Montag, 21. September 2020

Agrarreform, bitte warten

Die EU-Agrarreform hätte eigentlich mit Beginn nächsten Jahres in Kraft treten sollen. Davon aber ist man weit entfernt, weil in allen Bereichen noch grundsätzliche Einigungen fehlen.

Hans Gmeiner  

Salzburg, Wien. Wenn es nach den ursprünglichen Plänen gegangen wäre, müsste die EU-Agrarreform längst abgeschlossen sein und würde mit Beginn nächsten Jahres in Kraft treten. Doch davon ist man meilenweit entfernt. Derzeit streitet man darüber, ob die bisherige Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) um ein Jahr oder um zwei Jahre verlängert werden soll. In den Mitgliedsstaaten geht man von einem zweijährigen Aufschub aus. Lediglich die Kommission glaubt nach wie vor, dass ein Jahr reicht.

In trockenen Tüchern ist derzeit jedenfalls praktisch nichts. Die deutsche Ratspräsidentschaft will bis zum Jahresende die Agrarreform zumindest im Großen auf Schiene bringen. Aber die „Diskussion schwimmt noch gewaltig“, so beschreiben Insider die Lage. Fix ist noch kaum etwas. Nicht einmal die Aufstockung der Mittel für die Landwirtschaft im mehrjährigen EU-Finanzrahmen, die im Mai von den Agrariern gefeiert wurde. Statt 100 Millionen Euro weniger, wie ursprünglich geplant, sollen für Österreichs Bauern jährlich nun fünf Mill. Euro mehr zur Verfügung stehen. Das freilich ist nicht mehr als ein Beschluss der EU-Regierungschefs. Der formale Beschluss des EU-Rats und die Zustimmung des EU-Parlaments stehen noch aus.

Bei den Inhalten der Agrarreform ist die Lage durchaus ähnlich. Noch ist alles in Schwebe. Der Rat der EU-Agrarminister hat bisher nicht zu einer gemeinsamen Position gefunden. Und im EU-Parlament hängt die Reform im Agrarausschuss und im Umweltausschuss, ohne recht voranzukommen, weil die Interessen in den beiden Gremien meist sehr gegensätzlich sind.

So gibt es bis dato keine klaren Vorgaben für das Ökoschema, das grundlegende Konzept für die Berücksichtigung von Umweltanliegen. Und als ob das alles noch nicht schwierig genug wäre, ist noch völlig unklar, wie der Green Deal und die so plakativ angekündigten Ziele der „Farm to Fork“-Strategie in die Agrarreform eingebracht werden können. 50 Prozent Reduktion des Pflanzenschutzmitteleinsatzes bis 2030 sind schön und gut, sagen die Bauernvertreter, „aber wovon geht man wirklich aus?“, fragen sie. Nicht anders ist es bei der geplanten Reduzierung des Düngemitteleinsatzes um 20 Prozent.

Für Verunsicherung sorgt die angestrebte Erhöhung des Anteils des Biolandbaus auf 25 Prozent der Flächen, weil man eine Überforderung des Marktes und starken Druck auf die Preise befürchtet. Und was die geplante Umwandlung von zehn Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche in Blühstreifen und Brachen konkret bedeutet, sorgt für Verwunderung angesichts der in allen Ländern geführten Diskussion um die Eigenversorgung mit Lebensmitteln. Kritisiert wird auch, dass „Farm to Fork“ trotz der ambitionierten Auflagen für Europas Bauern jene Umweltstandards unbeachtet lässt, nach denen importierte Lebensmittel erzeugt werden.

Auch die EU-Staaten selbst hängen bei dem Thema in der Luft. Sie sollen, so einer der Eckpunkte der Reform, in ihren Ländern die Agrarpolitik zwar nach EU-Vorgaben, aber doch wieder deutlich selbstständiger als bisher gestalten können. In Österreich arbeiten in vier Arbeitsbereichen insgesamt 14 Expertengruppen an Vorschlägen.

Größte Herausforderung dabei ist die neue Architektur des Fördersystems. Brüssel verlangt für die Fördergelder deutlich mehr Auflagen als bisher, will aber pro Hektar um ein Drittel weniger zahlen. Über zusätzliche spezielle Maßnahmen, zu denen sie sich verpflichten müssen, sollen die Bauern wieder auf die ursprüngliche Prämienhöhe kommen können. Welche Maßnahmen das sein werden, ist freilich noch unklar.

Klar ist nur, dass es wohl welche aus dem bisherigen Umweltprogramm sein werden. Daher ist es nötig, dieses Programm völlig neu aufzustellen. Es ist eine für viele Bauern wichtige Geldquelle. Herzstück wird in Zukunft die Begrünung der Felder über den Winter sein. Dazu soll es sogenannte spezielle Maßnahmen geben, für die es Ausgleichszahlungen gibt. Eines dieser sogenannten Top-ups soll die biologische Produktion sein. In Agrarkreisen wird die Reform als Signal in Richtung Extensivierung gewertet. Viele Bauern könnten sich dann von Umweltprogrammen verabschieden.

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