Montag, 7. März 2016

"Europa macht eine falsche Agrarpolitik"



Europas Landwirtschaft lässt Potenzial für die Produktion ungenutzt. Der Kontinent ist damit stark von Importen abhängig geworden.

Hans Gmeiner

Linz. In Österreich, Deutschland und in den meisten anderen Staaten Europas pflegt man seit Jahren ein eher romantisierendes Bild von der Landwirtschaft. Moderne Produktionsmethoden, Technik und Agrarchemie haben darin kaum mehr Platz. Seit Jahren ist nicht zuletzt deswegen die Extensivierung der Produktion mit Flächenstilllegungen und engen Grenzen für Tierbestände und Düngung Leitlinie der EU-Agrarpolitik.

Weil man das Produktionspotenzial nicht ausnutzt und die Versorgung der Konsumenten mit preisgünstigen Lebensmitteln dennoch nicht gefährden will, hat diese Politik freilich einen gewaltigen Pferdefuß. „Wissen Sie, wer weltweit der größte Landräuber, ist?“, fragt Hans Jöhr, der beim weltgrößten Lebensmittelkonzern Nestlé für den Bereich Landwirtschaft zuständig ist. „Es ist nicht China oder Indien, es ist Europa“, sagt er dann mit einem Anflug von Triumph in der Stimme. „40 Prozent der Ackerfläche, die für die Versorgung des Kontinents nötig ist, liegen außerhalb Europas.“ Der größte Teil davon entfällt auf Sojabohnen, ohne die in Europa insbesondere die Erzeugung von Schweinen und Geflügel auf dem derzeitigen Niedrigpreisniveau nicht denkbar wäre. Der alte Kontinent ist aber auch weltweit zweitgrößter Abnehmer von Palmöl als billigem Fettersatz in der Nahrungsmittelindustrie und Nettoimporteur von Rindfleisch, Mais und Baumwolle. Nettoexporteur ist man hingegen nur bei Gerste, Weizen, Olivenöl und Schweinefleisch. „Es gibt keinen anderen Kontinent, der auf mehr Importe pro Kopf angewiesen ist als Europa“, sagt der Agrarexperte im SN-Gespräch.

Für Jöhr, dessen Konzern global tätig ist und der ob seiner Praktiken mitunter heftig in Kritik steht, ist klar: „Die europäische Agrarpolitik ist falsch.“ Er ist mit dieser Einschätzung nicht allein. „Europa schafft sich ab“, warnen Agrarexperten immer wieder. Sie treibt die Sorge um, dass die europäische Landwirtschaft international den Anschluss verliert und immer tiefer in die Abhängigkeit von Importen schlittert. So gebe es kaum Bemühungen, von der Import-Abhängigkeit bei Soja wegzukommen. Zudem schwächten die vielen Auflagen und Beschränkungen die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Landwirtschaft, warnen Vertreter der Branche, ebenso wie vor der Abhängigkeit bei vielen Technologien. So würden sich die großen Pflanzenschutzmittelhersteller bereits aus Europa zurückziehen und sich verstärkt an den USA orientieren. „Für Europa werden etwa kaum mehr spezielle Wirkstoffe entwickelt“, sagt Nestlé-Experte Jöhr.

In Europas Agrarpolitik wächst der Handlungsbedarf. Die Strategie, einen Gutteil der Produktionslast und der Verantwortung für die Umwelt einfach auszulagern, sich einfach anderswo zu bedienen und, wie es oft passiert, dann auch noch mit spitzen Fingern auf solche Länder zu zeigen, hat ein Ablaufdatum.

Das gilt auch im Hinblick auf die Sicherung der Welternährung. „Wir sind schon jetzt theoretisch in der Lage, zehn Milliarden Menschen zu ernähren“, sagt Löhr. Dazu gelte es aber alle Möglichkeiten zu nutzen. Er redet dabei nicht einer schrankenlosen Industrialisierung der landwirtschaftlichen Produktion das Wort, sondern der sogenannten nachhaltigen Intensivierung. Dabei gelte es die Produktion auszubauen und gleichzeitig die Umweltbelastung und die Verschwendung von Ressourcen zu minimieren. Löhr, der politische Interventionen für eine größere Gefahr für die Welternährung hält als den Klimawandel, sagt: „Lasst die Ingenieure und Fachleute arbeiten.“ Bei der Sicherung der Welternährung gehe es aber auch um das Schaffen von Kaufkraft und Infrastruktur in Regionen mit Aufholbedarf und um Fortschritte bei der Bekämpfung von Verschwendung und dem Vermeiden von Ernte- und Transportverlusten.

Darauf, dass Bauern wegen der wachsenden Weltbevölkerung auf höhere Preise für ihre Produkte hoffen dürfen, will sich Jöhr nicht festlegen. Er konzediert aber: „Lebensmittel sind zu billig und die Preise dafür nicht nachhaltig, viele Bauern kommen zu kurz.“ Die Strukturen würden sich ändern, „aber Bauern wird man immer brauchen“.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 7. März 2016

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