Donnerstag, 21. Juni 2018

Das Eis ist dünn, auf dem wir leben



Wir leben auf dünnem Eis. Sehr dünnem sogar. Im täglichen Leben, wenn es um so einfache Fragen wie Versorgung mit Lebensmitteln oder Energie geht, wenn es um die Umwelt geht und neuerdings auch wieder, wenn es um die Politik und um die Stabilität des Zusammenlebens geht. Wir wissen es, wir zucken mit den Achseln. Warum sollen wir uns kümmern? Das tägliche Essen gibt's im Supermarkt, der Strom kommt aus der Steckdose, den Sprit fürs Auto gibt es an der Tankstelle. Also, was soll's?

Wir verhalten uns in vielen Bereichen so. Wir tun das offenbar gerne, ist es doch oft der einfachere Weg und verlangt einem am wenigsten ab. Und es ist jetzt schon bemerkenswert lange gut gegangen. Wir vergessen immer öfter, wie wurde, was jetzt ist und wovon wir leben und weshalb wir so leben können, wie wir leben. Wie viel Arbeit dahintersteht und welche Haltungen das ermöglicht haben.

Und schon gar nicht mögen wird dran denken, wenn mit einem Mal alles anders wäre. Und das muss gar nicht gleich ein Krieg sein oder ein Terroranschlag. Da reicht schon, wenn ein kleines Rädchen in diesem ganzen System an Technik, das uns umgibt und das uns das Leben so bequem macht, plötzlich nicht funktioniert. Wenn auf einmal nicht mehr hält, worauf man sich sein Lebtag verlassen hat. Wenn alle Sicherheitsstricke reißen. Die Folgen können heute so weitreichend sein wie noch nie zuvor in der Geschichte.

Gut, mancher versichert sich über beide Ohren und fühlt sich gewappnet für all das, was da kommen möge. Aber sonst? "Die Österreicher sind auf Krisen überhaupt nicht vorbereitet", sagte etwa erst kürzlich Generalstabschef Othmar Commenda bei einem Vortrag in Linz. "Wir sind unheimlich verwundbar." Die Menschen hätten keine Vorräte, ohne Energie würden Kühlaggregate und Heizungen versagen, auch Transporte gäbe es keine mehr. Innerhalb weniger Tage würde allerorten das nackte Chaos ausbrechen. Plünderungen inklusive. Und da ist noch gar nicht erwähnt, dass es dann wohl auch sehr schnell mit der Geldversorgung eng würde und mit vielem anderen mehr. Bereits nach vier Tagen ohne Strom und Wasser würden in 1,4 Millionen von 3,7 Millionen österreichischen Haushalten die Lebensmittel ausgehen. Gar nicht zu reden davon, dass heute kaum jemand noch in der Lage ist, sich irgendwie selbst zu helfen, weil es meist an den nötigsten handwerklichen Fähigkeiten fehlt.

Warnungen wie diese werden wohl weiter ohne viel Wirkung bleiben, so dramatisch sie auch sind. Das ist man gewohnt. Die Wirkung beschränkt sich allenfalls auf Staunen. Maßnahmen gibt es meist keine. Vorschläge verpuffen umgehend. Vor Jahren schlug die Landwirtschaft, nicht ohne den Hintergedanken freilich, Ordnung in die preisgeplagten Märkte zu bringen, den Aufbau von Krisenlagern vor. Vor wenigen Wochen erst sorgte die Ankündigung von Sicherheitsinseln mit bestehenden Bundesheerkasernen als Basis für Schlagzeilen.

Echo? Kaum messbar. Themen wie diese verschwinden in der Regel sehr rasch in den Schubladen.

Akzeptieren sollte man das nicht. So, wie wir es auch in andere Bereichen nicht akzeptieren sollten. Etwa, wenn es um Umwelt und Klima geht oder um gesellschaftliche Entwicklungen. Neuerdings ist auch in der Politik das Eis dabei, wieder dünner zu werden. Über Jahrzehnte oft mühsam aufgebaute Strukturen sind dabei aufzubrechen, Abmachungen, die das weltweite Zusammenleben sicherten, drohen über Bord zu gehen, oft will man nicht mehr verstehen, was man über Jahrzehnte verstanden hat. Neue Führer sind an den Schalthebeln, solche mit einem Denken, das man schon glaubte, für immer vergessen zu können. Lange bestimmende Kräfte hingegen, wie die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, schwächeln. Da kann alles sehr schnell sehr anders sein. Nicht nur irgendwo in der Ferne, sondern auch bei uns.

Auch in Österreich geraten wir politisch zunehmend auf dünnes Eis. So sehr die Politik der neuen Regierung von vielen beklatscht, bewundert und unterstützt wird, man sollte nie die andere Seite übersehen. Die Gesellschaft könnte schnell in die Krise rutschen und das Eis, auf dem sie sich bewegt, gar zu dünn werden.

Wir scheinen derzeit auf so eine Zeit zuzugehen. Da weiß man nicht mehr, ob noch trägt, was bisher trug und was kommen wird. Aber das blenden wir ganz einfach aus. Wohl um unbehelligt weitertanzen zu können auf dem dünnen Eis - auch wenn's noch so schnell brechen könnte.


Meine Meinung, Raiffeisenzeitung, 21. Juni 2018

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