Donnerstag, 3. September 2020

Die gute Krise. Ehrlich jetzt?



"Geschäftsauflösung", "Danke", "Zu vermieten". Oft einfach nur mit dickem Filzstift schnell hingeschrieben. Manchmal aber auch nur ausgeräumte Schaufenster. Langsam wird die Corona-Krise sichtbar in den Städten, langsam auch in den besten Lagen, langsam auch in den Landeshauptstädten. Ganze Straßen sind oft mit einem Mal leer. Geschäfte dahingerafft vom fehlenden Umsatz, von fehlender Kundenfrequenz, von Kosten, die auf einmal nicht mehr zu bedienen waren.

Das BIP brach im zweiten Quartal um 12,5 Prozent ein, die Arbeitslosenzahlen sinken nicht recht, Unternehmen wie die Voestalpine planen Entlassungen. Die Stimmung im Land spiegelt die aufdräuende Dramatik aber nicht wider. Die Kurzarbeitsregeln, die Sonderzahlungen, die Wirtschaftsprogramme, die in Wien und Brüssel aufgelegt wurden, lassen das Gefühl, als wäre alles gut. Eine Pause nur, ein "kollektiv verordneter Vorruhestand" wie das ein deutscher Psychologe formulierte. Zeit zum Durchatmen. Man freut sich, mehr Zeit für den Garten zu haben, man nutzt die Kurzarbeit für Kurzurlaube, man bäckt Brot und man lässt auch während der Woche mal fünf gerade sein. Sorgen macht man sich nicht. Jedenfalls nicht wirklich. Und kaum jemand.

Im Gegenteil. Man scheint das neue Leben gar nicht unsympathisch zu finden. Von den Masken einmal abgesehen und von den Reisebeschränkungen. "Tut uns direkt gut", ist oft zu hören. Und: "Es hat ja eh nicht so weitergehen können und die Umwelt hat auch was davon."

Allerorten blüht die Sympathie für eine sanftere Wirtschaft. Mit einem Mal fragt man, "muss Wirtschaftswachstum wirklich immer sein, oder geht es nicht auch anders?". Man schaut der Friday-for-Future-Bewegung verzückt zu und sympathisiert mit der volkswirtschaftlichen Expertise von Schokoladenmachern und Gewürzherstellern, für die jetzt der richtige Zeitpunkt ist, von der Wachstumsdoktrin abzurücken. "Die monströs gewordene Wirtschaft muss zurück zu ihrem eigentlichen Sinn", sagen Leute wie Josef Zotter oder "Sonnentor"-Johannes Guttmann.

Man mag ihnen recht geben. Aber ist das allein die Antwort, wenn die wichtigsten Volkswirtschaften der Welt schrumpfen, wenn dramatische Auswirkungen auf Arbeitsmarkt und Staatsverschuldung zu erwarten sind. Mag man just einer derart heiklen Phase das Risiko nehmen? Wenn es um hunderttausende Arbeitsplätze geht. Um Einkommen und um Auskommen?

Dieser Diskussion fehlt viel. Es fehlt an Verständnis für die Zusammenhänge. Schon wenn man die aufgelassenen Geschäfte in den Städten sieht, ist zu erkennen, dass das mit einer schrumpfenden Wirtschaft nicht so toll sein kann. Wenn die Menschen weniger haben, geben sie auch weniger aus. Dann reichts schnell nicht nur für den Chef so eines Geschäftes nicht, sondern auch nicht für seine Mitarbeiter. Dann setzt sich die Spirale in Gang bis hin zu den großen Industrieunternehmen.

Und es fehlt vor allem daran, dass man den Leuten nicht sagt, dass sie mit weniger auskommen müssen, wenn die Wirtschaft schrumpft, wenn diese Welt ohne Wirtschaftswachstum, von der jetzt so viele träumen, Wirklichkeit wird. Dass sich ihr Leben wohl auf einem ganz anderen Niveau abspielen müsste. Und was sagt man erst den Leuten in anderen Weltregionen? Wie lässt sich dort eine stagnierende oder gar schrumpfende Wirtschaft mit dem Kampf gegen Armut vereinbaren? "Wohlgenährt lässt sich leicht über neue Bescheidenheit sinnieren", schrieb Agenda-Austria-Chef Franz Schellhorn einmal pointiert.

Die Problemlage ist vielschichtiger, als viele wahrhaben wollen. Freilich gibt es viel zu korrigieren am Kurs der Wirtschaft und auch an dem der Politik. Aber es gibt wohl keine Patentlösungen, zumal solche, wie sie jetzt so eingängig von den Wachstumskritikern, denen das Tun der Wirtschaft seit jeher ein Gräuel ist, formuliert werden.

Wirtschaft ist kein Raub an der Zukunft, Wirtschaft ist vor allem auch, Möglichkeiten zu einem guten Leben zu schaffen. Darauf soll man sich besinnen. Und nicht darauf, das Rad zurückzudrehen. Es geht vielleicht darum, die Gewichte neu zu verteilen und neue Ziele zu setzen, aber es darf niemals darum gehen, dass die Wirtschaft einfach schrumpft.

Auch weil man sich dann all die teuren Schokolade-und Gewürzkreationen nicht mehr leisten könnte.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 3. September 2020

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