Donnerstag, 26. September 2019

...und alle Fragen offen



Jetzt sind es nur noch Tage. Und viele sagen wohl -endlich. Der Wahlkampf, den wir in den vergangenen Wochen und Monaten ertragen mussten, hatte durchaus eine ähnliche Qualität, wie der Abend der zwei betrunkenen Politiker auf Ibiza, der ihn auslöste. Er war laut, zuweilen derb und er war oft einfach daneben. Nach all dem, was geboten wurde und nach all dem, was in diesen Wochen an Fronten aufgebaut wurde und nach all dem, was gezeigt wurde, weiß man zwar, wozu die Politikerinnen, die Politiker und ihre Parteien fähig sind, wenn es darum geht, ihre Gegenspieler zu beschädigen und schlecht zu machen, sie anzuschwärzen, sie zu vernadern und zu desavouieren - aber man weiß nicht, ob sie es auch verstehen, Politik zu machen. Politik in dem Sinne, die sie als die Kunst des Möglichen definiert. Und nicht die im Sinne des Durchsetzens und Drüberfahrens, sondern Politik für die Menschen und für das Land, und nicht Politik gegen den politischen Gegner.

Denn zu oft hatte es den Anschein, als ginge es nur um Letzteres. Erhebliche Zweifel über die Politikfähigkeit der Parteien sind daher nach all dem, was in den vergangenen Wochen geboten wurde, durchaus angebracht. Freilich könnte man sagen, dass für Politik ja gar keine Zeit war, weil seit Wochen alle miteinander von einer Fernsehdiskussion zur anderen, von einem Interview zum anderen und von einer Elefantenrunde zur anderen pendelten, um sich das immer Gleiche ins Gesicht zu sagen.

Dass all das, was seit dem Misstrauensantrag Ende Mai, mit dem die Ära Kurz I beendet wurde, geboten und bekannt wurde, freilich das Vertrauen in die Politik und die Demokratie gestärkt hat, sei in Zweifel gezogen. Und da sei gar nicht auf die Vorgänge in der Villa auf Ibiza verwiesen und auf die jüngste Strache-Spesengeschichten. Da sei auch auf so Unappetitlichkeiten wie die Schredderaffäre oder Daten-Hacks verwiesen, oder auf die staunenswerten Methoden der Parteienfinazierung, die tief in die Politikmaschinerie blicken ließen. Oder aber auch auf all die Energie, die die Opposition darein setzte, den ehemaligen Kanzler und alles, was er tat und sagte in einer Art schlecht zu machen, die in ihrer Qualität neu war. Da war oft nichts mehr von Respekt zu sehen, sondern wurde oft mit Hass gespielt  - und damit die Politik an sich und nicht nur das türkise Zielobjekt diskreditiert.

Die einzige Gemeinsamkeit, die die Parteien zeigten, war ihre Schamlosigkeit, Geld auszugeben. Und die ist nur verantwortungslos und nichts anderes zu nennen. Nicht eine, sondern zwei Runden des euphemistisch sogenannten "Freien Spiels der Kräfte" wurden im Nationalrat von allen weidlich ausgenutzt, um ihre Klientel zu befriedigen. Hacklerregelung für die einen, Steuerreform für die anderen. Dass es am Ende mehr als fünf Milliarden Euro sind, die bleiern auf den Budgets der nächsten Jahre liegen, ist wohl nicht das, was man Politik nennen kann, die man erwarten würde, schon gar nicht eine, die von Verantwortung getragen ist.

Aus dem Wahlkampf geht keine der Parteien als Sieger hervor. Überzeugend war niemand, und alle bekamen ihre Kratzer ab. Bei vielen waren es sogar Schrammen. Vergessen waren alle Versprechen nach der Ibiza-Affäre, auf eine saubere und verantwortungsvolle Politik wert zu legen.

Selten scheinen die Gräben so tief gewesen zu sein zwischen den Parteien. Alle Brücken zwischen den Parteien scheinen am Ende dieses Wahlkampfs abgebrochen zu sein. Das ist wohl auch der Grund dafür, dass längst das Rätseln über mögliche Koalitionen begonnen hat. Niemand kann sich vorstellen, wer mit wem das Land regieren könnte. Denn viel öfter, als man Gemeinsamkeiten und damit Möglichkeiten sieht, sieht man die Unvereinbarkeiten und die Unterschiede, die eine Zusammenarbeit nicht für möglich erscheinen lassen.

Bemerkenswert ist freilich, dass sich die Kräfteverhältnisse nicht so, wie man es nach einem Ereignis in der Dimension des Ibiza-Skandals erwarten würde, verschieben werden. Just die Freiheitlichen scheinen mit relativ geringen Einbußen davonzukommen, während die Sozialdemokraten, die nicht zuletzt wegen ihrer Erwartungen die Neuwahlen auslösten, allen Umfragen zufolge mit kräftigen Einbußen rechnen müssen.

Es wird spannend, was am Sonntag passieren wird. Der vor sechs Jahren verstorbene Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki hätte zum Ende dieses Wahlkampfs vielleicht gesagt, was er zum Ende jeder der von ihm moderierten Sendung "Das literarische Quartett" sagte -"Freunde, wir sehn betroffen den Vorhang zu und alle Fragen offen."


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 26. September 2019

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