Donnerstag, 28. Mai 2020

Ein Lob den Grünen



"Neben der machtbewussten ÖVP drohen die Grünen unterzugehen", heißt es. Über die "politischen Gehilfen des Kanzlers" wird geätzt. Von ständiger Angst, "an die Wand gedrückt" zu werden, ist die Rede und davon, dass sie sich von der ÖVP über den Tisch ziehen lassen. Die Grünen haben es nicht leicht in diesen Wochen. Erstmals in einer Bundesregierung, erstmals an den Schalthebeln, wo man etwas bewegen könnte und dann gleich Corona. Da können einem die grünen Politikerinnen und Politiker leid tun. Und auch die Wählerinnen und Wähler. Ihre Themen haben es in solchen Zeiten schwer. Und man kann den wachsenden Unmut, zumal den der grünen Parteigängerinnen und Parteigänger, nachvollziehen und auch verstehen. Sogar, dass man, wie das auch viele tun, die Performance in der Regierung gar als verheerend finden kann.

Man kann die Dinge so sehen. Freilich. Man kann aber den Grünen auch hoch anrechnen, wie sie zur Bewältigung der Corona-Krise beitragen, wie sie in dieser schwierigen Zeit arbeiten und wie sie trotz aller Probleme und Kritik zur Zusammenarbeit mit dem gerade in ihrem Lager so oft regelrecht gehassten Bundeskanzler Kurz und den Türkisen stehen.

Es gibt den Begriff "staatstragend". Der freilich ist nicht immer positiv besetzt und steht oft für gespreiztes und herablassendes Gehabe. Aber "staatstragend" zu handeln hat in vielen Situationen durchaus Berechtigung. Wenn es etwa gilt, zusammenzustehen und unbesehen der politischen Einstellung gemeinsam Situationen zu meistern, die für ein Land nachhaltig gefährlich sein könnten. Corona ist wohl so eine Situation, in der staatstragendes Handeln gefordert ist. Und die Grünen haben bewiesen, dass sie sich darauf verstehen. Auch gegen mitunter scharfen Widerstand aus den eigenen Reihen. Davor ist der Hut zu ziehen. So gesehen ist es ein Glücksfall, dass sie jetzt in der Regierung sitzen. Man mag gar nicht an andere Regierungskonstellationen denken, die wir schon erlebt haben.

Dass die Grünen in die Regierung mit Kurz und den "türkisen Schnöseln", wie Werner Kogler sie im Wahlkampf noch nannte, gegangen sind, war von Beginn an eine Gratwanderung. Die Entscheidung machte man sich nicht leicht. Aber sie hält, und die Verantwortlichen stehen zu ihr. Die neue Form der Zusammenarbeit, die Komplementärkoalition, wie sie manche nennen, in der die Aufgaben aufgeteilt sind und sich niemand gegenseitig dreinredet, erweist sich bisher als tragfähiges Modell.

Wie sich dieses staatstragende Politikverständnis in der Coronakrise bei den nächsten Wahlen auswirken wird, oder ob sie sich damit gar ihr eigenes Grab ausschaufeln, wie manche meinen, steht freilich auf einem anderen Blatt. Die Grünen haben in den vergangenen Wochen viel geschluckt und viel hingenommen, wo man von ihnen Widerstand erwartet hätte. Erst die Zukunft wird weisen, wie die Regierungsarbeit der Grünen gesehen wird. Ob das jemals honoriert wird, was sie leisten und machen, steht in Frage. Denn viele von denen, die jetzt von ihrer Arbeit und ihrem Auftreten überrascht und damit gar zufrieden sind, sind wohl in sehr hohem Maß just die, die sie nicht gewählt haben und wohl auch in Zukunft nicht wählen werden.

Zwei Dinge werden für die Zukunft der Grünen entscheidend sein: Zum einen geht es für sie darum, ihre Ziele nicht aus den Augen zu verlieren, in ihrer Regierungszeit markante Themen umzusetzen, ihre Arbeit sichtbar und verständlich zu machen und so das Profil zu schärfen. Noch tut man sich schwer damit. Selbst Gesundheitsminister Rudi Anschober bekommt als anfänglich gefeierter Krisenmanager inzwischen heftige Kratzer ab. Und wenn Werner Kogler darauf verweist, dass ohne Einfluss der Grünen manches anders gekommen wäre, wird das auf Sicht zu wenig sein.

Mehr Potenzial haben da schon die 300 Millionen Euro, die Leonore Gewessler als Verkehrsministerin für den öffentlichen Verkehr aufstellte, oder ihr 1-2-3-Ticket, das auf einem guten Weg zu sein scheint.

Und zum anderen ist für die Zukunft der Grünen entscheidend, wie viel Luft ihnen Kanzler Kurz und seine Türkisen lassen. Werden sie dem Machtrausch erliegen, der ihnen immer öfter nachgesagt wird, oder werden sie zu einer Zusammenarbeit auf Augenhöhe und im Sinn des Koalitionspaktes stehen?

Nach all dem, was die Grünen bisher in der Regierung gezeigt haben, ist es ihnen zu wünschen. Beides.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 28. Mai 2020

Mittwoch, 20. Mai 2020

Was für ein Jahr



Was war das für ein Jahr zwischen Mai 2019 und Mai 2020. Am 17. Mai 2019, am Abend dieses Tages, ein Freitag, waren erstmals diese unsäglichen Videosequenzen aus der Villa auf Ibiza zu sehen. Am 18. Mai zu Mittag trat Strache als Vizekanzler zurück und am Abend dieses Tages kündigte Bundeskanzler Kurz Neuwahlen "zum schnellstmöglichen" Zeitpunkt an. Und dann nahmen die Dinge ihren Lauf. Schneller Ministertausch, dann eine Übergangsregierung mit einer Bundeskanzlerin. Schließlich Wahlen.

Die Grünen kamen zurück ins Parlament und dann auch gleich in die Regierung. Ein Politbeben, das keinen Stein auf dem anderen ließ.

Und dann kam auch noch Corona. Zuerst im fernen China, dann auf einmal in Italien und dann plötzlich auch in Österreich. Grenzen wurden gesperrt, der Shutdown folgte. Die Krise machte sich schnell breit. Zuerst rund ums Klopapier, dann aber durch Kündigungen, durch Kurzarbeit, durch Auftragsausfälle und Betriebssperren. Unternehmen wie die AUA standen mit einem Mal auf der Kippe, Staatsschulden, die explodieren.

Das alles innerhalb von einem Jahr. Ungeheuer und unglaublich all das, nicht fassbar und vor Jahresfrist auch nicht im Entferntesten vorstellbar. Dass Strache nicht einmal mehr FP-Mitglied ist, dass die Grünen mit Kurz in der Regierung sitzen, dass inzwischen sogar ein Regierungsmitglied der Grünen zurückgetreten ist, dass viele von zu Hause aus arbeiten, dass Schulen über Wochen gesperrt sind, dass wir alle in Masken herumlaufen, dass wir nicht mehr ins Ausland können und dass wir massive Einschränkungen der Grundrechte hinnehmen.

Jetzt stecken wir mitten drinnen in einer Krise, die vielen als die größte seit dem letzten Weltkrieg gilt. Vor Jahresfrist noch war das undenkbar und unvorstellbar. Es ist für praktisch alle das erste wirkliche Rendezvous mit der Geschichte und für viele wohl auch dabei, eine existenzielle Krise zu werden, wie man sie sonst nur vom Hörensagen kannte.

Aber -hat dieses Jahr auch etwas bewirkt? Wird wirklich nichts mehr so sein wie vorher, wie viele meinen? Was aber wird und was soll kommen? Wird die Gesellschaft ihre Verhaltensweisen ändern? Hat uns die Krise verändert, werden die Menschen umdenken? Macht sich ein neues Denken in der Wirtschaft breit? Ist diese Krise eine Chance, wie manche sagen? Wir wissen es noch nicht. Zweifel sind angebracht.

Die heimische Politik jedenfalls bestätigt das. Nach einem kurzzeitigen Schulterschluss ist längst alles so wie vorher. So wie vor Corona und auch so wie vor Ibiza. Wer erinnert sich nicht an die Beteuerungen und Betroffenheitsgesten von vor einem Jahr? Dass man umdenken müsse, sorgsamer und verantwortungsvoller werden müsse. Nichts ist geblieben davon. Einzig froh kann man sein, und es als gnädige Fügung des Schicksals nehmen, dass die Blauen nichts mit der Bewältigung der Corona-Krise zu tun haben.

Welche Lehren können wir aus dem politischen Umbruch in unserem Land ziehen? Allenfalls die, dass nichts unmöglich ist. Aber sonst? Da ist die Antwort wohl -keine. Die Politik und auch die Wählerinnen und Wähler vergessen schnell und fallen im Nu in die alten Muster zurück.

Für die Corona-Krise muss man wohl dasselbe annehmen. Vor allem wohl zuvorderst auch in der Politik und in der Wirtschaft. Da ist jedem das Hemd näher als der Rock. Da geht's um Stimmen und um Euro und Cent, als wäre nie etwas gewesen. Und da ist die Gefahr groß, dass man an vielem, was in der Not eingeführt wurde, Gefallen findet und es beibehält, wie Kontrollen an Grenzen, Überwachung, Beschränkung von Rechten. Und wohl auch an weniger Arbeitsplätzen -zumal dann, wenn das ins Konzept passt.

Und ob wir, die Gesellschaft, anders werden, sei auch in Zweifel gezogen. Wir haben geklatscht, ja. Aber was wird dann kommen? Werden wir verständnisvoller umgehen miteinander? Nachsichtiger? Werden wir verzichten und unser Leben umstellen? Mag sein, dass manches bleibt, was vorher undenkbar war. Dass wir uns zum Grüßen nicht so schnell die Hände reichen werden, dass wir lange Zeit Masken tragen werden. Das ja. Aber mehr? Dass Corona der seit langem überfällige Dämpfer für unser aller überhitztes Leben ist, wie manche sich wünschen, der uns zum Nachdenken bringt?

Wohl eher nicht. Es lockt doch alles wie immer, es glänzt und es blinkt. Und es ist wieder in Griffweite. Das muss man doch nutzen.

So wie halt noch vor einem Jahr auch.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 20. Mai 2020

Donnerstag, 14. Mai 2020

Politik im Grenzbereich



Schlussendlich gab es doch einen kleinen Fortschritt. "Grenzgängerregelung für Muttertagsbesuche" vermeldete orf. at am vergangenen Samstag. Und auch, dass das Gesundheitsministerium die Mitarbeiter angewiesen habe, "das etwas großzügiger zu sehen", wenn Kinder und Enkelkinder, die in Bayern leben, ihre Mutter und Großmutter in Österreich besuchen wollen.

Die sturen Grenzregelungen wurden in den vergangenen Wochen vor allem für die Bewohner in Grenzregionen zu einem regelrechten Ärgernis. Überall wurde die Kritik lauter, weil nicht nur die Vorschriften und ihre strikte Einhaltung zunehmend als Schikane und Willkür empfunden wurden und weil oft keinerlei Logik erkennbar war. Da wurde berichtet von Wanderern, denen übereifrige deutsche Grenzpolizisten 250 Euro und mehr abgeknöpft haben, weil sie Warntafeln missachtet haben. Da mussten viele Pendler erkennen, dass an den deutschen Grenzen Schlüsselarbeitskräftenachweis, Pendlerbestätigung, Pass und Meldezettel keine Garantie waren, auch nur übers deutsche Eck gelassen zu werden.

Da wunderten sich Beobachter, dass auf dem Wiener Flughafen zwar bei jedem Passagier Fieber gemessen wurde, aber an anderen Flughäfen, wie etwa in Salzburg, alle ohne Fiebermessen und ohne ärztliches Attest durchgewunken wurden. Für besonders hohe Wellen sorgte die Nachricht, dass ausländische Jäger keinerlei ärztliches Attest benötigen und schon gar nicht in Quarantäne müssen, wenn sie nach Österreich kommen.

Beispiele wie diese gibt es in diesen Tagen und Wochen in Hülle und Fülle. Und nicht nur in Österreich. Für ganz Europa ist kein Ruhmesblatt, was sich da seit Beginn der Corona-Krise entwickelte. Überall gingen die Grenzbalken herunter, überall schottete man sich ab. Und jeder stellte seine eigenen Regeln auf. Keine Rede mehr vom offenen Europa und vom freien Personenverkehr. Nur mehr wachsende Verärgerung, die immer öfter in Wut umkippt. Und zahllose Menschen, die auf der Strecke blieben: Pendler, Saisonarbeiter, Pflegerinnen, Familien.

Ausgerechnet in der Stunde, in der sich Europa beweisen hätte können, zeigte es sich als Flickwerk, das zu gemeinsamen Lösungen und zu gemeinsamen Richtlinien nicht fähig ist. Das alles ist schlimm für die betroffenen Menschen und auch für die europäische Idee. Noch schlimmer aber ist, dass sehr oft politische Gründe und Ideen durchblitzen, die mit dem Corona-Schutz nichts zu tun haben. Die Grenzen geschlossen zu halten, passt vielen Politikern durchaus in ihr Konzept. Stärke zeigen, Unnachgiebigkeit und Kontrolle. Die Grenzen sind wieder zum Spielball nationaler Interessen geworden.

Entblößend war, wie der bayerische Ministerpräsident Söder schmunzelnd in die Kameras sagte, dass es in Bayern genauso schön sei wie in Österreich, als die Rede auf die Reisefreiheit im Sommer kam. Gerade die Deutschen gefallen sich besonders in ihrer Grenzpolitik. Und das nicht erst seit Corona. Schon seit der Flüchtlingskrise werden die Reisenden insbesondere auf den Autobahnen mit Kontrollen gequält, jetzt nimmt man Corona als zusätzliches Argument, diese Quälereien weiter fortzusetzen. Und das ohne je irgendwelche überzeugenden Zahlen zu liefern. Die Zahl der illegalen Einwanderer, die in diesen Jahren aufgebracht wurden, stand nie in einem Verhältnis zum Aufwand und zum Ärger, den die Kontrollen verursacht haben. Und bei Corona ist es nicht anders. Es sind keinerlei Zahlen bekannt darüber, wie viel Fälle just an den Grenzen festgestellt wurden. Auf der anderen Seite aber verlangt ausgerechnet dieses Deutschland von seinen westlichen und nördlichen Nachbarn, die Grenzregime zu lockern.

"An den Grenzen passieren unverzeihliche Fehler", hieß es dieser Tage in einem Zeitungskommentar. Und: "Ein elementarer Wert der EU wird dieser Tage mutwillig zu Grabe getragen." Es ist nur zu hoffen, dass Europa wieder zur Besinnung kommt. In einem ersten Schritte muss es um einheitliche Regelungen gehen und darum, den verwirrenden Fleckerlteppich, der für so viel Unsicherheit und Ärger sorgt, zu beseitigen. Mit klaren, effizienten Regelungen, die für alle europäischen Staaten gelten und die Augenmaß und intelligente, zielgerichtete und dennoch effektive Maßnahmen ermöglichen. Und in der Folge natürlich um die Schließung der Grenzen selbst.

So wie man es sich von einer Europäischen Union eigentlich erwartet.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 14. Mai 2020

Freitag, 8. Mai 2020

Zucker versüßte Agrana die Geschäfte nicht


Hans Gmeiner 


Wien. Zucker bleibt das Sorgenkind des Frucht-, Zucker- und Stärkekonzerns Agrana. Auch wenn man im Geschäftsjahr 2019/20 gegenüber dem Vorjahr den Verlust in dieser Sparte um fast ein Drittel auf 44 Millionen Euro verringern konnte, steht die Zukunft der Zuckerrübenverarbeitung in Österreich mit Fabriken in Tulln und in Leopoldsdorf in Niederösterreich nach wie vor auf Messers Schneide. Wegen der schlechten Preise und großer Probleme mit Schädlingen sind insbesondere im Osten Österreich in den vergangenen Jahren viele Bauern aus dem Anbau von Zuckerrüben ausgestiegen. Auch wenn es mit großen Bemühungen und langfristigen Verträgen mit Fixpreisgarantien gelang, die Anbaufläche heuer nach Rückgängen in den vorangegangenen Jahren wieder um mehr als 2000 auf 34.000 Hektar auszuweiten, sei die Schließung der Fabrik in Leopoldsdorf „nicht vom Tisch“, sagte Donnerstag Agrana-Finanzvorstand Stephan Büttner.

Heuer will man aber jedenfalls wie bisher in beiden Anlagen Zuckerrüben verarbeiten, obwohl man von den rund 40.000 Hektar Zuckerrüben, die für die Auslastung von zwei Fabriken nötig wären, weit entfernt ist. Viele Bauern wollen sich nicht mehr auf das Risiko einlassen. Ihre Zurückhaltung wird in diesen Wochen bestätigt. Der Derbrüssler, der innerhalb weniger Stunden ganze Felder kahl fressen kann, ist auch heuer wieder da. Die Agrana gibt die bisherigen Verluste mit 500 Hektar an, die Bauern gehen aber von Flächen im „deutlich vierstelligen Bereich“ aus.

Zucker war im abgelaufenen Geschäftsjahr auch die einzige Sparte, die einen Umsatzrückgang verzeichnete (–2,6 Prozent auf 488,3 Mill. Euro). Der Fruchtbereich legte um 0,5 Prozent auf 1,19 Mrd. Euro zu, der Stärkebereich um 5,8 Prozent auf 807 Mill. Euro. Insgesamt ergibt das ein Umsatzplus von 1,5 Prozent und 2,4 Mrd. Euro Gesamtumsatz. Auch wenn bei der Fruchtzubereitung die Erwartungen nicht erreicht werden konnten, wuchs das Betriebsergebnis um 30,8 Prozent auf 87,1 Mill. Euro. „Die Sparte Stärke hat mit Ethanol die Kastanien aus dem Feuer geholt“, sagt Agrana-Chef Johann Marihart.


Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 8. Mai 2020

Donnerstag, 7. Mai 2020

Das Kreuz mit den Umfragen




Es hat so kommen müssen. Und es ist auch verständlich. Während die Kurve der Covid-Erkrankten in Österreich immer flacher wird, steigt die Kurve der Anzahl an Corona-Experten exponentiell. Schier jeder hat Ratschläge und schier jeder weiß, was anders gemacht gehörte. Das macht ohnehin Schwieriges noch schwieriger. Vor allem auch, weil die "Experten-Kurve" auch unter Politikerinnen und Politikern exponentiell ansteigt und viele von ihnen meinen, daraus Kapital schlagen zu müssen.

Das treibt bemerkenswerte Blüten. Denn inzwischen mehren sich allerorten die Anzeichen, dass man sich immer weniger an der Wissenschaft, Fakten und Notwendigkeiten, sondern wieder sehr viel mehr an Umfragen orientiert. Längst Geschichte ist der Schulterschluss aus der Anfangsphase, vergessen, was man damals sagte und forderte. "Die Opposition hat sich um 180 Grad gedreht", stand dieser Tage in den "Salzburger Nachrichten" zu lesen. Und "Mitte März warnte sie vor Tod und italienischen Zuständen, jetzt vor einer Politik der Angst". Da wird etwa der FPÖ-Klubobmann Kickl zitiert, der heute der Regierung bei jeder Gelegenheit Angst-und Panikmache vorwirft. Anfang März noch meinte er, Corona stehe für "Ungewissheit, Unsicherheit, Gefahr, Leid, Schmerz und Tod" und selbst er forderte einen umgehenden "Lockdown" Österreichs. Damals hielt auch Pamela Rendi-Wagner noch die Maßnahmen der Regierung für "alternativlos" und selbst die Neos trugen die Corona- Politik mit.

Gerade acht Wochen ist das her. Und nichts mehr ist davon zu spüren. Zurückgekehrt ist man längst wieder zum politischen Stil und taktischen Spielereien, die so viele in Österreich seit Jahren als nichts denn widerlich empfinden. Bei dem es sehr viel mehr ums Anpatzen und um den eigenen Vorteil geht, als um die Lösung von Problemen. Selbst wenn es kaum je so viele gegeben hat wie in diesen Tagen.

Umso wichtiger ist es, die politische Verantwortung einzumahnen. Denn die offene Diskussion und der ehrliche Diskurs kommen in diesem Klima zu kurz. Diskussionen und Diskurs, die zum Ziel haben, gemeinsam Probleme zu lösen. Diese zu führen sind aber weder die Opposition noch die Regierung fähig und wohl auch nicht bereit. Dabei bräuchte das Land genau das. Ganz dringend.

Auf beiden Seiten scheint man inzwischen wieder sehr viel eher auf Umfragen zu schielen und sich in Vorgehen und Forderungen daran zu orientieren. Die eine Seite, die Regierung, weiß um eine Zustimmung in der Wählerschaft, die es in dieser Form bisher in der Geschichte des Landes kaum je gegeben hat. Auf der anderen Seite, bei der Opposition, läuten aus eben diesem Grund die Alarmglocken, weil man Angst vor dem Untergang hat.

Ein Miteinander hat in dieser Situation auf beiden Seiten keine Priorität mehr. Darum hält es die eine Seite erst gar nicht für notwendig, die Opposition ins Boot zu holen und stößt sie mit schnellen Gesetzes-und Verordnungslösungen immer wieder vor den Kopf. Und darum versteigt sich die andere Seite immer öfter zu Forderungen, die wenig Konzept erkennen lassen, außer dass es darum geht, die Regierungslinie auszuhöhlen und damit die Geschlossenheit in der Bevölkerung, die große Stärke der ersten Corona-Wochen, zu schwächen.

Der Diskussions-und Handlungsbedarf indes wächst schier ungebremst weiter. Da geht es zunächst einmal um die Sorgen der Wirtschaft und der vielen Unternehmerinnen und Unternehmer, die sich trotz der großzügigen Hilfsangebote der Regierung ("Koste es was es wolle") existenzielle Sorgen um ihre Zukunft machen. Da geht es um volkswirtschaftliche Themen. Und da geht es um Grundrechte und andere staats-und demokratiepolitische Themen, die vielen in diesem Land Sorgen machen.

Und das nicht zu Unrecht. Es kann einem in der Tat nicht nur bang werden, wenn versprochene Unterstützungsgelder nicht kommen. Es kann einem auch bang werden, wenn Österreicher, die sich nach den Grenz-Modalitäten mit Deutschland erkundigen, von einem österreichischen Polizisten (begleitet von bewaffneten Soldaten) an der Grenze beiläufig zu hören bekommen, dass der "Frieden vorbei" sei und es "keinen Liberalismus mehr" gebe.

Da wird nachvollziehbar, dass man sich Sorgen machen kann, wenn Regierung und Opposition nicht miteinander reden können und dass viele fürchten, dass man nicht mehr zurückfindet in das, was vor Corona normal war. Sondern ganz woanders landet.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 7. Mai 2020
 
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