Donnerstag, 31. März 2016

Europas Politik-Opfer




Es hätte eine Demonstration der Stärke werden sollen und ein Signal der politischen Korrektheit. Längst ist es jedoch zu einem Problem geworden, das, wie so viele andere Probleme auch, das Fortkommen der Europäischen Union bremst und die Zweifel an ihrer Sinnhaftigkeit nähren. Es ist nicht die Rede von der Flüchtlingskrise, es ist die Rede von den Sanktionen gegen Russland, mit denen die EU dem russischen Präsidenten Putin die Stirn bieten und der Ukraine ihre Solidarität zeigen wollte.

Dieser Handelskrieg mag Russland schädigen und wehtun. Was er aber in den Ländern der Europäischen Union in den vergangenen bald zwei Jahren angerichtet hat, ist auch in zentralen wirtschaftlichen Bereichen zu einer massiven Belastung geworden, die zuweilen existenzgefährdende Ausmaße angenommen hat.

Sprechen freilich mag man darüber kaum. Die Schäden gehen längst in die zig Milliarden Euro. Viele Unternehmen mussten sich wieder aus dem kaufkräftigen Russland, in dem so viele Hoffnungen steckten, zurückziehen, weil es für sie dort keine Basis mehr gibt. Mühsam eroberte Märkte sind wieder verloren.

Keinen Wirtschaftszweig hat es so schlimm erwischt wie die Landwirtschaft. Es sind in der Hauptsache die Bauern, auf deren Rücken die EU ihr Mütchen an Putin kühlt und die die Folgen der Sanktionspolitik hauptsächlich tragen müssen. In Produktionssparten wie Fleisch oder Milch und Molkereiprodukte wurde ihnen die wirtschaftliche Basis unter den Füßen weggezogen. Die Märkte implodierten, Bauern und Verarbeiter bleiben auf ihren Produkten sitzen, die Preise stürzten ab auf ein Niveau, das mittlerweile für eine Vielzahl von Betrieben existenzbedrohend geworden ist.

Das ist aber nur die eine Seite der Medaille. Im Eifer zu helfen, hat man der Ukraine den europäischen Markt geöffnet -und damit die Bauern gleich noch einmal getroffen. Denn, wenn die Ukraine etwas kann, ist es Landwirtschaft. Und wenn sie etwas exportieren kann, sind es landwirtschaftliche Produkte. Getreide, Raps, Mais und Soja, gentechnisch verändert natürlich -alles kein Problem. Trotz der Krise im Land.

Das alles geschah ohne großes Aufsehen und ohne Protest all jener besorgten Bedenkenträger Europas, die nicht müde werden, die TTIP-Verhandlungen Brüssels mit Washington zu geißeln. Dabei ist die Ukraine nicht zehntausend und mehr Kilometer entfernt, sondern gerade einmal 2.000 und in wenigen Stunden erreichbar und das Abkommen mit diesem Staat in seiner Struktur durchaus mit TTIP vergleichbar.

Die Ukrainer dürfen sich glücklich schätzen, die europäischen Bauern hingegen müssen sich vor zusätzlicher Konkurrenz und damit zusätzlichem Preisdruck fürchten und können sich im Unterschied zu TTIP keine Hoffnungen auf neue Märkte machen. Getreide, Milch, Käse, Fleisch und solche Dinge braucht man dort nicht. Dafür kann man selbst liefern. Verkaufen können dort aber nicht nur die europäischen Bauern nichts. Auch für andere Wirtschaftszweige schaut es zappenduster aus. Die Ukraine ist für die Wirtschaft ein schlechter Tausch mit Russland. Ein politisch korrekter vielleicht, aber einer, der in seinen Folgen und Auswirkungen nicht zu vergleichen ist. Aussicht auf Veränderungen gibt es keine.

Die Europäische Union hat sich die nunmehrigen Probleme zum Teil auch selbst eingebrockt. Zu viele Versprechen und Abmachungen aus der Zeit rund um die Ostöffnung und die deutsche Wiedervereinigung hat man gebrochen, die Nato bis an die Grenzen Russlands ausgedehnt und der Ukraine einen EU-Beitritt in Aussicht gestellt. Bei einem Gegenüber wie Putin sind solche Dinge immer ein großes Risiko,

Wie die EU aus dieser Nummer wieder herauskommt, ist nicht abzusehen. Auch wenn die politischen Forderungen nach einem Einlenken mit Putin drängender werden, sind die Fortschritte im Verständnis der politischen Entscheidungsträger überschaubar. Untragbar ist mittlerweile, wie sehr die betroffenen Wirtschaftzweige und Unternehmungen von der EU mit ihren Problemen alleine gelassen werden. Die Bemühungen, die Schäden, die durch die Sanktionen ausgelöst wurden, einigermaßen einzugrenzen und den Betroffenen zu helfen, sind überschaubar. Genauso wie die Kapazitäten der EU, solche Probleme zu lösen.

Man mag darüber nicht reden. Wie noch vor wenigen Monaten über die Flüchtlingskrise. Die hat inzwischen, man weiß es, das Zeug, die Europäische Union zu sprengen.

Meine Meinung, Raiffeisenzeitung, 31. März 2016

Mittwoch, 30. März 2016

Neue Heimat für die Milchrebellen



Frühere Freie Milch Austria kam unters Dach der Bio-Molkerei Lembach.

Hans Gmeiner

Lembach. Laute Töne sind seine Sache nicht. Dabei stünden sie Johann Furtmüller durchaus an. In den vergangenen Monaten hat er die Bio-Molkerei Lembach – Österreichs größte Molkerei, die ausschließlich Biomilch verarbeitet – völlig neu aufgestellt. Endgültig unter Dach und Fach ist nun die Übernahme der „Freien Milch Austria“, die seinerzeit von den Milchrebellen rund um die IG-Milch gegründet wurde. Die 170 Lieferanten, die Betriebsanlagen in Steyr-Gleink und die zugehörigen Lkw wurden in die dafür gegründete Tochtergesellschaft Alpenmilch-Logistik übernommen. Neu geordnet wurden auch die Eigentumsverhältnisse. Nach dem Rückzug der bayerischen Molkerei Innstolz, die mit 75 Prozent beteiligt war, ist Furtmüller seit Mitte Februar Alleineigentümer der Molkerei, die nach dem EU-Beitritt Österreichs 1995 ursprünglich von zwölf Bauern gegründet wurde.

Schon in den vergangenen zwei Jahren kooperierte die Bio-Molkerei mit der „Freien Milch“, weil man binnen kurzer Zeit die angestammten Lieferanten aus der Umgebung der Molkerei an bayerische Molkereien verlor, die mehr zahlen konnten. „Unsere Milch kommt jetzt aus Murau genauso wie aus Waidhofen an der Ybbs oder Bad Leonfelden“, sagt Furtmüller. „Die Übernahme der Freien Milch war logisch, um die Rohstoffbasis zu sichern.“

Insgesamt liefern die Bauern jeweils zehn Millionen Kilogramm Biomilch und konventionelle Milch. „Davon verarbeiten wir fünf Millionen Kilogramm Biomilch selbst. Alles andere verkaufen wir an andere Molkereien weiter“, sagt Furtmüller. So ist etwa die Pinzgauer Molkerei wichtiger Abnehmer von konventioneller Milch. „Innstolz bleibt weiter als Kooperations- und Vertriebspartner erhalten.“

Mit Ausdauer, einer breiten Produktpalette und der Marke „Besser Bio“ hat sich die Bio-Molkerei Lembach einen festen Platz zwischen den Großen der Branche gesichert. Auf der Kundenliste stehen neben Bio-Fachhändlern Krankenhäuser und Altenheime bis ins ferne Wien. Diese Großküchen beliefern die Mühlviertler, die in der neuen Konstellation insgesamt 17 Mitarbeiter beschäftigen, in speziell darauf abgestimmten Gebinden und öffneten sich damit einen eigenen Markt.

Vom derzeitigen Biomilch-Boom will sich Furtmüller nicht scheu machen lassen. „Wir haben das Unternehmen kontinuierlich entwickelt“, sagt er. „Wir brauchen uns nicht zu verbiegen.“ Mit einer jährlichen Wachstumsrate von fünf bis zehn Prozent ist er zufrieden.

Donnerstag, 17. März 2016

Schuss ins Knie



Es geht gerade ein Aufschrei durch das Land. Wieder einmal. Diesmal sind es die Vereine, die lautstark ihren Unmut kundtun. "Trachtler im Schwitzkasten der Bürokraten", heißt es da. Oder: "Man ruiniert die Vereine." Oder: "Wir verlieren jede Menge an freiwilligen Helfern, die ehrenamtlich mitarbeiten und sich die Zettelwirtschaft nicht mehr antun wollen."

Die Registrierkassenpflicht war nur der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Längst sind die Vorschriften und die Bürokratie auch für die Vereine und Freiwilligen-Organisationen zu einem schier undurchdringlichen Dschungel geworden. Überzogene Hygiene- und Sicherheitsauflagen, Finanzstrafen und viele andere Untergriffe zerren an Nerven und Geduld der Verantwortlichen. Finanz und Krankenkassen fahnden nach Beitragszahlern, Berufsvereinigungen wittern verdeckte Schwarzarbeit, die Gerichte urteilen streng bei Schadenersatz und strafrechtlicher Haftung. Reihenweise werden derzeit Veranstaltungen abgesagt, weil es den Verantwortlichen und allen anderen, die sich freiwillig für einen gute Sache engagieren wollen, reicht.

Zuweilen drängt sich der Eindruck auf, als wolle man vorsätzlich jede Eigeninitiative ausradieren. Da ist nichts mehr von der "Ehrensache Ehrenamt". Das Maß scheint verloren gegangen zu sein. Freilich sind in den vergangenen Jahren mitunter Missstände eingerissen. Und freilich sind die Klagen vor allem der Gastwirte verständlich, die, selbst von der Bürokratie geknechtet, in den Aktivitäten von Vereinen oder anderen Gemeinnützigen Organisationen zuweilen eine unlautere Konkurrenz sehen. Aber statt auch dort für Entlastung zu sorgen, tut man alles, um auf der anderen Seite den Bogen zu überspannen.

Es ist nicht viel geblieben von den Reden, die man noch vor fünf Jahren aus Anlass des Jahres der Freiwilligenarbeit geschwungen hat. Da gilt eher der Satz: "Der bürokratische Drang, alles bis ins kleinste Detail zu regeln, verhindert oft vernünftige und menschliche Lösungen."

Das verwundert nicht in einem Land wie Österreich, das aus Tradition zu einem übergroßen Maß an Bürokratismus neigt. Das verwundert aber in einem Land wie Österreich, in dem so viele zentrale Aufgaben des öffentlichen Lebens auf Freiwilligen-Organisationen verteilt sind. Das beginnt bei der Feuerwehr, geht übers Rettungswesen, in viele Bereiche der sozialen Hilfe und reicht bis hin zu den vielen Festen und Veranstaltungen, an denen in vielen Landstrichen der Tourismus hängt, und mit denen viele der ehrenamtlichen Gruppen selbst Geld für die Erfüllung ihrer Aufgaben und Ziele auftreiben.

Dass man genau diesen Gruppen und Organisationen das Leben immer schwerer macht, ist nur schwer verständlich. Es verhält sich wie mit dem sprichwörtlichen Schuss ins Knie. Denn dass sie mit ihrer Arbeit dem Staat viel Geld ersparen, wird genauso ausgeblendet, wie man die Bemühungen, sich zumindest zu einem Teil selbst zu finanzieren, ganz offensichtlich nur sehr gering schätzt.

Das ist schade, aber das fügt sich ins Bild. Denn diese Diskrepanz zwischen den öffentlichen Bekundungen und dem tatsächlichen Handeln tut sich nicht nur beim Ehrenamt auf. Sie gilt bei allem, was in diesem Land mit Eigeninitiative zu tun hat. "Geht nicht", heißt es da zuallererst, "gibt's nicht" und "Vorschrift ist Vorschrift". Alles scheint allein darauf angelegt, etwas zu verhindern und nur wenig darauf, unterstützend und helfend für die Umsetzung eines Vorhabens oder Anliegens zu wirken.

Nicht viel anders ist es mit der Leistungsbereitschaft, die immer wieder eingefordert wird. Leistung zählt dennoch wenig in diesem Land. Wir wissen es. Besonders eindrücklich beschreibt ein Beispiel einer jungen Maturantin, was schief läuft, das dieser Tage in einer Zeitung zitiert wurde. Dass sie das Maturajahr mit ausschließlich "Sehr gut" abschloss, wird hierzulande nicht honoriert. Auch für sie führte kein Weg am Aufnahmetest für das Medizinstudium vorbei, der nicht zuletzt deswegen notwendig wurde, weil es zahllose deutsche Numerus-Clausus-Flüchtlinge wegen ihres schlechten Noten-Durchschnitts einfach in Österreich probieren, doch noch zu einem Studienplatz zu kommen.

Die junge Wienerin wollte das nicht akzeptieren. Sie drehte den Spieß um und bewarb sich in Düsseldorf. Dort wurde sie sofort genommen. In Österreich wird sie später wohl kaum arbeiten.

Meine Meinung, Raiffeisenzeitung, 17. März 2016

Donnerstag, 10. März 2016

Alles Baumeister?



Als Richard Lugner in aller Öffentlichkeit und ungefragt spekulierte, welche Regierung er angeloben würde und welche nicht, schüttelte man noch den Kopf. Jetzt machen andere auch den Lugner. Der FPÖ-Kandidat Norbert Hofer schwadronierte in einem Interview ganz offen darüber, dass er eine Regierung entlassen würde, die seinen Ideen nicht folgt. Und dann hat sich auch noch Alexander Van der Bellen verheddert. Der Herr Professor brachte sich in Erklärungsnotstand und zog sich Häme und Empörung namentlich der FPÖ und der ÖVP zu, als er öffentlich damit liebäugelte, den Nationalrat aufzulösen, wenn die FPÖ die absolute Mehrheit hätte und sich dabei auf die Verfassung berief, die nicht vorsehe, dass die stimmenstärkste Partei automatisch mit der Regierungsbildung beauftragt werde. Van der Bellen wolle kein Demokrat sein, keppelte FPÖ-Generalsekretär Kickl umgehend zurück. Und ÖVP-Generalsekretär Peter McDonald erregte sich darüber, dass das "demokratiepolitisch höchst bedenklich und besorgniserregend" sei, und dass Van der Bellen "für ihn unerwünschte Wahlentscheidungen der Österreicherinnen und Österreicher nicht akzeptieren würde".

Die Lugnerisierung des Wahlkampfs um das höchste Amt im Staate ist in den vergangenen Wochen voll in Fahrt gekommen. Fast alle machen ungeniert und sehr beherzt mit. Und der Wiener Baumeister hat daran, so weit muss man ihn in Schutz nehmen, die geringste Schuld. Um Stimmen zu machen, ist vor allem den Herr-Schaften, die sich an diesem Bewerb beteiligen, offenbar nichts zu dumm. "Alles Baumeister" heißt die Devise.

Dieser Tage stritten Van der Bellen und Hundstorfer wie die Schulbuben darüber, wer was wie gesagt hat und ob das eine Beleidigung sei. Aus der Steiermark wurde überliefert, dass sich dort Andreas Khol in einer Bauernversammlung dem Landvolk mit einer erweiterten Version seines Satzes "Ich mag das Land, ich mag die Leut" anbiederte. "Ich mag das Land, ich mag die Leut und ich mag die Küh" sagte er dort, und man ist froh, dass er nicht "Rindviecher" sagte, weil das hätten die Bauern ja eventuell auch anders interpretieren können.

In diese Kategorie fällt auch, in welche Bedeutung sich manche Kandidaten nachgerade kraftmeierisch hineinzureden versuchen. Ganz so als ob man nicht wüsste, dass das Amt in diesem Land ganz anders ausgelegt ist und der Bundespräsident hierzulande weder ein Ersatzkaiser und Übervater ist noch der schrankenlose Potentat, der offenbar mancher der Kandidaten gerne sein möchte.

Es sind freilich nicht immer die Kandidaten schuld an der Lugnerisierung. Da fragte doch tatsächlich eine große heimische Tageszeitung, noch dazu nicht kleinen Formats, alle Kandidaten nach dem seinerzeitigen Berufswunsch, ob sie heimlich noch mit Schilling rechneten oder ob sie gegrillte Ameisen essen würden.

Man fasst es nicht. Mitunter drängt sich der Eindruck auf, als wollten alle inklusive der Kandidaten selbst dem Amt des Bundespräsidenten den Todesstoß versetzen. Und man ist geneigt, für all die Verständnis aufzubringen, die schon lange meinen, man solle das mit dem Bundespräsidenten lassen und das Amt auflösen, weil es niemand brauche.

Sechs Wochen dauert jetzt der Wahlkampf noch. Und so mancher Beobachter ist schon jetzt ermattet. Bereits jetzt seien den Kandidaten und Journalisten die Themen ausgegangen, schrieb sich dieser Tage ein Kommentator seinen Frust von der Seele. "Daher schleppt sich die Auseinandersetzung seit Tagen im Was-wäre-wenn-Bereich dahin."

Wenn es nur das wäre. Schlimmer als alles Genannte zusammen ist, dass, wie alle Wahlen in diesem Land, auch diese Wahlen über Monate die politische Arbeit lähmen. Nichts geht mehr und nichts will man mehr angreifen vor dem Wahlgang Ende April, um sich keine Chancen zu verbauen. Die Ergebnisse des Pensionsreform-Gipfels in der Vorwoche sind traurig-drastischer Beleg dafür. Und auch, dass man Ende Februar eine Nationalratssitzung absagte. Mangels aktueller Themen, wie es hieß. Ganz so, als ob es nichts zu tun gäbe in diesem Land.

Wir wissen, dass das nicht der Fall ist. Darum - erspart uns die aufgeblasenen Kraftmeiereien, die sinnentleerten aufgeregten Diskussionen und die billigen Auftritte und arbeitet lieber. Nicht für eure Kandidaten, sondern für das Land. Und lasst die Kirche im Dorf, wenn es um das Amt des Bundespräsidenten respektive der Bundespräsidentin und um die damit verbundenen Aufgaben und Bedeutung geht.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 10. März 2016

Montag, 7. März 2016

"Europa macht eine falsche Agrarpolitik"



Europas Landwirtschaft lässt Potenzial für die Produktion ungenutzt. Der Kontinent ist damit stark von Importen abhängig geworden.

Hans Gmeiner

Linz. In Österreich, Deutschland und in den meisten anderen Staaten Europas pflegt man seit Jahren ein eher romantisierendes Bild von der Landwirtschaft. Moderne Produktionsmethoden, Technik und Agrarchemie haben darin kaum mehr Platz. Seit Jahren ist nicht zuletzt deswegen die Extensivierung der Produktion mit Flächenstilllegungen und engen Grenzen für Tierbestände und Düngung Leitlinie der EU-Agrarpolitik.

Weil man das Produktionspotenzial nicht ausnutzt und die Versorgung der Konsumenten mit preisgünstigen Lebensmitteln dennoch nicht gefährden will, hat diese Politik freilich einen gewaltigen Pferdefuß. „Wissen Sie, wer weltweit der größte Landräuber, ist?“, fragt Hans Jöhr, der beim weltgrößten Lebensmittelkonzern Nestlé für den Bereich Landwirtschaft zuständig ist. „Es ist nicht China oder Indien, es ist Europa“, sagt er dann mit einem Anflug von Triumph in der Stimme. „40 Prozent der Ackerfläche, die für die Versorgung des Kontinents nötig ist, liegen außerhalb Europas.“ Der größte Teil davon entfällt auf Sojabohnen, ohne die in Europa insbesondere die Erzeugung von Schweinen und Geflügel auf dem derzeitigen Niedrigpreisniveau nicht denkbar wäre. Der alte Kontinent ist aber auch weltweit zweitgrößter Abnehmer von Palmöl als billigem Fettersatz in der Nahrungsmittelindustrie und Nettoimporteur von Rindfleisch, Mais und Baumwolle. Nettoexporteur ist man hingegen nur bei Gerste, Weizen, Olivenöl und Schweinefleisch. „Es gibt keinen anderen Kontinent, der auf mehr Importe pro Kopf angewiesen ist als Europa“, sagt der Agrarexperte im SN-Gespräch.

Für Jöhr, dessen Konzern global tätig ist und der ob seiner Praktiken mitunter heftig in Kritik steht, ist klar: „Die europäische Agrarpolitik ist falsch.“ Er ist mit dieser Einschätzung nicht allein. „Europa schafft sich ab“, warnen Agrarexperten immer wieder. Sie treibt die Sorge um, dass die europäische Landwirtschaft international den Anschluss verliert und immer tiefer in die Abhängigkeit von Importen schlittert. So gebe es kaum Bemühungen, von der Import-Abhängigkeit bei Soja wegzukommen. Zudem schwächten die vielen Auflagen und Beschränkungen die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Landwirtschaft, warnen Vertreter der Branche, ebenso wie vor der Abhängigkeit bei vielen Technologien. So würden sich die großen Pflanzenschutzmittelhersteller bereits aus Europa zurückziehen und sich verstärkt an den USA orientieren. „Für Europa werden etwa kaum mehr spezielle Wirkstoffe entwickelt“, sagt Nestlé-Experte Jöhr.

In Europas Agrarpolitik wächst der Handlungsbedarf. Die Strategie, einen Gutteil der Produktionslast und der Verantwortung für die Umwelt einfach auszulagern, sich einfach anderswo zu bedienen und, wie es oft passiert, dann auch noch mit spitzen Fingern auf solche Länder zu zeigen, hat ein Ablaufdatum.

Das gilt auch im Hinblick auf die Sicherung der Welternährung. „Wir sind schon jetzt theoretisch in der Lage, zehn Milliarden Menschen zu ernähren“, sagt Löhr. Dazu gelte es aber alle Möglichkeiten zu nutzen. Er redet dabei nicht einer schrankenlosen Industrialisierung der landwirtschaftlichen Produktion das Wort, sondern der sogenannten nachhaltigen Intensivierung. Dabei gelte es die Produktion auszubauen und gleichzeitig die Umweltbelastung und die Verschwendung von Ressourcen zu minimieren. Löhr, der politische Interventionen für eine größere Gefahr für die Welternährung hält als den Klimawandel, sagt: „Lasst die Ingenieure und Fachleute arbeiten.“ Bei der Sicherung der Welternährung gehe es aber auch um das Schaffen von Kaufkraft und Infrastruktur in Regionen mit Aufholbedarf und um Fortschritte bei der Bekämpfung von Verschwendung und dem Vermeiden von Ernte- und Transportverlusten.

Darauf, dass Bauern wegen der wachsenden Weltbevölkerung auf höhere Preise für ihre Produkte hoffen dürfen, will sich Jöhr nicht festlegen. Er konzediert aber: „Lebensmittel sind zu billig und die Preise dafür nicht nachhaltig, viele Bauern kommen zu kurz.“ Die Strukturen würden sich ändern, „aber Bauern wird man immer brauchen“.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 7. März 2016

Donnerstag, 3. März 2016

Die verkehrte Welt der Bauern



Das Transatlantic Trade and Investment Partnership-Abkommen, respektive das dafür verwendete Kürzel TTIP, bringt in diesem Land viele auf die Palme, sobald es nur von irgendwem in den Mund genommen wird. Auch unter den Bauern. Dort sind es vorzugsweise jene, die ihr Geld mit Sonderkulturen und Spezialitäten verdienen und jene, die biologisch wirtschaften. Dabei sind es wohl kaum sie, die sich vor offenen Märkten und einer direkten Konkurrenz aus Übersee fürchten müssen. Viel eher wohl bietet ihnen das, was sie befürchten und wovor sie warnen, die Möglichkeit sich noch besser auf den Märkten mit ihren Produkten zu profilieren und Geschäfte zu machen. Auf dem Heimat-Markt und vielleicht dereinst auch gar einmal im schlagzeilenträchtig so gehassten Amerika.

Gleiches gilt übrigens auch für die großen Lebensmittelhandelsketten, die ob der "Gefahr aus Übersee" gerne medienwirksam Krokodilstränen verdrücken und sich dabei auch noch willig und voller Mitleid für die bedrohten "kleinen" Bauern ablichten lassen. Das ist freilich nichts als PR, die das Image aufpolieren soll. Davon, dass sie es sind, die sie mit ihrer Einkaufspolitik schon jetzt zu den Schwierigkeiten der heimischen Landwirtschaft beitragen, ist da selbstverständlich keine Rede. Und nicht davon, dass sie es sind, die mit ihren Billig-Importen das heimische Preisgefüge unter Kontrolle halten, wenn ihnen die Preise gar zu hoch werden. Und so, wie sie das tun, werden sie wohl keine Sekunde zögern Chlorhendl und Hormonsteaks möglichst schnell in ihren Regalen zu haben. "Lederhose grüßt Cowboyhut" wird es dann vielleicht heißen. Aber davon ist jetzt natürlich keine Rede.

Jene Bauern hingegen, die das Transatlantische Abkommen zwischen der Europäischen Union und den USA wirklich fürchten müssen, weil es ihnen, wenn es denn einmal beschlossen sein sollte, scharfe Konkurrenz über den Atlantik bringt, schauen dem Treiben um die Verhandlungen seltsamerweise ruhig und ziemlich unbeteiligt zu. Inklusive ihrer Vertretung, sei dazu gesagt, die, weil sie nicht direkt am Verhandlungstisch sitzt, mit Informationen aus zweiter und wohl viel öfter aus dritter Hand die Stimmung zu lenken und den Anschein Politik zu machen versucht.

Das scheint typisch geworden zu sein in der Welt der Landwirtschaft, die zunehmend eine verkehrte wird. Ganz ähnlich wie bei TTIP läuft es, wenn es um die Verteidigung von Produktionsformen und Produktionsmethoden geht. Auch da stehen meist just jene ganz vorne an den Verteidigungslinien, wenn irgendwo industrielle Produktionsformen verteufelt werden, die selbst am meisten darunter leiden. Und unter den Protestierenden finden sich vorzugsweise jene, die davon eigentlich profitieren. Das gilt, wenn es um konventionelle und um biologische Landwirtschaft geht und das zeigten jüngst die Reaktionen auf den jüngsten TV-Beitrag über die Herkunft des Schnitzels eindrücklich.

Und diesem Muster folgen auch die Reaktionen auf Lebensmittelskandale, die bei Verarbeitern oder im Handel ihre Ursache haben. Auch da sind zumeist die die Bauern die ersten, die sich angegriffen fühlen, und im Handumdrehen zur Verteidigung und Erklärung ausrücken und damit die ganze Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Die Verarbeiter und Händler hingegen, die das verursacht haben, ziehen sich hingegen meist vornehm zurück und kassieren in aller Ruhe weiter.

Man kann das alles für normal halten und mit den Schultern zucken. Nachdenken darüber sollte man vielleicht doch. Zumal als Landwirt.
 
Gmeiner meint - Blick ins Land, 3. März 2016

Selbstzerstörungstrieb?



Das Ansehen von Politikern hierzulande ist, vornehm gesagt, verbesserungswürdig. Die Gründe dafür sind fehlende Ideen, Kompetenz und Durchsetzungsvermögen, mangelndes Wissen, ewige Wiederholungen von Versprechen und vieles andere mehr. Es geben zwar alle vor, daran zu arbeiten. Doch die Bemühungen verlaufen bislang im Sand. Das nimmt auch nicht Wunder. Praktisch Tag für Tag liefert man Beispiele dafür, dass sie das verbesserungswürdige Ansehen zu Recht haben. Erst kürzlich gaben wieder zwei Regierungsvertreter ein eindrücklich einschlägiges Schauspiel, als vor laufenden Kameras die Differenzen zwischen Ministerin Mikl-Leitner und Minister Doskozil über die Zahl der Flüchtlinge, die man in Österreich täglich hereinlassen will, offenbar wurden.

Es ist nicht das einzige Schauspiel dieser Art, mit der sich hierzulande die Politik nachgerade triebhaft gerne bloß stellt und ihr eigenes Ansehen demontiert. Ein besonders schönes, ja nachgerade exemplarisches Beispiel für diesen offenbar unbremsbaren Trieb der heimischen Politikerschar lieferten dieser Tage auch der Wirtschaftsminister und der oberösterreichische Wirtschaftslandesrat. Dieses Beispiel ist, das sei angefügt, willkürlich herausgenommen und dadurch relativiert, dass es in jeder Partei und mit jedem Politiker in diesem Land dem gleichen Muster folgend, tägliches Brot in der heimischen Politik ist - was freilich in keiner Weise Nachsicht angebracht macht.

Nach einem Arbeitsgespräch in Linz versuchte, die beiden angeführten Herren mit der öffentlich erhobenen Forderung "Der Bürokratieabbau muss rasch vorangetrieben werden, um das Wirtschaften in Österreich zu erleichtern" Problembewusstsein zu signalisieren und Engagement wohl auch. Schlagkraft zu signalisieren kann kein Motiv gewesen sein. Denn dann hätten sie wohl besser geschwiegen und im Stillen ihre Arbeit gemacht, wie auf Facebook manch staunender Bürger befand. Gerade diese beiden.

Ein "User", wie bei Facebook die Bürgerinnen und Bürger heißen, legte den Finger schonungslos in die Wunde. "Recht glaubwürdig kommt die Sache mit der Forderung nach Bürokratieabbau für die Öffentlichkeit nicht herüber, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass die ÖVP im Land Oberösterreich seit 1945 den Landeshauptmann stellt und somit seit 71 Jahren Verantwortung trägt", erinnert er die beiden Herren an die bereits Jahrzehnte währende Verantwortung für die Politik, die in diesem Land gemacht wird. Zudem sei die ÖVP im Bund "auch schon knapp 29 Jahre Teil der Regierung" und werde der Wirtschaftsminister "in diesen fast drei Jahrzehnten ausschließlich aus den Reihen des Wirtschaftsbundes rekrutiert."

Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Nur eine Anmerkung zum letzten Satz des frustrierten "Users", der "Aber die Hoffnung stirbt zuletzt ..." lautete. Viele in diesem Land sehen das längst anders. Für viele ist die Hoffnung schon gestorben. Viele haben die Nase gestrichen voll von Ankündigungen und Beteuerungen wie den obigen, die sie seit Jahren und Jahrzehnten hören - gerade, was den Abbau der Bürokratie in diesem Land angeht. Nicht nur die Wirte finden den Ruf nach Bürokratieabbau von Repräsentanten einer Partei, die seit Jahrzehnten regiert, als Hohn.

Die bürokratischen Hürden in diesem Land sind zahllos. Man weiß es. Und dennoch bringen sie einen immer wieder aufs Neue zum Staunen. Eine Auswahl an Meldungen aus der jüngsten Vergangenheit reicht. Österreichs Unternehmen kostet alleine das Ausfüllen von Fragebögen der Statistik Austria rund 10.000 Arbeitstage, fand jüngst wieder die Industriellenvereinigung heraus. Eine Baugenehmigung dauere in Österreich 192 Tage und habe elf Verfahrensschritte, und 166 Stunden pro Jahr müsse in Österreich ein Unternehmen allein für Steuererklärungen aufwenden. Und, die Krone gleichsam, in Wien wurde ein Wirt zu einer Strafe von 1.485 Euro verurteilt, "weil die Nichtraucherschutz-Kennzeichnung in Form eines entsprechenden Aufklebers an der Eingangstür fehlte".

Vor diesem Hintergrund ist es freilich allen Umständen und aller Vergangenheit zum Trotz begrüßenswert, wenn jemand in diesem Land fordert, den Bürokratieabbau voranzutreiben und dann auch noch gleich ein Maßnahmenpaket ankündigt. Alleine, man mag nicht recht an die Ernsthaftigkeit glauben und an einen Erfolg schon gar nicht. Aus Erfahrung. Aber auch, das sei gesagt, weil es in diesem Land immer noch viel zu viele gibt, die mit Inbrunst alles daran setzen, sich dagegen zu wehren.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 3. März 2016
 
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