Donnerstag, 26. März 2020

Voll daneben



Was die USA in Präsident Trump haben, hat Europa in gewisser Weise in der Europäischen Union. Tag für Tag werden die Gründe weniger, mit dem Finger auf den irrlichternden Präsidenten jenseits des Atlantiks zu zeigen und über seinen Umgang und sein Management der Corona-Krise erschüttert zu sein. Viel zu lange schaute auch Brüssel der Entwicklung der Pandemie zu und unterschätzte die verheerenden Folgen. Die Staatschefs großer europäischer Länder wie Deutschland, Frankreich oder Spanien sahen noch tatenlos zu, als sich Italien längst in Krämpfen wand und die osteuropäischen Staaten dicht machten und wie Österreich zu harten Maßnahmen griffen. Von Großbritannien reden wir da gar nicht mehr. Nun explodieren die Infektionszahlen da wie dort.

Das Eingeständnis "Wir haben das Virus falsch eingeschätzt" von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen kam viel zu spät, als dass der Umdenkprozess in vielen europäischen Ländern noch rechtzeitig angestoßen worden wäre. Just in der Stunde, wo es darauf angekommen wäre, funktionierte Europa nicht. Nicht in seinen Strukturen und schon gar nicht in seinem politischen Konzept.

Dabei bräuchte man die EU gerade jetzt dringender denn je. Aber die Gesundheitspolitik ist keine Gemeinschaftssache, sondern Sache der Mitgliedstaaten. Und wer in den vergangenen Jahren erlebt hat, wie wenig man in den wenigen vergemeinschafteten Bereichen wie der Agrarpolitik vorangebracht hatte, kann sich lebhaft vorstellen, wie wenig Aussicht darauf besteht, just jetzt zu einem gemeinsamen Weg zu finden. Nicht anders ist es auf dem gemeinsamen Markt, einem der Grundpfeiler der europäischen Idee. Ausgerechnet Frankreich und Deutschland, die Gründerstaaten der Union, waren es, die etwa die Ausfuhr von Gesichtsmasken und Schutzkleidung sperrten, Tschechien beschlagnahmte Masken, die für Italien bestimmt waren.

Weil die Führung fehlt, wurden völlig unkoordiniert von den Mitgliedstaaten die Grenzbalken heruntergelassen. Jeder agiert nach seinem Gutdünken, niemand kann sich auf den anderen verlassen, alle misstrauen einander. Und alle blockieren sich gegenseitig. Die Krise wird dadurch wohl noch weiter verschärft. Angesichts der Wartezeiten, die die Grenzsperren verursachen, drohen die Warenströme zu versiegen und damit die Versorgung der Bevölkerung -allen gegenteiligen Versprechen zum Trotz, dass von allem genug da ist.

Die Wirtschaft und auch unser Zusammenleben sind auf offene Grenzen aufgebaut. Nun aber sucht etwa die Landwirtschaft händeringend nach Arbeitskräften, und die Pflege alter und kranker Menschen wird zu einer fast unbewältigbaren Aufgabe, weil man es nicht zusammenbringt, sich auf intelligente Lösungen zu einigen, die sich an den Problemen und nicht an den Grenzen von Nationalstaaten orientieren. "Statt einer konzertierten Abriegelung und Unterstützung der dringendsten Infektionscluster kam es zu willkürlichen Grenzschließungen, die keinerlei faktische Wirkung mehr zeigen", wird in den Medien kritisiert. Die Kommentare zur EU-Politik und zum Zustand der Union nehmen Tag für Tag an Schärfe und Häme zu. Von "Versagen an allen Fronten" ist die Rede und davon, dass die Kommission hinterherhechle. "So war das nicht gedacht mit der EU" wird angefügt.

Was die EU und alle ihre Einrichtungen in den vergangenen Wochen lieferten, war nichts denn Munition für ihre Gegner und stärkte die ohnehin allerorten grassierenden nationalen Strömungen. Da verwundert nicht, dass vielerorts bereits gelästert wird: "Wenn wirklich eine Krise da ist, zeigt die EU, was sie kann -nämlich so gut wie nix" - während Russland und China mit Hilfslieferungen politisch Punkte gerade in diesen Kreisen machen.

Dabei stehen wir mit der Krise wohl erst am Anfang. Der Viruskrise wird die Wirtschaftskrise folgen. Und man muss wohl annehmen, dass auch der Euro wieder unter großen Druck kommt. Aber zumindest da scheint Brüssel die anstehenden Probleme erkannt zu haben und hat zumindest Bewegung gezeigt. "EU-Kommission lockert wegen Corona-Krise Haushaltsregeln" vermeldeten die Medien in der vorigen Woche.

Angesichts der Entwicklungen verwundert nicht, wenn gefragt wird, was am Ende von der EU, von der europäischen Idee und vom Projekt Europa bleiben wird. "Weniger Europa macht die Dinge nicht besser, nur chaotischer", hieß es dieser Tag in einem Zeitungskommentar. Bei Licht betrachtet erleben wir das bereits jetzt.


Meine Meinung, Raiffeisenzeitung, 26. März 2020

Donnerstag, 19. März 2020

Das fehlende Feindbild eint das Land



Der Stillstand drückt durch alle Ritzen ins Haus. Selbst am Land. Vorbei die Feixereien. Vorbei das Augenzwinkern. Und unvorstellbar und fern, dass man eine Woche zuvor noch bei Veranstaltungen war und es lustig fand, sich gegenseitig beim Händeschütteln "Gesundheit" zu wünschen.

"Das Virus wird Krankheit, Leid und Tod für viele Menschen in unserem Land bedeuten." Das ist gesessen. "Jeder hat hier in den nächsten Wochen seinen Beitrag zu leisten", fügte Kanzler Sebastian Kurz in diesen dramatischen Stunden des vergangenen Wochenendes noch an.

Jetzt herrschen Sorge und Ernst. Und Demut. Man ist verwundert, wie schnell sich eine Gesellschaft verändern kann, wie sie willens ist alles dazu beizutragen, dass der Spuk möglichst schnell vorüber ist und wie sie Dinge hinnimmt, die gemeinhin als unerhört gelten. Da ist kaum mehr etwas von Untergriffigkeiten, von Anpatzereien und von Maulen. Was ist, ist Betroffenheit.

Vielleicht ist das, neben der Monströsität der Bedrohung freilich, deshalb so, weil es keinen greifbaren Feind gibt und kein Feindbild, dem man die Schuld zuweisen könnte. Weil man nicht, wie man es bisher gewohnt war, gegen etwas sein kann. Gegen Industrieschlote, gegen Atomkraft, auch nicht gegen die Flieger am Himmel, den Verkehr auf den Straßen und auch nicht gegen die Agrarindustrie oder was man dafür hält. Nicht einmal der Bundeskanzler taugt als Feindbild und auch nicht sein grüner Vize oder der grüne Gesundheitsminister.

Es ist schwierig die Lage einzuordnen. "Es ist die größte Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg, die wir gerade erleben", sagte der Kanzler in diesen Tagen und man mag ihm nichts entgegenhalten, schon gar nicht, dass er übertreibe. Manche fabulieren bereits von einer Wende im Zusammenleben und hoffen auf eine Art politisches Paradies, das sich nach der Viruskrise breit macht. Mit einsichtigen, hilfsbereiten und geläuterten Akteuren auf den Bühnen der Politik und auch hinter den Türen in der Nachbarschaft. Andere fürchten sich vor nicht absehbaren Folgen für die Wirtschaft, vor Arbeitslosigkeit und vor einer Weltwirtschaftskrise. Und es gibt immer noch die, die glauben, dass es bereits im Sommer so weitergeht, wie man in den vergangenen Jahrzehnten, ja noch vor Monatsfrist gewohnt war.

Was dennoch auffällt, ist eine neue Sachlichkeit, eine die man vor wenigen Monaten, ja Wochen, nicht einmal ansatzweise vermutet hätte. Es herrscht alles in allem Einigkeit und Zustimmung in der Entwicklung und Umsetzung der Maßnahmen gegen das Virus. Die Scharlatane schweigen und auch die Hetzer und Zündler. Es zeigen sich die Stärken von Vernunft und Sachlichkeit und auch die von Wissenschaft. Und es sind die abgemeldet, auf die viele Teile der Gesellschaft in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten viel zu oft hörten. "Plötzlich scheint jedem klar: Gurus, Esoterik und Alternativ-Medizin tragen nichts Positives bei", schreibt man auf Twitter.

Es ist jetzt noch lange nicht die Zeit, Bilanz zu ziehen. Da ist viel zu viel im Fluss. Aber es zeigen sich wichtige Dinge und große Linien und Stränge, die viel von dem bestätigen, was in der Vergangenheit oft viel zu geringgeschätzt oder gleich über Bord geworfen wurde. Freilich noch wollen sich das nur wenig eingestehen, wie etwa der Chefredakteur der "Presse", der am vergangenen Samstag in einem viel beachteten Leitartikel schrieb: "Und ja, auch Journalisten wie ich, die gern über Sparpotenzial im Gesundheitsbereich fabulierten, wünschen sich jetzt noch viel mehr Spitäler, Intensivmediziner, dazugehörige Betten und Beatmungsgeräte."

Auch die Versorgungsicherheit wird da mit einem Mal wichtiger und vielleicht auch ein neues Bild von der Landwirtschaft. "Enorm wertvoll, dass es unsere Bäuerinnen und Bauern gibt!" trommelt der Bauernkammerpräsident unermüdlich und hofft, dass endlich der Wert einer eigenen Landwirtschaft im Land erkannt wird. Auch die Politik zeigt sich in diesen Tagen geläutert und zieht, ganz ungewohnt, wiewohl oft erwünscht, an einem Strang.

Vielerorts scheint man die Dinge neu abzuwägen. Auch die Sache mit dem Virus. Von einer hysterischen Reaktion getraut sich niemand mehr zu reden. Und herunterspielen will es auch niemand mehr.

Da beruhigt man sich lieber, wie es in den Sozialen Medien empfohlen wird: "Deine Großeltern wurden in den Krieg eingezogen. Von dir wird verlangt auf der Couch sitzen zu bleiben." Nachsatz: "Das kannst du."


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 19. März 2020

Donnerstag, 12. März 2020

Gegensätze und Paralellen



Es ist ein verstörendes Bild, das sich in den vergangenen Wochen entwickelte. Ein Bild voller Gegensätze, aber auch ein Bild voller Parallelen. Auf der einen Seite die anschwellende Angst vor dem Corona-Virus, die sich zu Hysterie steigerte und immer mehr Menschen in Europa um Gesundheit und gar Leben fürchten lässt. Und auf der anderen Seite die wachsende Verhärtung der europäischen Gesellschaft gegenüber Menschen, die vor einem fürchterlichen Krieg flüchten, die in Elendslagern stranden und dort als Spielbälle von Machtpolitikern elendiglich zu Grunde zu gehen drohen.

Innerhalb von wenigen Wochen hat sich unser Leben völlig geändert. Krisen und Katastrophen spielen sich nicht, wie man es zuletzt wieder gewohnt war, auf dem Fernsehschirm ab, sondern direkt vor unserer Haustür. Wir haben mit einer Virusepidemie zu tun, die viele Menschen zunehmend in Panik versetzt, die der Wirtschaft die Luft nimmt, den Alltag durcheinanderbringt und die noch viele massive Einschnitte bringen kann. Und wir haben wieder mit Menschen zu tun, die in ihrer Not nach Europa drängen. Die Bilder von den Menschenkolonnen aus 2015 tauchen wieder auf, Ängste kommen hoch und Wut auch. Und Verunsicherung vor allem.

Die vergangenen Wochen zeigten uns, wie dünn das Eis ist, auf dem wir unsere Party tanzen. Wie fragil das Wohlstandsnetz und der gesellschaftliche Frieden. Wie schnell alles vorbei sein kann und wie schnell sich alles wenden kann. Und diese Tage seit Ende Februar zeigen auch, wie sich da wie dort rächen kann, wenn man nicht rechtzeitig politische oder ökonomische Strategien entwickelt und sich stattdessen, wie Europa, lieber von früh bis spät mit sich selbst beschäftigt. Wenn man sorglos und oft allein aus Geldgier Werte wie die Eigenversorgung aus den Augen verliert und sich mitunter blindlings in Abhängigkeiten begibt, auf die man keinen Einfluss mehr nehmen kann. Es zeigt sich, wie schnell die internationale Verflechtung der Wirtschaft zu einer Selbstfesselung werden kann und mangelndes politisches Gewicht zu einer Bedrohung.

Dabei stehen wir wohl erst am Anfang von Entwicklungen, die noch viele Verwerfungen auslösen können, die auf die Politik aber auch auf jeden Einzelnen von uns zukommen. Welche politischen und gesellschaftlichen Spannungen wird es wohl noch geben? Welche Bilder werden wir noch zu sehen bekommen? Wie wird unsere Regierung damit zurechtkommen? Und wie Europa?

Dass unsere Gesellschaft praktisch von einem Tag auf den anderen in so große Schwierigkeiten stürzte und sich so offensichtlich schwer tut, mit den Problemen zurechtzukommen, hat wohl auch zu einem guten Teil damit zu tun, dass wir es uns angewöhnt haben, allzu gerne Verantwortung abzugeben wie ein Kleidungsstück an der Garderobe. Vor allem dann, wenn es um das Übernehmen unangenehmer Aufgaben ging, um schwierige Diskussionen und um klare Entscheidungen. Gerade die Probleme mit den Flüchtenden, die jetzt im wahrsten Sinne des Wortes wieder vor der Tür stehen, zeigen Abhängigkeiten von politischen Mächten, auf die man keinen Einfluss hat, weil man sich weigerte, selbst Verantwortung zu übernehmen und sich lieber mit sich selbst beschäftigte.

Von dieser Problematik hat man sich abgewendet, als vor drei Jahren der Flüchtlingsstrom wieder versiegte. Konzepte verschwanden in den Schubladen, Versprechungen gerieten in Vergessenheit, man überließ die Dinge wieder ihrem Lauf. Man machte lieber die Augen zu und hoffte, dass nie mehr wieder kommt, was 2015 und 2016 war. Nun aber scheint es wieder zu kommen, und manche meinen, es könnte noch mehr werden als damals.

Antworten, wie man damit umgeht, gibt es immer noch keine. Keine anderen als Blockieren und Wegschauen. Es könnte einem bang werden, wenn man das nicht für die einzig mögliche Reaktion und Politik hält, sondern glaubt, dass es zwischen den Zuständen an der südosteuropäischen Grenze und den Flüchtlingstrecks von damals etwas anderes geben muss.

Unsere Gesellschaft ist dünnhäutig geworden, eingelullt von Jahrzehnten, in denen sich das internationale Leben, die großen Krisen und die furchtbaren Katastrophen anderswo abspielten. Sie ist wohl auch bequem geworden. Dass sie sich schwertut, mit echten Problemen zurechtzukommen, mit denen wir wohl jetzt zu tun bekommen, ist da nur verständlich - und beunruhigend.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 12. März 2020

Donnerstag, 5. März 2020

Zauberwort Wertschätzung



Man kennt die Klagen der Wirte und Hoteliers, die große Schwierigkeiten haben, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden. Man weiß, dass sich Gewerbebetriebe wie Fleischereien, Bauunternehmen, Installateure und viele andere schwer tun, Nachwuchs zu rekrutieren. Fleischhauer, Maurer, Koch, Tischler, Mechaniker gilt auch immer seltener als erstrebenswertes Berufsziel oder gar als Lebensziel. "Viele Betriebe suchen schon jetzt erfolglos qualifizierte Mitarbeiter" heißt es in den Zeitungen. Und "in Gewerbe und Handwerk seien im Vorjahr fast drei Viertel der Stellen länger als sechs Monate unbesetzt geblieben". Laut Wirtschaftskammer fehlen rund 200.000 Fachkräfte im Land. Vergangenheit scheint in Österreich das Wort vom Handwerk, das angeblich goldenen Boden hat.

Das hat mit vielem zu tun. Vor allem -und oft noch viel mehr als mit einer angeblich schlechten Bezahlung - hat es mit der Wertschätzung zu tun, die von vielen sehr viel eher Geringschätzung ist und von Betroffenen auch so empfunden wird. Da ist verständlich, zumal in einem Land, das Titel, vor allem akademische Titel, zuweilen einem Fetisch gleich verehrt und in dem ein akademischer Abschluss vielen immer noch als höchstes Ziel gilt, wenn Eltern meinen, die Kinder sollten besser weiterhin die Schulbank drücken, weil sie es dann besser hätten und sie sie daher lieber durch die Schule drücken.

Die Hände will sich heute niemand mehr schmutzig machen. Und die Eltern wollen erst recht nicht, dass ihre Kinder das tun. Sie sollen es besser haben, ist immer noch das Denken, das sie antreibt. Eine saubere Arbeit ohne Dreck und mit möglichst geringem Aufwand gilt heute als erstrebenswert.

Für die Gesellschaft ist diese Entwicklung längst zu einem Problem geworden ist. "Während Gymnasien und Unis überquellen, versiegen Baustellen und Küchen aus Personalmangel -ein untragbarer Zustand" hieß es kürzlich in einer Zeitung. Nicht zu Unrecht. Was in den vergangenen Jahrzehnten Gültigkeit hatte und das Denken bestimmte, wurde längst von der Wirklichkeit überholt. Gerade für Maturanten und Studenten hängt der Arbeitsmarkt längst nicht mehr voller Geigen. Und oft sind die Aussichten alles andere als rosig. Viele müssen nach Abschluss ihrer Ausbildung mit Enttäuschungen leben. Sie verdienen nicht, was sie erwartet haben und müssen sich in Jobs verdingen, für die sie eigentlich keine Matura und schon gar kein Studium gebraucht hätten. Schon vor zwei Jahren fand das Institut für Höhere Studien heraus, dass in Österreich mittlerweile jeder Fünfte für seinen Job überqualifiziert ist.

Um diese Entwicklung zu stoppen, muss es bei all den Bemühungen, die seit Jahren angestellt werden, vor allem auch darum gehen, die Parameter der Wertschätzung neu zu justieren, um die oft zur Schau getragene Geringschätzung für nicht-akademische Bildungswege zu überwinden. Das Problem liegt wie so oft in den Köpfen. Vor allem die mit akademischen Titeln sind dabei besonders gefordert, sind doch gerade unter ihnen viele, die gerne die Nase rümpfen über den hohen Anteil, den Arbeitskräfte aus dem Ausland mittlerweile in manchen Berufsgruppen haben.

Den Boden dafür aufbereiten müssen die Politik und die Wirtschaft. Gehen müssen ihn alle. Vor allem auch die Eltern und das Umfeld von Jugendlichen, die vor der Entscheidung Beruf oder weiter Schule stehen. Ganz besonders dort gilt es, Vorurteile zu überwinden, Bedenken auszuräumen und vor überzogenen Erwartungen zu warnen.

Eine umfassende und gute Bildung und Ausbildung müssen ohne Frage immer wichtige Ziele sein. Warum aber ein ganzes Land die Akademisierung nachgerade zum Dogma erhebt und so stark an formalen Qualifikationen hängt, wie es Österreich tut, ist kaum nachvollziehbar. Es ist dringend zu hinterfragen, ob eine möglichst hohe Akademikerquote das richtige Ziel ist und ob es wirklich ein Fortschritt ist, wenn man Matura zur Voraussetzung für eine Kindergärtnerinnenausbildung oder für eine Ausbildung in Pflegeberufen macht.

Dass man genau damit die Gräben noch tiefer macht und die Lehrberufe weiter schwächt, will man ganz offensichtlich nicht zur Kenntnis nehmen, auch wenn Kritiker offen davor warnen, dass dieser Akademisierungseifer, dem das Land erliegt, die Abwertung der Lehre nur noch weiter verschärft.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 5. März 2020

Demonstrationen zeigen Wirkung



Preisgespräche der Milchwirtschaft mit dem Handel „in der Zielgeraden“.

Hans Gmeiner 


Wien. „Die Bauernkundgebungen in den vergangenen Wochen haben uns genützt, bei den Preisgesprächen mit dem Lebensmittelhandel in die Zielgerade zu kommen“, sagt Mittwoch der Sprecher der heimischen Molkereien, Kärntnermilch-Chef Helmut Petschar. Unter Dach und Fach hat man die gewünschten Preiserhöhungen freilich noch nicht. Petschar hofft aber, dass in dieser Woche die Gespräche noch abgeschlossen werden können.

Was von den Preiserhöhungen bei den Bauern ankommen wird, ist offen. In den vergangenen Wochen sind bereits einige Molkereien „in Vorleistung gegangen“, wie sie betonen, und haben die Auszahlungspreise an die Bauern um rund einen Cent angehoben. Ob da für die Bauern noch etwas dazukommt, wenn der Handel nun doch mehr zahlt, oder ob es das schon war, ist unklar.

Derzeit liegen die Bauernpreise für konventionell erzeugte Milch bei knapp unter 40 Cent pro Kilogramm. Besonders bitter ist, dass die österreichischen Milcherzeuger seit drei Jahren schlechter aussteigen als ihre deutschen Kollegen, obwohl sie auf GVO-freies Futter und die Verwendung von Glyphosat auf ihren Wiesen verzichten und damit höhere Produktionskosten in Kauf nehmen. In der Verantwortung dafür sehen die Molkereien vor allem den Lebensmittelhandel, der mit seiner Preispolitik auch die Preise in allen anderen wichtigen Marktsegmenten wie etwa in der Gastronomie oder im Gewerbe und in der Industrie nach unten zieht.

Die wirtschaftliche Situation ist sowohl bei den Bauern als auch bei den Molkereien sehr angespannt. Rund 1000 Milchbauern machten im Vorjahr die Stalltür für immer zu. 25.600 Milchlieferanten wies die Statistik zum Jahresende noch aus. Zum Vergleich: Vor 20 Jahren waren es noch rund 72.000. Aber auch die Molkereien stehen unter starkem Druck. Ihr Gesamtumsatz erhöhte sich zwar um 1,3 Prozent auf 2,85 Mrd. Euro, das Ergebnis vor Steuern rutschte aber von 0,44 auf 0,36 Prozent des Umsatzes. Die Aussichten für heuer sind kaum besser. Vor allem die Folgen des Coronavirus und der Brexit gelten als große Unsicherheitsfaktoren.


Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 5. März 2020
 
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