Freitag, 31. Juli 2020

Regen rettet heimische Ernte und sichert Versorgung mit Brotgetreide


 

Als es im Frühjahr in weiten Teilen Österreichs wochenlang nicht und nicht regnen wollte, befürchtete man bereits das Schlimmste für die heurige Ernte. Aber dann kam das Nass von oben in den meisten Teilen des Landes doch noch rechtzeitig. Die Getreideernte wird heuer weltweit auf den Rekordwert von 2,22 Mrd. Tonnen geschätzt. Mit geschätzten 3,1 Mill. Tonnen Getreide fuhren die Bauern eine ähnlich gute Ernte wie im Vorjahr ein. Wiewohl es regional wegen der unterschiedlichen Niederschlagsverteilung oft enorme Unterschiede gegeben habe, passten die Erträge und Qualitäten, sagte AMA-Chef Günter Griesmayr am Donnerstag. Um die Versorgung mit Brotgetreide brauche man sich jedenfalls keine Sorgen zu machen. Die war selbst auf dem Höhepunkt der Hamsterkäufe zu Beginn der Coronakrise in jedem Fall gesichert. "Und dabei wird es auch bleiben", sagt Franz Windisch, der oberste Bauernvertreter in der AMA. 

Die Preise für die Bauern bleiben dennoch unter Druck. Der kurzzeitige Anstieg bei manchen Feldfrüchten zu Beginn der Coronakrise ist längst verflogen. "Derzeit herrscht auf internationalen Märkten Verunsicherung", sagt AMA-Marktexperte Christian Gessl und nennt die anhaltende Coronakrise und die Spannungen zwischen den USA und China als Ursachen dafür. Die Weltgetreideernte wird heuer auf den Rekordwert von 2,22 Mrd. Tonnen geschätzt und erstmals seit vier Jahren über dem Verbrauch (2,21 Mrd. Tonnen) liegen.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 31. Juli 2020

Freitag, 24. Juli 2020

Agrana feuert Spitzen der Zuckersparte


Der Rüsselkäfer kostet die Chefs den Job. 


Wien. Völlig überraschend trennte sich die Agrana zu Beginn dieser Woche von Ulrich Fischer und Konrad Halwax, den beiden Geschäftsführern der Zuckersparte. In einem internen Informationsschreiben an die Mitarbeiter nennt Agrana keine Gründe für die Entscheidung. Die Sparte liefert zwar wegen der schwierigen Marktlage nach der Liberalisierung des Zuckermarktes seit einigen Jahren Verluste, Hintergrund für die aktuelle Personalentscheidung dürfte aber eher der starke Rückgang der Zuckerrübenanbaufläche vor allem in Österreich sein.

Heuer stehen in Österreich nur rund 26.500 Hektar Zuckerrüben, so wenig wie noch nie. Während es in Oberösterreich gelang, die Anbaufläche um rund 1000 Hektar auszuweiten, machte im Hauptanbaugebiet Niederösterreich auch heuer wieder der Derbrüsselkäfer alle Bemühungen und Hoffnungen zunichte. Heuer fielen dort dem Schädling mehr als 5000 Hektar zum Opfer.

Agrana verarbeitet in Tulln und Leopoldsdorf in Niederösterreich Zuckerrüben. Für den Erhalt beider Standorte gilt eine Anbaufläche von 40.000 Hektar als Untergrenze. Schon seit zwei Jahren steht die Stilllegung der Zuckerfabrik in Leopoldsdorf zur Diskussion. Noch vor wenigen Wochen hieß es, die heurige Ernte werde noch an beiden Standorten verarbeitet. Nun scheint das fraglich. Selbst um den Standort Tulln gibt es inzwischen Gerüchte. 


Hans Gmeiner

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 24. Juli 2020 



Donnerstag, 23. Juli 2020

Paralleles Leben



Als sich von wenigen Wochen Kurden und Türken in Wien-Favoriten Straßenschlachten lieferten, sorgte das umgehend für Aufregung, Empörung und fette Schlagzeilen. Viele im Land hat das aufgeschreckt. Die Integrationsministerin redete umgehend einem Frühwarnsystem für Parallelgesellschaften das Wort, denn diese seien Nährboden für Gewalteskalationen, wie man sie in Wien erlebte. "Wir müssen alles tun, damit diese nicht wachsen bzw. sich im Idealfall wieder auflösen", sagte sie.

Sie weiß die Bevölkerung hinter sich, bestätigte doch eine Umfrage des österreichischen Integrationsfonds, dass 70 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher so wie die Ministerin die Existenz von Parallelgesellschaften wahrnehmen und negative Folgen für das Zusammenleben befürchten.

Parallelgesellschaft ist ein soziologischer Begriff. "Er beschreibt die gesellschaftliche Selbstorganisation eines sozialen Milieus, das sich von der Mehrheitsgesellschaft abschottet und ein alternatives Wertesystem befolgt", definiert es die Wissenschaft. Es könne ethnisch oder religiös oder von beidem zugleich geprägt werden, entspreche dabei nicht den überkommenen Regeln und Moralvorstellungen der Mehrheitsgesellschaft und überschneide sich in seinem Bedeutungsinhalt mit Gegenkultur und Subkultur.

Fasst man den Begriff so weit, ist das Phänomen freilich nicht allein auf Zugezogene zu begrenzen in diesem Land. Denn auch vielen Österreichern (und weniger Österreicherinnen) sind Parallelgesellschaften und Parallelwelten als Lebensumfeld nicht fremd. Immer wieder geraten solche ins Scheinwerferlicht und zeigen, dass es in diesem Land einen doppelten Boden zu geben scheint, auf dem es sich viele eingerichtet haben, um ihre Ziele zu verfolgen. Man denke nur an die Affäre rund um die schlagenden Verbindungen, die vor Jahren in Niederösterreich aufpoppte und der staunenden Öffentlichkeit Blicke in die Abgründe der heimischen Gesellschaft bot -Gruselgeschichten und Politkrimi inklusive.

Das Erstaunen und die Verwunderung sind immer wieder groß über das, was da hinter den Fassaden zuweilen zugange ist, darüber, was man dort denkt und dort macht. Nicht nur bei den schlagenden Verbindungen. Strukturen und zumindest Teile davon, wie sie in Parallelgesellschaften zu finden sind, die nun für öffentliche Diskussionen und Wut sorgen, sind überall zu finden. Und damit muss man nicht gleich Gruppierungen wie die Identitären als Beispiel in die Diskussion werfen, oder radikale Tierschützer oder Staatsverweigerer.

Selbst -und oft -auch in Kreisen, die gemeinhin als äußerst honorig gelten und die zumeist auch hoch angesehen sind, lebt man gerne in so etwas wie in Parallelgesellschaften. Man denke nur an kirchliche Gruppierungen in all ihren Schattierungen bis hin zum Opus dei. Auch in Zirkeln von politischen Parteien und Gruppen wird zuweilen intern ganz anders geredet, gelebt und diskutiert, als das in der Öffentlichkeit getan wird. Der Bogen reicht von den katholischen Kartellverbänden bis hin zu von Gerüchten umwobenen Gruppierungen wie den Freimaurern.

All diese und noch viel mehr Gruppierungen oder Abspaltungen auch von anerkannten und geschätzten Einrichtungen, die in einem guten Ruf stehen, zeigen in der einen oder anderen Form Merkmale von Parallelgesellschaften. Wenig transparent und meist im Verborgenen. Viele Menschen leben in ihnen und für sie. Es ist oft erstaunlich und zuweilen auch erschreckend, wenn sicht-und hörbar wird, was wo läuft und dort gedacht und geredet wird, wenn man unter sich zu sein glaubt. Und es ist nicht selten verwunderlich und oft auch erschreckend.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach dem, was die Menschen in diesem Land wirklich wollen. Welche Pläne und Absichten sie verfolgen. Wie einzuordnen ist, was sie sagen.

Es ist, bei Licht betrachtet, alles sehr österreichisch. Hierzulande lebt man immer schon in Parallelgesellschaften und auf doppelten Böden, wie immer man es nennen mag. Die Grenzen sind oft fließend und oft ist ein Augenzwinkern dabei. Oft freilich ist es auch zum Schaden der Gesellschaft, völlig inakzeptabel und auch gefährlich.

Aber das gehört wohl auch dazu. Zugeben mag das niemand. Zumal, wenn es um die Österreicherinnen und Österreicher selbst geht.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 23. Juli 2020

Freitag, 17. Juli 2020

Ackerbauern ringen um ihren Platz



Die Ackerbauern hadern mit den EU-Umweltplänen. „Die treffen vor allem die kleineren Bauern“, warnt Pflanzenbauexperte Christian Krumphuber.


Hans Gmeiner

Linz. Fünf Mill. Tonnen Getreide und Körnermais sowie vier Mill. Tonnen Silo- und Grünmais erzeugen die heimischen Ackerbauern jährlich. Dazu kommen knapp 400.000 Tonnen Ölsaaten wie Raps und Sojabohnen, 2,7 Mill. Tonnen Zuckerrüben und 740.000 Tonnen Kartoffeln. Wenn kommt, was bei der Reform der EU-Agrarpolitik, beim Green Deal und im Farm-to-Fork-Konzept, mit dem die EU Landwirtschaft umweltverträglicher machen will, in Diskussion steht, könnte es bald deutlich weniger sein.

„Da geht es nicht nur um die Einkommen von Bauern, sondern auch um Versorgungssicherheit“, warnt Christian Krumphuber von der Landwirtschaftskammer Oberösterreich, einer der führenden Pflanzenbauexperten im Land. Die EU-Pläne, wie die Verdoppelung von Bracheflächen auf zehn Prozent der Ackerflächen, die Reduktion des Einsatzes von Düngemitteln um 20 und von Pflanzenschutzmitteln um 50 Prozent, gingen an die Substanz, meint er. „Wenn das kommt, wird es gefährlich für den Ackerbau.“

Die weitere Ökologisierung des Ackerbaus sei richtig, aber die Landwirtschaft stehe oft zu Unrecht in der Kritik. „Die Leute wollen regionale Produkte, aber sie wollen die regionale Produktion nicht“, sagt Krumphuber. Moderner Ackerbau und hohe Erträge seien nicht automatisch unökologisch, argumentiert der Pflanzenbauexperte. „Die Bauern arbeiten auf hohem fachlichen Niveau und es gab etwa beim Humusaufbau, bei der Resistenz der Böden gegen Austrocknung, im Pflanzenschutz und bei der Düngung deutliche Fortschritte.“ Bei der Neuausrichtung der EU-Agrarpolitik müsse es daher auch darum gehen, eine „produzierende und produktive Landwirtschaft“ zu erhalten. „Denn je mehr wir die Produktion ausdünnen, desto mehr muss importiert werden.“


Weniger Produktion bedeutet mehr Importe

Exemplarisch nennt er die Entwicklung bei Ölsaaten. Der Rapsanbau sei in den vergangenen Jahren in Österreich und ganz Europa nicht zuletzt deshalb stark zurückgegangen, weil er wegen Verboten von Beiz- und Pflanzenschutzmitteln schwieriger und für viele Bauern unattraktiv geworden sei. „Stattdessen wurde deutlich mehr Palmöl und Sojaöl aus Übersee importiert“, sagt Krumphuber.

Die Ackerbauern haben nicht nur in Brüssel, sondern auch in Österreich einen schweren Stand. „In den Arbeitsgruppen im Ministerium, die seit Monaten an der Neugestaltung des Agrarumweltprogramms ÖPUL arbeiten, sind wir eine kleine Minderheit“, sagt Krumphuber. „In der Gruppe ,Ackerbau und Ökoschema‘ etwa sind wir drei von 30 Mitgliedern – so viele wie von der NGO Birdlife.“

Was in Brüssel und Wien diskutiert wird, werde vor allem die kleineren Bauern treffen, Großbetriebe könnten damit leichter umgehen, meint Krumphuber. Kleineren Schweinemästern und -züchtern, die ihr Futtergetreide selbst erzeugen, würden die Flächen besonders fehlen. Auch den durchschnittlichen Getreidebauern mit 50 bis 70 Hektar fehlen die Flächen. Zudem drohen ihnen wegen der geplanten Beschränkungen bei Düngung und Pflanzenschutz Einbußen.

Krumphuber warnt davor, die Bauern zu überfordern. „Wird zu viel verlangt, werden sich viele aus den Umweltprogrammen zurückziehen – was wohl auch nicht im Sinn der Erfinder sein kann.“


Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 17. Juli 2020

Donnerstag, 9. Juli 2020

Spannender Sommer im "Home of lässig"



n den sozialen Medien kommen die Bilder nach wenigen Tagen Ferien aus allen Urlaubsregionen Österreichs. "Home of lässig" nennen unser Land sogar die Jungen nicht nur in Saalbach, für das der Slogan steht. Die Zeitungen sind voll mit Reportagen aus ganz Österreich. Und von TV-Sendern werden Schauspieler und Kabarettisten seit Wochen durchs Land geschickt, um die Leute zu einem Urlaub in Österreich zu animieren.

Die nächsten Wochen werden spannend im "Home of lässig". Überall ist die Unsicherheit und die Verunsicherung zu spüren, wenn's um das geht, was viele die schönste Zeit im Jahr nennen. Da geht es nicht nur um die Gestaltung der Ferienwochen und darum, ob man fortfährt oder nicht und darum, wohin es gehen soll, sondern auch um die Zukunft eines der wichtigsten Wirtschaftszweige im Land. Und als ob das nicht schon genug wäre, befürchten nicht wenige gar, dass die Tourismussaison Corona einen neuen Schub geben könnte, weil mehr Kontakt mit Menschen mehr Infektionsrisiko bedeuten könnte. Dass just bereits zu Ferienbeginn die Corona-Kurve, wenn auch aus anderen Gründen, wieder ansteigt, macht die Sache nicht einfacher in diesem Sommer des Jahres 2020, der wohl, so viel kann man schon jetzt sagen, einer der merkwürdigsten werden wird, den man in diesem Land gesehen hat.

"Reisen ist und bleibt ein Grundbedürfnis für die Menschen" steht in den Zeitungen in allen Variationen. In den tausenden Hotels und Pensionen, in den Restaurants und Wirthäusern in diesem Land, in den Reisebüros und überall anders, wo man vom Fremdenverkehr lebt, klammert man sich an Sätze wie diese. Und auch an Umfragen, wie etwa jene des Interreg-Forschungsprojekts der FH Salzburg, die zum Ergebnis kommt, dass das neue Corona-Virus die Reiselust nicht bremst.

Man findet freilich auch Ergebnisse, die dem diametral entgegenstehen und solche, die aus ihren Daten herauslesen, dass es mit der Heimatliebe vielleicht doch nicht so weit her ist, wie es sich viele im Fremdenverkehrsgeschäft wünschen. "Wer fliegen kann, will auch fliegen." Kann freilich sein, dass sich mit solchen Sätzen die Reisebürobranche selbst Mut zuredet. Denn dass das Reisegeschäft an die Strände am Mittelmeer in den nächsten Wochen noch groß ins Laufen kommen wird, ist wohl eher nicht anzunehmen. Nicht nur, wenn man an die aktuellen Einreisevorschriften etwa in Griechenland und die Schilderungen von dem, was einen an den Stränden erwarten kann, denkt, oder daran, dass es ganz einfach die Flugzeuge und Flüge auch in absehbarer Zeit gar nicht gibt.

Keine Branche trifft Corona so schlimm wie den Fremdenverkehr. Illusionen, dass heuer noch viel zu retten ist, sind wohl eher nicht angebracht. Die Reisebüros rechnen mit bis zu 80 Prozent weniger Umsatz als im Vorjahr. Und im heimischen Fremdenverkehr sind die Arbeitslosenzahlen immer noch doppelt so hoch wir vor einem Jahr. Es ist wohl davon auszugehen, dass einer guter Teil davon stehen bleiben wird, hieß es erst kürzlich von den beiden heimischen Wirtschaftsforschungsinstituten.

Trotz der Hilfspakete der Regierung und auch, wenn die Ferienmonate passabel verlaufen sollten, bleibt die Lage, so viel ist jetzt schon klar, angespannt. Kreditausfälle und Insolvenzen stehen noch bevor, heißt es, und auch, dass das Eigenkapital oft nicht einmal reicht, um die staatlichen Hilfskredite zu bekommen, und dass die Branche zu jenen zählt, die weiter auf das Kurzarbeitsmodell angewiesen sind.

"Auf die Betriebe kommt noch eine Lawine zu", sagt etwa Petra Nocker-Schwarzenbacher, bis Ende Juni oberste Touristikerin der Wirtschaftskammer Österreich und selbst Hotelierin im Salzburgerischen. "Es kann noch keiner sagen, ob der Sommer ein Reinfall wird oder ob wir mit einem blauen Auge davonkommen." Und längst fürchtet man sich auch vor dem nächsten Winter. Viele gehen nicht davon aus, dass man schon im kommenden Jahr wieder auf das Niveau vor der Krise zurückkehren wird, sondern wohl erst 2022, wenn nicht überhaupt erst 2023.

Manche wollen sich davon dennoch nicht abbringen lassen. In Großarl etwa wurde erst dieser Tage ein 20-Millionen-Euro-Hotelprojekt vorgestellt. Daran, die lang geplante Investition Corona-bedingt abzublasen, habe er nie gedacht, sagt der Hotelier.

Keine schlechte Devise, um den Sommer allem zum Trotz schön werden zu lassen.


Meine Meinung, Raiffeisenzeitung - 9. Juli 2020

Donnerstag, 2. Juli 2020

Halbes Wissen, leichtes Spiel



Die maßlose Selbstüberschätzung gepaart mit Inkompetenz ist ein Phänomen, an dem unsere Zeit leidet. Seit Jahren, immer öfter und überall. Im Privatleben, in der Politik, in der Gesellschaft. In der Wissenschaft heißt dieses Phänomen, warum sich Halbwissende für besonders klug halten, Dunning-Kruger-Effekt, benannt nach zwei amerikanischen Psychologen. "Der Dunning-Kruger-Effekt bezeichnet die kognitive Verzerrung im Selbstverständnis inkompetenter Menschen, das eigene Wissen und Können zu überschätzen", heißt es auf Wikipedia.

Längst ist dieses Verhalten zu einem gefährlichen Problem geworden. Und man muss bei Gott nicht gleich den US-Präsidenten als abschreckendes Beispiel anführen, wenn man sich Sorgen macht, wohin das führen kann. Halbwissen ist zu einer Seuche unserer Zeit geworden, die im Verein mit den unkontrollierten und unkontrollierbaren Sozialen Medien als Brandbeschleuniger längst zu einer großen Gefahr für die Gesellschaft geworden ist.

Wunder nimmt diese Entwicklung nicht, angesichts des tagtäglichen Bombardements an Informationen, oder was dafür gehalten, in allen Lebensbereichen in den Sozialen Medien, auch im Fernsehen, in den Zeitungen und im privaten Umfeld. Meist vorgetragen mit Nachdruck und schier messianischer Überzeugung und immer öfter, ohne irgendeine Gegenrede zu dulden, geschweige denn zu akzeptieren.

Dabei gab es nie so viel Wissen, das so leicht zugänglich ist wie heute. Es wurde aber freilich auch wohl noch nie so verantwortungslos und auch wider besseres Wissen damit umgegangen. Und es war noch nie so schwierig, Orientierung zu finden. Früher hatte man Respekt vor Wissen und Bildung, heute ist oft nichts mehr davon zu erkennen. Längst aber sind Vertrauen in Wissen und Bildung zerstört. Mit Halbwissen, schnell zusammengelesenen Sätzen oder mit dem Zitieren von Wortfetzen, die man einmal gehört hat, ist es heute viel zu oft üblich geworden, alles in Zweifel zu ziehen und zu denunzieren. Was nicht passt, wird passend zusammenargumentiert. Meist ohne alle Zwischentöne und ohne jede Abwägung. Und immer öfter mit dem Brustton der Überzeugung und der Verachtung für jeden, der anderes meint.

Halbwissen hat es immer gegeben. Aber die Dreistigkeit, mit der heute damit umgegangen wird und wie es eingesetzt wird, gab es wohl noch nie. Jeder und jede, so nicht selten der Eindruck, nimmt sich das Recht heraus, Recht zu haben, und lässt keine Meinung daneben gelten. Oft wird sogar die Demokratie missbraucht dafür -"man wird ja noch sagen dürfen, was man denkt".

Details interessieren nicht, Wissen zählt nicht, was nicht passt, wird argumentativ passend gemacht. Ob es etwas mit der Wirklichkeit zu tun hat, spielt keine Rolle. Längst ist diese Gemengelage aus Halbwissen, Selbstüberschätzung und Inkompetenz, in der Bildung und Wissen unterzugehen scheinen, zu einer Gefahr für die Gesellschaft geworden. Tür und Tor sind für Fake News, Verschwörungstheorien und politische Hasardeure sperrangelweit offen, wenn kaum mehr über das Wissen verfügt wird, zu prüfen, was jemandem vorgesetzt und eingeredet wird von Wirtschaft, Politik und all den anderen Gruppen, die ihre Interessen im Umgang mit der Öffentlichkeit verfolgen.

Die Dinge geraten da schnell in eine Schieflage, die zum Schaden aller werden kann. Man denke nur an all die Voodoo-Konzepte für die Wirtschaft, an den nicht auszurottenden Antisemitismus oder Rassismus, an all die Impfverweigerer oder die Menschen, die generell alles besser zu wissen glauben und alle anderen für Idioten und Narren halten.

Statt in diesem Informationswahnsinn die Stopptaste zu drücken, findet sich immer jemand, der auch den abwegigsten Argumenten recht gibt. Für jede noch so krude These und Ängste finden sich "Experten" und Plattformen, die sie unterstützen und weitertragen.

Es verwundert freilich nicht, dass die Entwicklung so kam. In einer Zeit, in der Tempo alles ist und die von einer Sensation, von einem Skandal zum anderen hechelt, ohne je irgendetwas mit Respekt und Gewissenhaftigkeit zu hinterfragen und in der man es nicht mehr für notwendig erachtet, sich Grundlagen zu erarbeiten, ist es schwierig wie nie zuvor, Orientierung zu finden.

Aber statt Stopp zu sagen, ist man allerorten und auf allen Seiten viel eher dazu bereit, auch weiterhin zu allen greifbaren Brandbeschleunigern zu greifen. Nicht nur auf Seiten der Bösen, sondern auch auf Seiten derer, die sich für die Guten halten.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 2. Juli 2020
 
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