Donnerstag, 3. Oktober 2019

Die "Schwarzen" hoffen - immer noch



"Wer am Sonntag nicht wählt, bereut es die nächsten fünf Jahre". Weiße Lettern auf türkisem Grund auf dem Bildschirm. Auf Facebook. Man wusste, was gemeint war. Und viele hielten sich wohl auch daran. Sonst wäre der Wahlsieg von Sebastian Kurz wohl nicht so ausgefallen, dass vielen das Adjektiv "triumphal" noch als zu wenig erscheint. 

Es gibt aber auch viele, die am Sonntag wählten, Kurz wählten, um präzise zu sein, die das vielleicht doch in den nächsten fünf Jahren bereuen könnten. Volkspartei-Wähler etwa, die mit Kurz und dem türkisen Treiben hadern. Die sich als Schwarze fühlen, immer noch. Christlich sozial geprägt, bürgerlich auch. Leute, die immer noch und gerne sagen, ich bin ein "Schwarzer" und nicht ich bin ein "Türkiser" und die sich in der türkisen Welt nicht zurechtfinden mögen. Davon gibt es viele. Immer noch. 

Sie hadern mit ihrer politischen Zugehörigkeit, seit vor zwei Jahren junge, geschmeidige Typen, immer perfekt gestylt in ihren Slim-fit-Anzügen, die Partei übernahmen. Ihre Volkspartei. "Kaperten" nennen das noch heute nicht wenige, die sich mit einem Mal in einer türkisen Welt wiederfanden. Schrill, bunt und laut, schnöselig mitunter und aalglatt oft und gleichgeschaltet von oben, Message-kontrolliert. Und in der nichts mehr so war, wie man es kannte und schätzte. Soziales Denken? "Man muss sich genau anschauen, wem man was zukommen lässt", hieß es auf einmal. Hilfe für Flüchtende? Damit war auf einmal nichts mehr. Und auch nicht mit einer offenen Gesellschaft. Abschotten war forthin die Devise. Zumachen. Mitunter schien es, als gäben die Freiheitlichen den Ton an in der Regierung.

Viele fanden das zum Schämen und viele gerieten in Rechtfertigungsdruck. "Die hast du gewählt", mussten sich viele vorwurfsvoll anhören.

Sie haben ihre Partei nicht aufgegeben. Trotzdem nicht. Und sie haben wieder Kurz gewählt, obwohl sie immer noch keine Türkisen geworden sind. Für sie ist nicht spannend, ob sie bereuen, am Sonntag nicht gewählt zu haben, sondern, ob sie in den nächsten fünf Jahren bereuen, dass sie gewählt haben. Dass sie Kurz gewählt haben. Wie das ausgeht, ist offen, wirft doch das Wahlergebnis jede Menge offener Fragen auf. Gerade für die Schwarzen unter den Türkisen. 

Nicht nur für sie ist besonders spannend, ob der durchschlagende Wahlerfolg die "schwarze" Volkspartei und ihre Grundsätze endgültig hinwegschwemmt oder ob Kurz, und damit die türkise Volkspartei, die neue Stärke nutzt, um sich freizuspielen von rechtspopulistischen Positionen und Haltungen. Ob sie zu einem neuen Selbstbewusstsein findet, das sich nicht an Parteien, wie der FPÖ und dem was dort gedacht wird, orientieren muss. Und nicht an den Aus-und Einzelfällen dortiger Politiker. Und es bleibt auch spannend, ob das christlich soziale Element in der erstarkten Volkspartei wieder mehr Gewicht bekommt und ob man das Selbstbewusstsein hat, wieder zu den Werten zu finden, die die Volkspartei groß machten. Und ob sich Kurz in der Außenpolitik wieder Westeuropa mehr zuwendet und nicht mit den Visegrad-Staaten klüngelt, denen die Europäische Union ein Gräuel ist. Oder ob doch zu befürchten steht, dass Kurz das Wahlergebnis als Freibrief sieht und seinen Kurs, der so vielen alten Schwarzen und vielen anderen im Land Probleme macht, noch weiter zuspitzt, Österreich auf der internationalen Bühnen noch mehr ins Abseits treibt und alle Hemmungen fahren lässt? Dass jedes Schwarz endgültig aus der Volkspartei vertrieben wird?

Viele Schwarze hoffen, dass eher Ersteres und eher nicht Zweiteres kommen wird. Noch zumindest. Dass Kurz wirklich zuwider war, was er in der Koalition mit den Freiheitlichen mitunter schlucken und ertragen musste.

Sebastian Kurz hat viel gewonnen, er hat aber auch viel zu verlieren. Mehr wohl als je zuvor. "Denn selbst mit einem schönen Plus ist es für ihn schwieriger als 2017", ist in Leitartikeln zu lesen. "Damals hatte er nur eine echte Option: mit der FPÖ, nun hat er drei, die ihm alle nicht behagen."

Es sind ja nicht nur die Schwarzen unter den Türkisen, die sich von ihm viel erwarten. Die enormen Einschaltquoten der schier zahllosen TV-Diskussionen und Konfrontationen der Spitzenkandidaten der Parteien zeigen, dass Politik im Land interessiert wie selten zuvor. Man schaut auf ihn und man hofft auf ihn. Letzteres freilich oft aus sehr unterschiedlichen Perspektiven. Damit zurechtzukommen ist die Herausforderung für Sebastian Kurz.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 3. Oktober 2019

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