Donnerstag, 27. Juni 2019

Freiwild auf dem Land



So wie die Dinge liegen, wird die Mehrheit der im österreichischen Parlament vertretenen Parteien in der kommenden Woche die Verwendung des Pflanzenschutzmittels Glyphosat verbieten. Das Triumphgeheul wird wohl ohrenbetäubend, wie die Bauern mit diesem Verbot zurechtkommen aber kein Thema sein.

Das Verbot, mit dem man nun über die Bauern drüberfährt, ohne sie lange zu hören, hat viel damit zu tun, dass die Gräben zwischen Stadt und Land immer tiefer werden. In der Landwirtschaft hat man besonders oft zu leiden darunter. Die Diskussion um den Wolf läuft nach ähnlichen Mustern, die über Tierhaltung auch und vieles andere mehr auch. Aber es geht nicht nur den Bauern so, sondern auch vielen anderen, die am Land wohnen. Gewerbetreibenden, Unternehmern, Hausbesitzern etwa, die sich von Vorschriften gequält fühlen, die für sie nicht nachvollziehbar sind. Das hinterlässt immer öfter das schale Gefühl, dass die in der Stadt -zumal, wenn diese Stadt Wien heißt - glauben, alles besser zu wissen, ohne freilich viel Ahnung zu haben und schon gar ohne von dem betroffen zu sein, was sie verlangen.

Die negativen Begleiterscheinungen politischer Maßnahmen in solchen Bereichen betreffen "fast nie die Stadtbewohner selbst", hieß es kürzlich auch in einer scharfzüngigen Analyse der deutschen Wochenzeitung "Die Zeit","sondern fast immer nur die Leute auf dem Land". Von der "moralischen Verächtlichmachung der Dorfbewohner durch Stadtmenschen" ist da die Rede und von einer unerträglichen Bevormundung. Die Stadtmenschen wollten "neue Regeln aufstellen, die unser Leben ökologischer, reiner, gesünder und besser machen sollen" heißt es da. "Die negativen Begleiterscheinungen dieser Vorhaben betreffen dann allerdings fast nie die Stadtbewohner selbst, sondern fast immer die Leute auf dem Land." Von "Doppelmoral" ist die Rede. "Die Großstädter fordern ein Verbot von Kurzstreckenflügen und Dieselautos, sie wollen eine CO2-Abgabe und richten Umweltzonen ein", heißt es spitz, aber es sei schick, "wenn man einmal im Jahr zu seinem Kumpel nach Tokio fliegt".

Aber es geht nicht nur um das Verhältnis von Stadt und Land und um die Gräben, die sich dazwischen aufgetan haben. Es geht auch um das Verhältnis von gesellschaftlichen Gruppen untereinander. Auch in Österreich. Es ist üblich geworden, sehr leichtfertig übereinander zu reden, oft ohne viel Wertschätzung und ohne Respekt, sehr anmaßend meist und überheblich. Und vor allem sehr oft ohne das unnötige Wissen und ohne Kenntnisse von Zusammenhängen. Ob man in irgendeiner Art und Weise betroffen ist oder etwas damit zu tun hat, spielt meist keine Rolle. Wenn es um soziale Maßnahmen geht, ist es oft um bildungspolitische Vorhaben, um Umweltvorschriften auch und um anderes gegangen. Ihnen ist immer öfter gemeinsam, dass sie von Menschen gefordert werden, die meist überhaupt nichts damit zu tun haben. Denen es oft egal ist, wie die Menschen, die es betrifft, damit zurechtkommen können.

Die Bauern kennen das, Lehrer auch und viele andere Gruppen, die in den vergangenen Jahren in gesellschaftlich exponierte Positionen geraten sind. Jeder nimmt für sich in Anspruch mitreden zu können, ganz gleich, ob er oder sie über ein entsprechendes Fachwissen verfügen, ob sie in irgendeiner Weise persönlich betroffen sind oder sonst wie irgendetwas Fundiertes beizutragen haben.

Am augenscheinlichsten ist es, wenn mit Umfragen gearbeitet wird, um bei umstrittenen Themen Stimmung zu machen. Da findet niemand befremdlich, dass Leute etwa zu schulischen Themen ihre Meinung abgeben, obwohl ihre Kinder längst aus der Schule sind, oder zu agrarischen Fachthemen, obwohl sie Landwirtschaft allenfalls aus Schulbüchern oder vom Vorbeifahren kennen und auch zu sozialen Themen, die fernab ihrer Villen und Penthäuser wichtig sind.

Freilich -es kann und soll nicht so sein, dass es sich alle Gruppen selbst so richten können, wie es ihnen jeweils passend erscheint. Aber es sollte doch mehr Rücksicht aufeinander genommen werden. Nicht nur wegen des respektvollen Umgangs, sondern auch wegen der Demokratie. Denn die Schieflage, die in den vergangenen Jahren bei vielen Themen und in vielen Bereichen entstanden ist, ist nichts als Gift für die Gesellschaft. Das feindselige politische Klima, das sich in den vergangenen Jahren in Österreich entwickelt hat, darf man durchaus als Folge davon sehen.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 27. Juni 2019

Mittwoch, 19. Juni 2019

Wenn's so grün grünt



"Außergewöhnliche Umstände erfordern außergewöhnliche Entscheidungen", war die eher schlichte und lapidare Begründung dafür, dass Werner Kogler, eben noch gefeiert für seinen Erfolg bei der Europawahl, nun doch nicht nach Brüssel geht, sondern als Spitzenkandidat der Grünen in die Nationalratswahlschlacht zieht. Man ist eben auch bei den Grünen nicht anders als bei anderen Parteien, wenn es darum geht, Grundsätze geschmeidig zurechtzubiegen. "Da kandidiert jemand als Spitzenkandidat bei den Europawahlen und denkt nicht daran, das Mandat anzunehmen", wundern sich nicht nur honorige Professoren, wie der Innsbrucker Verfassungs-und Verwaltungsspezialist Peter Bußjäger. "Solche Fake-Kandidaturen haben mit Demokratie wenig, mit Wählertäuschung aber viel zu tun."

Angesichts der Chancen, die sich mit einem Mal auftun, meint man bei den Grünen, die sonst gerne auf politische Korrektheit pochen, freilich, sich wenig darum kümmern zu müssen. Man spürt kräftigen Aufwind und will die Gunst der Stunde nutzen. Von Vorwürfen wie Wählertäuschung lässt man sich nicht beirren und setzt auf den Grünen-Dino Werner Kogler, auf dass er sie wieder zurück in Parlament bringe -und, wer weiß, was noch alles kommt, vielleicht gar in der einen oder anderen Form an die Macht in diesem Land.

Die Chancen dafür stehen jedenfalls so gut wie schon seit langem nicht. Grün ist mit einem Mal Modefarbe auf dem politischen Parkett. Nicht nur bei uns, auch in Deutschland und anderswo. Mit 27 Prozent liegen bei unserem Nachbarn die Grünen in der jüngsten Sonntagsfrage bereits vor der CDU/CSU, die es auf 24 Prozent bringt. Könnten die Deutschen den Kanzler direkt wählen, würden 51 Prozent für den Grünen Robert Habeck votieren, aber nur 24 Prozent für die CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer, die seit Monaten im Schatten der noch regierenden Bundeskanzlerin Angela Merkel regelrecht verdorrt.

In Österreich zeichnet sich zwar keine derart dramatische Verschiebung in der Politik ab, die Grünen haben aber mit der Europawahl aus dem Tief herausgefunden, in das sie stürzten, nachdem sie bei den Nationalratswahlen vor zwei Jahren aus dem Parlament flogen.

Die Gründe dafür sind vielfältig. Das hat, wie das Hoch in Deutschland, zu einem guten Teil wohl mit der Schwäche der Sozialdemokraten zu tun. Zu einem guten Teil ist es wohl auch damit in Zusammenhang zu sehen, dass die Jahrhundert-Hitze im Vorjahr und auch die oft belächelte Friday for Future-Bewegung das Klima-Thema in den Vordergrund rückten und sogar die Migration als Thema Nummer eins ablösten.

Die Sorge ums Klima und um die Umwelt weckt das Interesse an politischer Mitbestimmung, sagen Beobachter wie die Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle. Bei den Europawahlen war das -neben dem Brexit und der Bedrohung der europäischen Idee durch rechtspopulistische Parteien -einer der Gründe für die stark angestiegene Wahlbeteiligung.

Mittlerweile sind alle Parteien dabei, sich ein grünes Mäntelchen umzuhängen. Sogar die FPÖ, deren Obmann Norbert Hofer Tempo 140 auf den Autobahnen immer für einen seiner wichtigsten politischen Erfolge hielt, will den Umweltschutz zum Parteischwerpunkt machen.

Sie sollten sich freilich nicht täuschen lassen. Denn es ist eines, dicke Manifeste mit Schlagworten zu formulieren, und es ist etwas anderes, konkrete, brauchbare und wirksame Vorschläge für die Umsetzung anzubieten, zumal dann, wenn man in politischer Verantwortung stehen sollte. Da steht auf Bundesebene der Beweis aus, dass man das kann und dass man es schafft, mehr zu verwirklichen als Einzelprojekte.

Die heimischen Grünen sehen diese Entwicklung gelassen. "In diesem Bereich sind wir einfach der Schmied und alle anderen der Schmiedl", will man sich nicht beeindrucken lassen und setzt darauf, dass das auch die Wahlberechtigen so sehen.

Und es ist nicht das allein. Die Ökopartei hat nach wie vor mit einer dünnen Personaldecke zu kämpfen. Und es klebt immer noch das Image der Verbotspartei und einer Politik mit dem ständig erhobenen Zeigefinger der ewigen Besserwisser an ihnen.

Wollen sie die Chancen nutzen, die sich ihnen nun bieten, müssen sie davon wegkommen. Der Beweis dafür ist noch ausständig. Genauso wie der Beweis der anderen Parteien ausständig ist, dass für sie grün mehr als die Farbe eines neuen schicken Mäntelchens ist.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 19. Juni 2019

Donnerstag, 13. Juni 2019

Bauern als Spielball im „freien Spiel der Kräfte“



Für die Bauern kam das Platzen der Regierungskoalition zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Sie fallen nicht nur um ein 120 Mill.-Euro-Entlastungspaket um, aus dem nichts wird, weil die Steuerreform nicht kommt und auch nicht die bereits paktierte Senkung der Sozialversicherungsbeiträge, insbesondere die Änderung bei den Mindestbeitragsgrundlagen. Auch die geplante Umsetzung der Herkunftskennzeichnung bei verarbeiteten Lebensmitteln und in der Gemeinschaftsgastronomie oder die geplante Einschränkung der Tierhalterhaftung für Alm- und Weidetiere liegen jetzt einmal auf Eis. Gar nicht zureden davon, dass in den kommenden Monaten die Verhandlungen über den EU-Finanzrahmen und auch die Gespräche über die Ausgestaltung der künftigen EU-Agrarpolitik in die entscheidenden Phase kommen.

Das ist nicht wenig, worüber man sich ärgern und dessentwegen man sich Sorgen machen kann. Es könnte aber noch nicht alles gewesen sein. Denn es kann in den nächsten Monaten in dem von Feindseligkeit und Rachegelüsten geprägten politischen Klima, das in diesen Wochen in Österreich herrscht, noch schlimmer kommen. Und es könnte durchaus sein, dass dabei die Bauern zu den größten Draufzahlern werden. Denn nichts scheint fest in diesen Monaten bis zu den Neuwahlen, vieles mit einem Mal offen, und vieles so, als könnte man sich nicht mehr drauf verlassen. Das freie Spiel der Kräfte im Parlament macht viel möglich und kann viel anrichten. Groß ist die Gefahr, dass sich in der überdrehten Stimmung in dieser Zeit Partei-Allianzen bilden, die für die Bauern Fakten schaffen, an denen sie möglicherweise jahrelang zu kauen haben werden. 

Das Glyphosat-Verbot, das dank FPÖ, die sich neuerdings als Umweltpartei geriert, zustande kommt, ist ein Beispiel dafür. Der Antrag der Liste Jetzt, Spaltenböden in der Schweinehaltung zu verbieten, der auf maßgebliches Betreiben des VGT zustande kam, ist ein anderes.  Und es könnten noch manche Anträge in ähnlicher Qualität ins Haus stehen.

Im Sinne der Bauern, zumal der konventionell erzeugenden Bauern, werden sie kaum sein, gelten die doch als VP-Parteigänger und haben bei den anderen politischen Parteien wohl wenig Rücksichtnahme zu erwarten. Was die Parteien zum Thema Landwirtschaft im EU-Wahlkampf von sich gaben lässt mitunter Schlimmes befürchten. 

Dass es der Landwirtschaft und auch dem VP-Bauernbund über Jahren nicht gelingen mochte, zu den Gegenspielern eine tragfähige Gesprächsbasis aufzubauen, ist in diesem Umfeld nicht wirklich von Vorteil. Für den Bauernbund, aber auch für die Kammern werden die nächsten Monate zu einer Bewährungsprobe. Und auch die ehemalige Ministerin Elisabeth Köstinger wird als einfache österreichische Parlamentariern ihre Nagelprobe bestehen müssen. Sie wird zeigen müssen, dass es ihr gelingt, über all die Gräben, die sich für die Bauern da so bedrohlich auftun, Brücken zu schlagen. 

Es wird auf jeden Fall spannend. Spannend für die unter den Bauern, die von all dem, was möglicherweise beschlossen wird, profitieren könnten. Noch viel spannender freilich wird es für die, die möglicherweise mit Beschlüssen zurechtkommen müssen, die für sie nichts als eine Belastung sind.


Gmeiner meint - Blick ins Land, 13. Juni 2019 

Experten für eh alles?



Österreich hat eine neue Liebe entdeckt. So scheint es. Expertinnen und Experten sind es. Sie sollen das Land retten vor der Politik und es in ruhige Gewässer führen. Höchstrichterinnen und Höchstrichter und Spitzenbeamte. Geholt aus Spitzenposten in Rechtsprechung und Verwaltung oder zurückgeholt aus dem Ruhestand.

Eine "merkwürdige Sehnsucht nach Experten" nennen das Kommentatoren in Zeitungen und Zeitschriften. Eine auch, die rasend schnell um sich greift, wie es scheint. Kaum war die Expertenregierung angelobt, forderte die Vorsitzende der sozialdemokratischen Partei des Landes gleich auch, dass Österreich einen "Experten" als künftigen EU-Kommissar nominiert. Und in einer Resolution verlangen ORF-Redakteure, dass in Hinkunft der Stiftungsrat zu "zumindest" einem Drittel mit "internationalen Experten" besetzt werden solle und nicht mehr mit Leuten, die von den Parteien entsandt werden. Da fehlte nur noch die Forderung, gleich das ganze Land unter internationale Kuratel stellen zu lassen.

Manchen wird der Experten-Hype bereits zu viel. "Wann kommt jetzt endlich die Forderung, dass ganz Österreich durch unabhängige Experten zu ersetzen sei?", fragt ein Twitter-Poster und befindet, durchaus nachvollziehbar: "Das wird schön langsam lächerlich." Aber man ist jetzt einmal mit dem zufrieden, worüber man sich bisher eigentlich immer geärgert hat und wofür man selten anerkennende Worte fand. Man freut sich darüber, dass man von Beamten und Richtern regiert wird und darüber, dass - übrigens zum ersten Mal in der Geschichte überhaupt -ausschließlich Akademiker in der Regierung sitzen. 

In den vergangenen Tagen wurden nicht wenige Erklärungen geboten, warum denn das mit einem Mal so sein mag. Die Unzufriedenheit mit der Politik stand -klarerweise -meist ganz oben. Es hat aber wohl auch damit zu tun, dass die Aufgabe von Politikern und jene von Experten missverstanden wird. Oft weiß man nicht zu unterscheiden zwischen den Aufgaben, die diesen und jenen zukommen, und darin liegt wohl eine der Wurzeln des Experten-Hypes. Eine Erklärung, die herausstach, bot just einer, der durchaus auch gut in das neuerdings so geschätzte Anforderungsprofil passt. Oliver Rathkolb, Vorstand des Instituts für Zeitgeschichte an der Universität Wien, brachte die neu entflammte Liebe mit der hierzulande traditionell ziemlich ausgeprägten Zustimmung zu autoritären Systemen in Zusammenhang, die noch dazu seit zehn Jahren kontinuierlich ansteigt. "Die immensen Änderungen binnen einer Generation überfordern alle, die Verunsicherung steigt, die Gestaltungsspielräume von Politik sinken", wird er im "profil" zitiert. "Bei Experten fühlt man sich noch halbwegs sicher."

Dabei tut man so, als ob Experte gleich Experte und damit automatisch gut wäre. Dass dem gar nicht so sein muss und dass auch zwischen Experten des gleichen Fachs Welten liegen können, wird tunlichst ausgeblendet, genauso, wie hoch ihre Expertise in der Fachwelt wirklich eingeschätzt wird und wie sie zu werten ist.

Die Politik, respektive die Teile davon, die Forderungen nach einem Experten-Kommissar oder ausländischen Experten etwa in ORF-Gremien stellen, müssen sich angesichts der Reaktionen fragen lassen, ob man sich damit selbst nicht völlig aufgibt und ob man nicht jeden Glauben an die eigenen Fähigkeiten verloren hat. Und, ob alles nicht auch irgendwie wie bei den Kindern ist, die nach Mama und Papa schreien, wenn sie selbst etwas verbockt haben und sich nicht mehr hinaussehen.

Das freilich kann es nicht sein. Und das darf es auch nicht sein, käme das doch der Selbstaufgabe des eigenen Standes und in der Folge der Demokratie und des Staates gleich. Ganz abgesehen davon, dass es sich rasch als Illusion erweisen würde, Experten für unabhängig zu halten. Das würde sich schnell zeigen, wenn sie Entscheidungen zu treffen hätten und nicht, wie die aktuelle Expertenregierung, ihre Tätigkeit nicht nur als Verwaltung begreifen würden.

Wie dünn das Eis ist, auf dem sich auch eine Expertenregierung wie diese bewegt, zeigte in der Vorwoche bereits der Unmut darüber, dass man die Pläne für die Militärschule in Wiener Neustadt einstampfte und keine Bereitschaft zeigte, bei der Abschiebepraxis für in Ausbildung stehenden Migranten etwas zu ändern. Man darf gespannt sein, was noch alles kommt, wenn der Wahlkampf einmal richtig angeheizt ist.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 13. Juni 2019

Donnerstag, 6. Juni 2019

Gratulation, Herr Kickl



Die Freude und die Erleichterung über die neue Regierung sind groß. Vor allem auch darüber, was die neue Bundeskanzlerin in ihren ersten Stellungnahmen sagte. Es ist in den vergangenen Jahren ungewohnt geworden. Sie richtete, seit langem nicht mehr gehört, ihre Worte nach der Angelobung am Montag dieser Woche an "alle Menschen, die in diesem Land leben", sie redete unaufgeregt davon, dass ihr und ihrem Kabinett der sorgsame Umgang mit Steuergeldern ein Anliegen ist, von Demut auch und vom festen Glauben an die Stärke der Republik und davon, dass "möglichst rasch die Vorkehrungen für die bevorstehenden Neuwahlen in die Wege zu leiten" seien. Das tut zweifellos gut und es trägt womöglich wirklich dazu bei, das über die Maßen aufgeheizte politische Klima abzukühlen.

Über all die sich breitmachende Genugtuung sollte man aber freilich nicht aus den Augen verlieren, was am Anfang der Entwicklung stand, an deren -vorläufigem -Ende der Bundespräsident nun ein Expertenkabinett installierte. Am Anfang standen Aufnahmen von Gesprächen zweier führender Politiker der Freiheitlichen Partei auf Ibiza, die tief in die Abgründe der Seele der Freiheitlichen blicken ließen, in ihre Gedankenwelt und ihre Begehrlichkeiten.

Darüber wird mittlerweile kaum mehr geredet. Und auch nicht über die Folgen für das Land und die politischen Strukturen, weil sich die Partei nach wie vor passabler Umfrageergebnisse erfreuen darf und sie bei den Europawahlen nicht in sich zusammenstürzte, sondern ein angesichts der Umstände sehr passables Ergebnis erzielte. Und dass ihr ehemaliger Vorsitzender mit mehr als 40.000 Stimmen sogar ins Europäische Parlament einziehen könnte, wird praktisch ausschließlich unter dem Blickwinkel möglicher innerparteilicher Ungereimtheiten diskutiert.

Dabei heißt all das nichts anderes, als dass eine Partei dieses Zuschnitts trotz allem eine bestimmende politische Kraft bleiben kann in diesem Land und dass der Spuk alles andere als zu Ende ist. Das hat auch damit zu tun, dass vieles von dem, was die beiden vorderen Freiheitlichen in ihrem Suff sagten, nichts anderes ist, als was sie ohnehin sagen und denken. Es gehört fest zum freiheitlichen Gedankengut. Es sind Eckpunkte der freiheitlichen Welt, nicht nur bei den Funktionären, sondern wohl auch bei den Wählern. Das erklärt vielleicht auch, dass sich die Verluste der Freiheitlichen in Grenzen hielten und die Partei schon jetzt wieder in der Politik mitmischt, als wäre nichts geschehen. Aber all das ist kein Thema und erschreckt niemand. Schon gar nicht die, für die der Innenminister noch vor wenigen Wochen nichts als politischer Abschaum war, der Gottseibeiuns der Innenpolitik, mit dem auch nur zu reden als politisches No Go und Todsünde galt. Man kann ihm -und auch seinem sich sanftmütig gebenden Parteiobmann -nur gratulieren dazu, dass es gelungen ist, sich und die Partei so rasch aus der Schusslinie zu bringen. "Kurz muss weg" heiligte alle Mittel. Und man erging sich allerorten in Spekulationen darüber, wer denn der Auftraggeber des Videos sein könnte. Die wirklichen Ungeheuerlichkeiten und die langfristigen Folgen aber verschwanden schnell aus den Schlagzeilen und aus den Köpfen.

Nun soll es hier nicht um eine Verteidigung von Kurz gehen -vieles, was ihm vorgehalten wird, hat wohl seine Richtigkeit, ist nachvollziehbar und gehört auch diskutiert und aufgearbeitet. Aber, so wie jetzt die Dinge angelegt sind, kann es auch nicht sein. So billig darf man die Freiheitlichen auch nicht davonkommen lassen.

Die Empörung ist überschaubar geblieben. Darüber, welche Folgen das langfristig hat, mag niemand reden. Da verbeißt man sich lieber in Kurz und nimmt in Kauf, dass man von Kommentatoren als Steigbügelhalter der Freiheitlichen bezeichnet wird. Mitunter grenzt dieser Gesinnungswandel von Leuten wie Drozda und Co. an Charakterlosigkeit, wenn man die wahren Themen nicht mehr sieht. Das nährt die Zweifel, dass in Österreichs Politik etwas anders wird. Genauso übrigens, wie der gegenseitige Hass, an dem zu arbeiten, um ihn zu beseitigen, niemand bereit ist.

Man kann nur hoffen, dass die außer Rand und Band geratene heimische Politiker-Kaste von der Expertenregierung Bierleins vorgeführt wird. Es würde aber nicht verwundern, wenn man sich selbst an dieser Regierung in der üblich gewordenen Art vergreift.


Meine Meinung, Raiffeisenzeitung, 6. Juni 2019

Samstag, 1. Juni 2019

Die Biobauern überfordern den Markt



Der Biomarkt gerät aus dem Gleichgewicht. Die Bauern steigern die Produktion mehr, als der Markt es verträgt, die Getreidelager sind voll.

Hans Gmeiner


Salzburg, Linz. Die Vertreter der Biobauern und auch die Agrarpolitik sind stolz auf Zuwachszahlen bei Bioackerflächen und verweisen gern auf den hohen Bioanteil in der Milchproduktion. Den Vermarktern und auch vielen Bauern steigen indes die Grausbirnen auf. Der Biomarkt wächst zwar immer noch mit beeindruckenden Zahlen, aber das Angebot der Bauern wächst in den wichtigsten Produktionssparten noch viel schneller. Weil in den vergangenen Jahren so viele Bauern auf biologische Produktion umstellten, geraten die Preise vor allem bei Getreide stark unter Druck. Auch bei Milch sind die goldenen Zeiten vorbei. Weil Molkereien kaum mehr neue Biolieferanten aufnehmen, gelingt es dort aber, das Preisniveau zumindest einigermaßen zu halten.

Als eine der Ursachen für das derzeit auf dem Biomarkt herrschende Ungleichgewicht sehen Beobachter die Politik, die auf die Markterfordernisse wenig flexibel reagiere und die das Ungleichheit sogar noch anheize. Man verweist etwa auf das Burgenland, wo das Land allen Bauern von oben herab Bio verordne.

Kritisiert wird aber auch, dass die heimische Agrarpolitik den Bauern nur begrenzte Zeiträume zur Umstellung auf Bio anbiete. Das verschärfe die ungleiche Entwicklung von Angebot und Nachfrage. So war das heurige Jahr in Österreich in dieser EU-Budgetperiode die letzte Möglichkeit zum Umstieg auf Bio. Bis zum Inkrafttreten der nächsten Budgetperiode und damit der EU-Agrarreform, die erst in zwei oder – wie manche befürchten – gar in drei Jahren zu erwarten ist, gibt es einen Umstiegsstopp mit einem eingeschränkten Fördervolumen. Verschärfend kommt hinzu, dass inzwischen auch in wichtigen Exportländern, wie etwa in Deutschland, viele Bauern auf Bio umsteigen und dort Handelsketten beginnen, eigene Förderprogramme mit dem Schwerpunkt der regionalen Herkunft zu entwickeln.

Bei Biogetreide ist der Druck besonders groß, weil besonders viele Bauern die letzte Umstiegsmöglichkeit nutzten. „Der Zuwachs der Bioackerfläche lag heuer mit 23.000 Hektar auf insgesamt 263.000 Hektar so hoch wie in den beiden vorangegangenen Jahren zusammen“, sagt Karl Fischer von der Saatbau Linz, die auch als Vermarkter von Biogetreide zu den Großen im Land zählt.

Auch wenn diese Ausweitung wegen der Umstellungszeit erst in zwei Jahren voll marktwirksam wird, ist der Druck schon heuer extrem groß. „Wir haben derzeit einen Sättigungseffekt“, heißt es etwa aus der Raiffeisen Ware Austria. Für Ende Juni rechnet man in Branchenkreisen mit einem Lagerstand von rund 145.000 Tonnen, um gut 50 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Das entspricht fast der Hälfte der Ernte, die heuer erwartet wird.

„Damit bekommen wir nicht nur ein Preis-, sondern auch ein Lagerproblem“, ist in der Branche zu hören. Angesichts dieser Entwicklung will niemand mit Preisprognosen vorpreschen, überall aber lässt man erkennen, dass der Druck auf die Preise für die Biobauern massiv sein wird.

Bei Milch tut man sich etwas leichter, den Markt unter Kontrolle zu halten. Der Biomilchanteil an der Gesamtproduktion liegt in Österreich bei mittlerweile 19 Prozent. Allein im Vorjahr gab es ein Produktionsplus von zehn Prozent. „Wir wollen ein Wachstum mit Maß und Ziel“, sagt Johann Költringer, der Sprecher der Molkereien. 


Beim Biobauernverband Bio Austria will man die Entwicklung nicht überbewerten. „Solche Phasen, wie wir sie jetzt erleben, gab es in der Vergangenheit bereits mehrmals in Phasen von Einstiegsstopps“, sagt Marketing-Chef Hermann Mittermayr. „Panik ist nicht angebracht.“ „Aber: Der Biomarkt ist kein Verteilmarkt mehr, sondern ist zu einem Verkaufsmarkt geworden“, sagt Mittermayr.

Um die Zukunft des Biolandbaus macht sich Mittermayr keine Sorgen. In Deutschland, aber auch in anderen Ländern gebe es im Vergleich etwa zu Österreich noch einen enormen Nachholbedarf sowohl auf Seiten der bäuerlichen Produktion als auch auf Handels- und Konsumentenseite. Daher gebe es dort immer noch Versorgungslücken. Die Bioanteile sind dort auf allen Ebenen weit von österreichischen Werten entfernt. „Solange das so ist, brauchen wir uns keine Sorgen zu machen“, sagt Mittermayr. „Der Markt wird wieder sein Gleichgewicht finden.“


Salzburger Nachrichten, Wirtschaft, 1. Juni 2019
 
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