Donnerstag, 9. März 2017

Sehnsucht und Selbstbetrug



Nach der ersten Rede von US-Präsident Trump vor dem US-Kongress war allerorten so etwas wie Erleichterung zu spüren. "Er kann ja doch anders" war der Tenor. "Präsidentielles Gehabe" bescheinigten ihm manch besonders Beeindruckte gar. So, als wollten sie sich die Hoffnung nicht nehmen lassen, dass aus Trump doch noch ein ganz normaler US-Präsident werden kann.

Die Reaktionen war typisch. Freilich, sie werden sich wohl, das muss man annehmen, nahtlos in die Kette der Einschätzungen Trumps einfügen, die sich seit Jahren nun schon als falsch erweisen. Das begann seinerzeit damit, dass man ihn in den USA, noch aber viel mehr in Europa, als Politclown abtat, der die ersten Runden der republikanischen Vorwahlen nicht überstehen würde. Dann beruhigte man sich mit Clintons Vorsprung in den Meinungsumfragen. Und obwohl er nun doch gewählter Präsident der USA ist, werden seither Tag für Tag neue Erklärungen serviert, dass er nichts als scheitern kann.

Weite Teile der Gesellschaft in den USA, aber auch in Europa wissen immer noch nicht mit Trump umzugehen. Das gilt auch für die Verantwortlichen in der Politik. Man steht ihm ratlos gegenüber und abschätzig, zumeist irrlichternd zwischen Selbstbetrug und Selbstberuhigung. Man hofft, dass nicht wirklich kommt, was man inzwischen immer öfter befürchtet, hat aber kein Rezept, das zu verhindern und nimmt lieber weiter alles als Beruhigungspille, was dazu geeignet scheint. Wie eben seine Rede im Kongress.

Die Sehnsucht nach Normalität ist, wie so oft, auch in diesem Fall, eine Schwester der Irrationalität in der Beurteilung.

Dass man so rat-und hilflos dasteht, hat damit zu tun, dass man in der Interpretation der Vorgänge und in der Interpretation der gesellschaftlichen Entwicklung vor allem in den USA immer den leichteren Weg ging. In den Staaten selbst, aber auch in Europa. "Es kann nicht sein, was nicht sein darf", war der Leitspruch von dem sich die Kommentatoren in den Medien und die Politiker leiten ließen. Also wurde Trump klein gemacht in allem, was er sagte und tat, war doch bei einem Mann seines Zuschnitts und Kalibers nichts leichter als das.

Dass man dabei bis weit hinein in den Selbstbetrug wichtige Strömungen und Veränderungen übersah, muss man jetzt zur Kenntnis nehmen. Auch wenn der Absturz von Trumps Beliebtheitswerten in den ersten Wochen die Aufmerksamkeit auf sich zog, darf nicht übersehen werden, dass er allem zum Trotz fest im amerikanischen Volk verankert ist. 46 Prozent der US-Amerikaner sind immer noch davon überzeugt, dass sich die USA in die richtige Richtung bewegen. Obama erreichte diesen Wert in seinen zwei Amtszeiten nie. Und von wegen, die Republikaner stünden nicht hinter Trump: Nahezu allen Umfragen in den USA zufolge sagen mehr als 80 Prozent der republikanischen Anhänger, dass Trump sie hoffnungsvoll stimme. 72 Prozent macht er sogar stolz.

Das nimmt nicht Wunder. Denn Trump macht nicht nur Verlierer, wie man meinen könnte, wenn man die Medien verfolgt, er macht auch Sieger. Zumindest einstweilen. Es gibt nicht nur die Mexikaner in den USA, die um ihre Zukunft bangen müssen, sondern es gibt auch die Millionen und Abermillionen von Aktienbesitzern in den USA - und auch, das sei angefügt - in Europa, denen Trumps Wahlsieg seit Monaten Kursgewinne beschert, die sie mehr als ein Jahrzehnt nicht kannten. Auch in der Wirtschaft, zumal in der USamerikanischen Wirtschaft, hat sich Trump bisher kaum Feinde gemacht. Und auch in der Politik erkennt man zunehmend, dass nicht alle Pläne des neuen US-Präsidenten "wirres Zeugs" , wie das eine Zeitung nannte, sind. Manche seiner Ideen, wie etwa eine völlig neue Art der Unternehmensbesteuerung, bei der die Unternehmen nicht mehr dort besteuert werden, wo sie produzieren, sondern dort, wo sie verkaufen, werden als diskussionwürdig erkannt.

Es geht nicht darum, das Phänomen und die Gefahr Trump klein zu reden, sondern es muss darum gehen, den US-Präsidenten, und schätzt man ihn noch so gering, ernst zu nehmen - schon alleine Kraft seines Amtes.

Es wäre verhängnisvoll, ihn weiter so zu unterschätzen, wie man es bisher der Einfachheit und oft auch um der Unterhaltung und dem Gaudium wegen, getan hat. Langsam beginnt sich zumindest diese Erkenntnis breit zu machen. Das gibt zumindest Hoffnung, dass nicht alles den Bach hinununter geht, was uns über Jahrzehnte Wohlstand und Frieden beschert hat.

Meine Meinung, Raiffeisenzeitung, 9. März 2017

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