Donnerstag, 28. Februar 2019

Vollkasko gegen Fahrlässigkeit



Die Aufregung in der heimischen Bauernschaft, zumal in jener, die ihr Vieh die Sommer über auf Almen auftreibt, ist seit Tagen enorm. Zu einer Zahlung von insgesamt 490.000 Euro wurde ein Bauer im Stubaital verurteilt, weil er nach Meinung des Gerichts durch eine entsprechende Abzäunung verhindern hätte können, dass eine Urlauberin nach einer Kuhattacke zu Tode kam. Die Reaktionen sind wütend und bitter. "Unter diesen Verhältnissen können die Bauern die Hoftore für immer zusperren", hieß es "Weidehaltung, wie wir sie in Österreich kennen und schätzen, wird es nie wieder geben" und "Wenn dieses Urteil in den Instanzen halten sollte, hätte es dramatische Folgen".

Das Urteil in diesem fraglos tragischen Fall - für das es, das sei angemerkt, in juristischen Kreisen durchaus Verständnis gibt -ist nicht das erste, das drastisch vor Augen führt, wohin unsere Gesellschaft steuert. Eine Gesellschaft, in der Eigenverantwortung und Hausverstand immer weniger zählen, in der es dafür aber immer moderner wird, juristische Möglichkeiten bis auf den allerletzten Beistrich auszunutzen, gleichsam als Vollkasko-Schutz gegen Fahrlässigkeit und sehr oft auch Dummheit.

Die Sorgen, die die Bauern formulieren, kennen auch die Veranstalter von Festen, selbst wenn sie nur der Finanzierung von Freiwilligenarbeit dienen, aber auch Berufsgruppen wie Lehrer, für die es heute alles andere als ein Kinderspiel ist, Verantwortung etwa bei Ausflügen für die Schüler zu tragen und viele andere auch, die sich über ein Mindestmaß hinaus engagieren. Und der Geist, der da so große Sorgen macht, ist der Nämliche wie der, der Bergretter und andere Gruppen, die auslöffeln müssen, wenn sich die Leute nichts denken und jede Vorsicht und Umsicht fahren lassen, so oft verzweifeln lässt.

Zu leicht und zu schnell kann überall dabei etwas schief gehen, zu leicht und zu schnell können sie in die Verantwortung gezogen werden, aus der ihnen dann oft niemand heraushilft. Nicht zu Unrecht fürchtet man auch bei uns amerikanische Verhältnisse, wo Schadenersatzprozesse, bei denen es um Millionenbeträge geht, gefürchtete Tradition geworden sind.

Diese Entwicklung ist aber nicht nur für Betroffene eine Belastung. Sie wird es zunehmend für die gesamte Gesellschaft. Rund um das Almen-Urteil nahmen in der öffentlichen Diskussion bereits die Folgen nicht nur für die Landwirtschaft, sondern auch für den Tourismus breiten Raum ein. Man kann die Diskussion ruhig auf die gesamte Wirtschaft ausweiten und die Gesellschaft dazu, die an den Folgen zu tragen haben könnten.

Der volkswirtschaftliche Schaden, der aus Entscheidungen entsteht, die von diesem Denken und Verhalten getragen sind, könnte enorme Ausmaße erreichen, wenn es nicht gelingt, zum rechten Maß zu finden. Jede Initiative wird gehemmt, und jede Großzügigkeit, werden doch just jene gestraft, die über das Notwendige hinaus Engagement und Initiative zeigen.

Es sind ja nicht nur die Almen, die für Urlauber gesperrt werden könnten. Der Bogen reicht bis hin zu immer rigideren und kostspieligeren Auflagen und Vorschriften mit all ihren Folgen, mit denen sich Unternehmen und andere Einrichtungen absichern müssen. Und sie reichen natürlich bis hin zu jeder Art von freiwilligem Engagement, das sich angesichts des Risikos möglicherweise bald niemand mehr antun will.

Diese Entwicklung ist so gesehen nichts als Gift für Wirtschaft und Gesellschaft. Statt Fortschritt und Weiterentwicklung drohen Stillstand, Zögerlichkeit und Blockade. Solche Urteile, wie das in Tirol, drohen jede Offenheit abzuwürgen, jedes Engagement und auch jede Bereitschaft, etwas für die Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen und sie lassen um die gesellschaftliche Solidarität und den Zusammenhalt fürchten. Zu Ende gedacht, rüttelt so ein Urteil an den gesellschaftlichen Grundfesten, weil es jeden Akteur nolens volens mit einem Fuß immer ins Kriminal stellt.

Darum gilt es wohl auch, so wie es Gesetze und Vorschriften gibt, die Anwender, Betroffene und Konsumenten schützen, auch die andere Seite zu schützen vor der Willkür des Rechts und vor Auslegungen, die es alleine auf Spitzfindigkeiten anlegen, die nicht nachvollziehbar sind und die darin oft nichts denn eine Geldquelle sehen. Sie darf nicht zum Freiwild von dehnbaren Vorschriften und von spitzfindigen Anwälten werden.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 28. Februar 2019

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