Montag, 26. Juli 2021

Was den Bauern Sorgen macht

Die Bauern fühlen sich von den Forderungen, die an sie gestellt werden, oft überfordert. Die Realität, die sie täglich erleben, ist oft eine ganz andere – und bringt sie in eine Zwickmühle.

Hans Gmeiner 

Salzburg. Die Agrarreform, auf die sich die EU-Mitgliedsstaaten Ende Juni nach jahrelangem Tauziehen geeinigt haben, gilt vielen als Sieg der Bauernlobby und als vertane Chance insbesondere für die Umwelt. Dass sich die Bauern gegen den Green Deal wehren, der ihnen Beschränkungen bei Düngung und Pflanzenschutz auferlegen will und von ihnen verlangt, Acker-, Grünland- und Waldflächen stillzulegen, stößt in der Bevölkerung auf breites Unverständnis.

Aus Sicht der Bauern stellen sich aber viele der Probleme, für die die Gesellschaft schnelle Lösungen hat und von ihnen verlangt, meist ganz anders dar. Für sie geht es um die wirtschaftliche Zukunft, um ihre Höfe und auch um ihren Platz in der Gesellschaft. Und vor allem erleben die Bauern die Realität vor allem auf den Märkten tagtäglich oft anders als sie in der Öffentlichkeit diskutiert wird.

Klammert man die tagespolitische Diskussion und die Wünsche aus, die in die Landwirtschaft projiziert und von den Bauern oft als realitätsfern empfunden werden, wird schnell erkennbar, was den Bauern Sorgen macht.Druck zur Vergrößerung: „Seit 20 Jahren sind die Förderungen, die an die Landwirtschaft fließen, insgesamt gleich geblieben“, sagt Franz Sinabell, Agrarökonom am Wirtschaftsforschungsinstitut. In Österreich sind das jährlich 1,8 bis zwei Milliarden Euro. „Nominell ist der Betrag zwar stabil, zieht man aber die durchschnittliche Inflationsrate ab, sinkt der Wert real um zwei Prozent pro Jahr“, erklärt Sinabell. Für die Bauern bedeute das, sie „müssen jedes Jahr die Produktion um zwei Prozent steigern oder den Gürtel enger schnallen“. Zum Traum von kleinen Höfen und einer extensiven Landwirtschaft passt das nicht, weil damit Druck zur Vergrößerung oder Intensivierung erzeugt wird. „Denn das geht nur, wenn man auf der Fläche zwei Prozent mehr produziert oder die Flächen durch Zupachtung ausweitet“, sagt Sinabell. Verschärfend kommt hinzu, dass auch Bauernfamilien – wie jede Familie – mit jährlich um rund 700 Euro steigenden Kosten je Haushalt zurechtkommen müssen.

Eine Abkehr von Förderungen ist für Sinabell undenkbar. „Diese Zahlungen sind definitiv einkommenswirksam und vor allem einkommensstabilisierend und geben damit Sicherheit auch gegenüber unvorhersehbaren Entwicklungen auf den Märkten.“ Einer stärkeren Verteilung hin zu kleinen Bauern, wie das mitunter gefordert wird, steht der Wissenschafter reserviert gegenüber. „Wenn eine solche Umverteilung käme, wären genau die Bauern die Dummen, die darauf setzen, von der Landwirtschaft zu leben und auf den Märkten zu bestehen.“Green Deal erzeugt Verlierer: Hoch gehen die Wogen in der Landwirtschaft wegen des Green Deals. Die Bauern befürchten starke Beschränkungen der Produktion und eine massive Schwächung ihrer Position auf den Märkten. Sinabell verweist darauf, dass es auch drei Monate nach Veröffentlichung der Pläne in Europa noch keine Studie zu den Folgen des Green Deals auf die Agrarmärkte, die Selbstversorgung Europas und die Lebensmittelpreise gebe. Für Aufsehen sorgte eine Studie des US-Agrarministeriums. „Dort wurde errechnet, dass der agrarische Output in Europa um zwölf Prozent zurückgehen wird, die Exporte um 20 Prozent abnehmen und die Preise in der EU um 17 Prozent und global um neun Prozent steigen werden“, sagt Sinabell. Das freut die Amerikaner und all die anderen großen Agrarproduzenten der Welt, birgt aber auch eine große Gefahr. „Wir werden dadurch wohl mehr Hunger in der Welt haben“, sagt Sinabell. „Wir wollen die Welt ernähren? Das geht so nicht.“

Weniger Fleisch hätte Folgen: Der Green Deal geht davon aus, dass die Menschen die Ernährung umstellen, weniger Fleisch essen und damit die Umwelt weniger belasten. Sollte das Wirklichkeit werden und die Rinder-, Schweine- und Geflügelproduktion stark zurückgehen, habe das massive Folgen für die Bauern und in der Folge für die Bewirtschaftung der Flächen des Landes, sagt der Wifo-Experte. Und das nicht in ferner Zukunft, sondern sehr bald. Denn die Fleisch-Ersatzprodukte seien schon da und würden in den nächsten zwanzig Jahren an Bedeutung gewinnen. „Die mögliche Entwicklung muss ein Bauer schon heute mitdenken, wenn er einen Stall plant.“Bioboom hilft nicht allen: Auch der Wunsch der Gesellschaft nach einer möglichst großflächigen Umstellung auf Bio stößt bei den Bauern nicht auf uneingeschränktes Verständnis. Für viele passen die Rahmenbedingungen nicht. Die aktuellen Probleme mit der Weidehaltung, die viele Biobauern zum Ausstieg veranlassen, sind ein Beispiel dafür. Sinabell: „Die Bauern haben nichts vom Bioboom, die eigentlichen Nutznießer sind wir, der Mittelstand einer wohlhabenden Nation, weil durch die Förderung die Bioprodukte verbilligt werden.“ Generell profitierten von den viel kritisierten Förderungen in erster Linie die Konsumenten in Form billiger Lebensmittel und nicht die Bauern.

„Wir sind die erste Generation ohne Hunger, die Qualität der Lebensmittel wird immer besser“, versucht Sinabell die Kritik und die Wünsche an die Bauern in einen Rahmen zu stellen, der die kontroversiellen Themen relativiert. Sein Nachsatz wird viele in der Landwirtschaft schmerzen. „Die Bauern sind halt ein Werkzeug dafür.“

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 26. Juli  2021

Donnerstag, 22. Juli 2021

Ein Land in Geiselhaft

Die Coronakrise scheint wieder aus dem Ruder zu laufen. Auch wenn der Kanzler die Pandemie mehr oder weniger für beendet erklärt und zur Privatsache gemacht hat. Die Zahlen steigen wieder, die Nervosität schwillt wieder an und Politiker, vornehmlich jene, die aus einer möglichst raschen Öffnung und Lockerung politisches Kapital schlagen wollten, bekommen Erklärungsbedarf.

Wir scheinen -man kennt das aus dem vorigen Sommer - wieder in der Phase zu sein, in der man allerorten versucht, den Anstieg der Zahlen kleinzureden. Man will sich die Versprechen vom schönen Sommer nicht vermiesen lassen und schon gar nicht an den Herbst denken. Dabei werden die Warnungen vor einer vierten Welle immer dringlicher. Davor, dass sich die Kinder und Lehrer in den Schulen wieder auf Einschränkungen einstellen müssen, dass Zugangsbeschränkungen und Maskenpflicht generell wieder verschärft werden müssen und vielleicht auch auf Gastronomie und Tourismus wieder Beschränkungen zukommen. Sogar ein neuer Lockdown wird für möglich gehalten.

Verantwortlich dafür ist freilich, nach einigermaßen einhelliger Einschätzung aller Experten, nicht allein die Politik. Das hat auch damit zu tun, dass sich so viele Menschen weigern, sich impfen zu lassen und damit die gesamte Gesellschaft inklusive Wirtschaft gleichsam in Geiselhaft nehmen. Die Headline der aktuellen Titelgeschichte des deutschen Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" beschreibt treffend, was immer größere Probleme macht. "Impfen? Irgendwann. Vielleicht" spiegelt die Stimmung wider, die in den vergangenen Monaten um sich gegriffen hat bei vielen Menschen, die sich eine Impfung zwar grundsätzlich vorstellen können, sie aber aus welchen Gründen auch immer auf die lange Bank schieben.

Sie, und nicht die Hardcore-Impfverweigerer, bei denen ohnehin nichts zu gewinnen ist, sind die eigentliche Herausforderung für die Politik. Sie sind es, die gewonnen werden müssen, um auf die 80,85 Prozent Durchimpfungsrate zu kommen, die für notwendig gehalten wird, um die Pandemie wirklich zu brechen. Diese Menschen sind es, die überzeugt werden müssen von der Notwendigkeit, impfen zu gehen, und davon, dass es gerade auf sie ankommt. Da braucht es eine nationale Kraftanstrengung.

Die Erfolge bei diesen Bemühungen sind freilich bisher sehr überschaubar. Das hat Gründe. Die Werbung für die Impfung zeigt kaum Wirkung. Und die Argumente dafür erst recht. Nirgendwo ist die Dringlichkeit des Anliegens wirklich spürbar, kaum wo gibt es Allianzen, um die Zögerer und die Bequemen umzustimmen und zu mobilisieren. Es fehlen Anreize etwa in Form von deutlich spür-und sichtbaren Vorteilen, der Unterschied in der Behandlung Geimpfter und Nichtgeimpfter ist zu wenig zu spüren. Warum also soll sich dann einer impfen lassen, der zögert? Noch dazu, wo die Tests bezahlt werden und man damit ohnehin mit Geimpften (und Genesenen) gleichgestellt ist.

Das Land drückt sich um diese Diskussion und das ist schädlich für den durchschlagenden Erfolg im Ringen mit der Pandemie, die uns nun schon seit eineinhalb Jahren lähmt und Milliarden kostet. Dazu gehört auch die Diskussion über eine Impfpflicht, die mittlerweile immer lauter gefordert wird und die vieles für sich, aber auch vieles gegen sich hat.

Es ist nachzuvollziehen, wenn Experten wie Medizinethiker und Theologe Ulrich Körtner sagen: "Wenn wir nicht wieder Einschränkungen, Kontaktverbote und Lockdowns riskieren wollen, wird an der Impfung kein Weg vorbeigehen." Das Grundrecht, sich nicht impfen zu lassen, müsse gegen andere Grundrechte abgewogen werden, das Verhalten des Einzelnen sei dort begrenzt, wo andere in ihren Freiheiten und Grundrechten beschränkt werden. "Viele pochen auf ihr Recht auf Selbstbestimmung und vergessen dabei, dass sie auch Plichten haben."

Demgegenüber warnen Impfpflicht-Skeptiker davor, dass angesichts der aufgeheizten Lage eine Impfpflicht den sozialen Frieden gefährden und kontraproduktiv wirken könnte. Und es ist nachvollziehbar, wenn etwa der Moraltheologe und Medizinethiker Johann Platzer sagt, das Recht auf Selbstbestimmung überwiege so lange, solange medizinische Unklarheiten wie etwa die langfristigen Auswirkungen der Impfstoffe oder eine mögliche Ansteckung trotz Impfung nicht geklärt sind.

Diesen Themen und diesen Aufgaben muss sich die Politik stellen, ehe es zu spät ist. Und wenn das noch so mühsam wird und keine Stimmen bringt.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 22. Juli 2021

Dienstag, 13. Juli 2021

Eiweiß ist strategische Herausforderung

Mit einer eigenen Eiweißstrategie soll vor allem die Abhängigkeit von Sojaimporten verringert werden. Aktuelle Probleme löst sie nicht.

Hans Gmeiner 

Wien. Bis 2030 will Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) die Sojaschrot-Importe, die vor allem in der Produktion von Geflügel- und Schweinefleisch und von Eiern eine zentrale Rolle spielen, um 50 Prozent auf 250.000 Tonnen reduzieren. Das ist das zentrale Ziel der am Montag vorgestellten Eiweißstrategie. Dabei geht es vor allem darum, die Einfuhren von gentechnisch verändertem Sojaschrot aus Übersee zu verringern und den Umstieg auf die Verfütterung von gentechnikfreiem Soja voranzutreiben. Erreichen will sie das Ziel durch den Ausbau der Anbauflächen in Österreich, durch eine Prämie für Bauern, die im Rahmen von Tierwohlprogrammen Fleisch erzeugen, und durch eine Erhöhung der Effizienz in der Fütterung.

Schon jetzt ist Österreich „Europameister“ in der Eiweißproduktion. Der Anbau von Sojabohnen in Österreich hat sich in den vergangenen zehn Jahren auf 75.000 Hektar mehr als verdoppelt. Insgesamt liegt die Eigenversorgung mit pflanzlichem Eiweiß bei 80 Prozent. „Vor allem im Grünland produzieren wir mit den Wiesen das Eiweiß selbst, das wir für die Rinderhaltung brauchen“, sagt Landwirtschaftskammerpräsident Josef Moosbrugger.

Für die am Montag vorgestellte Strategie gibt es nicht nur Beifall. In Branchenkreisen wird kritisiert, dass es auf aktuelle Probleme keine Antworten gebe. Wegen des enorm hohen Preisunterschieds zwischen dem billigen gentechnisch veränderten und dem teuren gentechnikfreien Soja wurde in den vergangenen Monaten sogar ein Ende mancher Fütterungsprogramme vor allem bei Geflügel, die auf gentechnikfreies Soja setzen, diskutiert. Die Preisunterschiede erreichten bis zu 100 Prozent und wurden auf dem Markt kaum in Form von höheren Produktpreisen ausgeglichen. Auch wenn sich der Preisunterschied wieder verkleinern werde, werde er erheblich bleiben, befürchtet man. Für besondere Empörung sorgte in der Vorwoche zudem die Preisaktion einer Handelskette, die erstmals seit Jahren Eier aus Deutschland zum Schleuderpreis von 1,30 Euro für zehn Stück in die Regale stellte.

Sorgen macht auch die wachsende Konkurrenz zu anderen Feldfrüchten. „Wenn wir so viele Flächen für Eiweiß verwenden, kann es sein, dass wir bald Getreide importieren müssen“, heißt es. Karl Fischer, Obmann des Vereins Soja-Österreich, stößt sich daran, dass auch nach der Agrarreform kein Soja auf Stilllegungsflächen angebaut werden darf. „Es ist absurd, dass Europa Soja von zehn Millionen Hektar aus Übersee importiert, aber demnächst die europäischen Bauern vier Millionen Hektar stilllegen werden müssen.“

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 13. Juli 2021

Donnerstag, 8. Juli 2021

Aufgeblasene Zeiten

Die öffentliche Diskussion nervt viele Menschen in diesem Land nur mehr. Diese ewigen politischen Spielereien, diese Dreistigkeiten, diese zumeist aufgeblasene Aufgeregtheit und Empörung. Dieser lächerliche Wettbewerb an Bosheiten. Diese kleinlichen Hacheleien, diese offen zur Schau gestellte Verachtung, diese überall hervordringende Häme, dieses hemmungslose Anpatzen und dieser Intrigenstadel, in dem es um alles zu gehen scheint, nur nicht um die Anliegen der Leute, ihre Bedürfnisse und ihre Wünsche. Um sichere Arbeitsplätze, um weniger Bürokratie, um die Wirtschaft, um Sicherheit natürlich und um die Umwelt.

Wieso glaubt der Finanzminister, dass für gute Politik gehalten wird, wenn er den Verfassungsgerichtshof auflaufen lässt. Wieso der Abgeordnete Hanger, wenn er wieder und wieder die WkSta anschüttet? Oder warum glauben die Oppositionsparteien, dass man ihre Arbeit für gut halten sollte, wenn sie den Kanzler zum x-ten Mal in den Untersuchungsausschuss laden? Das verwundert, das macht müde und das ärgert. Das vor allem. Sie mögen ja im Grunde alle recht haben, aber die Menschen erwarten nicht Zirkus, sondern Lösungen. Und um die freilich geht es kaum.

Es scheint, als sei der Anstand verloren gegangen in der Politik in diesem Land -und der Charakter. Auf allen Seiten. Längst haben die Institutionen Schaden genommen, das Parlament, der Verfassungsschutz, die Justiz -allesamt Grundpfeiler, auf dem unser Staat steht und unsere Demokratie.

Auch wenn man den Türkisen vorhält, den Staat vorsätzlich kapern zu wollen, können sich die anderen parlamentarischen Parteien nicht einfach abputzen. Die Wirkung ihres Tuns, ihre Art, Dinge anzugehen respektive liegen zu lassen, und ihr Verständnis von Politik, das sich auf den - pikanterweise vom ansonsten so geschmähten FP-Chef Kickl ausgegebenen -Schlachtruf "Kurz muss weg" verengt hat, ist in der Auswirkung nicht geringzuschätzen. Auch dadurch werden die Einrichtungen des Staates und seine Institutionen beschädigt und geschwächt.

Längst geht es nicht mehr darum, wer wann wo wie damit angefangen hat, das Ansehen der Institutionen und des Staates zu ruinieren, sondern darum, wie man wieder zurückfindet. Dass es nicht mehr dazu kommt, dass der Bundespräsident gegen den Finanzminister ein Verfassungsgerichtshofs-Erkenntnis exekutieren muss oder ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss die ganze Republik zum Spielball macht.

"Wir brauchen einen echten neuen Stil -im Sinn von mehr Anstand, von mehr Integrität und von mehr Moral, auch im politischen Handeln und im Sinn der Vorbildwirkung", sagte kürzlich Martin Kreutner, international angesehener Antikorruptionsexperte und Mitinitiator des Anti-Korruptions-Volkbegehrens in einem Interview mit dem ORF-Report.

Es ist genau das, was der Sehnsucht der meisten Menschen in diesem Land entspricht. Man will sich wieder auf etwas verlassen können. Man will vertrauen können. Man will Sicherheit und Verlässlichkeit im Handeln und man will die Gewissheit, dass nicht ein paar wenige Gewissens-und Schamlose den Staat aushebeln können, wenn sie es nur darauf ankommen lassen.

Es ist wohl auch Sehnsucht nach Normalität, nach Eckpunkten, an denen man sich orientieren kann und auf die man sich verlassen kann. Nach einer Welt, in der nicht taktische Ränkespiele, Taschenspielertricks, Scheinheiligkeit und Durchtriebenheit das Maß der Dinge sind und das Geschehen bestimmen.

Es nimmt vor diesem Hintergrund ja nicht wunder, dass sich die Menschen immer mehr von der Politik abwenden, wie erst vor wenigen Tagen wieder Wolfgang Bachmayer und sein OGM-Meinungsforschungsinstitut erhoben haben.

Lohn für all das, was uns in den vergangenen Monaten als Politik aufgetischt wurde, gab es bisher jedenfalls keinen. Insgesamt blieb die politische Landschaft stabil. Allein der Finanzminister stürzte in allen Indizes ab, aber an den Machtverhältnissen änderte sich insgesamt wenig. Und dennoch muss man sich Sorgen machen, was die Zeit und die politischen Machtkämpfe, die wir seit Monaten erleben, bei den Menschen hinterlassen werden, wie sich das zeigen wird und worüber wir in ein paar Jahren jammern werden.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 8. Juli 2021

Donnerstag, 1. Juli 2021

SP-Parteitag ist überall

Die SPÖ hat ein veritables Problem. Oder Rendi-Wagner. Oder beide. Der Scherbenhaufen, vor dem die Sozialdemokraten seit dem Parteitag am vergangenen Samstag stehen, ist jedenfalls von beachtlicher Größe. Pamela Rendi-Wagner, die seit Jahren mit zuweilen bewundernswerter, oft freilich bemitleidenswerter, jedenfalls aber immer zäher Verbissenheit die Partei zu lenken versucht, bekam auf dem Parteitag nur 75 Prozent der Stimmen. Nicht 88, nicht 98, nein, nur 75 Prozent. Obwohl niemand vorher aufstand und sagte, dass er, respektive sie, ihr nicht die Stimme geben wolle. Obwohl es keine Diskussionen über sie und ihre Art der Parteiführung, über ihre Konzepte und ihre Pläne gab. Obwohl es schon gar keinen Gegenkandidaten gab. Und obwohl, was zu hören ist, weder am Applaus für ihre Rede und auch an sonst nichts zu erkennen gewesen wäre, dass nur drei von vier Parteitagsdelegierten Rendi-Wagner weiter als Parteichefin wollen, jeder vierte im Saal aber lieber wen anderen da vorne gesehen hätte.

Aber es war nicht nur das. Von ganz ähnlicher Qualität ist auch, dass der Parteitag 2021 der Sozialdemokratischen Partei Österreichs, die so stolz auf ihre Geschichte ist, gegen Ende hin nicht mehr beschlussfähig war, weil viele der Leute, deren Aufgabe bei Parteitagen es eigentlich ist, die Parteimitglieder zu vertreten, einfach davongegangen sind. Verschwunden im Samstagnachmittag, auf dem Heimweg, um das Fußballspiel gegen Italien nicht zu versäumen.

Seither ist die Partei mit den Aufräumarbeiten beschäftigt, sind die Zeitungen voll mit Analysen und hält die Überraschung an -und die Verwunderung. Dabei ist eigentlich nur Letzteres überraschend. Denn was da am SP-Parteitag der Parteivorsitzenden passiert ist, ist in Österreich gar nicht selten. Auch wenn man Besonderheiten, die in diesem Fall eine Rolle gespielt haben mögen, beiseitelässt.

Denn was zu beobachten war, ist auch schon in anderen Parteien passiert, in Organisationen, in Vereinen auch und sogar in Genossenschaften. Und nicht nur dort. Es gehört zu unserem täglichen Leben. Böse Zungen sagen, das gehört nachgerade zum österreichischen Wesen. Am besten nicht die wirkliche Meinung zu sagen. Sich am besten verstecken, wenn es nur irgendwie geht. Sich immer alle Möglichkeiten offenhalten. Unverbindlich bleiben. Aber immer für eine Bosheit bereit sein, und wenn es sein muss, keine kleine. Immer öfter tun sich heute die Leute schwer, für etwas einzustehen. Immer öfter lässt man sich allemal lieber ein Hintertürchen offen.

Das gilt auch für das, was noch viel öfter zu sehen ist. Es wird oft ja zu etwas gesagt und zu etwas zugestimmt, um der Erwartung zu genügen, auch wenn man anderes denkt und voller Vorbehalte ist. Ob für das etwa für Rendi-Wagner besser gewesen wäre, muss offen bleiben. Zweifel sind aber wohl angebracht.

Freundlich sein, unverbindlich, lächeln am besten, gilt in diesem Land als wichtigste Tugend schon in der Kindererziehung. Und später dann sowieso. Im Beruf, in der Gesellschaft, wird es dann oft zu einer regelrechten Überlebensstrategie. Dahinter aber hält man sich sein eigenes Leben frei. Da bleibt Platz für die eigene Gedankenwelt, für den Ärger, die Wut auch - und für solch kleine "Racheakte", wie die von den 25 Prozent Parteitagsdelegierten.

In Österreich geht man direkten Auseinandersetzungen, solange es nur irgendwie geht, aus dem Weg. Diskussionen, komplizierte gar, mag man nicht. Da geht man allemal lieber den Weg des geringsten Widerstands. Und vor allem meidet man jede Verpflichtung, wenn es nur irgendwie geht. Immer öfter.

In den vergangenen Jahren hat sich viel verändert. Man denke nur an die Nöte der Meinungsforscher, die Wahl für Wahl in größere Not geraten, weil ihnen die Wählerinnen und Wähler in den Umfrage anderes sagen, als sie dann in den Wahlzellen tun, wenn sie ganz allein und unbeobachtet sind. Oder man denke an das schier überbordende Umweltbewusstsein, das alle Umfragen immer wieder zu Tage bringen, das so gar nicht zur täglichen Verkehrslawine und zu den vermüllten Straßenrändern und Wiesen passt. Oder man denke an die ebenso zahllosen Bekundungen, kein Essen wegzuwerfen und bewusst einzukaufen. Alles nichts. Nichts als Freundlichkeiten, die erwartet wurden. Aber nichts, was mit der Wirklichkeit zu tun hat, die man hinter dieser Fassade lebt, in der man sich frei fühlt und unbeobachtet.

Österreich hat es sich eingerichtet in diesem augenzwinkernden Schlawinertum, auf diesem doppelten Boden. Nicht nur die 25 Prozent Parteitagsdelegierten der SPÖ, die Pamela Rendi-Wagner nicht wählten, und die, die einfach vom Parteitag davongingen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 1. Juli 2021
 
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