Donnerstag, 27. September 2018

Die stille schwarze Opposition



Wenn ein Land ohne Regierung dasteht, gilt das gemeinhin als schlimm. Aber was ist, wenn ein Land ohne Opposition dasteht? Ist das auch schlimm? Nein, werden wohl die sagen, die auf Seite der Regierung stehen. Vielleicht freuen sie sich sogar noch feixend darüber, dass sich die politischen Gegner in Qualen winden und kaum zu einer politischen Arbeit fähig sind, schon gar nicht dazu, die Regierung in Schwierigkeiten zu bringen. Jetzt hält sie niemand mehr auf und niemand redet ihnen mehr rein. Man mag es ihnen gar nicht verdenken, fühlten sich doch viele von denen oft missverstanden und wenig respektiert, die nun alle Hände voll zu tun haben, um mit sich selbst zurechtzukommen. Genau das macht die Situation in Österreich nach all den Querelen der kleinen Parteien und nun nach der Krise und dem Parteichef-Wechsel in der SPÖ so delikat. Es gibt derzeit niemand mehr, der Kurz und Strache, samt Leuten wie Kickl oder Hartinger-Klein, bremsen könnte, der ihnen Paroli bieten und der es mit ihnen auf Augenhöhe aufnehmen könnte.

Nicht wenigen in diesem Land macht das Sorge. Und das sind nicht nur irgendwelche versprengten Linken und Grünen. Viele von ihnen sind klassische ÖVP-Parteigänger. Sie beobachten mit Skepsis, was Kurz und die seinen aus ihrer Partei gemacht haben. Die Umfärbung von schwarz auf türkis missfällt ihnen zutiefst. Die neue, nicht nur farblich durchgestylte Parteikultur auch, die fehlenden Diskussionen und dass sie Macht und Mitspracherecht abgeben mussten wie Jacken in einer Garderobe. Viele vermissen die christliche Komponente in der türkisen Politik und machen sich Sorgen um die internationale Positionierung. Und viele wollen sich einfach nicht mit den Freiheitlichen, ihren Umtrieben und ihrer Politikkultur abfinden, die mit einem Mal salonfähig sein soll und deren Politik ihrem Geschmack nach zu oft kritiklos mitgetragen wird.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Probleme der Oppositionsparteien kommt gerade dieser Gruppe, nennen wir sie die "alten Schwarzen", eine besondere Bedeutung zu. Denn in der derzeitigen Situation wären sie das einzige Korrektiv, das einfordern kann, wozu die anderen derzeit nicht fähig sind. Die schwarze Opposition in der türkisen Volkspartei sozusagen.

Sie dürften nicht mehr länger darüber klagen, dass die "Türkisen" ihre Partei gekapert haben, sondern sie müssten dafür sorgen, dass auch die andere Seite gesehen und gehört wird und das Land nicht an falsche Partner gerät, sondern bei allem Reformeifer und bei aller Reformnotwendigkeit die Linie hält.

Vielen sind diese Gedanken nicht fremd, ist aus Gesprächen herauszuhören. Viele warten darauf, dass die "Schwarzen" in der Volkspartei mehr tun, als sich zu weigern, in ihren Ländern alles auf türkis umzufärben.

Bisher mochte man sich aber nicht aufraffen. Davon, dass die "Schwarzen" aktiv werden, ist wenig zu sehen und noch weniger zu spüren. Im Sommer sah es ein paar Tage danach aus, als hätten sie genug von den türkisen Umtrieben. Manche Landeshauptleute im Westen Österreichs wagten im Zusammenhang mit der Sozialversicherungsreform erstmals gegen ihren Parteichef Kanzler Kurz aufzutreten. Prompt wurde über eine "Meuterei in der Volkspartei?" spekuliert. Rund um die Reform des Arbeitszeitgesetzes wagten es einige ÖAAB-Granden aus den Ländern aufzumucken. In der Diskussion um die neuen Kinderbetreuungspläne beklagte sich Oberösterreichs Landeshauptmann darüber -"Politik auf Augenhöhe schaut anders aus". Aber damit hatte es sich schon. Viel mehr war

bisher nicht. Selbst dann nicht, als es um dringliche Anliegen der eigenen Klientel ging. Bei der Abschiebung von Asylwerbern mit Lehrstellen wurden alle Wünsche und Vorschläge eiskalt abserviert. Noch ist man offenbar zu schwach und zu unentschlossen und lässt sich lieber vorführen als aufzutreten. Die Kluft aber ist unübersehbar. Das macht es spannend.

Kurz scheint das Problem zu erkennen. "Kanzler Kurz segelt auf einem korrigierten Kurs in Richtung der politischen Mitte", heißt es neuerdings. Ob das reicht, auch die Kluft zwischen "Schwarz" und "Türkis" zu schließen, wird sich zeigen - oder ob sich die "Schwarzen" nicht doch endlich ein Herz nehmen müssen, um im oppositionslosen Österreich die Dinge nicht in eine Richtung überschießen zu lassen.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 27. September 2018

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