Donnerstag, 12. September 2019

Bemerkenswerte Nonchalence



Im Umgang mit ihrer eigenen Arbeit entwickeln vor allem die Parteien, die über Jahrzehnte als Regierungsparteien die Geschicke des Landes bestimmten oder zumindest mitbestimmten, eine bemerkenswerte Nonchalance. Da hat man keine Probleme, das Land für schlecht zu erklären, Fehlentwicklungen anzuprangern und Maßnahmen zu fordern, als hätte man nie Verantwortung für den Gang der Dinge in diesem Land getragen und auch nie die Möglichkeit gehabt, das zu ändern und zu tun, womit man nun bei den Wählern um Stimmen buhlt. Dabei liefert man oft nichts anderes als einen Beleg für das eigene Unvermögen.

Ein eindrückliches Beispiel lieferte dieser Tage der VP-Bauernbund bei der Landwirtschaftsmesse in Ried. Dort forderte die Bauernspitze wortreich und eindrücklich vor der Presse "mehr Tempo" bei Maßnahmen zur Rettung des Klimas. Schließlich habe man "unsere Werkstatt unter freiem Himmel" und treffe "uns der Klimawandel zuerst". Das ist bemerkenswert, saß dort auch die ehemalige Umweltministerin Elisabeth Köstinger, bekanntermaßen auch Vizepräsidentin der ÖVP-Bauern, auf dem Podium. Sie war zwar bis vor drei Monaten die letzte einer ganzen Reihe von VP-Ministern, die in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten für die Umweltpolitik in diesem Land verantwortlich war.

"Mehr Tempo" zu machen, wie man forderte, hätte auch dann wohl möglich sein müssen. Zumindest haben sie und ihre Vorgänger es in der Hand gehabt, sehr lange Zeit sogar, "mehr Tempo" zu machen. Sie taten das offenbar nicht. Freilich, oft ging das nicht, weil die Widerstände zu groß waren, aber dennoch muss man sich die Frage gefallen lassen, ob man nicht doch zu wenig dahinter war oder gar, ob man nicht gut genug war. Köstinger muss sich im Wahlkampf sogar vorhalten lassen, dass Österreich bei den Klimazielen weit hinterherhinkt. Die Forderung nach "mehr Tempo" jedenfalls nimmt sich vor diesem Hintergrund befremdlich aus und steht im Geruch, aus dem eigenen Unvermögen der vergangenen Jahre nun vor den Wahlen sogar Kapital schlagen zu wollen.

Dieser Eindruck freilich beschränkt sich nicht allein auf die ÖVP. Noch sehr viel häufiger drängt er sich bei der SPÖ auf, die mit ihren Forderungen, seit sie in Opposition ist, so tut, als sei sie in diesem Land nicht über Jahrzehnte an den Schalthebeln der Macht gesessen. Da wird das Sozialwesen schlecht geredet und das Gesundheitswesen, da wird über das Schulsystem geklagt und über die immer noch mangelhafte Gleichstellung der Frauen und vieles andere mehr. Ganz so, als hätte man immer nur zusehen müssen, wie alles den Bach hinuntergeht. Da fordert die Spitzenkandidatin forsch eine "öffentliche, staatlich finanzierte Pflegegarantie, damit sich die Menschen drauf verlassen können, dass sie im Alter ihre Pflege bekommen". Da will sie eine "Jobgarantie für alle Arbeitslosen","leistbare und klimafreundliche Mobilität" und ein Öffi-Ticket um 365 Euro jährlich.

Das mag alles -auch wenn man anderer Meinung sein mag -recht und schön sein. Aber warum hat man das in den Jahrzehnten, in denen man an der Macht war, nicht zusammengebracht, wenn jetzt so getan wird, als ob Österreich daran zerbreche. Hat man da etwas versäumt? Übersehen? Vergessen? Hat man zu wenig Weitblick gehabt? Oder versucht man auch in diesen Fällen aus den eigenen Versäumnissen und all dem, was man nicht zusammengebracht hat, im aktuellen Wahlkampf Kapital zu schlagen.

Die gemeine Wählerin und der gemeine Wähler könnten da durchaus fragen, warum sie diese Parteien noch einmal wählen sollen. Die, die da ihre eigene Vergangenheit so oft schlecht machen, haben doch ihre Chance gehabt, die haben ihre Chance vertan, die haben ja gezeigt, dass sie nicht so gut sind, wie sie versprechen und dass sie nichts zusammenbringen, was sie in Aussicht stellen. Eigentlich dürfte da nicht verwundern, wenn die Wählerinnen und Wähler sagen, jetzt sollen es andere zeigen, ob sie es können.

Freilich ist die Realität komplexer und die politische Lage anders. Es geht nicht immer alles, und es geht nicht immer alles schnell. Es gibt viele Hindernisse und noch mehr Bremser. Und es gibt, das wohl vor allem in der politischen Realität Österreichs, kaum Alternativen, denen man zutrauen könnte, dass nicht sie auch in vier Jahren in Pressekonferenzen sitzen und "mehr Tempo" fordern für politische Aufgaben, deren Gestaltung sie in den Jahren zuvor zu verantworten hatten.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 12. September 2019

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