Donnerstag, 6. September 2018

Das Leben als Täuschung



"Millionen haben geantwortet und sind der Auffassung, dass es so sein sollte, dass die Sommerzeit in Zukunft für alle Zeit gilt. So wird es auch kommen. Die Menschen wollen das. Wir machen das." Also sprach Jean-Claude Juncker, Präsident der Kommission der Europäischen Union. Wenn das wirklich so kommt, dann sollte sich freilich niemand mehr wundern, dass viele Menschen auf dem alten Kontinent herzlich wenig von der Europäischen Union und von Leuten wie Juncker halten.

"Bürgerferne in Reinkultur" war noch einer der mildesten Kommentare zu Junckers Ankündigung und zu den Zahlen, mit denen er sie begründete. Denn damit muss man sich einmal trauen zu argumentieren: 511 Millionen Einwohner zählt die EU derzeit. 4,6 Millionen davon, gerade einmal 0,9 Prozent, haben sich in einer Online-Umfrage gegen das zweimal jährliche Umstellen der Uhren ausgesprochen. Damit noch gar nicht genug -75 Prozent der Teilnehmer an der Umfrage kamen aus einem einzigen Land, aus Deutschland. Und dann redet Juncker von "Millionen haben geantwortet" und fühlt sich in der Pflicht deren Wünschen nachzukommen.

Klare Willensbekundungen schauen anders aus. Bei Licht betrachtet ist das Befragungsprojekt der EU krachend gescheitert. Deutlicher hätten die Menschen nicht zeigen können, dass sie an einer Änderung der derzeitigen Regelung nicht interessiert sind.

Aber das interessiert offenbar niemanden. In den Medien wird der Juncker-Spin kritiklos übernommen und von einer Mehrheit für die Abschaffung der Zeitumstellung geschrieben, als hätte man nie Rechenunterricht gehabt. Selbst Politiker wie Angela Merkel plappern das nach und auch Österreichs Regierung bekundete, dem Wunsch nachkommen zu wollen.

Man darf gespannt sein, was wirklich herauskommen wird, und es steht zu befürchten, dass es zum Fürchten werden wird. Wie so oft, wenn sich Minderheiten durchsetzen und wenn einige wenige über die Mehrheit drüberfahren. Denn, was beim Thema Zeitumstellung exemplarisch zu erleben ist, ist kein Einzelfall, sondern nachgerade Kultur geworden. In vielen Bereichen des täglichen Lebens dominieren Minderheiten aus welchen Interessen immer Mehrheiten, deren Bedürfnisse, Wünsche und Einschätzungen schlechtgemacht oder am besten gleich ignoriert werden.

Viele kleine politische und wirtschaftliche Gruppen, aber auch NGO verstehen es, soviel Wirbel zu machen, dass der Eindruck entsteht, sie sprächen, wenn schon nicht für eine Mehrheit, so doch für Gruppen von Relevanz. Mit dem richtigen Draht zu den Medien und zur Politik werden sie gepusht und schaffen es die Stimmung zu diktieren. Demokratische Legitimation spielt keine Rolle, Fakten oft auch nicht.

Die Zahl derer, die das zu ertragen haben und die immer öfter die Schnauze gestrichen voll haben, durchdringt längst viele Bereiche der Wirtschaft und des gesellschaftlichen Lebens. In der Landwirtschaft ist es so, im Schul-und Bildungswesen auch, in Umweltfragen, wenn es um Bürokratie geht und in vielem anderen auch. Und auch in der Politik.

Die Folgen freilich sind fatal für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung, wenn Entscheidungen getroffen werden, die nur von Minderheiten getragen werden, die aber die Mehrheit ausbaden muss. Denn genau darin liegt die Wurzel für all die Frustrationen, die inzwischen breite Gesellschaftsschichten bedrücken und die Entwicklung der Wirtschaft belasten.

Und damit bereitet man auch den Boden auf für die Abkehr vom derzeitigen System und für die Stärkung radikaler Ideologien, wie es derzeit im Osten Deutschland zu erleben ist.

Es nimmt nicht Wunder, dass nun ausgerechnet in Deutschland in diesen Tagen die Forderung immer lauter wird, dass sich die Mehrheit, die zumeist eine schweigende ist, verstärkt einmischen muss in Gesellschaft und Wirtschaft statt den Entwicklungen unbeteiligt zuzusehen.

Es geht dabei um die Verantwortung, die jeder zu tragen hat. Um die Verantwortung dafür, dass die Gesellschaft nicht aus dem Gleichgewicht kommt oder gar kippt. Nicht in die Richtung, dass Minderheiten die Mehrheiten dominieren. Aber auch nicht in die Richtung, dass Mehrheiten über Minderheiten drüberfahren. Dann das wäre nur die andere Seite der Medaille -und genauso schlecht.

Vielleicht erkennt das die EU zumindest bei der Zeitumstellung doch noch. Es könnte ein Anfang sein.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 6. September 2018

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

 
UA-12584698-1