Donnerstag, 29. Oktober 2020

Der Kampf ist eröffnet

 

Über „klassische Klientelpolitik“ wurde geschimpft und darüber, dass eine große Chance „fahrlässig verspielt“ wurde. „Desaster für Klima- und Artenschutz“ hieß es da und „Schwarzer Tag für Europa“. Es war davon zu lesen, dass die „Agrarlobby“ gewonnen habe. Und Greta Thunberg erregte sich darüber, dass dadurch die „ökologische Zerstörung“ beschleunigt werde.

Wenn es nach den oft sehr kritischen und zuweilen nachgerade bösartigen Kommentaren zur EU-Agrarreform geht, die in den vergangenen Tagen zu hören und zu lesen waren, kann das, was die Agrarminister und das EU-Parlament beschlossen haben, für die Bauern nicht so schlecht sein. Auch wenn man nicht mit allem zufrieden sein muss, gilt doch wohl was die EU-Abgeordnete Simone Schmiedtbauer so formulierte: „Die starke Stimme der Realität hat gesiegt“.

So ist es wohl. Österreichs Agrarpolitik feiert vor allem, dass es gemeinsam mit der Allianz mit sieben kleineren EU-Ländern gelungen ist die Anrechenbarkeit bestehender Umweltprogramme durchzusetzen. „Das große Ziel, das österreichische Agrarmodell abzusichern und weiterentwickeln zu können wurde erreicht“ loben sich die Verhandler.

Was aber konkret auf Österreichs Bauern zukommt und wie das österreichische Agrarmodell, auf das man so stolz ist, wirklich weiterentwickelt werden soll, ist nach wie vor offen. Fix ist nur, dass damit auch die Träume von gleichen Flächenprämien für Alm- und für Talböden Träume bleiben.

Bei der konkreten Ausgestaltung einer Agrarreform in Österreich gab es jedenfalls noch selten so große Spannungen. Die Stellungen sind längst bezogen und wurden nach Bekanntwerden der der EU-Einigung prompt in den ersten Stellungnahmen bekräftigt. „Jetzt gilt es auf nationaler Ebene das Beste für unsere kleinstrukturierten Betriebe herauszuholen“, ließ etwa Tirols Kammerpräsident Josef Hechenberger wissen. „Wir werden uns in Wien in besonderer Weise für die Almwirtschaft aber auch die Grünlandbewirtschaftung im Berggebiet einsetzen.“ Gerade diese Betriebe müssten sich auf eine Kontinuität bei den Zahlungen verlassen können. Und aus Oberösterreich, wo man befürchtet, dass viele Bauern aus den Umweltprogrammen aussteigen könnten, wenn sie schlechter gestellt werden, meldete sich Präsidentin Michaela Langer-Weninger umgehend und forderte „nun konkrete Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen so zu gestalten, dass deren Umsetzung auch für intensiver geführte Tierhaltungsbetriebe und Gebiete mit höheren Ernteerträgen wirtschaftlich attraktiv ist“.

Nicht nur zwischen den Bauern dieser beiden Länder stehen die Interessen oft diametral gegeneinander. „Die Herausforderungen bleiben groß“, weiß Josef Moosbrugger, der aus Vorarlberg stammende Präsident der Landwirtschaftskammer Österreich. Die Herausforderung besteht wohl auch darin, dass man nun auch in Österreich ein Modell für die Umsetzung der Agrarreform zusammenbringt in dem sich auch die „starke Stimme der Realität“ durchsetzt.

Das verlangt viel Fingerspitzengefühl und Verständnis. Von den Interessenvertretern, von den Bauern und vor allem auch von den NGO die diesmal in Österreich so viel mitzureden haben wie noch nie. Auch wenn nun der Kampf eröffnet ist.

Gmeiner meint - Blick ins Land, 29. Oktober 2020

Das Vertrauen sinkt mit steigenden Zahlen

Gesundheitsminister Rudolf Anschober mausert sich zum Phänomen. Selten wohl hat es in diesem Land einen Minister gegeben, der sich mit so vielen Fehlern so lange hält. Und noch dazu so gut. Dem Oberösterreicher kann offenbar nichts etwas anhaben. Nicht, dass die Corona-Zahlen in den Himmel schießen, nicht, dass die Verordnungen aus seinem Ministerium selten mehr als Flickwerk und oft nichts als peinlich sind, nicht das Ampel-Chaos. Und auch nicht, dass trotz all seiner zur Schau getragenen Betulichkeit die Pandemie alles anders als im Griff, sondern vielmehr dabei ist völlig außer Kontrolle zu geraten. Anschober scheint immer noch wenig Schaden genommen zu haben. Die Menschen vertrauen ihm und seine Glaubwürdigkeit ist aller Patzer zum Trotz immer noch ungebrochen.

Anders liegt das bei Bundeskanzler Kurz. Im Gegensatz zu seinem Gesundheitsminister tut der sich zunehmend schwerer bei den Österreicherinnen und Österreichern das Vertrauen und die Glaubwürdigkeit zu erhalten. Er wird als Regierungschef mit anderen Maßstäben gemessen und die Coronakrise ist, wie für manche seiner Kollegen in anderen Länder auch, dabei zu einer ernsten Prüfung für den weiteren Verlauf seiner politischen Karriere zu werden. Seine Werte haben zum Sinkflug angesetzt. Und offen ist, wo der enden wird.

"Die Zahl der Unzufriedenen steigt", konstatierte erst dieser Tage Peter Filzmaier und verwies darauf, dass derzeit nur mehr 41 Prozent der Bevölkerung mit der Corona-Politik der Bundesregierung zufrieden sind. Im Mai waren es noch 70 Prozent. "Eine Fortsetzung der Negativentwicklung in den Vertrauensdaten" aber wäre "fatal", meint der Politikwissenschafter.

Das Image des Kanzlers hat Kratzer abbekommen. Auch wenn er und seine Partei immer noch unangefochten weit vor der Konkurrenz liegen, ist inzwischen durchaus vorstellbar, dass die Corona-Krise dereinst einen Wendepunkt in seiner bisher so tadellosen Karriere markieren könnte. Kurz glänzt nicht mehr. Das Virus setzt auch dem Kanzler zu und droht ihn zu entzaubern. Er wirkt nicht mehr so souverän wie vor und zu Beginn der Krise. Er tut sich heute, in der zweiten Welle, anders als noch im Frühjahr, schwer, die Menschen hinter sich zu vereinigen und auf den gemeinsamen Kampf gegen die Pandemie einzuschwören.

Auch aus eigener Schuld. Die immer öfter unglückliche Kommunikation, die oft nur noch mehr Verwirrung stiftet, Versprechungen und Einschätzungen, die sich als falsch erwiesen, die politischen Ränkespiele, das Negieren der Opposition und die Probleme mit der Unterstützung für die Wirtschaft und vor allem den Tourismus zeigen Wirkung. Er muss sich vorhalten lassen, die Sommermonate ungenutzt verstreichen gelassen zu haben. Dazu kommen die permanenten Angriffe der Opposition.

Das kann sich für das ganze Land rächen, zumal die Lage seit Wochen außer Kontrolle zu geraten scheint. Corona frisst sich immer tiefer in das Leben der Menschen und in die Wirtschaft. Entlassungen und Firmenschließungen werden immer mehr, der Arbeitsmarkt erholt sich nicht und die Aussichten werden immer düsterer. Menschen, die sich das nie gedacht hätten, haben inzwischen ihren Job verloren und damit viel weniger Geld.

Erst dieser Tage schlug die Caritas Alarm. "Das Geld reicht am Ende des Monats kaum noch für ein volles Einkaufswagerl, die Stromrechnung ist überfällig, ein kaputter Kühlschrank reißt plötzlich ein Loch ins Familienbudget", hieß es erst in der Vorwoche von der Hilfsorganisation der katholischen Kirche. In Teilen Niederösterreichs habe man seit Jahresbeginn in den Sozialberatungsstellen um 41 Prozent und in der Steiermark um 37 Prozent mehr Erstkontakte registriert als vor Jahresfrist. Und der Druck steige mit Fortdauer der Krise weiter an.

Auch wenn das Problem im Bewusstsein der Bevölkerung noch nicht wirklich angekommen scheint, ist die Herausforderung, vor denen die Gesellschaft und das ganze Land steht, nicht mehr zu übersehen. Die Corona-Pandemie ist nicht nur kurzfristig eine Bedrohung. Sie wird unser Leben wohl langfristig beeinflussen.

Für die heimische Politik und für alle, die sich dort für Stars halten und gehalten werden und auch für all die anderen wird das noch ganz andere Herausforderungen bringen, als das derzeit der Fall ist. Und viele werden dann zeigen müssen, was sie wirklich können. Ob sie nun Kurz heißen oder Anschober oder nicht ganz so berühmte Namen haben.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 29. Oktober 2020

Donnerstag, 22. Oktober 2020

Eine Haltung zerfrisst das Land

Es geht um eine Bankstelle im Oberösterreichischen, die geschlossen wurde. Und um einen Bankomaten, den die Bank gerne weiterbetreiben würde, wenn sie denn nur Unterstützung bekäme, zumal in einer kleinen Gemeinde, die, wie viele andere, zu klein ist, als dass sich dort auch unter Nachsicht aller Taxen rentabel Geschäfte betreiben ließen.

Diese Unterstützung ist freilich nicht in Sicht, dafür aber reichlich Protest, der sogar lokale Medien erreichte, weil eine Pensionistenvereinigung die Chance für etwas sah, was man dort offenbar für Aktivität hält. Man rief ein paar Mitglieder zusammen, postierte sie kameragerecht für den Fotografen von der Zeitung vor der ehemaligen Bank und gab der Sorge Ausdruck, dass "die älteren Mitbürger, welche nicht mehr so mobil sind und auch über kein Internetbanking verfügen", besonders betroffen sind.

Diese Sorgen sind durchaus berechtigt. Aber die Herrschaften auf dem Bild müssen sich freilich in der Bank geirrt haben, gegen den sie ihren Protest richteten. Denn nur ein ganz geringer Teil von ihnen waren auch Kunden dieser Bank. Die allermeisten, die da fürs Foto posierten, wickelten und wickeln ihre Bankgeschäfte offenbar über andere Bankinstitute ab, fern von dem Ort, in dem sie leben und in dem sie nun vorgeben, um die Geldversorgung zu fürchten.

Untypisch ist das nicht für das Wesen der Österreicher respektive der Österreicherin. Man fordert, ohne etwas in Anspruch zu nehmen, und man verlangt um des Verlangens willen. Meist auch ohne nachzufragen nach dem Wie und dem Warum, oft aber ohne jede Bereitschaft zur Lösung eines Problems selbst irgendetwas beizutragen. Um das Wie kümmert man sich nicht, dafür hält man gleichsam automatisch andere für zuständig.

Und zu diesem Wesen gehört auch, dass sich dann auch gerne Politiker einmischen, weil sie glauben eine Chance zu sehen. Freilich nicht um eine Lösung zu finden, sondern meist nur, um in die Zeitung zu kommen und so im Gespräch zu bleiben. Zu anderem, zu mehr, gar das über Phrasen hinausgeht, reicht es meist nicht.

Die Nahversorger kennen das, die Bauern und viele andere auch, die damit kämpfen, dass es alles Mögliche und Unmögliche von ihnen gefordert wird, dass es aber niemand zu kümmern scheint, wie sie über die Runden kommen. Im Gegenteil. Sie müssen oft zuschauen, wie die Menschen aus ihrer Umgebung aus ihrem Dorf, aus ihrer Gemeinde an ihren Geschäften vorbeifahren, einem günstigen Preis nach oder irgendeinem Sonderangebot. Die lieber Waren einkaufen, die aus der Ferne kommen, als das, was vor ihrer Haustür erzeugt wird, und die lieber im Internet bestellen, als dass sie in ihrer Umgebung einkaufen.

Diese Haltung hat in den vergangenen Jahren unser Land verändert. Zutiefst. Sie hat vor allem außerhalb der Städte im sozialen und im wirtschaftlichen Leben keinen Stein auf dem anderen gelassen. Appelle aus der Politik oder Hilferufe aus den Unternehmen konnten diesen Trend selten bremsen und nie stoppen. Und auch nicht Corona, das die Regionalität in ein neues Licht rückte.

Es ist, als sei die Gesellschaft nicht aufzuhalten, unverdrossen an dem Ast zu sägen, auf dem sie sitzt. Freilich gibt es zahllose Gründe dafür, dass es so gekommen ist. Und es ist auch niemandem zu verübeln, den Zug der Zeit zu nehmen. Was es freilich zuweilen schwierig macht, ist die Doppelbödigkeit der Menschen. Weit entfernt ist man oft davon, sich selbst an das zu halten, was man fordert. Legion sind die Umfragen, in der die Konsumentinnen und Konsumenten angeben, am liebsten heimische Lebensmittel und am liebsten in Bioqualität zu kaufen. Und Legion sind die Umfragen, in denen das Fehlen von Nahversorgern, Gewerbebetrieben, Ärzten und allem was noch dazugehört, beklagt wird.

Für die, die darauf vertrauten und sich auf Nahversorgungsprojekte einließen, endete das freilich nicht selten in einem Desaster, als sie feststellen mussten, dass all das, was da laut Umfragen ermittelt wurde, nur selten im täglichen Leben, wenn es um echte Euro und Cent geht, Gültigkeit hat. Und vielen Bauern, die oft im Vertrauen auf diverse Interessenbekundungen und Umfrageergebnisse neue Wege wagen, geht es oft nicht anders.

Man kann freilich sagen, das sei das unternehmerische Risiko. Viel öfter aber scheint es so etwas wie eine Irreführung von Unternehmungen zu sein. Mit der man dann freilich nichts zu tun haben will.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 22. Oktober 2020

Samstag, 17. Oktober 2020

Auch Puten brauchen Abstand

Ob bei der Putenmast oder im Schweinestall: Bei der Haltung von Tieren gelten in Österreich oft strengere Regeln – das freilich kostet. Die Kunden scheinen zunehmend bereit, das zu zahlen.

Hans Gmeiner
Regina Reitsamer 

Salzburg. Bis zu sechs Puten auf einem Quadratmeter, Schnabelkürzen, um Kannibalismus zu verhindern, Antibiotikaeinsatz und Züchtungen, bei denen Vögeln die Gelenke brechen, weil sie so viel Brustfleisch ansetzen. „Wer einen europäischen Puten-Großbetrieb besucht, dem vergeht die Lust auf Pute“, sagt Sarah Wiener, Fernsehköchin und österreichische Abgeordnete im EU-Parlament. Den Welternährungstag diesen Freitag nutzten Wiener und ihre Mitstreiter der Kochvereinigung Euro-Toques (Kochmütze) für einen Twitter-Aufruf: Nur aus guten Lebensmitteln könne man gute Gerichte zaubern. „Wir sind nicht mehr bereit, die Industriesuppe auszulöffeln.“ Extrembeispiel sei die Putenzucht.

Anders als bei Schwein, Huhn oder Kuh gibt es beim Truthahn europaweit keinerlei Regeln, was die Haltung betrifft. In Österreich ist das seit 2005 anders: 40 Kilogramm Lebendgewicht seien pro Quadratmeter Stall zulässig, erklärt Michael Wurzer, Geschäftsführer der Zentralen Arbeitsgemeinschaft der Geflügelwirtschaft ZAG. In Osteuropa seien es meist 70 Kilogramm, in Deutschland habe man sich freiwillig auf 58 Kilogramm geeinigt. Dazu hätten die meisten der 130 konventionellen und 35 biologischen Putenbauern in Österreich bei ihrem Stall überdachte Wintergärten für die Tiere und fütterten gentechnikfrei. Statt wie in Osteuropa Hunderttausende sind in Österreich im Schnitt 5800 Puten in einem Stall.

Mehr Platz, Licht und Luft heiße gesündere Tiere, betont Wurzer. Den Antibiotikaeinsatz habe man um 75 Prozent reduziert. Mit der Folge, dass österreichisches Putenfleisch 13 Euro koste, polnisches oft nur die Hälfte – und immer weniger heimisches Fleisch gekauft wurde. Der Selbstversorgungsgrad ist laut Statistik 2015 auf einen Tiefstwert unter 40 Prozent gefallen. Zuletzt freilich gebe es eine Trendwende.

Billa setzt seit dem Sommer ausschließlich auf heimische Pute. Die sei etwa um ein Viertel teurer als Putenfleisch aus Deutschland, der Absatz sei deswegen aber nicht zurückgegangen, betont Sprecher Paul Pöttschacher. Auch Spar arbeitet an einem eigenen Konzept.

Auch bei Schweinen wird inzwischen honoriert, dass die Tiere nicht aus Fabriken kommen, sondern zumeist auf familiengeführten Bauernhöfen großgezogen werden, die sich den Richtlinien des AMA-Gütesiegels und anderen Auflagen, die über das gesetzliche Mindestmaß hinausgehen, verpflichtet haben. „Die jahrelange Arbeit der AMA, der Landwirtschaftskammern und der Erzeugerverbände zeigt nun Früchte“, sagt Hans Schlederer, Chef der österreichischen Schweinebörse. „Derzeit ist dieses neue Österreich-Bewusstsein auf dem Markt rund 20 Prozent wert.“ So viel bekommen seit einigen Wochen in Österreich die Bauern mehr als ihre Kollegen in Bayern und im restlichen Deutschland. Dabei ist es hilfreich, dass der Lebensmittelhandel inzwischen nicht nur bei Frischfleisch auf österreichische Qualität setzt, sondern auch die Fleischverarbeiter dazu drängt, heimische Ware zu verarbeiten.

Dennoch ist der Schweinemarkt, den zuerst Corona und dann die Sperre Chinas für deutsches Schweinefleisch aus der Spur brachte, nichts für schwache Nerven. Obwohl Österreichs Schlachthöfe bisher ohne große Probleme durch die Coronakrise kamen und auch die Afrikanische Schweinepest das Land bisher verschonte, müssen Österreichs Schweinebauern seit Jahresbeginn Preisrückgänge von mehr als 25 Prozent hinnehmen. „Den Mästern bleibt seit Pfingsten nichts mehr“, sagt Schlederer, der dennoch damit rechnet, dass das Jahr insgesamt nicht zu den schlechten zählen wird.

Hoffnungen setzt die Branche darauf, dass Österreich bald die Lizenz für die Lieferung von Innereien und Schlachtnebenprodukten wie Ohren, Schwänzen und Ähnlichem nach China bekommt. „Da geht es um einen zusätzlichen Erlös von zehn bis 20 Euro pro Schwein“, sagt Schlederer. Derzeit ist Österreich mit einem jährlichen Exportvolumen von 12.500 Tonnen in China bereits der achtgrößte ausländische Lieferant von Schweinefleisch.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 17. Oktober 2020

Donnerstag, 15. Oktober 2020

Allerorten schweigt die Basis

Dieser Tage feiert man sich nach der Wienwahl in allen Parteien - bis auf einer - als Sieger. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass in Österreichs Parteien seit geraumer Zeit Ruhe herrscht. Allerorten schweigen die Funktionäre und die Basis. Als Parteimitglieder, selbst als Verantwortungsträger scheinen sie vor allem zu dulden. Zu schlucken vielleicht auch und sich zu wundern, sich vor allem aber still und stromlinienförmig im Sinn der jeweiligen Parteiline zu verhalten. Da ist kaum wo ein Aufmucken, da ist kaum etwas überliefert von großen Diskussionen und auch nichts von Flügelkämpfen.


Dabei müsste sich eigentlich bei den Türkisen und den Grünen die Basis und die Funktionäre wegen des zuweilen sehr chaotischen Corona-Managements längst zu Wort melden. Bei den Grünen war nach der Unruhe wegen Moria bald wieder Ruhe. Bei der SPÖ produziert die Parteichefin jeden Tag Diskussionsbedarf. Und den Freiheitlichen steht man trotz des Wien-Desasters am vergangenen Wochenende hinter Hofer und Kickl, wohl um Ruhe zu haben. Da ist noch gar nicht die Rede von den großen Themen wie den Problemen in der Wirtschaft, auf dem Arbeitsmarkt oder im Tourismus. Oder vom aus den Fugen geratenden Budget oder von Dauerthemen wie Pensionssicherung und all den Fragen, die sich im Sozial-und Gesundheitsbereich auftun. Und schon gar nicht von internationalen Fragen wie der Flüchtlingskrise vor den Toren Europas.

In der ÖVP ist man dem Bundeskanzler und Parteiobmann hörig und schweigsam ergeben. In der SPÖ hängt man seit dem Kern-Abgang immer noch in den Seilen. Die Grünen halten ihre Streitlust auch in den Grätzln und Gemeinden im Zaum, um die Regierungsarbeit nicht zu gefährden. Die Blauen halten still, um irgendwie doch mit dem Leben davonzukommen. Nur bei den Neos ist nichts zu beobachten, aber die haben ja auch kaum Mitglieder als eine organisierte Basis, die mitreden und aufmucken könnte.

Es ist nichts zu spüren im Land. Nichts von breiten Diskussionen. Nichts von Forderungen. Nichts davon, dass in den Parteien Junge irgendwo nachdrängen und Fragen stellen oder dass sich Unzufriedenheit und die Sorgen um die Zukunft in irgendeiner Form manifestieren außer in einem Achselzucken. Schon gar nicht gibt es so etwas wie eine Proteststimmung oder gar eine Wendestimmung. Es scheint, als hätten in allen Parteien alle ihre Verantwortung an ihre Spitzenpolitiker abgetreten und ihr politisches Engagement an den Nagel gehängt.

Corona mag eine Erklärung dafür sein, sie greift aber wohl zu kurz. Es hat wohl auch damit zu tun, dass sich auch die anderen Parteien die Kommunikationspolitik der Kurz'schen Volkspartei zum Vorbild genommen haben. Zugunsten eines geschlossenen Bildes scheinen sich nicht nur in der Volkspartei Funktionäre und Mitglieder der Führung unterzuordnen und ihre Beschlüsse und Werbestrategien brav bis ins hinterste Tal zu tragen -ohne lange zu fragen oder gar zu hinterfragen. Das machen auch die Funktionäre und Mitglieder der SPÖ kaum mehr anders, weil es ihnen als probatestes Mittel erscheint, Ruhe in die Partei zu bringen. Und sogar bei den Grünen zeigen sich solche Tendenzen, denkt man nur daran, wie rasch es wieder um die Aufnahme von Flüchtlingen aus Moria still wurde.

Alles scheint allerorten nur mehr auf eine "Message" und deren "Control" ausgerichtet zu sein. "Nur kane Welln" sagt man dazu in Wien. "Welln" würden nur stören.

Kurzfristig mag das ja durchaus sinnvoll sein. Aber langfristig kann das wohl nicht die politische Arbeit, zumal jene an der Basis der Parteien, ersetzen. Denn die Gesellschaft braucht Diskussionen. Nicht nur über den Lieblingsfußballclub oder die aktuelle Mode und das beste Essen, sondern auch über die gesellschaftlichen und politischen Anforderungen. Die Parteien waren in Österreich immer wichtige Orte und Katalysatoren dafür.

Nun aber muss man sich genau darum Sorgen machen, weil unübersehbar ist, wie sie von wenigen Politikern an der Spitze ohne Widerrede auch bei uns instrumentalisiert werden können, um vorgefertigte politische Anschauungen und Einschätzungen durchzusetzen. Und das gilt längst nicht mehr nur für die Kurz-ÖVP, die anfangs dafür von allen Seiten heftig kritisiert wurde, als sie mit einem völlig neuen Führungs- und Kommunikationsmodell die ÖVP übernahm. Es gilt längst auch für andere Parteien.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 15. Oktober 2020

Samstag, 10. Oktober 2020

Die Bauern fahren nicht die reiche Ernte ein


Weil in Krisenzeiten Regionalität gefragt ist, gelten die Bauern als Krisengewinner. In Wahrheit profitieren sie am wenigsten von dem Trend.


Hans Gmeiner

Linz. „Ich schaue auf regionale Qualität“, heißt es in der neuesten Werbekampagne der AMA. In Wien tourten kürzlich die Jungbauern mit einem Foodtruck durch die Stadt. Und in den Bundesländern machten Bauernfunktionäre und Bauern in Einkaufszentren Werbung für ihre Produkte. Mit großem Eifer und viel Aufwand versucht die Landwirtschaft den Rückenwind zu nutzen, den die Coronakrise bäuerlichen Produkten aus Österreich bescherte. Regionalität ist in aller Munde und bietet tatsächlich große Chancen. Bloß die Bauern profitieren am wenigsten davon. Sie sorgen mit ihrem Engagement für schöne Zuwächse in vielen wirtschaftlichen Sektoren und tragen dort auch zur Sicherung von Arbeitsplätzen bei, für sie selbst aber fällt im Vergleich dazu nur wenig ab. Das ergibt die Analyse einer Untersuchung des Wirtschaftsforschungsinstituts.

Demnach bringt eine nur einprozentige Erhöhung der Nachfrage nach inländischen Agrarrohstoffen und Lebensmitteln für die gesamte österreichische Volkswirtschaft eine zusätzliche Wertschöpfung von 141 Millionen Euro, mit der rund 3100 Arbeitsplätze verbunden sind, wenn zum selben Prozentsatz dadurch Importe ersetzt werden. Auf die Bauern entfallen davon allerdings nur rund 20 Millionen Euro, rund ein Siebtel des Zugewinns, den der verstärkte Kauf heimischer Agrarprodukte und Lebensmittel bringt. Berücksichtigt man die Abschreibungen, sind es gar nur zehn Millionen Euro. Den weitaus größten Teil des Kuchens, nämlich die restlichen sechs Siebtel, teilen sich die Lebensmittelverarbeiter, die Metzger und Fleischverarbeiter, die Molkereien und die heimische Lebensmittelwirtschaft sowie auch der Lebensmittelhandel.

Für die Bauern bleiben hingegen nur die sprichwörtlichen Brösel. Geht man davon aus, dass ein Haushalt monatlich rund 350 Euro für Lebensmittel ausgibt, sind ein Prozent nicht mehr als 3,50 Euro. Wird dieser zusätzliche Umsatz auf die tatsächliche Wertschöpfung heruntergerechnet, bleiben beim Bauern gerade einmal ein paar Cent hängen, bestätigt Studienautor Franz Sinabell vom Wifo.

Nicht einmal bei den bäuerlichen Direktvermarktern ist eindeutig, dass sie wirklich zu den großen Nutznießern des Regionalitätstrends bei Lebensmitteln zählen. „Die tun sich vielleicht am leichtesten, den Trend zu nutzen, haben aber oft sehr hohe Kosten“, sagt Sinabell. „Aber auch der Handel profitiert stark von ihnen, wenn er die Produkte von regionalen Kleinerzeugern in Regionalregalen verkauft.“

Was für die zusätzliche Wertschöpfung gilt, gilt auch für die 3100 Arbeitsplätze, die laut Wifo in Verbindung mit mehr Österreich-Bewusstsein beim Lebensmitteleinkauf stehen. „Diese Arbeitsplätze sind vor allem dort, wo die zusätzliche Wertschöpfung ist, in der Lebensmittelverarbeitung, im Handel, sogar in der Immobilienwirtschaft“, sagt Sinabell. Bei Bauern hingegen gehe es nicht um zusätzliche Jobs, „sondern um Jobs, die nicht verloren gehen“.

Sinabells Fazit muss für die Landwirtschaft, die so große Erwartungen in die Regionalität setzt, ernüchternd klingen. „Wenn wir die Nachfrage nach heimischen Gütern ausweiten, können wir den Strukturwandel nicht aufhalten, sondern allenfalls bremsen“, sagt der Ökonom. „In der Landwirtschaft kann man nicht viel gewinnen, man kann im Wesentlichen nur die Reduktion der Zahl der Arbeitskräfte verlangsamen.“ Nachsatz: „Wenn das ein Gewinn ist, dann gewinnt die Landwirtschaft.“

„Eigentlich sollte sich die Wirtschaftskammer über den Trend zur Regionalität bei Lebensmitteln mehr freuen als die Landwirtschaftskammer“, sagt Sinabell. Letztere will sich die Stimmung dennoch nicht vermiesen lassen. „Das Ergebnis beweist eindeutig, dass gelebte Regionalität nicht nur positive Auswirkungen für die vor- und nachgelagerte Wirtschaft hat, sondern auch der Landwirtschaft das Rückgrat stärkt“, sagt Josef Moosbrugger, der Präsident der Landwirtschaftskammer Österreich. Er verliert aber dabei nicht aus den Augen, dass es auch darum gehen muss, die Position der Bauern in der Wertschöpfungskette zu stärken. „In Österreich müssen wir einen Teil der Wertschöpfung wieder zurück in bäuerliche Hände bringen.“

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 10. Oktober 2020

Donnerstag, 8. Oktober 2020

Wahlen im "Wasserkopf der Nation"

Wien wählt und der Rest Österreichs muss zuschauen. Nolens volens. Wenn der Bürgermeister den Müllmann macht, wenn sich ein Schriftsteller mit dem Finanzminister balgt, wenn sich ein politischer Bankrotteur ins Rampenlicht zurückdrängt. Wenn man mit Taxi-und Gastronomiegutscheinen um sich wirft, Ganzjahres-Gratistickets für die Öffis verspricht und den Grippeimpfstoff gratis verteilt, während man sich im Rest des Landes auf Wartelisten gedulden muss.


Wienwahlen auf allen Kanälen und im ganzen Land. Und kein Entkommen. Weil Wien ist Wien. Und Wien nimmt sich nun einmal gerne wichtig. Jedenfalls dann, wenn's ins Konzept passt. Wenn's nicht hineinpasst, dann macht man sich gerne kleiner. Beim Umgang mit dem Corona-Virus etwa, den man trotz eines sehr selbstbewussten Gesundheitsstadtrates nicht recht im Griff hat. Da ist dann Wien nicht so groß und bedeutend. Sonst aber schon.

Als bekennende Provinzler gibt man gerne zu, dass einen das in diesem Land schon in wahlfernen Zeiten sehr beliebte und in Wahlzeiten wie diesen in Hochkonjunktur stehende Wien-Bashing vor diesem Hintergrund durchaus amüsieren kann. Zuweilen bettelt man ja in Wien nachgerade darum. Und es werden ja oft schier alle Vorurteile bestätigt, die man zwischen Neusiedler See und Bodensee so hegt. Dass die Wiener eingebildet sind und hochnäsig sowieso und dass sie, wie das "profil" formulierte, "gfeanzt" und "neunmalklug" sind.

Zur Bundeshauptstadt und ihren Bewohnern haben die meisten Österreicherinnen und Österreicher ein meist sehr spezielles Verhältnis. Und das ist nicht immer von Freundlichkeit getragen. Die Wiener können unter zahllosen Umfragen wählen, für wie unbeliebt sie gehalten werden. Unique Research etwa ermittelte für "profil", dass 46 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher Wien für den "Wasserkopf der Nation" halten. Bei "market" ist eine Umfrage zu finden, die den Wienern Unfreundlichkeit bescheinigt. SORA ermittelte, dass nur 21 Prozent in Wien "an Menschen und Mentalität" Gefallen finden und nur 34 Prozent der Nichtwiener glauben, die Wiener seien beliebt.

Die Wienerinnen und Wiener wissen darum. SORA ermittelte, dass sich die Hälfte der Wienerinnen und Wiener selbst nicht für beliebt hält. In einer Radiodiskussion wurden die Gründe dafür dieser Tage so formuliert: "Wir Wiener sind überdurchschnittlich gebildet -das kommt nie gut, wir Wiener haben einen überdurchschnittlich hohen Migrationshintergrund, wir Wiener sind überdurchschnittlich oft arbeitslos und wir Wiener bekommen überdurchschnittlich viel aus dem Finanzausgleich."

Jetzt ist es aber genug. Auch wenn der güldene Glanz des Wiener Herzens außerhalb nicht so geschätzt wird, wie man in Wien das möchte, gibt es wohl ebenso viele Umfragen, die Wien und die Wienerinnen und Wiener im besten Licht erscheinen lassen. Vom kulturellen Angebot, über das weltstädtische Flair, die wunderbaren Straßen und Gassen, die historischen Bauten, das Verkehrssystem und das Shoppingangebot bis hin zu den Heurigen und zum Schweizerhaus und seinen Stelzen.

Wien ist auch, auch das sei gesagt in diesen Vorwahlzeiten, eine wie man neudeutsch selbst in besseren Kreisen heutzutage sagt, geile Stadt. Spannend, toll, überbordend zuweilen, voller Leben. Ein faszinierender Kosmos, ein kosmopolitischer Leuchtturm in einem Österreich, das sich oft nur mehr mit sich selbst beschäftigt, das sich, wie spitze Kritiker nicht ganz zu Unrecht meinen, in den vergangenen Jahren die Lederhosen anzogen hat.

Österreich braucht Wien. Aber, das sollten die Wienerinnen und Wiener nicht vergessen, Wien braucht auch Österreich. Und darum ist es durchaus angebracht, die Landtagswahlen am kommenden Sonntag mit Interesse zu verfolgen. Denn wenn es um Wien geht, geht es auch um vieles in Österreich. Auch wenn der Ausgang klar zu sein scheint und Bürgermeister Michael Ludwig wohl einen unangefochtenen Sieg feiern wird.

Am spannendsten ist wohl, wie weit es dem türkisen Finanzminister Gernot Blümel gelingen wird, die bei den letzten Wahlen unter die Räder gekommen -damals noch schwarze -Volkspartei wieder ins politische Spiel der Bundeshauptstadt zurückzubringen. Die Aussichten stehen dem Vernehmen nach nicht schlecht. Jedenfalls deutlich besser als die von HC Strache zu einem politischen Comeback zu kommen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 8. Oktober 2020

Freitag, 2. Oktober 2020

Mehr Nachfrage nach Pflege auf dem Bauernhof

 

Green Care etabliert Bauern im Therapie- und Sozialbereich.

Wien. Weiter gewachsen ist im Vorjahr das Betreuungs-, Therapie-und Pflegeangebot auf Bauernhöfen von Green Care – wo Menschen aufblühen“. 115 landwirtschaftliche Betriebe bieten inzwischen insgesamt 180 Programme aus dem Green Care -Angebot. Der Renner ist tiergestützte Intervention, die 64 Höfe im Angebot haben. 20 Bauern bieten sich als sogenannte Auszeithöfe an und auf 20 Green Care -Höfen sind Bildungsangebote wie Waldpädagogik und Schule am Bauernhof Schwerpunkt. Stark gefragt sind auch Dienste wie Alten-und Kinderbetreuung oder Gesundheitsprogramme. Nun sollen bald Demenzhöfe vor allem Angehörigen von Demenzkranken Entlastung bieten. Neu sind auch die Gartenhöfe und die Tiererlebnishöfe. Dort sollen zum einen therapeutische und gartenpädagogische Angebote und zum anderen Therapien mit Tieren im Zentrum stehen. gm

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 2. Oktober 2020

Donnerstag, 1. Oktober 2020

Das - vielleicht - Gute an Leopoldsdorf

Es werde eine "gemeinsame, überparteiliche Kraftanstrengung" gefordert hieß es in den Medien. Es gelte „eine Katastrophe doch noch abzuwenden“. Eine Lösungsmöglichkeit sei den Bauern mit Flächenförderungsmodellen unter die Arme zu greifen. Die Mitarbeiter der Fabrik seien schließlich seien hoch spezialisierte Facharbeiter, für sie und deren Familien wäre das auch eine persönliche Katastrophe, wenn deren Lebensgrundlage verloren ginge. Mit dem Aus der Fabrik würden der Gemeinde bis zu 300.000 Euro an Kommunalsteuern oder fünf Prozent ihrer Einnahmen verloren gehen, klagte der Bürgermeister. Und man müsste wohl Leistungen einschränken.

Man staunt, sind das doch nicht Zitate aus bäuerlichen Kreisen und Medien und auch nicht vom Bauernbund und von türkisen Standesvertretern und Politikern. Nein, es sind allesamt Zitate von gestandenen SPÖ-Politikern. Vom Bürgermeister von Leopoldsdorf und von Landtagsabgeordneten aus Niederösterreich, die sich da nicht nur für ihre eigene Klientel, die dort Beschäftigten, sondern auch für die Bauern und die Zuckerfabrik einsetzen. Dem Vernehmen nach bearbeitet inzwischen sogar der niederösterreichische SPÖ-Landeschef seinen burgenländischen Kollegen und Landeshauptmann Doskozil, sich nicht mehr länger gegen eine Notfallzulassung der Neonics in Österreichs östlichstem Bundesland querzulegen, auf dass auch dort wieder mehr Hektar für Leopoldsdorf und die Erhaltung der Arbeitsplätze zusammenkommen.

Wie oft hätten sich die Bauern in den vergangenen Jahren gewünscht, dass die SPÖ-Politiker aber auch viele Politiker in anderen Parteien und auch die breite Öffentlichkeit so um die Bauern bemühen. Wenn die um ihre Höfe fürchten und wenn dort Arbeitsplätze bedroht sind, weil die Bauern mit den oft überzogenen Auflagen, mit der überbordenden Bürokratie und mit dem Wettlauf um immer niedrigere Preise nicht zurechtkommen. Wie sehr hätte man sich oft gewünscht, dass man erkennt, dass es auch auf den Bauernhöfen eine persönliche Katastrophe ist, wenn die Lebensgrundlage verloren zu gehen droht.

Davon freilich war bisher nur ganz selten etwas zu hören, wenn die Standesvertreter und die Politiker auf die schwierige Situation der Bauern aufmerksam machten, auf die Folgen von überzogenen Forderungen und auf die Einschränkungen. Da galten die Arbeitsplätze auf den Bauernhöfe nie viel, und von persönlichen Katastrophen dort und verlorenen Lebensgrundlagen wollte man gleich gar nichts hören.

Vielleicht hat die Diskussion um die Zuckerfabrik in Leopoldsdorf ja auch etwas Gutes, zeigt sich doch dort exemplarisch, wie viel doch an der Landwirtschaft hängt und welche Folgen das haben kann, wenn man meint, der Landwirtschaft alles aufbürden zu können. Vielleicht sieht man es jetzt anders, wenn man strengere Tierhaltungsvorschriften oder, wie jetzt die EU, eine markante Reduktion, Düngung und Pflanzenschutz oder eine Stilllegung von Ackerflächen, Grünland und sogar Wäldern fordert.

Vielleicht sorgt man sich in Zukunft ja wirklich auch um die Bauern und die Arbeitsplätze auf ihren Höfen genauso wie um die Arbeiter und die Arbeitsplätze in den Unternehmen, in denen die Produkte der Bauern verarbeitet werden.

Gmeiner meint - Blick ins Land, 1. Oktober 2020

Einäugiges Empörium

In Minsk und in anderen Städten Weißrusslands waren am vergangenen Wochenende wieder Hunderttausende auf den Straßen, um gegen den weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko zu demonstrieren. Wieder wurden, wie schon in den Wochen zuvor, Demonstranten von den Schergen des Präsidenten geprügelt und in Lieferwagen gezerrt. Polizisten mit Helmen und Schildern, die wahllos auf Demo-Teilnehmer einschlugen. Zivile Vasallen Lukaschenkos, die ihre Gesichter hinter Covid-Masken verbergen. Die oft einfach Frauen und Männer im Vorbeigehen schnappen, sie in Autos hineindrücken und mit ihnen davonfahren. Seit Wochen liefern die Medien solche Bilder der Gewalt.


Im Westen zeigt man sich betroffen. Das aber ist schon alles. Diplomatische Protestnoten. Große Berichte, erschütternde Bilder. Aber niemand rührt sich. Niemand ruft zu Solidarität mit der Protestbewegung in Weißrussland auf. Niemand startete irgendeine Aktion. Nicht als die Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja aus dem Land verjagt wurde. Und auch nicht, als Maryja Kalesnikawa verschleppt und nach einer Odyssee an die ukrainische Grenze in einem weißrussischen Gefängnis verschwand.

Es gab keine Demonstrationen, keine Solidaritätskundgebungen. Nicht einmal Solidaritätsadressen. Im Sommer noch ging man überall auf die Straßen, um gegen den Rassismus in den USA zu demonstrieren. "Black lives matter" mobilisierte die Menschen nicht nur in den USA, sondern vor allem auch in Europa. Menschenrechtler, Frauenrechtler, Rote, Grüne vor allem. Linke, als die man sie gemeinhin ihrer politischen Grundeinstellung wegen zusammenfasst.

Alles zu Recht, alles in Ordnung, alles nicht hoch genug anzurechnen und notwendig, zumal bei der Nicht-Linken Gleichgültigkeit die Grundstimmung ist, sofern es nicht gegen Ausländer, Islam und alles vermeintlich Linke geht. Dennoch drängt sich die Frage auf, warum rührt sich keiner von denen, die noch lautstark und voller Betroffenheit für "Black lives matter" auf die Straße gingen, wegen Weißrussland? Ein Land praktisch in unserer Nachbarschaft. Warum rührt sich keiner von denen wegen dem russischen Regimekritiker Alexei Nawalny? Warum schaut man zu, wie China das Volk der Uiguren in Straf-und Umerziehungslager steckt und nun auch nach den Tibetern greift? Warum ging niemand in Europa auf die Straßen, als Peking Hongkong einkassierte?

Es fällt schon lange auf, dass all die, die Haltung und Protest für ihre Pflicht halten und die dafür auch gerne auf die Straße gehen, wohl auf einem Auge blind sind. Denn all das Protestpotenzial entlädt sich offenbar nur, wenn es um die USA und die westliche Welt geht, die man unter US-amerikanischem Einfluss wähnt. All das aber gilt bemerkenswerterweise nicht für alles, was in der Welt geschieht, das seine Wurzeln in totalitären Regimen mit kommunistischem Hintergrund hat. Gegen Putin auf die Straße gehen? Gegen Xi Jinping? Niemals! Gegen Trump? Gegen Macron? Gegen Merkel? Bei jeder Gelegenheit! Im Rollstuhl, im Pyjama, bei jedem Wetter und mit Kind und Kegel. Jederzeit. Ist doch Ehrensache und wichtig.

Dieses Muster gilt nicht nur für die Politik, sondern auch, wenn es um die Umwelt geht. China und Russland sind immer außen vor, wie unsere deutschen Nachbarn sagen würden, wenn es um Umweltsünden, um CO2 und um den Klimawandel geht. Das Muster gilt auch bei Frauenfragen, wenn es um den internationalen Frieden geht, um soziale Standards und um vieles andere auch.

"Die Empörung ist ganz schön selektiv", war kürzlich in einer Analyse einer Tageszeitung zu lesen. Das will man offensichtlich nicht erkennen. Da darf man sich freilich nicht wundern, dass viele diese Einäugigkeit längst als lächerlich empfinden.

Diese Einäugigkeit ist freilich nicht alleine auf Reaktionen auf internationale Vorgänge beschränkt. Das Messen mit zweierlei Maß kennt man auch, wenn es um die kleine politische Welt in Österreich geht. Es sei nur erinnert an den Tiroler SP-Chef, in dessen unversperrtem Porsche ganz offen ein geladenes Gewehr lag. Alles halb so wild. Oder an die Proteste gegen den Vortrag eines rechten Uniprofessors im Herbst des Vorjahres. Meinungsfreiheit? Aber geh!

"Linke dürfen das", schrieben die "Salzburger Nachrichten" damals in einer Glosse spitz. So sind sie offenbar eben.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 1. Oktober 2020
 
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