

Die Verärgerung über die Lohnnebenkosten ist groß, das Wissen darum gering. Zuweilen drängt sich der Eindruck auf, als drückten alle Beteiligten fest die Augen zu, um nicht ständig sehen zu müssen, was ihnen sonst nachhaltig die Laune verderben könnte und sie ohnehin in nichts denn hilflose Rage bringen würde.

Man kann dieses Verhalten nachvollziehen, wenn man der Darstellung folgt, die kürzlich der Geschäftsführer eines österreichischen Unternehmens seinen Mitarbeitern präsentierte, weil er genug hat vom Selbstbetrug, in dem man es sich in diesem Land so gerne heimelig macht. Im Zentrum steht dabei ein Bruttogehalt für einen männlichen Mitarbeiter von 2.400 Euro. Der entspricht dem österreichischen Durchschnitt und ist durchaus passabel. Man wird nicht reich davon, schon gar nicht wenn man Familie hat, aber wenn man spart, kann man schon durchkommen.

Doch schon diesem Betrag wohnt der Selbstbetrug inne. Denn der wahre Bruttobetrag und mithin auch das Bruttogehalt eines Dienstnehmers liegt bedeutend höher. Um etwas mehr als 700 Euro nämlich. Denn bei Licht betrachtet sind den 2.400 Euro auch all die Abgaben zuzuzählen, die ein Dienstgeber, also die Unternehmen, bereits im Vorfeld als so genannte Dienstgeber-Beiträge abzuführen haben. Statt 2.400 Euro müsste dann eigentlich im Sinn der ganzen Wahrheit in der Zeile Bruttogehalt 3.128 Euro auf dem Gehaltszettel stehen. Das tut es freilich nicht. Denn dann würde es dem guten Mann, der ohnehin unter der Steuer-und Abgabenlast ächzt und mit seinem Schicksal hadert, wohl endgültig das Wasser in die Augen treiben. Denn dann hätte er schwarz auf weiß, dass sein Bruttogehalt bei Licht betrachtet eigentlich alles in allem ganz passabel klingende und Träume erweckende 3.128 Euro pro Monat beträgt, dass aber gerade einmal die Hälfte davon, 54 Prozent um genau zu sein, monatlich auf seinem Konto ankommt.

Sieht man, wer da aller mitnascht, nimmt nicht wunder, dass nicht mehr bleibt. Und dabei geht es nicht nur um die großen Posten Pensionsversicherung, Krankenversicherung und Lohnsteuer. Es ist vor allem das Kleinvieh, das in Österreich so viel Mist macht. Drei Prozent Kommunalabgaben gehören dazu, 4,5 Prozent Dienstgeberbeitrag zum Familienlastenausgleichsfonds, 1,53 Prozent für die Abfertigung neu, 6 Prozent für die Arbeitslosenversicherung, ein paar Zehntelprozent für den Insolvenzentgeltssicherungsfonds, ein halbes Prozent Arbeiterkammerumlage, Wohnbauförderungsbeiträge und manches andere mehr. Hierzulande ist man, man weiß es, sehr fantasievoll im Nehmen. Ob man freilich von all diesen Abgabenposten auch persönlich etwas hat, zumal etwas Gutes, steht freilich auf einem anderen Blatt und eignet sich trefflich zur Diskussion.

Das Resultat ist bitter. Sehr bitter. Nicht nur für den Dienstnehmer, der so viel mehr machen könnte, wenn er nur mehr von seinem eigentlichen Gehalt bekäme. Bitter ist es auch für die Unternehmen und damit für die Wirtschaft des ganzen Landes.

Für die Wirtschaft sind diese immens hohen Kosten ein Wettbewerbsproblem, das für massive Benachteiligung gegenüber der internationalen Konkurrenz sorgt. Österreich hat damit ein massives Problem. Denn diese internationale Konkurrenz hat meist deutlich weniger Kosten zu tragen. Während bei uns der Anteil der Steuern und Abgaben an den Arbeitskosten bei knapp 50 Prozent liegt, beträgt der Durchschnitt der OECD-Länder gerade einmal knapp 36 Prozent. Das heißt nichts anderes, als dass bei uns die Belastung der Arbeit mit Steuern und Abgaben um rund ein Drittel höher liegt als im OECD-Schnitt. Nur in Belgien nimmt der Staat noch mehr als bei uns. Nun hält man sich zugute, dass die jüngste Steuerreform Besserung bringt. Das dürfte aber allenfalls vorübergehend der Fall sein, sind sich die Experten einig.

Aber das blendet man ohnehin lieber aus. Wieder einmal. Ganz im Sinn des heimeligen Selbstbetrugs.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 29. September 2016

Donnerstag, 22. September 2016

Überraschung, Überraschung



"Die FAZ hat mich eingeladen ausführlich zur Zukunft Europas zu schreiben", ließ Bundeskanzler Christian Kern zu Beginn der vorigen Woche über die sozialen Medien alle wissen. Man staunte. Ein Bundeskanzler des kleinen Österreich legte in der seriösen und international beachteten Frankfurter Allgemeinen Zeitung seine Ideen und Positionen dar. Noch mehr staunte man, als tags darauf dann auch noch Finanzminister Schelling interviewt wurde und dem Kanzler in die Parade fuhr, ihn zwar einen "linkslinken Ideologieträger" nannte, es aber nicht dabei beließ, sondern ihm sachlich auch seine Position und Sicht der Dinge gegenüberstellte.

Dass österreichische Politiker von internationalen Medien Raum bekommen und gefragt werden, gab es in den vergangenen Jahren kaum. Und es gab auch kaum etwas von der Art, was man in der FAZ zu lesen bekam. Und das noch dazu auf einem Niveau, das man kaum kannte und auch angesichts des täglichen Kleinkriegs, den man vorgeführt bekommt, auch gar nicht vermutete, denn es war auch nicht zum Fremdschämen.

Dort klare Vorschläge mit Ecken und Kanten, die freilegten, wie der sozialdemokratische Kanzler tickt, was er denkt und was er plant. Da der konservative Finanzminister, der ihm konterte und dem Kanzler seine Argumente entgegenstellte. Und man nahm dankbar zur Kenntnis, dass man sich offenbar doch über den Tag hinaus Gedanken zu großen und wichtigen Themen macht und dass man durchaus etwas zu sagen hat.

Es scheint ja doch heimische Politiker zu geben, die mehr drauf haben, als man hierzulande gemeinhin annimmt und die argumentieren können, wenn sie nur wollen. Man sah mit einem Mal Konturen, man lernte, woran man ist und es war klar wie selten zu erkennen, wer was will.

All das war eigentlich das, was der Wähler seit Jahren sucht und was er sich so oft wünscht.

Dass sich Kern dabei als astreiner Sozialdemokrat positionierte, ist ihm nicht übel zu nehmen. Und dass Schelling als Finanzminister, der aus der Österreichischen Volkspartei kommt, konservative Positionen vertritt, auch nicht. Alles andere wäre nur irritierend und überraschend gewesen.

Es gab eine Ahnung davon, wie heimische Politik sein könnte. Wie sie auch sein könnte, wenn nicht alleine das Schielen nach Schlagzeilen und Quoten oder gar Bösartigkeit und Hass das tägliche Tun bestimmen.

Auf Letzteres musste man freilich nicht wirklich lange warten. Schon tags drauf brach der Sturm los und gab sich der Koalitionspartner ÖVP beleidigt und viele Kommentatoren geißelten als "Plattheiten" und "Griff in die ideologische Mottenkiste", was die beiden heimischen Spitzenpolitiker von sich gaben.

Es kann nicht sein, was nicht sein darf, scheint der Leitsatz zu sein, an dem sich alle am politischen Geschehen Beteiligten nachgerade zwanghaft orientieren.

Mag sein, dass alles auch der Vorbereitung von Neuwahlen diente und zur Stärkung der eigenen Position, Verwerfliches ist daran nicht zu finden. Dass der eine Positionen vertritt, die als links gelten und der andere welche, die als rechts gelten, sollte kein Grund zur Häme oder gar für eine Koalitionskrise sein. Entscheidend sollte ja sein, wie sie im politischen Alltag damit umgehen, wie es gelingt, diese Vorstellungen in der Koalition, in der man sich befindet, und die ideologischen Unterschiede ohne Scheuklappen auf einen Nenner zu bringen, statt sie umzubringen. Es geht nicht darum, dass der eine den anderen, respektive die eine die andere Partei niederringt, sondern es sollte darum gehen, einen Ausgleich zu finden und beide Seiten leben zu lassen, mit Hausverstand die Dinge voranzutreiben und zu wirksamen und tragfähigen Lösungen zu kommen.

Genau da aber gibt es wenig Anlass zu Hoffnung. Denn viel zu schnell ist man aus dem in internationalen Höhen angestoßenen Diskurs wieder in den Tiefen der heimischen Politik-Kultur gelandet. Und die ist, man weiß es und leidet daran, übel. Da geht es nicht darum, den anderen einzubinden und auch leben zu lassen, sondern da geht es viel zu oft ums Niederringen, ums Schlechtmachen und ums Anpatzen.

Da ist man weit weg von dem, was man da in der Vorwoche unter so viel Beachtung international durchblitzen ließ. Die Vorgänge rund um die Gestaltung der Presseauftritte und um den Ministerrat sind genauso Beleg dafür, wie der Streit um über die künftige Gestaltung der Gewerbeordnung.

Alles andere wäre freilich ohnehin überraschend gewesen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 22. September 2016

Freitag, 16. September 2016

Die Bauern brauchen und verdienen Verständnis



Landwirtschaft ist mehr als das sprechende Schweinderl aus der Werbung. Das ist in Vergessenheit geraten.

Hans Gmeiner

Positive Meldungen aus der Landwirtschaft sind rar. Schon seit Jahren. Daran ändert auch nichts, dass man bei Milch und Schweinefleisch von einer Wende auf den Märkten spricht.

Wie drückend und bedrückend die Lage auf den heimischen Bauernhöfen ist, bestätigte erst der jüngst veröffentlichte „Grüne Bericht“. Zum vierten Mal in Folge gingen die bäuerlichen Einkommen zurück. Jahr für Jahr geben Tausende Bauern auf. Weil sie wirtschaftlich nicht mehr können oder weil die Jungen keine Perspektive sehen.

Das Verständnis der breiten Bevölkerung hält sich dennoch in Grenzen. Dort weiß man es meist ohnehin besser. Spezialprodukte erzeugen, ab Hof verkaufen, was in den Ställen, Gärten und Feldern heranwächst, und das möglichst bio und ohne Chemie und am besten möglichst ohne Technik, so lauten die Ratschläge in der Regel. Dann gehe das schon, da gebe es ja enorme Marktchancen.

Da keimt im Bauern schon einmal die Frage auf, warum all die Produkte, die im öffentlichen Diskurs hochgelobt werden und die mit perfekter Marketingmaschinerie und Millionen an Werbegeldern auf den Märkten gepusht werden, bis auf wenige Ausnahmen immer noch keinen größeren Anteil an der Gesamtproduktion haben als zehn Prozent.

Und er fragt sich, was ein Milchbetrieb ganz hinten im Tal oder irgendwo im Alpenvorland, wo nichts als Gras wächst, weitab von der Stadt, denn tun soll, wenn die Preise auf einmal nicht mehr recht zum Leben reichen. Wenn er das Geld nicht hat, um den Stall auf die Anforderungen umzubauen, die man sich in der Stadt ausgedacht hat. Oder es zu teuer wäre, die entsprechenden Maschinen anzuschaffen und die Leute zu zahlen, die er dann bräuchte.

Aber daran denkt man wohl nicht dort, wo man die Bauern, zumal jene, die konventionell produzieren, nicht versteht und nicht verstehen mag. Wo man sie eher als Folklore zu sehen scheint, von denen man die Erfüllung eigener Jugendträume erwartet, als jene, die für die Ernährung sorgen im Land. Tag für Tag und zu einem günstigen Preis und unter Einhaltung aller Gesetze und Auflagen.

Allein aus diesem Grund sollte man der Landwirtschaft wieder jene Position zugestehen, die ihr zusteht, und sie ernst nehmen. Und zwar die Landwirtschaft in allen Ausformungen. Die Anforderung ist freilich groß. Aber man muss sich ihr stellen. So, wie sich die Bauern den Anforderungen stellen, die sich an sie richten.

Salzburger Nachrichten, 16. September 2016, Seite 1

Bringt Milch bald wieder Geld?



Die ruinöse Talfahrt der Milchpreise brachte Bauern nicht nur in Österreich an den Rand der Existenzkrise.Jetzt gibt es erste Hoffnung: Da die Produktion zurückgefahren wurde, steigen die Preise leicht.

Hans Gmeiner

Mondsee. Seit einigen Wochen haben sich die Milchpreise auf den internationalen Märkten stabilisiert. Auf den Spotmärkten gingen die Preise manchmal sogar, wie es ein Marktkenner formuliert, „durch die Decke“. Ob die ruinöse Talfahrt der Milchpreise, die viele Bauern nicht nur in Österreich um ihre Existenz bangen ließ, nun wirklich gestoppt ist, getraut sich noch niemand zu sagen. „Vielleicht ist es nur ein Zwischenhoch, vielleicht ist es mehr, wir wissen es nicht“, sagte am Donnerstag Gerhard Woerle, Chef von Österreichs größter Privatmolkerei mit Sitz in Henndorf am Wallersee, bei einem Pressegespräch in Mondsee, wo sich bis heute, Freitag, die heimische Milchbranche zu ihrer traditionellen Milchwirtschaftlichen Tagung traf.

Derzeit scheinen die Zeichen für eine Erholung der Preise jedenfalls gut zu stehen. Seit Wochen zeigen alle internationalen Indizes nach oben. Im August zog der FAO-Preisindex für Milch- und Milchprodukte um 8,6 Prozent an. Auch der Global Dairy Trade Index legt bereits mehrere Monate hintereinander zu. Weil die Bauern die Produktion wegen der schlechten Preise zurückschraubten und die Fütterung umstellten, um Kosten zu sparen, gibt es plötzlich sogar einen Fettmangel. „Die Preise bei Produkten wie Butter und Käse, bei denen der Fettgehalt eine wesentliche Rolle spielt, steigen“, sagte Helmut Petschar, Sprecher der heimischen Molkereien und Chef der Kärntner Milch. Das Niveau von 2014 sei zwar noch nicht erreicht, aber in nächster Zeit sollte es auch für die Milchbauern Preiserhöhungen geben.

Schon im August hob die niederösterreichische NÖM die Preise geringfügig um einen Cent pro Kilogramm auf 30,17 Cent brutto an. Anfang September folgte auch die SalzburgMilch und legte ebenfalls einen Cent drauf. Anfang Oktober wird ein weiterer Cent folgen.

Stolz ist die heimische Milchwirtschaft, die sich immer wieder Vermarktungsschwäche und das Festhalten an überholten Strukturen vorwerfen lassen muss, darauf, dass sie im Vorjahr im Schnitt rund fünf Cent pro Kilogramm Milch mehr auszahlte als die deutschen Molkereien. Am deutlichsten sei der Unterschied bei Biomilch, aber auch bei konventioneller Milch habe man um fast drei Cent mehr gezahlt, sagt Petschar. „Für die heimischen Milchbauern sind das 100 Millionen Euro, die sie mehr haben als ihre deutschen Kollegen.“

Für die Landwirte ist das freilich nicht viel mehr als der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein. Allein im vergangenen Jahr betrug der Rückgang der Erzeugermilchpreise im Schnitt mehr als zehn Prozent. Über zwei Jahre gesehen liegt das Minus sogar bei 25 Prozent. Damals lag der Milchpreis an der magischen 40-Cent-Marke. Lediglich Biomilch, Heumilch und andere spezielle Arten von Milch kamen ungeschoren durch die Preiskrise.

Einmal mehr fordert Petschar Unterstützung vom Handel, um die Milchwirtschaft und die Bauern bei der Trendwende zu unterstützen. „Es kann nicht sein, dass wir Preissenkungen auf dem Milchmarkt sofort weitergeben müssen, bei Preiserhöhungen aber auf entsprechende Anpassungen warten müssen.“

Ausschlaggebend dafür, dass der Preisrückgang zum Stillstand kam, war die Verringerung der Milcherzeugung auf den Bauernhöfen. Noch im ersten Quartal dieses Jahres lag die Produktion der heimischen Bauern um bis zu zehn Prozent über dem Vorjahresniveau. Im Juli hingegen gab es nur mehr ein Plus von 0,4 Prozent. Europaweit gab es eine ähnliche Entwicklung.

Das führt nun dazu, dass man mit der geplanten Lieferverzichtsprämie, die Milchbauern europaweit und auch in Österreich zur Beschränkung ihrer Produktion bringen soll, in der Milchwirtschaft nicht wirklich glücklich ist. „Wir Verarbeiter hätten dieses EU-Milchpaket früher gebraucht“, sagen Petschar und Woerle. Die Umsetzung dauere zu lang.

Hinter vorgehaltener Hand befürchtet man in der Branche sogar kontraproduktive Effekte und falsche Signale für den Markt. In Österreich haben sich bisher rund 700 Bauern zur Teilnahme am Lieferverzichtsprogramm angemeldet. Die Frist läuft noch bis 21. September. Man rechnet damit, dass insgesamt rund ein Drittel der 30.000 heimischen Milchbauern teilnehmen wird. Sie hoffen – wenn das Geld reicht –, 14 Cent für jedes Kilogramm Milch zu bekommen, das sie nicht liefern.

Grundsätzlich hält man in der Milchwirtschaft das Modell freilich nicht für schlecht. Man wünscht es sich sogar als fixen Bestandteil der Agrarpolitik. „So etwas sollte man per Knopfdruck in Krisensituationen abrufen können“, schlug Petschar vor. „Wir brauchen solche Steuerungsmaßnahmen.“

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 16. September 2016
 
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