Donnerstag, 17. Dezember 2020

Ein Jahr, das uns vieles lehrte

 

2020 war ein Annus horribilis. Ein schreckliches Jahr, ein fürchterliches auch. Aber es war ganz sicher nicht, wie in unserer maßlosen und zuweilen selbstmitleidstrunkenen Gesellschaft mitunter behauptet wird, das schrecklichste Jahr in der Geschichte. Das nimmt sich nur wehleidig aus angesichts der Kriegszeiten und Wirtschaftskrisen, die die Menschheit allein im vorigen Jahrhundert durchmachen musste und die viele Menschen in manchen Erdteilen auch heute aushalten müssen. Und es ist nichts als lächerlich, wenn nicht mehr verlangt wird, als daheim zu bleiben und Weihnachten einmal nicht wie gewohnt zu feiern und schon gar nicht Silvester.

Freilich ist 2020 ist ein schlimmes Jahr und ein außergewöhnliches. Aber Jahre wie diese gab es immer in der Geschichte. Nun erleben Generationen, die über siebzig Jahre ohne große Nöte leben konnte, erstmals was sie sonst nur aus der Geschichte kennen am eigenen Leib. Eine Zeit, in der es auf einmal um Verzicht geht und nicht um die Sorge um die eigenen Ansprüche und darum zu kurz zu kommen.

Dieses Jahr hinterlässt nicht nur in der Wirtschaft Folgen. In diesem Jahr ist wohl auch viel verloren gegangen was unsere Gesellschaft zusammenhielt. Zuvorderst wohl das Vertrauen, dass uns nichts passieren kann. Man muss erkennen, dass es größere Probleme gibt, als die Auswahl des Urlaubsortes, den Kauf des neuen Autos oder dass man das billigste Angebot im Supermarkt erwischt.

Vor Augen geführt hat uns das Jahr auch, wie schnell die gesellschaftliche Solidarität und der Zusammenhalt zerbröseln kann. Man muss zuschauen, wie sich die Leute von der Politik abwenden und man versteht sie sogar. Da ist oft nur mehr Verachtung, Selbstmitleid und Rechthaberei und eine große Sehnsucht nach der Normalität von früher, die man, koste es was es wolle, durchsetzen möchte. Aber viel zu oft ist da kein Verständnis für das große Ganze. Da ist nichts mehr von diesem Zusammenrücken und der Solidarisierung über alle Partei- und Gesellschaftsgrenzen hinweg, von der gegenseitigen Rücksichtnahme und Unterstützung, die im Frühjahr überall zu spüren war.

Zu dem, was verloren gegangen ist in diesem Jahr, gehört auch die Bereitschaft zu helfen, gar jemand aufzunehmen und Schutz zu geben. Moria? Flüchtende? „Ach Gott, lasst uns in Ruhe damit“. Das Jahr hat uns auch gezeigt, wie wichtig Themen sind, die in Normalzeiten nur geringgeschätzt sind. Wie etwa Krisenvorsorge und Katstrophenschutz. Und es hat uns auch gezeigt, dass man auch in Österreich auf die Demokratie aufpassen muss und auf die Bürgerrechte. Die Geschichte vieler Verordnungen rund um Corona sind beredete Beispiele dafür und auch das zur Mode gewordene Durchpeitschen von Gesetzen durch das Parlament - ohne lange Begutachtungen und Diskussionen.

Wie sich all das noch entwickeln und wie es letztendlich ausgehen wird, ist noch offen. Sorgen sind angebracht. Zumal die Politik all diese Themen nicht wirklich ernst zu nehmen scheint und sie längst zu ihren Spielbällen erkoren hat. Das kann sich bitter rächen. Denn was auf uns zukommt wird alles andere sein als ein Honiglecken. Die harten Zeiten werden wohl erst noch kommen. Wenn die Folgen in der Wirtschaft nicht mehr mit Milliarden zu übertünchen sind, wenn sich zeigen wird, dass die Normalität, auf die alle so hoffen, eine andere sein wird als früher. Wenn die Arbeitsplätze nicht mehr da sein werden, wenn Unternehmen verschwinden und wenn Gewohnheiten nicht mehr gelebt werden können wie man sie kannte.

Mit der allerorten so lieb gewordenen Einstellung zwar alles besser zu wissen, aber für das Leben die Verantwortung am liebsten bei der Politik, in der Firma, bei den Ärzten oder sonst wo abzugeben, wird kein Staat zu machen sein, wenn es gilt die Folgen von Corona zu überwinden.

Aber 2020 hinterlässt bei aller Trübsal auch manch Gutes und Nachhaltiges. Trump ist weg sei da angeführt. Oder Brüssel hat rechtzeitig vor dem Jahresende „sein Haus noch in Ordnung gebracht“ wie eine Zeitung schrieb. Und die wohl beste Nachricht des Jahres – es gibt Impfstoffe.

Darüber darf man sich freuen.

Und natürlich auch über die ruhigen Weihnachten und Silvester, die vor uns liegen. Wie oft hat man sich doch in den vergangenen Jahren mit all ihrer Hektik genau das gewünscht.

Freilich – es hätte nicht Corona sein müssen, das uns das beschert.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 17. Dezember 2020

Donnerstag, 10. Dezember 2020

Endlich einmal Tacheles

"Die Einschläge werden heftiger", beschrieb dieser Tage ein Kommentator das Klima nicht nur zwischen den Regierungsparteien, sondern auch in den Regierungsparteien. Nicht nur die Grünen haben Probleme damit stillzuhalten, auch bei den Türkis-Schwarzen wird die Situation zunehmend explosiv.

Wie sehr es in den Polit-Töpfen auch der Regierungsparteien brodelt, zeigte dieser Tage besonders eindrücklich ein Interview des oberösterreichischen Landeshauptmannes Thomas Stelzer in den OÖ Nachrichten. "Geladen wie selten zuvor stellte sich der Landeshauptmann dem Interview", schrieb die Zeitung im Vorspann. Und das war in jedem Satz zu spüren. Sätze wie "Unglaublich, welche Pannen da passieren", waren da zu lesen. Oder "Die Massentests funktionieren nur, weil es die Länder gibt", und sogar "Der Test kann trotz des Gesundheitsministeriums stattfinden".

Auch wenn der Landeshauptmann seinen Groll vor allem am Gesundheitsministerium abließ, ist auch seine Verärgerung über den Bundeskanzler und den türkisen Teil der Bundesregierung unüberhörbar, wenn er sagt: "Beim Bund kommen die Ankündigungen sehr leicht über die Lippen", oder wenn er davon spricht, dass es die Länder "schon gewohnt" seien "vor vollendete Tatsachen" gestellt zu werden. Und Bände spricht, als er auf die Feststellung des Interviewers "Fairerweise muss man sagen, dass auch der Gesundheitsminister von Kanzler Sebastian Kurz mit der Massentest-Ankündigung überrascht wurde", nur antwortete: "Da mische ich mich nicht ein." Mehr geht wohl nicht, wenn man die Umgangsformen in politischen Kreisen kennt, zumal dann, wenn es um Kritik an der eigenen Partei und deren Führung geht.

Es tut gut, wenn endlich einmal Tacheles geredet wird. Zu lange schon bestimmen Hinsichtl und Rücksichtl den Umgang mit der Pandemie, parteipolitische Taktik und auch allzu vornehme Zurückhaltung und vorgeschobene Höflichkeit, mit der man sich um klare Entscheidungen herumdrückt und damit den Dingen ihren Lauf lässt.

Tacheles zu reden ist auch notwendig angesichts der nur langsam zurückgehenden Zahlen und der zunehmend dramatischen Berichte aus den Spitälern, die langsam den Weg in die Öffentlichkeit finden. Selbst Triagen, ist bereits da und dort nicht nur zu hören, sondern auch zu lesen, gehören dort mittlerweile zum Alltag, während sich seit Montag die Menschen wieder um Weihnachtsgeschenke balgen dürfen.

Die eingangs zitierten Einschläge zeigen sich aber nicht nur rund um Corona. Immer deutlicher sichtbar wird auch der Druck zwischen den Koalitionspartnern. Da wurde unverhohlen vom Wirtschaftsbund dem grünen Koalitionspartner die Schuld an der NoVA-Erhöhung zugeschoben. Und als in der Vorwoche Grünen-Chef und Vizekanzler Werner Kogler dem Bundeskanzler "fehlende Solidarität in der Corona-Debatte" vorwarf, weil der behauptete, im Sommer sei das Virus vorm Balkan eingeschleppt worden, giftete Kurz mit einem "absurd" zurück.

Wenn inzwischen manche, wie Franz Schellhorn, Chef der Agenda Austria, von einem "staatlichen Multiorganversagen" sprechen, muss einem vielleicht um das Land, aber nicht um die Regierung bang sein. Viel zu schwach und viel zu uneins ist die Opposition, als dass sie eine Änderung herbeiführen könnte. Man kann vieles von dem, was Norbert Hofer und Beate Meinl-Reisinger und die von ihnen vertretenen Parteien seit Monaten liefern, fragwürdig und einzig von billigem Populismus getrieben finden - es ist alles nichts gegen das, was die einst staatstragende SPÖ und ihre Vorsitzende liefern.

Das Bild, das sie in der Vorwoche abgab, hätte man gar nicht erfinden können. In einen Schutzanzug gehüllt, unter eine Kapuze und mit Maske unkenntlich verkleidet, glaubte Pamela Rendi-Wagner Gutes zu tun und bei den Massentests helfen zu müssen. Das sei ihr unbenommen und es mag auch ehrbar sein. Aber es ist ein Spiegelbild ihrer Politik. Sie versteckt sich vor den Leuten und arbeitet unsichtbar. Ihre Absagen für TV-Einladungen sind inzwischen sonder Zahl. Und ihre Vorschläge sind oft an Beliebigkeit kaum zu überbieten und vor allem ohne Konsistenz. Schon gar, wenn es um die Bekämpfung der Pandemie geht. Und nicht nur da.

Das braucht das Land nicht. Das haben wir ja ohnehin, meinen böse Zungen - und warten auf mehr Interviews, wie das, das der oberösterreichische Landeshauptmann gab.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 10. Dezember 2020

Donnerstag, 3. Dezember 2020

Die Bauern und ihre Nasen

 

Wie in der Sendung „Wer zerstört Österreich“ im Privatsender atv die Landwirtschaft vorgeführt und dargestellt wurde, ließ die Wogen bei den Bauern hochgehen. Die Empörung war groß. Sich in der Öffentlichkeit darüber aufzuregen und gar den Sender zu attackieren ist freilich zweischneidig, ist doch die Wahrscheinlichkeit sehr viel größer, dem Sender in die Hände zu spielen und für mehr Quote zu sorgen, als die Dinge ins Lot gerückt zu bekommen.

Die Bauern müssen wohl lernen, damit zu leben. Das gilt übrigens nicht nur für Privatsender wie atv, sondern auch für den ORF, der die Landwirtschaft oft auch nur aus einschlägigen Perspektiven zeigt. Das sei vor allem jenen ins Stammbuch geschrieben, die in den Social-Media-Kommentaren gemeint haben, die atv-Sendung sei „mit ein Grund die ORF-Gebühren nicht abzuschaffen“ und damit politisches Kleingeld zu machen suchten.

Im Übrigen sollten sich die Bäuerinnen und Bauern selbst an den Nasen nehmen. Denn im gegenseitigen Schlechtreden stehen sie oft in Qualität und Sachlichkeit dem um nichts nach, was sie an diesem atv-Beitrag so übel gefunden haben. Und wenn jemand sagen würde, da sind sie da gar einsame Spitze, würde man auch nicht nein sagen.

In den Bauernstuben werden wohl viele vor dem Fernseher wohl beifällig genickt haben, wie da der, zugegebenermaßen ziemlich unglückselige Schweinemäster vorgeführt wurde und wie der Greenpeace Pressesprecher und VGT-Aktivisten die Landwirtschaft anschütteten. Auf Facebook fanden sich prompt Meldungen von Bauern wie „Schweine auf Vollspaltenboden ohne Einstreu, Getreidefelder ohne Unkraut und ein Traktor wo die ganze Familie rein passt – ich wundere mich nicht über so eine Berichterstattung“.

Man kennt das. Wenn sich Biobauern als die besseren Bauern fühlen, und wenn sie von konventionellen heruntergemacht werden. Wenn sich Bauern in den Bergen darüber wundern, dass Bauern in anderen Regionen überhaupt Probleme haben können. Und wenn für die Bauern dort nichts anderes als Mickey Maus-Landwirtschaft ist, was in den Bergen gemacht wird, auf die man ohne weitere verzichten könnte, weil sie nur den Markt belastet.

Das gegenseitige Verständnis für die Arbeit und für die Probleme, die man dabei haben kann, ist bei den meisten Bauern rasch enden wollend. Da fehlt es oft an gegenseitigen Respekt und am Bemühen den anderen anzuerkennen. Da ergeht man sich lieber in Mutmaßungen das man etwas anerkennt. Und gar nicht davon zu reden, wenn dann auch noch der Neid ins Spiel kommt, auf den sich viele Bauern ganz besonders gut verstehen. Da zuzuschauen und in einem solchen Milieu zu leben ist mitunter schmerzhaft. Und es kränkt.

Was macht es für die Bauern so schwer, den anderen und die anderen anzuerkennen? Wieso ist Wertschätzung oft so schwer möglich - das, was man sonst so gerne von der Gesellschaft einfordert?

Wie gespannt die Lage ist, zeigt sich gerade in diesen Monaten wieder rund um die Verhandlungen um die EU-Agrarreform. Mehr denn je scheint es diesmal um Berg gegen Tal, um Bio gegen Konventionell um Ost gegen West und um Körndl- gegen Hörndlbauern zu gehen.

Dabei sollte es um alle Bauern gehen.

Aber das wollen wohl vor allem viele Bauern nicht.

Gmeiner meint - Blick ins Land Dezember 2020

Ein Notruf der Rinder- und Schweinebauern

Hans Gmeiner  

LINZ. Bei den Schweine- und Rinderbauern macht sich langsam Verzweiflung breit. Die Preise für Mastschweine stürzten heuer im Lauf des Jahres um mehr als ein Drittel ab. Für ein Ferkel bekommt ein Bauer heute knapp die Hälfte des Preises zu Jahresbeginn. Und die Rinderbauern mussten nach dem extrem schlechten Vorjahr heuer noch einmal zweistellige Preiseinbußen hinnehmen.

Auf 150 Mill. bis 200 Mill. Euro schätzen die Bauern mittlerweile den Schaden, den sie allein wegen der Coronamaßnahmen und ihren Folgen in der Gastronomie und im Tourismus zu stemmen haben. Die Schließung Chinas für Schweinefleischlieferungen aus Deutschland und die Folgen der Afrikanischen Schweinepest, die auf den Märkten die Preise zudem ruinierten, sind dabei noch gar nicht berücksichtigt.

Da nimmt nicht wunder, dass nun auch von bäuerlicher Seite der Ruf nach Hilfe laut wird. Verbaler Dank für ihre Arbeit ist ihnen mittlerweile zu wenig. Am Mittwoch forderte Michaela Langer-Weninger, Präsidentin der Landwirtschaftskammer Oberösterreich, gemeinsam mit Vertretern der Schweine-, Ferkel- und Rinderproduzenten „entsprechende Entschädigungen für die Bauern als Vorlieferanten“. Die aktuelle Marktkrise sei vor allem eine Folge des neuerlichen Lockdowns in Gastronomie und Tourismus.

„Daher ist die Forderung nach Entschädigungen jedenfalls legitim“, verwies sie auch auf den Ersatz von 80 Prozent des Umsatzes in der Gastronomie. In welcher Form ihrer Meinung nach den Bauern geholfen werden soll, darauf wollte sich die Präsidentin nicht festlegen. „Darüber ist noch zu diskutieren.“

Schon im Frühsommer wurde für die heimische Landwirtschaft ein 400-Millionen-Euro-Hilfspaket geschnürt. 350 Mill. Euro davon sind freilich für die Forstwirtschaft vorgesehen, der Rest entfiel auf steuerliche Entlastungsmaßnahmen für bäuerliche Betriebe, die mit Beginn des neuen Jahres in Kraft treten sollen. „Bei diesem Paket ging es darum, für die gesamte Landwirtschaft Perspektiven zu schaffen“, sagte Langer-Weninger.

Hoffnungen setzen die Bauern aber nicht nur auf Direkthilfen. Von der EU-Kommission verlangt man die Freigabe der geförderten privaten Lagerhaltung. Die Aussichten dafür werden allerdings nicht als allzu rosig eingeschätzt.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 3. Dezember 2020

Stammbucheintrag

Das Land und seine Bewohner ringen mit der Pandemie. Immer mehr gerät die Situation aus allen Fugen. Immer größer wird die Verwirrung und immer weniger die Geschlossenheit und der Zusammenhalt. Es ist wie eine Fahrt im dicken Nebel. Orientierung gibt es praktisch keine mehr.

Dass es dazu gekommen ist, hat zu einem guten Stück die Politik zu verantworten. Je nach Blickwinkel der Kanzler, der Gesundheitsminister, Landeshauptleute, Oppositionspolitiker. Das ist gängige Meinung und die ist sicherlich so falsch nicht. Die Performance all dieser Leute war und ist, selbst eingedenk der völlig neuen und nachgerade herkulischen Herausforderung, allenfalls respektabel, aber ganz sicher nicht berauschend.

So weit, so schlecht. Was in der öffentlichen Diskussion seit langem unterbelichtet ist, ist die Rolle der Wissenschaft von medizinischen Experten und auch von Ärzten. Denn dass die Stimmung im Land so ist, wie sie ist, dass alles in Zweifel gezogen wird und den Österreicherinnen und Österreichern die Orientierung und auch das Vertrauen verloren gegangen ist -das alles ist auch und wohl vor allem Exponenten der Fachwelt anzukreiden, die allzu oft ihrer Eitelkeit erlagen und immer noch erliegen und oft an keinem Mikrofon und an keiner Kamera vorbeigehen zu können scheinen, weil man die Gelegenheit zu Ruhm, und sei der auch noch zu zweifelhaft, nicht ungenützt lassen will.

Der ORF-Report hat vorige Woche einigen aus dieser Spezies den Spiegel vorgehalten. Etwa dem Ages-Experten Allerberger, der noch im März zu Beginn der Pandemie auf die Frage, ob es Sinn mache, eine Schutzmaske zu kaufen, antwortete "Ich würde das Geld für diese FFP-Maske, das sind doch zwei, drei Euro, für Besseres verwenden - einen Kaffee und sich ganz ruhig entspannen und die Zeitung lesen und genießen." Auch der Herr Sprenger kam in dem Beitrag vor, jener "Public-Health-Experte", der nach wenigen Wochen aus dem Beratergremium des Gesundheitsministers ausscherte, um fürderhin in Zeitungs-und Fernsehinterviews mit rechthaberischem Unterton Unruhe zu stiften.

Auch die Ärzte und die Ärztekammern trugen nach Kräften ihren Teil zur heutigen Gemütslage des Landes bei. Nur logisch nimmt sich im Nahhinein aus, dass etwa die Ärztekammer Oberösterreich just den beiden genannten Herren noch im September mit einem großen Presseauftritt eine Bühne bot. "Tenor damals", hieß es im "Report","die Lage sei unter Kontrolle, kein Grund zur Panik".

Und da ist noch gar nicht die Rede von Sucharit Bhakdi, einem pensionierten Uniprofessor und deutschen Facharzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie, der auf Servus-TV Woche für Woche einem Guru nicht unähnlich seine Fangemeinde mit eigenwilligen und nicht selten kruden Thesen und Informationen zu Corona füttert. Bhakdi hat gemeinsam mit dem Mateschitz-Sender Corona-Skepsis zum Geschäftsmodell gemacht. Unter dem Mantel der Aufklärung wird Woche für Woche aber nichts anderes als Zweifel und Unsicherheit gesät.

Diese und einige ihrer Kolleginnen und Kollegen wurden schnell zu Kristallisationspunkten, von denen aus die Verunsicherung wuchs und die Zweifel wucherten. Schließlich konnten sich plötzlich auch Hinz und Kunz auf "Fachmeinungen" berufen und zu ihrer Verbreitung beitragen und man bei der Bekämpfung der Pandemie mit einem nur mehr geringen Verständnis für Maßnahmen zu kämpfen hat.

Dass das möglich war, hat wohl auch damit zu tun, dass viele Wissenschafter, die etwas zu sagen hätten, in diesem Land sich allzu oft das Licht der Öffentlichkeit nicht antun wollen, sondern lieber in ihren Instituten und Kämmerleins bleiben. Man kennt das seit Jahren und Jahrzehnten. Und man kennt das nicht nur aus der Medizin.

Damit freilich wird das Feld allzu oft Leuten überlassen, die anderes antreibt als Verantwortung. Wie gefährlich das werden kann, zeigt sich jetzt. Der Politikexperte Peter Filzmaier brachte es dieser Tage auf den Punkt. Seine Empfehlung: "Der persönliche Ehrgeiz täglich irgendwo zitiert zu werden, sollte für mehr Qualität gezügelt werden". Die akademische Diskussion sei wichtig, weil sie die Wissenschaft und die Erkenntnis voranbringe. "Nicht über alles davon sollte jedoch im Fernsehen, in den Zeitungen oder in Onlinemedien gestritten werden."

Insbesondere den medizinischen Experten sei das ins diesen Tagen ins Stammbuch geschrieben.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 3. Dezember 2020

Samstag, 28. November 2020

Biobauer nur mit Ausnahmegenehmigungen?

Weil die EU-Bioverordnung in das Jahr 2022 verschoben wurde, warten Österreichs Biobauern auf neue Übergangsbestimmungen für das kommende Jahr.


Hans Gmeiner 

Wien. Vor einem Jahr war bei den heimischen Biobauern Feuer am Dach. Weil in Österreich nach Ansicht der EU die Regeln für den Biolandbau allzu großzügig ausgelegt wurden, drohte Hunderten Bauern die Aberkennung des Biostatus. Plötzlich stand damals der Ruf Österreichs als europäisches Bioland Nummer eins auf dem Spiel. Am letzten Abdruck fand man mit Anpassungen und Fristerstreckungen in den kritisierten Bereichen Lösungen für das heurige Jahr, die auch von der EU akzeptiert wurden und mit denen auch die Bauern leben konnten. Der befürchtete Einbruch des Biolandbaus in Österreich blieb aus. Nur ganz wenige Bauern stiegen aus Bio aus. Jetzt ist das Thema wieder auf dem Tisch. Da die neue EU-Bioverordnung von 2021 auf 2022 verschoben wurde, braucht man nun auch für das kommende Jahr eine Übergangslösung. Die freilich steht fünf Wochen vor Beginn des neuen Jahres erst in groben Zügen fest. In den nächsten Tagen erwartet man in Wien ein klärendes Schreiben aus Brüssel, in dem offene Fragen beantwortet und der Weg für 2021 vorgegeben wird.

Worauf sich die Biobauern einstellen müssen, steht noch nicht fest. Anders als heuer wird es, so viel ist schon jetzt klar, keine generellen Lösungen für all jene Bauern geben, die Probleme haben, aber die schon jetzt gültigen EU-Anforderungen erfüllen. Nach derzeitigem Stand der Diskussion wird es in Zukunft etwa bei der Weidehaltung oder der Überdachung des Auslaufs für die Tiere notwendig sein, dass jeder Bauer eine Ausnahmegenehmigung für jede Maßnahme, die er nicht erfüllen kann, beantragen muss. Das gilt auch für die Anbindehaltung von Kühen oder die EU-Vorgaben bezüglich der Enthornung von Rindern oder bei der Kastration von Ferkeln.

Auf die Biobauern, aber auch auf die Beratung und die Biokontrollstellen kommt damit ein enormer bürokratischer Aufwand zu. Der lässt in Fachkreisen bereits die Köpfe rauchen. „Ein durchschnittlicher Biobetrieb wird bis zu drei Ausnahmegenehmigungen brauchen“, ist zu hören. Allein für die temporäre Anbindehaltung von Kühen über die Wintermonate wird rund die Hälfte der Biobetriebe einen Ausnahmeantrag stellen müssen.

Wenn Tausende Bauern nur auf Grundlage von einer oder gar mehreren Ausnahmegenehmigungen Biolandwirtschaft betreiben könnten, könnte das neben der Bürokratie auch andere unangenehme Konsequenzen haben, konkret einen nicht unbeträchtlichen Imageschaden der Biolandwirtschaft.

Unklar ist auch noch, wie es mit den von den Bauern geforderten Weideplänen weitergehen wird. Sie wären eigentlich bis Ende November dieses Jahres zu erstellen gewesen. Nun geht man davon aus, dass die Frist dafür bis Ende März erstreckt wird. Noch nicht vom Tisch sind auch die von der EU angedrohten Strafzahlungen. Dabei geht es um bis zu 100 Millionen Euro, heißt es in informierten Kreisen.

Klar ist indes, dass die heimischen Biobauern nach dem neuerlichen Übergangsjahr nach Inkrafttreten der neuen EU-Bioverordnung im Jahr 2022 nicht mehr auf Ausnahmen hoffen können. Dann wird auch für sie gelten, was für alle europäischen Biobauern gilt.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 28. November 2020

Donnerstag, 26. November 2020

Der ganz normale Wahnsinn

Der Briefträger hat den Wahnsinn im Auto. Sein Kastenwagen ist bis oben hin gerammelt voll mit Paketen. Mit großen, mit ganz großen und mit zahllosen kleineren dazwischen. Und immer werden es noch mehr. "Sogar einen zwei Meter langen Baum samt Wurzelballen habe ich heute mit", sagt er. Er hat es irgendwie geschafft, ihn zwischen all die Pakete hineinzuzwängen. "Das ist ein Wahnsinn", stöhnt er. Und es ist ihm nur recht zu geben.

Aber der Wahnsinn ist verständlich. Es geht wohl nicht anders. Die Geschäfte haben zu, Weihnachten steht vor der Tür und Rabatte locken. Da fallen die Hemmungen schnell, zumal ja gar nicht sicher, ob vor Weihnachten wirklich noch die Geschäfte aufgemacht werden. Mit unabsehbaren Folgen. War das Internet schon bisher eine überstarker Konkurrent für viele im heimischen Handel, so droht heuer die Situation regelrecht zu kippen, weil die Konsumenten im Lockdown kaum Alternativen haben. Und das kann für viele Firmen desaströse Ausmaße annehmen.

Dabei steht man erst am Beginn des Wahnsinns, der in dieser Woche mit der Black Week startete, Ende der Woche im Black Friday als internationalen Schnäppchentag gipfelt und dann nahtlos in das Weihnachtsgeschäft übergeht, das sich heuer wohl mehr denn je online abspielen wird. "Der Onlinehandel ist seit Jahren auf dem Vormarsch", heißt es in Analysen. "Die Coronakrise hat scheinbar alle Dämme brechen lassen: Während stationäre Händler massiv verlieren, wachsen Onlineanbieter zweistellig." Schon im Vorjahr kutschierten Post und Paketdienste allein im Dezember nicht weniger als eine Million Pakete durchs Land. Es ist wohl davon auszugehen, dass heuer die bisherigen Zahlen abermals deutlich übertroffen werden. "Die Verbraucher dürften heuer weniger die Innenstädte fluten, sondern mehr online kaufen", heißt es allerorten. Könnte durchaus sein, dass Corona den endgültigen Sieg des Online-Handels markiert.

Aber nicht nur das. Es gibt auch vielen heimischen Handelsbetrieben endlich den Digitalisierungsschub, den sie längst gebraucht hätten, um sich gegen die internationalen Riesen zu behaupten. Es steht zu hoffen, dass Corona auch in diesem Bereich, in dem man schon so viel Terrain verloren hat, dass sich Existenzängste breit machten, eine Wende markiert. Denn angesichts des Drucks versuchen inzwischen immer mehr Unternehmen dagegenzuhalten, bauen in aller Eile einen Versand ihrer Produkte auf, setzen auf Service und Nähe und sehen das oft so angefeindete Internetgeschäft als den einzigen Weg zu den Kunden.

Es ist oft bewundernswert, was da in aller Eile auf die Beine gestellt wird. Rund 5.000 Webshops gibt es inzwischen in Österreich, dazu eine ganze Reihe von E-Commerce-Plattformen, die versuchen das Angebot der Unternehmen zu bündeln und Internet-Kunden zu österreichischen Anbietern zu lenken. Von Shöpping.at bis hin zu Kauf regional. Für den Handel und andere Unternehmen auch, die nun auch online ihre Produkte und Dienste anbieten, ist das ein Qualitätssprung, der nicht hoch genug geschätzt werden kann.

Vor Illusionen sei dennoch gewarnt. Auch die tollsten Konzepte und Innovationen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass man dennoch oft auf verlorenem Posten steht. Selbst große Unternehmen tun sich schwer, sich zu behaupten. Diese Entwicklung braucht angesichts der ungleichen Kräfteverhältnisse mehr Aufmerksamkeit von der Politik. Denn es geht nicht nur um wirtschaftlichen Erfolg und den Schutz vor übermächtiger Konkurrenz, sondern auch um die vielen dunklen Flecken des Booms. Dauergestresste Kurierdienste sorgen für eine zusätzliche Verkehrsbelastung, mehr CO2-und Schadstoffausstoß und jede Menge Verpackungsmüll. Der zumindest ließe sich beschränken, würde mit vielen Packungen nicht vor allem Luft transportiert, weil sie viel zu groß sind für die Dinge, die in ihnen geliefert werden.

Aber davon redet niemand, schon gar nicht, dass es Anstalten gäbe, diese Entwicklung zu begrenzen. Die Politik ist gefordert, steuernd einzugreifen, Fehlentwicklungen in den Griff zu kriegen. Genauso wie von den Konsumenten Verantwortung einzufordern ist. Denn letztendlich sind sie es, die mit ihrem Verhalten und der Jagd nach immer noch billigeren Schnäppchen den ganzen Wahnsinn erst ermöglichen und Entwicklungen lostreten. Schon vor Corona. Und seit Corona erst recht.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 26. November 2020

Donnerstag, 19. November 2020

Sorglos durch die Jahre

Da waren sie wieder diese Bilder. Schlangen vor Geschäften, die mit Sonderangeboten lockten, überfüllte Einkaufszentren, volle Supermärkte. Und da waren auch wieder die leeren Regale. Da und dort zumindest. Das Land bereitete sich nicht auf den neuen, jetzt als "hart" ausgerufenen Lockdown vor, sondern nutzte noch einmal die Möglichkeiten des "weichen" Lockdowns, mit dem seit Anfang November vergeblich versucht wurde, die Corona-Zahlen in den Griff zu kriegen. Allerorten schien man nachgerade die Sorglosigkeit beweisen zu wollen. Und sorglos sind die Österreicher wohl. Nicht nur im Umgang mit der Pandemie, sondern auch in der Vorbereitung auf Herausforderungen wie diese.

Corona zeigt viel. Es legt Charaktere offen, es führt vor, wie Menschen in besonderen Situation ticken und auch, wozu sie fähig respektive nicht fähig sind. Corona hat bisher viele neue Einsichten eröffnet. Eine davon war gerade am vergangenen Wochenende wieder eindrücklich zu besichtigen. Man tut sich schwer damit, zu lernen. Nicht einmal aus den Erfahrungen, die man im Frühjahr vor dem ersten Lockdown machte, als man um Klopapier anstand und die Supermärkte regelrecht plünderte, weil man Angst um die Versorgung, aber nichts zu Hause hatte.

Wer glaubte, diesmal sei es besser, wurde eines Besseren belehrt. Wieder waren vor allem die Haushalte schlecht vorbereitet, längst vergessen waren die Vorhaben, Pläne und Versprechungen, sich für Notzeiten Vorräte anzulegen. Besser vorbereitet sind diesmal allenfalls die Hersteller und der Handel in den neuen Lockdown gegangen. Die privaten Haushalte hingegen kaum. Gut bestückt sind dort allenfalls die Alkoholvorräte, sonst aber schaut es eher schlecht aus, ätzen nicht ohne Grund Kritiker des österreichischen Schlendrians.

Wenn es nicht gerade um Dinge geht, die mit Geld zu regeln sind, wie etwa Sparen oder Versicherungen, haben die Österreicherinnen und Österreicher ein gestörtes Verhältnis zur Vorsorge für schlechte Zeiten. Kaum jemand sichert sich mit Vorräten oder technischen Vorkehrungen für Ernstfälle, wie jetzt die Pandemie, aber auch gegen Stromausfälle oder andere technische Katastrophen oder Ähnliches ab, die gemeinsam haben, im Ernstfall just nicht mit Geld geregelt werden zu können.

Laut einer Umfrage in Oberösterreich fühlt sich dort nur rund ein Zehntel der Bewohner selbst sehr gut auf einen Ernstfall vorbereitet. In anderen Bundesländern wird es kaum anders sein. Appelle der Zivilschutzverbände -ja, so etwas gibt es -"Vorsorge sollte ein Dauerthema sein und jeder Haushalt in Österreich sollte eine Grundbevorratung haben" verhallen hierzulande traditionell völlig wirkungslos.

Und das ist den Österreicherinnen und Österreichern nicht einmal zu verargen. Die Öffentlichkeit, respektive der Staat, lebt ihnen seit Jahrzehnten nichts anderes vor. Wenn, wie vor wenigen Jahren, der damalige Landwirtschaftskammerpräsident Schultes den Aufbau von Getreidelagern forderte, um für Notfälle gewappnet zu sein, erntete der Vorschlag nicht einmal ein müdes Lächeln, sondern allenfalls Häme, weil man dahinter wieder eine Bauernlist vermutete, zu mehr Geld zu kommen. Gar nicht zu reden davon, was sich die seinerzeitige Gesundheitsministerin Rauch-Kallat jahrelang wegen des Vorrats an Schutzmasken anhören musste, den sie seinerzeit wegen der Bedrohung durch SARS anlegen ließ. Und Legion sind die Pamphlete, in denen Politiker und Leitartikler eine, wie sie sie befanden, Überzahl an Spitalsbetten geißelten. An dieser Haltung änderte sich auch nichts, als im Vorjahr das Festnetz in weiten Teilen Österreichs ausfiel. Und nicht einmal, als man im Frühjahr in aller Welt um Schutzkleidung und Masken betteln musste.

Letztere gibt es nun zwar, aber die anderen großen Themen sind immer noch offen. Trotz aller Erfahrungen und Versprechungen in und mit der Corona-Krise. Immer noch etwa gibt es keine Antwort auf die Warnung von Experten, dass binnen fünf Jahren etwa mit einem Strom-Blackout zu rechnen ist. Nicht von der Politik und nicht von der Wirtschaft. Und auch nicht von privaten Haushalten.

Was aber ist, wenn dann wirklich der Strom weg ist, wenn die Lifte stecken und die Kühltruhen auftauen, kein Wasser fließt und kein Telefon funktioniert? Man will es sich nicht ausmalen, aber man könnte es vielleicht doch so einrichten, dass man halbwegs zurande kommen kann damit. Jetzt wäre die Zeit dazu. Auch im Privatbereich.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 19. November 2020

Donnerstag, 12. November 2020

Von wegen immer super

In Österreich versucht man sich in diesen Tagen zu sortieren. Und man muss es wohl auch. Österreichs kleine Welt, die man sich so arglos zurechtgezimmert hat, taugt nicht mehr wirklich zum arglosen Wohlfühlen. Das Attentat in Wien hat Angst und Entsetzen verbreitet und das Land in einen Schock versetzt. Und wurde man noch im Frühjahr nicht müde, sich als das Land, das Corona am besten im Griff hat, auf die Schultern zu klopfen, zählt Österreich jetzt zu den Ländern, in dem die Zahlen explodieren wie kaum sonstwo. Und das alles in einem Land, dessen Selbstverständnis und dessen Selbstbewusstsein darauf fußt, etwas ganz Besonders zu sein. Etwas Besseres in einer Welt, die von immer mehr als immer schlechter, ungerechter und bedrohlicher empfunden wird. Eine Insel der Seligen, wie man so gerne sagt.

In Österreich ist man ja immer schnell mit Superlativen, wenn es darum geht, das Ego aufzublasen. Da erbaut man sich daran, dass die Bundeshauptstadt angeblich die lebenswerteste Metropole der Welt sei, man hält sich für das gastfreundlichste Volk, behauptet nicht nur, das beste Essen, sondern auch die weltbesten Lebensmittelstandards zu haben, die saubersten Gewässer und die besten Skifahrer. Jeder bessere Landeshauptmann respektive jede bessere Landeshauptfrau ernennt ein paar benachbarte und toll funktionierende Unternehmen gleich zur europaweit führenden Wirtschaftsregion, und wer in Übersee oder im Fernen Osten Erfolg hat, gilt gleich als Exportweltmeister oder Weltmarktführer. Und klar, dass man sich auch, wie dieser Tage der "Kurier" schrieb, für eines der bestverwalteten und sichersten Länder der Welt hält.

Spätestens hier aber zeigt sich, dass die Wirklichkeit nicht stützen kann, was bei vielen, vor allem auch vielen Politikern in Regierungsverantwortung, das Selbstbewusstsein nährt. Denn das stimmt wohl nicht und ist nicht zu halten. Österreichs Verwaltung ist gut und man muss froh sein, so eine zu haben, aber sie ist nicht die beste und schon gar nicht Weltklasse, wie immer wieder versucht wird uns weiszumachen. Das zeigte sich ganz dramatisch rund um das Wiener Attentat, bei dem die Pannen im Umgang mit dem späteren Attentäter sehr schnell ruchbar wurden. Das zeigte sich aber auch schon vorher immer wieder. Man denke nur an all das, was alleine in der Corona-Krise auffällig wurde - von den schlampigen Verordnungen, die vor dem Höchstgericht nicht standhielten, bis hin zur fehlenden Schutzkleidung für das Gesundheitspersonal. Es sei erinnert an den Commerzialbank-Skandal, von dem man immer noch nicht glauben kann, dass er möglich war, oder an die Hypo Kärnten. Und es wundert nicht, wenn jetzt in den Zeitungen steht: "Bei jeder der vielen Krisen in letzter Zeit fliegt ein eklatantes Behördenversagen auf."

Das zeigt, was man hierzulande nicht gerne hört -Österreich ist nicht so perfekt, wie man sich gerne gibt. Österreich braucht keinen internationalen Vergleich zu scheuen, in keinem Belang. Und es stimmt vieles von dem, woran sich in Österreich jedermann und jedefrau aufbaut. Aber es stimmt eben nicht in dem Maß, wie man es für sich Anspruch nimmt. Österreich ist gut, aber es ist nicht so gut, wie man gerne vorgibt zu sein. Im internationalen Vergleich hält es selten, weil es halt oft nicht mehr als Überschriften und Schlagworte sind, mit denen man sich gut darstellen will.

Man neigt im Land schnell zu Superlativen, die keine sind. Das mag mit der Größe, respektive Kleinheit des Landes zusammenhängen, das international gesehen und beachtet werden will. In vielen Bereichen kann das zur Gefahr werden, weil es, um noch einmal den "Kurier" zu zitieren, oft auch "an der Fehleranalyse hapert". Man schaut zu wenig genau hin und man neigt dazu die Augen vor der Wirklichkeit lieber zu verschließen, als etwas zu verändern. Eines der großen Probleme dieses Landes ist, dass man zwar nicht dazu neigt, sich selbst zu belügen, aber doch dazu, Dinge geschönt darzustellen und dabei mitunter die richtigen Weichenstellungen versäumt.

"Weltberühmt in Österreich" zu sein reicht zu oft. Das ist ja nicht grundsätzlich unsympathisch. Aber mehr Selbstkritik und weniger Selbstüberschätzung wären oft sehr viel richtiger und angemessener. Auch deswegen, damit es nicht zu solch fatalen Fehlern kommt, die zu Folgen wie den Ereignissen am Montag der Vorwoche in der Wiener Innenstadt führen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 12. November 2020

Donnerstag, 5. November 2020

Jugend am Abstellgleis?

So jung war noch keine Regierung. Und ausgerechnet bei ihr ist überall von den Sorgen zu hören, dass die jungen Menschen in der Corona-Pandemie von der Politik im Stich gelassen werden. "Die Jugend zahlt wieder die Zeche", schreiben die Zeitungen. Wohl nicht zu Unrecht.

Längst macht sich bei den Jungen Frust breit. Nicht nur, dass sie keine Gelegenheit hatten, ihre Matura oder ihren Schulabschluss zu feiern, dass ihnen Praktika gestrichen oder Ferienjobs abgesagt wurden und die Führerscheinkurse zu Endlosgeschichten wurden, weil die Fahrschulen nicht mehr nachkamen. Längst geht es auch ans Eingemachte, das man nicht mehr mit einem Achselzucken und ein paar beruhigenden Worten beiseiteschieben kann. Der Arbeitsmarkt für die bis zu 29-Jährigen hat sich mit Corona völlig gedreht. Auf dem Lehrlingsmarkt fehlen tausende Plätze, auch wenn da und dort davon zu hören ist, dass die Lücke kleiner wurde und nicht mehr ganz so viele Lehrstellen fehlen. Immer noch sind gut 40.000 Jugendliche, ein Drittel mehr als vor einem Jahr, derzeit arbeitslos. Inklusive derer, die derzeit AMS-Schulungen absolvieren, sind es gar 61.000. Und es werden in den nächsten Monaten wohl nicht weniger werden.

Die Politik horcht immer noch nicht auf. Die Regierung kündigt Projekte wie einen "Aktionsplan gegen Armut" oder einen "Pakt gegen die Alterseinsamkeit." Aber Programme und Initiativen für die Jungen? Fehlanzeige. Da verwundert nicht, dass der Frust wächst. Das Integral-Institut erhob, dass die jungen Menschen bis 29 ihre Situation überdurchschnittlich pessimistisch sehen. 40 Prozent, mehr als alle anderen Altersgruppen, blicken besorgt in die Zukunft und fürchten um ihre Lebenschancen. Diese Stimmungslage bestätigt auch der am Wochenende veröffentlichte "JugendTrendMonitor" von Marktagent und DocLX. Demnach machen sich inzwischen bereits 45 Prozent der Jungen Sorgen um ihre berufliche Zukunft, elf Prozent sogar sehr ernste. Fast neun von zehn der 20-bis 25-Jährigen sind überzeugt, dass Corona die Situation für Berufseinsteiger besonders schwierig macht. Und mehr als zwei Drittel halten die Maßnahmen der Bundesregierung, die beruflichen Chancen der Jugend in der derzeitigen Situation zu verbessern, für "nicht ausreichend".

Dabei hat die Zukunft noch gar nicht begonnen. Denn was den Jungen nicht nur jetzt in der Krise aufgebürdet wird, wird sich noch als große Last erweisen. Da geht es auch um die Finanzierung des Pensionssystems oder um die Klimalasten, die wir seit Jahrzehnten in die Zukunft verschieben. Da geht es auch, und das zeigt sich jetzt, wo das Land mit der Devise "Koste es was es wolle" durch die Krise zu kommen versucht, um enorme Schuldenberge, die die nächste Generation und wohl auch die übernächste abbauen muss. Der Verweis darauf, dass es noch keiner Generation so gut ging und sie vom noch nie dagewesenen Wohlstand profitiert, wird da nicht mehr verfangen. Vor allem auch, weil das für viele der Jungen auch gar nicht stimmt, so wie es nie gestimmt hat.

Es ist schwer abzuschätzen, was die Krise für die Jungen wirklich bedeuten wird und wie schlimm die Spuren sein werden, die die Erfahrungen, die sie in diesen Monaten machen, in ihren Lebenschancen und in ihren Lebensläufen hinterlassen werden. Klar ist nur, dass die Politik gefordert ist, die Jungen nicht zu übersehen und sie und ihre Sorgen ernst zu nehmen. Es muss alles getan werden, sie nicht aus dem System kippen zu lassen und ihre Chancen und Perspektiven für ihr Leben aufrechtzuerhalten.

Junge Menschen halten viel aus und sind auch belastbar. Aber auch sie haben ihre Grenzen. Und die sind schnell erreicht, wenn sie erkennen müssen, dass sie alleingelassen werden und dass man es sich zu ihren Lasten richtet. Billige Versprechungen nutzen da wenig. "Es geht darum, die jungen Menschen, die krisenbedingt um ihre Chancen gebracht zu werden drohen, in den Arbeitsmarkt, den Sozialstaat, die Gesellschaft zu integrieren", hieß es schon vor Monaten in einer großen österreichischen Tageszeitung. "Wir können es uns nicht leisten, wegen eines Virus und der damit verbundenen Verwerfungen ganze Jahrgänge junger Menschen zu verlieren."

Dem ist nicht nur zuzustimmen. Das ist auch zu leben und beständig einzufordern.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 5. November 2020

Donnerstag, 29. Oktober 2020

Der Kampf ist eröffnet

 

Über „klassische Klientelpolitik“ wurde geschimpft und darüber, dass eine große Chance „fahrlässig verspielt“ wurde. „Desaster für Klima- und Artenschutz“ hieß es da und „Schwarzer Tag für Europa“. Es war davon zu lesen, dass die „Agrarlobby“ gewonnen habe. Und Greta Thunberg erregte sich darüber, dass dadurch die „ökologische Zerstörung“ beschleunigt werde.

Wenn es nach den oft sehr kritischen und zuweilen nachgerade bösartigen Kommentaren zur EU-Agrarreform geht, die in den vergangenen Tagen zu hören und zu lesen waren, kann das, was die Agrarminister und das EU-Parlament beschlossen haben, für die Bauern nicht so schlecht sein. Auch wenn man nicht mit allem zufrieden sein muss, gilt doch wohl was die EU-Abgeordnete Simone Schmiedtbauer so formulierte: „Die starke Stimme der Realität hat gesiegt“.

So ist es wohl. Österreichs Agrarpolitik feiert vor allem, dass es gemeinsam mit der Allianz mit sieben kleineren EU-Ländern gelungen ist die Anrechenbarkeit bestehender Umweltprogramme durchzusetzen. „Das große Ziel, das österreichische Agrarmodell abzusichern und weiterentwickeln zu können wurde erreicht“ loben sich die Verhandler.

Was aber konkret auf Österreichs Bauern zukommt und wie das österreichische Agrarmodell, auf das man so stolz ist, wirklich weiterentwickelt werden soll, ist nach wie vor offen. Fix ist nur, dass damit auch die Träume von gleichen Flächenprämien für Alm- und für Talböden Träume bleiben.

Bei der konkreten Ausgestaltung einer Agrarreform in Österreich gab es jedenfalls noch selten so große Spannungen. Die Stellungen sind längst bezogen und wurden nach Bekanntwerden der der EU-Einigung prompt in den ersten Stellungnahmen bekräftigt. „Jetzt gilt es auf nationaler Ebene das Beste für unsere kleinstrukturierten Betriebe herauszuholen“, ließ etwa Tirols Kammerpräsident Josef Hechenberger wissen. „Wir werden uns in Wien in besonderer Weise für die Almwirtschaft aber auch die Grünlandbewirtschaftung im Berggebiet einsetzen.“ Gerade diese Betriebe müssten sich auf eine Kontinuität bei den Zahlungen verlassen können. Und aus Oberösterreich, wo man befürchtet, dass viele Bauern aus den Umweltprogrammen aussteigen könnten, wenn sie schlechter gestellt werden, meldete sich Präsidentin Michaela Langer-Weninger umgehend und forderte „nun konkrete Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen so zu gestalten, dass deren Umsetzung auch für intensiver geführte Tierhaltungsbetriebe und Gebiete mit höheren Ernteerträgen wirtschaftlich attraktiv ist“.

Nicht nur zwischen den Bauern dieser beiden Länder stehen die Interessen oft diametral gegeneinander. „Die Herausforderungen bleiben groß“, weiß Josef Moosbrugger, der aus Vorarlberg stammende Präsident der Landwirtschaftskammer Österreich. Die Herausforderung besteht wohl auch darin, dass man nun auch in Österreich ein Modell für die Umsetzung der Agrarreform zusammenbringt in dem sich auch die „starke Stimme der Realität“ durchsetzt.

Das verlangt viel Fingerspitzengefühl und Verständnis. Von den Interessenvertretern, von den Bauern und vor allem auch von den NGO die diesmal in Österreich so viel mitzureden haben wie noch nie. Auch wenn nun der Kampf eröffnet ist.

Gmeiner meint - Blick ins Land, 29. Oktober 2020

Das Vertrauen sinkt mit steigenden Zahlen

Gesundheitsminister Rudolf Anschober mausert sich zum Phänomen. Selten wohl hat es in diesem Land einen Minister gegeben, der sich mit so vielen Fehlern so lange hält. Und noch dazu so gut. Dem Oberösterreicher kann offenbar nichts etwas anhaben. Nicht, dass die Corona-Zahlen in den Himmel schießen, nicht, dass die Verordnungen aus seinem Ministerium selten mehr als Flickwerk und oft nichts als peinlich sind, nicht das Ampel-Chaos. Und auch nicht, dass trotz all seiner zur Schau getragenen Betulichkeit die Pandemie alles anders als im Griff, sondern vielmehr dabei ist völlig außer Kontrolle zu geraten. Anschober scheint immer noch wenig Schaden genommen zu haben. Die Menschen vertrauen ihm und seine Glaubwürdigkeit ist aller Patzer zum Trotz immer noch ungebrochen.

Anders liegt das bei Bundeskanzler Kurz. Im Gegensatz zu seinem Gesundheitsminister tut der sich zunehmend schwerer bei den Österreicherinnen und Österreichern das Vertrauen und die Glaubwürdigkeit zu erhalten. Er wird als Regierungschef mit anderen Maßstäben gemessen und die Coronakrise ist, wie für manche seiner Kollegen in anderen Länder auch, dabei zu einer ernsten Prüfung für den weiteren Verlauf seiner politischen Karriere zu werden. Seine Werte haben zum Sinkflug angesetzt. Und offen ist, wo der enden wird.

"Die Zahl der Unzufriedenen steigt", konstatierte erst dieser Tage Peter Filzmaier und verwies darauf, dass derzeit nur mehr 41 Prozent der Bevölkerung mit der Corona-Politik der Bundesregierung zufrieden sind. Im Mai waren es noch 70 Prozent. "Eine Fortsetzung der Negativentwicklung in den Vertrauensdaten" aber wäre "fatal", meint der Politikwissenschafter.

Das Image des Kanzlers hat Kratzer abbekommen. Auch wenn er und seine Partei immer noch unangefochten weit vor der Konkurrenz liegen, ist inzwischen durchaus vorstellbar, dass die Corona-Krise dereinst einen Wendepunkt in seiner bisher so tadellosen Karriere markieren könnte. Kurz glänzt nicht mehr. Das Virus setzt auch dem Kanzler zu und droht ihn zu entzaubern. Er wirkt nicht mehr so souverän wie vor und zu Beginn der Krise. Er tut sich heute, in der zweiten Welle, anders als noch im Frühjahr, schwer, die Menschen hinter sich zu vereinigen und auf den gemeinsamen Kampf gegen die Pandemie einzuschwören.

Auch aus eigener Schuld. Die immer öfter unglückliche Kommunikation, die oft nur noch mehr Verwirrung stiftet, Versprechungen und Einschätzungen, die sich als falsch erwiesen, die politischen Ränkespiele, das Negieren der Opposition und die Probleme mit der Unterstützung für die Wirtschaft und vor allem den Tourismus zeigen Wirkung. Er muss sich vorhalten lassen, die Sommermonate ungenutzt verstreichen gelassen zu haben. Dazu kommen die permanenten Angriffe der Opposition.

Das kann sich für das ganze Land rächen, zumal die Lage seit Wochen außer Kontrolle zu geraten scheint. Corona frisst sich immer tiefer in das Leben der Menschen und in die Wirtschaft. Entlassungen und Firmenschließungen werden immer mehr, der Arbeitsmarkt erholt sich nicht und die Aussichten werden immer düsterer. Menschen, die sich das nie gedacht hätten, haben inzwischen ihren Job verloren und damit viel weniger Geld.

Erst dieser Tage schlug die Caritas Alarm. "Das Geld reicht am Ende des Monats kaum noch für ein volles Einkaufswagerl, die Stromrechnung ist überfällig, ein kaputter Kühlschrank reißt plötzlich ein Loch ins Familienbudget", hieß es erst in der Vorwoche von der Hilfsorganisation der katholischen Kirche. In Teilen Niederösterreichs habe man seit Jahresbeginn in den Sozialberatungsstellen um 41 Prozent und in der Steiermark um 37 Prozent mehr Erstkontakte registriert als vor Jahresfrist. Und der Druck steige mit Fortdauer der Krise weiter an.

Auch wenn das Problem im Bewusstsein der Bevölkerung noch nicht wirklich angekommen scheint, ist die Herausforderung, vor denen die Gesellschaft und das ganze Land steht, nicht mehr zu übersehen. Die Corona-Pandemie ist nicht nur kurzfristig eine Bedrohung. Sie wird unser Leben wohl langfristig beeinflussen.

Für die heimische Politik und für alle, die sich dort für Stars halten und gehalten werden und auch für all die anderen wird das noch ganz andere Herausforderungen bringen, als das derzeit der Fall ist. Und viele werden dann zeigen müssen, was sie wirklich können. Ob sie nun Kurz heißen oder Anschober oder nicht ganz so berühmte Namen haben.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 29. Oktober 2020

Donnerstag, 22. Oktober 2020

Eine Haltung zerfrisst das Land

Es geht um eine Bankstelle im Oberösterreichischen, die geschlossen wurde. Und um einen Bankomaten, den die Bank gerne weiterbetreiben würde, wenn sie denn nur Unterstützung bekäme, zumal in einer kleinen Gemeinde, die, wie viele andere, zu klein ist, als dass sich dort auch unter Nachsicht aller Taxen rentabel Geschäfte betreiben ließen.

Diese Unterstützung ist freilich nicht in Sicht, dafür aber reichlich Protest, der sogar lokale Medien erreichte, weil eine Pensionistenvereinigung die Chance für etwas sah, was man dort offenbar für Aktivität hält. Man rief ein paar Mitglieder zusammen, postierte sie kameragerecht für den Fotografen von der Zeitung vor der ehemaligen Bank und gab der Sorge Ausdruck, dass "die älteren Mitbürger, welche nicht mehr so mobil sind und auch über kein Internetbanking verfügen", besonders betroffen sind.

Diese Sorgen sind durchaus berechtigt. Aber die Herrschaften auf dem Bild müssen sich freilich in der Bank geirrt haben, gegen den sie ihren Protest richteten. Denn nur ein ganz geringer Teil von ihnen waren auch Kunden dieser Bank. Die allermeisten, die da fürs Foto posierten, wickelten und wickeln ihre Bankgeschäfte offenbar über andere Bankinstitute ab, fern von dem Ort, in dem sie leben und in dem sie nun vorgeben, um die Geldversorgung zu fürchten.

Untypisch ist das nicht für das Wesen der Österreicher respektive der Österreicherin. Man fordert, ohne etwas in Anspruch zu nehmen, und man verlangt um des Verlangens willen. Meist auch ohne nachzufragen nach dem Wie und dem Warum, oft aber ohne jede Bereitschaft zur Lösung eines Problems selbst irgendetwas beizutragen. Um das Wie kümmert man sich nicht, dafür hält man gleichsam automatisch andere für zuständig.

Und zu diesem Wesen gehört auch, dass sich dann auch gerne Politiker einmischen, weil sie glauben eine Chance zu sehen. Freilich nicht um eine Lösung zu finden, sondern meist nur, um in die Zeitung zu kommen und so im Gespräch zu bleiben. Zu anderem, zu mehr, gar das über Phrasen hinausgeht, reicht es meist nicht.

Die Nahversorger kennen das, die Bauern und viele andere auch, die damit kämpfen, dass es alles Mögliche und Unmögliche von ihnen gefordert wird, dass es aber niemand zu kümmern scheint, wie sie über die Runden kommen. Im Gegenteil. Sie müssen oft zuschauen, wie die Menschen aus ihrer Umgebung aus ihrem Dorf, aus ihrer Gemeinde an ihren Geschäften vorbeifahren, einem günstigen Preis nach oder irgendeinem Sonderangebot. Die lieber Waren einkaufen, die aus der Ferne kommen, als das, was vor ihrer Haustür erzeugt wird, und die lieber im Internet bestellen, als dass sie in ihrer Umgebung einkaufen.

Diese Haltung hat in den vergangenen Jahren unser Land verändert. Zutiefst. Sie hat vor allem außerhalb der Städte im sozialen und im wirtschaftlichen Leben keinen Stein auf dem anderen gelassen. Appelle aus der Politik oder Hilferufe aus den Unternehmen konnten diesen Trend selten bremsen und nie stoppen. Und auch nicht Corona, das die Regionalität in ein neues Licht rückte.

Es ist, als sei die Gesellschaft nicht aufzuhalten, unverdrossen an dem Ast zu sägen, auf dem sie sitzt. Freilich gibt es zahllose Gründe dafür, dass es so gekommen ist. Und es ist auch niemandem zu verübeln, den Zug der Zeit zu nehmen. Was es freilich zuweilen schwierig macht, ist die Doppelbödigkeit der Menschen. Weit entfernt ist man oft davon, sich selbst an das zu halten, was man fordert. Legion sind die Umfragen, in der die Konsumentinnen und Konsumenten angeben, am liebsten heimische Lebensmittel und am liebsten in Bioqualität zu kaufen. Und Legion sind die Umfragen, in denen das Fehlen von Nahversorgern, Gewerbebetrieben, Ärzten und allem was noch dazugehört, beklagt wird.

Für die, die darauf vertrauten und sich auf Nahversorgungsprojekte einließen, endete das freilich nicht selten in einem Desaster, als sie feststellen mussten, dass all das, was da laut Umfragen ermittelt wurde, nur selten im täglichen Leben, wenn es um echte Euro und Cent geht, Gültigkeit hat. Und vielen Bauern, die oft im Vertrauen auf diverse Interessenbekundungen und Umfrageergebnisse neue Wege wagen, geht es oft nicht anders.

Man kann freilich sagen, das sei das unternehmerische Risiko. Viel öfter aber scheint es so etwas wie eine Irreführung von Unternehmungen zu sein. Mit der man dann freilich nichts zu tun haben will.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 22. Oktober 2020

Samstag, 17. Oktober 2020

Auch Puten brauchen Abstand

Ob bei der Putenmast oder im Schweinestall: Bei der Haltung von Tieren gelten in Österreich oft strengere Regeln – das freilich kostet. Die Kunden scheinen zunehmend bereit, das zu zahlen.

Hans Gmeiner
Regina Reitsamer 

Salzburg. Bis zu sechs Puten auf einem Quadratmeter, Schnabelkürzen, um Kannibalismus zu verhindern, Antibiotikaeinsatz und Züchtungen, bei denen Vögeln die Gelenke brechen, weil sie so viel Brustfleisch ansetzen. „Wer einen europäischen Puten-Großbetrieb besucht, dem vergeht die Lust auf Pute“, sagt Sarah Wiener, Fernsehköchin und österreichische Abgeordnete im EU-Parlament. Den Welternährungstag diesen Freitag nutzten Wiener und ihre Mitstreiter der Kochvereinigung Euro-Toques (Kochmütze) für einen Twitter-Aufruf: Nur aus guten Lebensmitteln könne man gute Gerichte zaubern. „Wir sind nicht mehr bereit, die Industriesuppe auszulöffeln.“ Extrembeispiel sei die Putenzucht.

Anders als bei Schwein, Huhn oder Kuh gibt es beim Truthahn europaweit keinerlei Regeln, was die Haltung betrifft. In Österreich ist das seit 2005 anders: 40 Kilogramm Lebendgewicht seien pro Quadratmeter Stall zulässig, erklärt Michael Wurzer, Geschäftsführer der Zentralen Arbeitsgemeinschaft der Geflügelwirtschaft ZAG. In Osteuropa seien es meist 70 Kilogramm, in Deutschland habe man sich freiwillig auf 58 Kilogramm geeinigt. Dazu hätten die meisten der 130 konventionellen und 35 biologischen Putenbauern in Österreich bei ihrem Stall überdachte Wintergärten für die Tiere und fütterten gentechnikfrei. Statt wie in Osteuropa Hunderttausende sind in Österreich im Schnitt 5800 Puten in einem Stall.

Mehr Platz, Licht und Luft heiße gesündere Tiere, betont Wurzer. Den Antibiotikaeinsatz habe man um 75 Prozent reduziert. Mit der Folge, dass österreichisches Putenfleisch 13 Euro koste, polnisches oft nur die Hälfte – und immer weniger heimisches Fleisch gekauft wurde. Der Selbstversorgungsgrad ist laut Statistik 2015 auf einen Tiefstwert unter 40 Prozent gefallen. Zuletzt freilich gebe es eine Trendwende.

Billa setzt seit dem Sommer ausschließlich auf heimische Pute. Die sei etwa um ein Viertel teurer als Putenfleisch aus Deutschland, der Absatz sei deswegen aber nicht zurückgegangen, betont Sprecher Paul Pöttschacher. Auch Spar arbeitet an einem eigenen Konzept.

Auch bei Schweinen wird inzwischen honoriert, dass die Tiere nicht aus Fabriken kommen, sondern zumeist auf familiengeführten Bauernhöfen großgezogen werden, die sich den Richtlinien des AMA-Gütesiegels und anderen Auflagen, die über das gesetzliche Mindestmaß hinausgehen, verpflichtet haben. „Die jahrelange Arbeit der AMA, der Landwirtschaftskammern und der Erzeugerverbände zeigt nun Früchte“, sagt Hans Schlederer, Chef der österreichischen Schweinebörse. „Derzeit ist dieses neue Österreich-Bewusstsein auf dem Markt rund 20 Prozent wert.“ So viel bekommen seit einigen Wochen in Österreich die Bauern mehr als ihre Kollegen in Bayern und im restlichen Deutschland. Dabei ist es hilfreich, dass der Lebensmittelhandel inzwischen nicht nur bei Frischfleisch auf österreichische Qualität setzt, sondern auch die Fleischverarbeiter dazu drängt, heimische Ware zu verarbeiten.

Dennoch ist der Schweinemarkt, den zuerst Corona und dann die Sperre Chinas für deutsches Schweinefleisch aus der Spur brachte, nichts für schwache Nerven. Obwohl Österreichs Schlachthöfe bisher ohne große Probleme durch die Coronakrise kamen und auch die Afrikanische Schweinepest das Land bisher verschonte, müssen Österreichs Schweinebauern seit Jahresbeginn Preisrückgänge von mehr als 25 Prozent hinnehmen. „Den Mästern bleibt seit Pfingsten nichts mehr“, sagt Schlederer, der dennoch damit rechnet, dass das Jahr insgesamt nicht zu den schlechten zählen wird.

Hoffnungen setzt die Branche darauf, dass Österreich bald die Lizenz für die Lieferung von Innereien und Schlachtnebenprodukten wie Ohren, Schwänzen und Ähnlichem nach China bekommt. „Da geht es um einen zusätzlichen Erlös von zehn bis 20 Euro pro Schwein“, sagt Schlederer. Derzeit ist Österreich mit einem jährlichen Exportvolumen von 12.500 Tonnen in China bereits der achtgrößte ausländische Lieferant von Schweinefleisch.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 17. Oktober 2020

Donnerstag, 15. Oktober 2020

Allerorten schweigt die Basis

Dieser Tage feiert man sich nach der Wienwahl in allen Parteien - bis auf einer - als Sieger. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass in Österreichs Parteien seit geraumer Zeit Ruhe herrscht. Allerorten schweigen die Funktionäre und die Basis. Als Parteimitglieder, selbst als Verantwortungsträger scheinen sie vor allem zu dulden. Zu schlucken vielleicht auch und sich zu wundern, sich vor allem aber still und stromlinienförmig im Sinn der jeweiligen Parteiline zu verhalten. Da ist kaum wo ein Aufmucken, da ist kaum etwas überliefert von großen Diskussionen und auch nichts von Flügelkämpfen.


Dabei müsste sich eigentlich bei den Türkisen und den Grünen die Basis und die Funktionäre wegen des zuweilen sehr chaotischen Corona-Managements längst zu Wort melden. Bei den Grünen war nach der Unruhe wegen Moria bald wieder Ruhe. Bei der SPÖ produziert die Parteichefin jeden Tag Diskussionsbedarf. Und den Freiheitlichen steht man trotz des Wien-Desasters am vergangenen Wochenende hinter Hofer und Kickl, wohl um Ruhe zu haben. Da ist noch gar nicht die Rede von den großen Themen wie den Problemen in der Wirtschaft, auf dem Arbeitsmarkt oder im Tourismus. Oder vom aus den Fugen geratenden Budget oder von Dauerthemen wie Pensionssicherung und all den Fragen, die sich im Sozial-und Gesundheitsbereich auftun. Und schon gar nicht von internationalen Fragen wie der Flüchtlingskrise vor den Toren Europas.

In der ÖVP ist man dem Bundeskanzler und Parteiobmann hörig und schweigsam ergeben. In der SPÖ hängt man seit dem Kern-Abgang immer noch in den Seilen. Die Grünen halten ihre Streitlust auch in den Grätzln und Gemeinden im Zaum, um die Regierungsarbeit nicht zu gefährden. Die Blauen halten still, um irgendwie doch mit dem Leben davonzukommen. Nur bei den Neos ist nichts zu beobachten, aber die haben ja auch kaum Mitglieder als eine organisierte Basis, die mitreden und aufmucken könnte.

Es ist nichts zu spüren im Land. Nichts von breiten Diskussionen. Nichts von Forderungen. Nichts davon, dass in den Parteien Junge irgendwo nachdrängen und Fragen stellen oder dass sich Unzufriedenheit und die Sorgen um die Zukunft in irgendeiner Form manifestieren außer in einem Achselzucken. Schon gar nicht gibt es so etwas wie eine Proteststimmung oder gar eine Wendestimmung. Es scheint, als hätten in allen Parteien alle ihre Verantwortung an ihre Spitzenpolitiker abgetreten und ihr politisches Engagement an den Nagel gehängt.

Corona mag eine Erklärung dafür sein, sie greift aber wohl zu kurz. Es hat wohl auch damit zu tun, dass sich auch die anderen Parteien die Kommunikationspolitik der Kurz'schen Volkspartei zum Vorbild genommen haben. Zugunsten eines geschlossenen Bildes scheinen sich nicht nur in der Volkspartei Funktionäre und Mitglieder der Führung unterzuordnen und ihre Beschlüsse und Werbestrategien brav bis ins hinterste Tal zu tragen -ohne lange zu fragen oder gar zu hinterfragen. Das machen auch die Funktionäre und Mitglieder der SPÖ kaum mehr anders, weil es ihnen als probatestes Mittel erscheint, Ruhe in die Partei zu bringen. Und sogar bei den Grünen zeigen sich solche Tendenzen, denkt man nur daran, wie rasch es wieder um die Aufnahme von Flüchtlingen aus Moria still wurde.

Alles scheint allerorten nur mehr auf eine "Message" und deren "Control" ausgerichtet zu sein. "Nur kane Welln" sagt man dazu in Wien. "Welln" würden nur stören.

Kurzfristig mag das ja durchaus sinnvoll sein. Aber langfristig kann das wohl nicht die politische Arbeit, zumal jene an der Basis der Parteien, ersetzen. Denn die Gesellschaft braucht Diskussionen. Nicht nur über den Lieblingsfußballclub oder die aktuelle Mode und das beste Essen, sondern auch über die gesellschaftlichen und politischen Anforderungen. Die Parteien waren in Österreich immer wichtige Orte und Katalysatoren dafür.

Nun aber muss man sich genau darum Sorgen machen, weil unübersehbar ist, wie sie von wenigen Politikern an der Spitze ohne Widerrede auch bei uns instrumentalisiert werden können, um vorgefertigte politische Anschauungen und Einschätzungen durchzusetzen. Und das gilt längst nicht mehr nur für die Kurz-ÖVP, die anfangs dafür von allen Seiten heftig kritisiert wurde, als sie mit einem völlig neuen Führungs- und Kommunikationsmodell die ÖVP übernahm. Es gilt längst auch für andere Parteien.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 15. Oktober 2020

Samstag, 10. Oktober 2020

Die Bauern fahren nicht die reiche Ernte ein


Weil in Krisenzeiten Regionalität gefragt ist, gelten die Bauern als Krisengewinner. In Wahrheit profitieren sie am wenigsten von dem Trend.


Hans Gmeiner

Linz. „Ich schaue auf regionale Qualität“, heißt es in der neuesten Werbekampagne der AMA. In Wien tourten kürzlich die Jungbauern mit einem Foodtruck durch die Stadt. Und in den Bundesländern machten Bauernfunktionäre und Bauern in Einkaufszentren Werbung für ihre Produkte. Mit großem Eifer und viel Aufwand versucht die Landwirtschaft den Rückenwind zu nutzen, den die Coronakrise bäuerlichen Produkten aus Österreich bescherte. Regionalität ist in aller Munde und bietet tatsächlich große Chancen. Bloß die Bauern profitieren am wenigsten davon. Sie sorgen mit ihrem Engagement für schöne Zuwächse in vielen wirtschaftlichen Sektoren und tragen dort auch zur Sicherung von Arbeitsplätzen bei, für sie selbst aber fällt im Vergleich dazu nur wenig ab. Das ergibt die Analyse einer Untersuchung des Wirtschaftsforschungsinstituts.

Demnach bringt eine nur einprozentige Erhöhung der Nachfrage nach inländischen Agrarrohstoffen und Lebensmitteln für die gesamte österreichische Volkswirtschaft eine zusätzliche Wertschöpfung von 141 Millionen Euro, mit der rund 3100 Arbeitsplätze verbunden sind, wenn zum selben Prozentsatz dadurch Importe ersetzt werden. Auf die Bauern entfallen davon allerdings nur rund 20 Millionen Euro, rund ein Siebtel des Zugewinns, den der verstärkte Kauf heimischer Agrarprodukte und Lebensmittel bringt. Berücksichtigt man die Abschreibungen, sind es gar nur zehn Millionen Euro. Den weitaus größten Teil des Kuchens, nämlich die restlichen sechs Siebtel, teilen sich die Lebensmittelverarbeiter, die Metzger und Fleischverarbeiter, die Molkereien und die heimische Lebensmittelwirtschaft sowie auch der Lebensmittelhandel.

Für die Bauern bleiben hingegen nur die sprichwörtlichen Brösel. Geht man davon aus, dass ein Haushalt monatlich rund 350 Euro für Lebensmittel ausgibt, sind ein Prozent nicht mehr als 3,50 Euro. Wird dieser zusätzliche Umsatz auf die tatsächliche Wertschöpfung heruntergerechnet, bleiben beim Bauern gerade einmal ein paar Cent hängen, bestätigt Studienautor Franz Sinabell vom Wifo.

Nicht einmal bei den bäuerlichen Direktvermarktern ist eindeutig, dass sie wirklich zu den großen Nutznießern des Regionalitätstrends bei Lebensmitteln zählen. „Die tun sich vielleicht am leichtesten, den Trend zu nutzen, haben aber oft sehr hohe Kosten“, sagt Sinabell. „Aber auch der Handel profitiert stark von ihnen, wenn er die Produkte von regionalen Kleinerzeugern in Regionalregalen verkauft.“

Was für die zusätzliche Wertschöpfung gilt, gilt auch für die 3100 Arbeitsplätze, die laut Wifo in Verbindung mit mehr Österreich-Bewusstsein beim Lebensmitteleinkauf stehen. „Diese Arbeitsplätze sind vor allem dort, wo die zusätzliche Wertschöpfung ist, in der Lebensmittelverarbeitung, im Handel, sogar in der Immobilienwirtschaft“, sagt Sinabell. Bei Bauern hingegen gehe es nicht um zusätzliche Jobs, „sondern um Jobs, die nicht verloren gehen“.

Sinabells Fazit muss für die Landwirtschaft, die so große Erwartungen in die Regionalität setzt, ernüchternd klingen. „Wenn wir die Nachfrage nach heimischen Gütern ausweiten, können wir den Strukturwandel nicht aufhalten, sondern allenfalls bremsen“, sagt der Ökonom. „In der Landwirtschaft kann man nicht viel gewinnen, man kann im Wesentlichen nur die Reduktion der Zahl der Arbeitskräfte verlangsamen.“ Nachsatz: „Wenn das ein Gewinn ist, dann gewinnt die Landwirtschaft.“

„Eigentlich sollte sich die Wirtschaftskammer über den Trend zur Regionalität bei Lebensmitteln mehr freuen als die Landwirtschaftskammer“, sagt Sinabell. Letztere will sich die Stimmung dennoch nicht vermiesen lassen. „Das Ergebnis beweist eindeutig, dass gelebte Regionalität nicht nur positive Auswirkungen für die vor- und nachgelagerte Wirtschaft hat, sondern auch der Landwirtschaft das Rückgrat stärkt“, sagt Josef Moosbrugger, der Präsident der Landwirtschaftskammer Österreich. Er verliert aber dabei nicht aus den Augen, dass es auch darum gehen muss, die Position der Bauern in der Wertschöpfungskette zu stärken. „In Österreich müssen wir einen Teil der Wertschöpfung wieder zurück in bäuerliche Hände bringen.“

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 10. Oktober 2020
 
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