Donnerstag, 30. September 2021

Der Kompass fehlt

War da was? An diesem vergangenen Wahlsonntag in Oberösterreich und in Graz und vor allem in Deutschland? In Oberösterreich platzte eine Pop-up-Partei aus der Parallelöffentlichkeit aus dem Nichts in den Landtag, überholte die NEOS aus dem Stand und kassierte bei der FPÖ Stimmen in großem Stil ein. Unaufgeregt, alles in allem eher sachlich, aber entschieden und bestimmt in der Meinung und auch in den Forderungen zu Corona und Impfen. In Graz fegten die Kommunisten einen arrivierten schwarzen Langzeit-Bürgermeister aus dem Amt und bescheren damit Österreich wohl eine internationale Aufmerksamkeit, die das kleine Land in den Alpen nicht wirklich brauchen kann. Schnell tauchten in den Sozialen Medien Fotomontagen auf, die die Stadt an der Mur am nächsten 1. Mai in einem Meer voller Hammer und Sichel-Fahnen zeigen -wie man es nur mehr aus China und Nordkorea kennt.

Die politischen Auguren lesen Alarmsignale aus diesen Ergebnissen heraus, Alarmsignale vor allem für etablierte Parteien. Für alle etablierten Parteien die einen, vor allem für die Sozialdemokratie die anderen. Was wir erlebt haben am vergangenen Wochenende ist wohl das, wovon seit Jahren geredet wird -die Wählertreue ist nur mehr eine flüchtige, die Neigung, Parteien anzukreuzen, die Unbehaglichkeiten bündeln und formulieren können, wächst. Das freilich nicht nur in Oberösterreich und nicht nur in Graz, sondern auch in Deutschland.

Dort zeigte sich am Sonntag aber auch für Parteien des Typs wie sie am vergangenen Wochenende in Österreich erfolgreich waren, dass nichts mehr von Dauer ist in der Wahllandschaft. Die rechtsextreme AfD, vor der sich vor noch gar nicht langer Zeit ganz Deutschland fürchtete und der so viel zugetraut wurde, verlor fast 20 Prozent der Stimmen und rutschte von 12,6 auf 10,3 Prozent. Die Linkspartei, die wie die AfD in den vergangenen Jahren bei Beobachtern mitunter Angst und Schrecken verbreitete, hat sich mit dem Rutsch von 9,2 auf 4,9 Prozent fast halbiert.

Dass mit dem Kanzlerkandidaten der Union, dem grauen, biederen und mitunter tolpatschigen Armin Laschet, einer von einer etablierten Partei der eigentliche große Wahlverlierer des vergangenen Sonntags war, fügt sich da ins Bild von der Gefahr, der diese Parteien zunehmend ausgesetzt sind, das von den Kommentatoren gezeichnet wird.

Diese Niederlage markiert eine politische Wende hin zur Sozialdemokratie und den Grünen mit den Liberalen als Zünglein an der Waage. Das wird Folgen haben. Weitreichende, geht es doch auch um die Nachfolge von Angela Merkel. 16 Jahre regierte sie in Deutschland, etablierte sich als mächtigste Frau nicht nur in der Europäischen Union, sondern in der Weltpolitik schlechthin. "Sie ist ein Vorbild an Verlässlichkeit und Vernunft", wurde in den vergangenen Wochen über sie geschrieben. "Europa wird sie vermissen." Ein "Gegenentwurf zu den Populisten" sei sie gewesen und in stürmischen politischen Zeiten habe sie "die Wirkung von Kamillentee" gehabt.

Nun ist Merkel weg und was in Deutschland kommt ist noch nicht klar. Und auch nicht was in der Welt kommt, in der China immer stürmischer nach vorne drängt, in der Putin seine Fäden zieht und in der sich der neue US-Präsident Joe Biden noch nicht wirklich etabliert hat. Und in der, das vor allem, Europa keine Strategie findet, die Bedeutung auf dem internationalen politischen Parkett, aber auch in der Weltwirtschaft, die man in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten sukzessive verlor, wieder zurückzugewinnen.

Europa und die westliche Welt sind weniger eins denn je, der neue US-Präsident noch nicht mit dem alten Kontinent warm geworden. Der jüngste Streit um den U-Boot-Deal zwischen Frankreich und Australien zeigte, wie brüchig die westlichen Allianzen sind.

Das macht das Ende der Ära Merkel, die politische Wende in Deutschland so brisant. "Neuer Kompass für eine komplizierte Welt gesucht" titelten kürzlich die "Salzburger Nachrichten". Das trifft es wohl. Und das kann unruhig machen, zumal in dem Zustand, aus dem Europa sich nicht befreien kann und vor den Herausforderungen, vor denen die Staatengemeinschaft steht.

Die Welt ist seit dem vergangenen Wochenende eine andere als vor einem Jahr. In Oberösterreich ein bisschen, in Graz wohl auch. So richtig anders aber wohl auf der internationalen Bühne. Dort muss man ohne Kompass zurechtkommen. Derzeit, und vielleicht noch länger.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 30. September 2021

Donnerstag, 23. September 2021

Heimtückische neue Normalität

Corona hat uns fest im Griff. Die Virenlast steigt wieder und die Kostenlast auch. Und auch der Unmut darüber wächst, dass wir uns im täglichen Leben immer noch mit Beschränkungen herumschlagen müssen, weil die Impfquote weit von dem entfernt von dem ist, was uns die Freiheit zurückgeben könnte. Immer mehr Ärzte schlagen in immer dramatischeren Worten Alarm und können nur mehr mühsam ihren Unmut im Zaum halten. Und immer weniger sehen auch die Geimpften ein, dass sie weiter Unannehmlichkeiten auf sich nehmen müssen, weil sich mehr als ein Drittel der Österreicherinnen und Österreicher nicht und nicht für eine Impfung entscheiden können oder wollen.

Längst hat sich eine gefährlicher Schlendrian eingenistet im Umgang mit der Pandemie, so als hätte man sie akzeptiert als Teil unseres Lebens. Um Entscheidungen drückt man sich herum, Diskussionen wie etwa um eine Impfpflicht werden tunlichst vermieden. Dass die Zahlen wieder stark steigen, wird mittlerweile achselzuckend hingenommen. Man hat sich eingerichtet. Was Ärzte und Gesundheitspersonal auf sich nehmen, wird als normal gesehen, dass nun wieder Operationen verschoben werden müssen auch. Dass Lehrerinnen und Lehrer klaglos auch unter oft unvorstellbaren Bedingungen funktionieren, wird als selbstverständlich hingenommen. Da muss man den Impfpässe vorweisen, dort ein Testergebnis. Masken in den Öffis und im Handel? Und Ausreisekontrolle? Geht ja. Was soll‘s, da muss man sich ja doch nicht impfen lassen.

Pandemie ist für viele längst das neue normal. Welche Belastung sie wirklich für die Gesellschaft und die Wirtschaft ist, wird immer weniger gesehen. Derweil beginnt die Pandemie längst überall zu drücken. Schon im Frühjahr bezifferte Agenda Austria den Schaden der Krise für das Land mit 100 Milliarden Euro. Inzwischen werden es wohl noch viele Milliarden mehr sein. „Koste es was es wolle“ war zu Beginn der Pandemie vor eineinhalb Jahren die Devise, die der Bundeskanzler ausgab, als man, und wohl auch er, noch glaubte, der Spuk sei in ein paar Wochen vorbei.

Nun ist er immer noch nicht vorbei und „Koste es was es wolle“ wächst sich zur Last für kommende Generationen aus. Jeden Tag. Die niedrige Impfquote und die Beharrlichkeit der Impfgegner und -verweigerer ist längst zu einem wirtschaftlichen Problem geworden, über die die Erholung auf dem Arbeitsmarkt und die Wachstumsraten in der Wirtschaft nicht hinwegtäuschen dürfen. „Auf viele Unternehmen kommen durch die Impfgegner hohe Kosten zu und die wirtschaftliche Erholung laufe mit vielen Ungeimpften deutlich schleppender als mit einer hohen Durchimpfungsrate, meint etwa Professor Christoph Badelt, Noch-Chef des Wirtschaftsforschungsinstitutes. Es geht dabei nicht allein um die hohen Kosten im Gesundheitswesen, sondern vor allem auch um die indirekten Kosten in der Wirtschaft, wie sie etwa durch Quarantäne-Fälle verursacht werden.

Man ist bisher wohl zu locker umgegangen damit. Auch weil vieles von der öffentlichen Hand ausgeglichen wurde, sind die Folgen aus dem Fokus geraten. Sich impfen zu lassen oder nicht wurde sehr stark als eine persönliche Einstellung dargestellt, finden Wissenschaftler wie die Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle von der FH Klagenfurt, und damit impliziert, dass das gesamtgesellschaftlich und gesamtwirtschaftlich keine Auswirkungen habe. Ein Fehler wie sich nun immer deutlicher zeigt, wo sich die Fronten verhärten und damit Politik gemacht wird.

Was wir erleben ist nicht normal. Nicht in der Wirtschaft und auch sonst nirgendwo. Und es darf nicht normal werden. Nicht das, was die Ärzte und das Gesundheitspersonal in den Spitälern hinnehmen müssen und nicht was die Lehrerinnen und Lehrer aushalten müssen, die Schüler und ihre Eltern. Und auch nicht, was man den Unternehmen zumutet. Und schon gar nicht hinzunehmen ist, dass damit Politik gemacht wird.

Es ist eine Frage der Verantwortung, der Eigenverantwortung auch und der Solidarität. Da wie dort. Nicht nur in der Politik, sondern in der Gesellschaft insgesamt. Der Diskussionsbedarf ist groß. Und der Erklärungsbedarf auch. Verantwortung, Eigenverantwortung und Solidarität dürfen nicht nur großes Worte sein, sie müssen auch gelebt werden. Von der Politik, von den Impfgegnern, von allen. Damit die Gesellschaft, die Wirtschaft, wir alle, aushalten können, was wir aushalten müssen und der Spuk zu einem Ende kommt.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 23. September 2021

Donnerstag, 16. September 2021

Wo bleibt der nationale Kraftakt?

Spät aber doch schickte man die Meinungsforscher aus, um sich ein Bild von der Corona-Welt in den Köpfen der Bewohner des Landes zu machen. In Oberösterreich zumindest. Was dabei herauskam, konnte man dann nicht anders als "niederschmetternd" nennen. "340.000 Oberösterreicher wollen sich nicht impfen lassen", hieß es Ende August und die Aufregung war dementsprechend groß. 340.000 von 430.000 Oberösterreichern über 16, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht geimpft waren. Also nur mehr gut 90.000, die Hoffnung geben, dass die Impfquote zumindest doch noch höher wird.

Von den Ungeimpften ohne Impfinteresse seien 60 Prozent Frauen und die vor allem unter 50 Jahre alt. Als Gründe für die Ablehnung wurden von rund 90 Prozent der Befragten genannt, dass das Virus trotz Impfung weitergegeben werden und dass man trotzdem erkranken könnte. Man hält die Impfstoffe für zu wenig getestet und fürchtet sich vor Langzeitfolgen. Dass man diese Zahlen erst jetzt erhob, fügt sich nahtlos in die holprige und oft inkonsistente Politik, mit der man die Pandemie zu bekämpfen sucht, aber nicht und nicht in den Griff kriegt. So wie die Dinge liegen, scheinen wir nicht zuletzt deswegen wieder vor einer nämlichen Situation wie vor einem Jahr zu stehen, ausgeliefert der nunmehr bereits vierten Welle -Maskenpflicht, Zutrittsbeschränkungen und vielleicht sogar Home-Schooling und Lockdown inklusive. Auf den Straßen formieren sich wieder die Demonstranten, die Töne werden wieder schriller, das Auseinanderdriften der Gesellschaft nimmt wieder an Tempo zu und die Politik balgt sich wie eh und je. Der Kanzler und der Gesundheitsminister, der Wiener Bürgermeister und sein Gesundheitsstadtrat, die Landeshauptmänner, die rote Parteichefin, ihre pinke Kollegin und erst recht der neue Chef der Blauen. 100 Politiker und 1.000 Meinungen, aber immer noch keine Richtung. Jeder und jede ergeht sich in Empfehlungen und Vorwürfen, jeder drängt ins Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit und allen scheint es nachgerade Spaß zu machen, Sand ins Getriebe zu streuen.

Warum aber nimmt man die Verantwortung nicht wahr, die man als Politiker hat, gleich in welcher Funktion? Warum hält man sich die Pandemie lieber als politische Spielwiese offen, statt das zu tun, was unter Politik zu verstehen ist? Nämlich Weichen stellen, Entscheidungen treffen, Probleme bewältigen.

Längst ist dabei aus dem Fokus geraten, was das Land -und nicht nur dieses Land -wirklich bräuchte -eine nationale Kraftanstrengung, einen gemeinsamen Kraftakt, um möglichst viele der Zweifler, die es in diesem Land gibt, zur Impfung zu bewegen. Bei dem alle an einem Strick ziehen, um Corona endlich zu einem Ende zu bringen. "Wo sind die fetten Impfkampagnen im TV, Print, wo Plakate?" fragte dieser Tage ein frustrierter Twitter-User. "Wo sind die Testimonials, die im TV zur Impfung aufrufen? Wo sind die 20.15-ORF-Sondersendungen mit Aufklärung?"

Dem guten Mann ist nur recht zu geben. Wo ist das alles? Stattdessen allerorten eitle Diskussionen, laue Ansagen und weiche Maßnahmen. Das Thema Impfpflicht wird wie ein heißer Brei durchs Land geschoben, man beliebt, sich über die ständig sinkenden Impfzahlen zu mokieren und nimmt die steigenden Infektionszahlen und die Meldungen aus den Intensivstationen achselzuckend zur Kenntnis.

Diese nationale Kraftanstrengung, dieser Kraftakt, dieser Schulterschluss, ist nicht alleine von der Politik irgendwo weit oben zu fordern, sondern von allen, die Möglichkeiten und Einfluss haben, Menschen zu überzeugen und zu bewegen. Dazu gehören die Gemeinden und die zahllosen Vereine in diesem Lande genauso wie die Pfarren, die Bildungseinrichtungen und viele andere. Für alle, die dort Verantwortung tragen, muss es eine Selbstverständlichkeit werden, sich für die Bekämpfung der Pandemie einzusetzen, vor allem für die Impfung. Das Land braucht den Befreiungsschlag und nicht kleinliches Hickhack.

"Meine Solidarität ist weitgehend ausgereizt, ich will nicht mehr", sagen inzwischen viele. "Und ich möchte im Fall des Falles im Spital nicht warten müssen, nur weil die Intensivstation vor lauter Ungeimpften übergeht und auch keinen Lockdown mehr, kein Homeschooling, kein Zusperren von Kultur und Sport."

Auch sie haben ein Recht auf ihre Rechte.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 16. September 2021

Samstag, 11. September 2021

Biobauern allein auf weiter Flur

Für den Ruf nach einer Prämie haben weder die Politik noch die Standesvertretung Verständnis.

Hans Gmeiner 

Ried . Alles andere als glücklich sind Österreichs Biobauern mit dem Entwurf zum Agrar-Umweltprogramm, das ab dem Jahr 2022/23 gelten soll. Besonders sauer stößt ihnen auf, dass es keine eigene Bioprämie mehr geben soll. Seit Monaten fordert man Nachbesserungen. Die Zeit drängt. Bis Jahresende muss der Programmentwurf in Brüssel zur Genehmigung vorgelegt werden. Erst am Donnerstag dieser Woche bezeichnete Gertraud Grabmann, Obfrau von Bio Austria, dem größten heimischen Biobauernverband, die Pläne als „Kulturbruch in der österreichischen Agrarpolitik“.

Sowohl bei der zuständigen Ministerin als auch bei den Landwirtschaftskammern stößt sie damit auf taube Ohren. „Wir haben einen bunten Blumenstrauß an Maßnahmen“, sagte Josef Moosbrugger, Präsident der Landwirtschaftskammer Österreich, in Ried. „Wenn Bio so gut ist, wie alle behaupten, was ich auch grundsätzlich glaube, wird es kein Problem sein, den ganzen Blumenstrauß für sich zu nutzen.“ Dann hätten die Biobauern auch im neuen System so viel Geld wie bisher – „wo liegt das Problem?“, fragt Moosbrugger, dem es auch um Fairness innerhalb der Bauernschaft geht. Wer etwa Biodiversitätsmaßnahmen erbringe oder die Fruchtfolge einhalte, werde dafür mehr Geld bekommen, „egal ob er Biobauer oder konventionell produzierender Landwirt ist“. Das sei das Leistungsprinzip, das man verfolge.

Auch Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger weckte keine Hoffnungen, dass die Forderungen der Biobauern ins neue Umweltprogramm Eingang finden werden. „Wir bieten jedem Landwirt einen Baukasten, aus dem er sich sein Programm so zusammenstellen kann, wie es für ihn am besten passt“, sagte sie. „Das ist das System, in dem wir in Zukunft die Biolandwirtschaft entwickeln wollen.“

Die Ablehnung der Wünsche der Biobauern ist nicht zuletzt deswegen so eindeutig, weil auch Brüssel eigene Prämien für Biobauern ablehnt. Im Hintergrund stehen auch die im Durchschnitt meist ohnehin besseren Deckungsbeiträge und Einkommen der Biobauern. Erst kürzlich meinte Franz Sinabell, Agrarexperte im Wifo, die Bioförderung komme in erster Linie Konsumenten in Form billiger Lebensmittel zugute – und nicht den Bauern.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 11. September 2021

Donnerstag, 9. September 2021

Wo Gemeinplatz und "Die Internationale" wohnen

Die Feststellung des ehemaligen Wiener Bürgermeisters Michael Häupl, Wahlkampf sei "Zeit fokussierter Unintelligenz", gehört längst zum innenpolitischen Pointen-Standardrepertoire dieses Landes. Man mag zu Häupl stehen, wie man will, aber wo er recht hat, hat er recht. Er hätte den Satz vielleicht um das Wort "Zumutung" ergänzen sollen, um den ganzen Bogen zu spannen. Wahlkämpfe sind mühsam, nervig, lähmend, selten spannend, oft in der Tat unintelligent, jedenfalls aber meist eine Zumutung. Es gibt kein Entkommen und man muss sie über sich ergehen lassen. Nolens volens.

Derzeit haben die Oberösterreicherinnen und Oberösterreicher dieses Schicksal zu tragen. Landtagswahlen stehen an am letzten September-Wochenende. Der Wahlkampf plätschert dahin. "Gedimmt" wie es dieser Tage der Chefredakteur der größten Tageszeitung im Land nannte. Ohne Höhepunkte. Mit einem längst feststehenden Sieger.

Überall im Land die unvermeidlichen Plakate in allen Größen und Formaten, Strohballen, Infostände und Feste. Überall werden einem Kugelschreiber und Feuerzeuge in die Hände gedrückt. Ob man will oder nicht. Ein Kochbuch vom Landeshauptmann steckt im Briefkasten und Flugblätter, die zu Veranstaltungen laden. Wie überall. Und wie überall seit Jahrzehnten fragt sich niemand, warum ausgerechnet solche Gegenstände irgendetwas beim Stimmverhalten bewirken sollen. Ideen würde man eher vermuten, Forderungen, Konzepte vielleicht. Aber warum bloß Kugelschreiber, Feuerzeuge und Kochbücher? Da will man sich nicht mehr wundern, dass Politik von so vielen längst als nichts denn als Zumutung empfunden wird und von nicht wenigen gar als Beleidigung.

Nun, es mag zugegebenermaßen schwierig sein, etwas Neues zu entwickeln, aber seit 40, 50 Jahren kaum etwas anders?

Das ist das eine. Aber es gibt noch eine verschärfte Variante - es stehen auch Gemeinderats-und Bürgermeister-respektive Bürgermeisterinnenwahlen und der damit verbundene Wahlkampf an, den die Oberösterreicherinnen und Oberösterreicher in diesen Wochen über sich ergehen lassen müssen. Und das ist eine eigene Kategorie. Eine ganz eigene. Eine eigene Welt in der Welt, mitunter aus der Zeit gefallen. Eine Welt, in der Bürgermeister zuweilen noch von Gemeindearbeitern ungeniert ihr Konterfei auf Verkehrszeichen affichieren lassen, wie gemunkelt wird, und wo Gemeinde-Parteiorganisationen allen Ernstes glauben, mit dem Abspielen der "Internationalen", dem Kampflied der sozialistischen Arbeiterbewegung, unterlegt mit Bildern aus der örtlichen Parteiarbeit, über Facebook Stimmen gewinnen zu können. Gleichsam Gallier eines längst untergegangenen Sozialismus.

In den Wahlkämpfen auf Gemeindeebene, wenn es um die politische Vertretung draußen in den Dörfern, um die Chefinnen oder die Chefs in den Gemeindestuben geht, sind die Zumutungen oft noch größer und die Phrasen klingen oft noch hohler und noch leerer. Als ob dort ganz andere Menschen respektive Wählerinnen und Wähler wohnen würden. Menschen, die von der Welt keine Ahnung haben, die weder bei Wahlen auf Bundesebene noch auf Landesebene jemals zu den Urnen gebeten worden sind. Die man offenbar für ein bisserl dumb hält, für einfach gestrickt und immer fernab der Welt und den Diskussionen, die dort geführt werden.

Mit Gratis-Bier und Gratis-Würsteln wird das Wahlvolk mobilisiert. Die Werbematerialien strotzen vor Allgemeinplätzen wie "Unsere Gemeinde ist unser Auftrag","Für eine lebenswerte Gemeinde","Ein neuer Stil für die Gemeinde", "Spaß und Sport für Groß und Klein in der Freizeit" oder schlicht "Mehr Bürgerbeteiligung". Unverkrampft stellt man sich, ohne den Grundbesitzer zu fragen, auf fremde Grundstücke und will dorthin einen Spielplatz verlegt sehen. Da werden reich bebildert Bilanzen über das Tun in den vergangenen Jahren gelegt, bei denen man es mitunter auch mit der Wirklichkeit nicht ganz so ernst nimmt und sogar den Neubau von Banken, die man nur von der Eröffnung kennt, für sich als Leistung reklamiert, die vom Volk gewürdigt werden soll.

Alles sehr bemüht könnte man sagen, wenn auch alles oft sehr unprofessionell. Soll sein. Aber wieso, diese Frage bleibt, gelten auf Ortsebene ganz andere Maßstäbe als auf den höheren Ebenen? Da nimmt nicht wunder, dass sich bei Wählerinnen und Wählern nicht selten der Verdacht aufdrängt, man werde nicht ganz ernst, wenn nicht gar für nicht ganz voll genommen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 9. September 2021

Donnerstag, 2. September 2021

Politik der Überschriften reicht nicht mehr


Die Größen der heimischen Agrarpolitik formierten sich kürzlich zur gemeinsamen Aufregung. „Green Deal bedroht kleinstrukturierte Landwirtschaft“, tönte die Landwirtschaftsministerin. Eine „Überarbeitung“ des Konzepts der EU-Kommission, das die EU-Wirtschaft grüner machen soll, forderte der Chef der Bauernkammer. Und der Bauernbundpräsident zeigte sich besorgt darüber, dass die EU-Landwirtschaft zu einem „grünen Reservat“ werde.

Der „Green Deal“, der so schwerwiegende Einschnitte bei Düngung und Pflanzenschutz und Stilllegungsverpflichtungen nicht nur auf Feldern und Wiesen, sondern auch in den Wäldern bringen soll, bringt die Landwirtschaft in die Defensive. Auch wenn Österreichs Agrar-Granden in vielem Recht haben, wird die Landwirtschaft nicht umhin kommen, ihren Beitrag leisten zu müssen. Der Druck ist groß.
Dass er so groß ist, hat auch damit zu tun, dass man in der Landwirtschaft in der Argumentation sehr schlampig ist. Man ist seit jeher immer sehr gut gewesen mit Überschriften und Schlagworten. Man hatte aber viel zu selten auch einen Text dazu. Einen Text mit Argumenten, die nicht bloß beim ersten Hinsehen gut klingen, sondern die auch schlüssig sind. So schlüssig, dass sie auch die Gesellschaft außerhalb der Landwirtschaft überzeugen.
Viel zu lange glaubte man damit durchzukommen und hatte damit auch tatsächlich Erfolg. Der „integrierte Pflanzenschutz“ ist so etwas, mit dem man sich selbst als sauber darstellte, und der Verweis auf das Öpul. Und auch der Begriff „Familienbetrieb“. Klingt alles fraglos gut. Doch was steht wirklich hinter diesen Begriffen? Was macht das Öpul gut, was den Familienbetrieb? Schlüssige und überzeugende Antworten? Fehlanzeige. Nicht anders beim Begriff „kleinstruktierte Landwirtschaft“, den man immer in die Auslage stellt, und auch nicht bei der „heimischen Produktion“, die man gerne als Verkaufsargument ins Treffen führt. „Heimische Fleischproduktion mit Soja aus Übersee?“, fragen inzwischen nicht nur sehr kritische Geister zurück.
Seit einiger Zeit sehr beliebt ist „Regionalität“. Klingt auch gut. Aber was meint man wirklich damit? Was sagt sie über die Qualität aus und wo führt es hin, wenn man sich auch anderswo mit Haut und Haar der Regionalität verschreibt? Wenn, wie Otto Gasselich, Vize-Chef von Bio Austria, kürzlich in einem Interview meinte, die deutsche Landwirtschaft den Konsumenten suggeriert, dass alles, was aus Österreich kommt, schlecht sei?
Die Landwirtschaft hat keine klaren Antworten darauf. Und sie hat auch kaum unangreifbare und überzeugende Zahlen, wenn es um Umweltthemen geht. Die Treibhausgas­emissionen liegen niedriger als in den 1990er Jahren – das ist richtig und hebt die Landwirtschaft gegenüber anderen Wirtschaftszweigen hervor. Dass es aber seit Anfang der 2000er Jahre kaum mehr Rückgänge gab, wird tunlichst verschwiegen.

Dieser Weg ist dabei, an sein Ende zu kommen. Gefragt sind in der politischen Diskussion nicht nur rund um den Green Deal belast­bare Fakten und Argumente. Wenn all die Überschriften und Schlagworte richtig sind, auf die man in den vergangenen Jahren setzte, dann dürfte das ja nicht allzu schwer sein. Notwendig ist es jedenfalls.

Gmeiner meint - Blick ins Land, September 2021 

Die MA 35 ist überall


„Die Telefone läuten bei uns tatsächlich den ganzen Tag. Abgehoben wird eigentlich so gut wie nie", sagte der Mitarbeiter der Wiener Magistratsabteilung 35, zuständig für Zuwanderung und Staatsbürgerschaft, freimütig ins ORF-Radiomikrofon und lieferte dazu gleich auch die Begründung, die österreichischer nicht sein könnte. "In dem Moment, wo einer unserer Referenten einmal vom Telefon abhebt und eine Frage beantwortet, spricht sich das herum." Und das führe dann dazu, dass viele Antragsteller "dann den Eindruck haben, sie könnten jetzt bei uns Antworten bekommen und Anliegen bearbeitet und die kommen dann direkt persönlich am nächsten Tag und dann ist quasi das ganze Amt voll."

Im ganzen Land schüttelte man den Kopf über die Zustände in der MA 35, schimpfte, wunderte sich oder ätzte, wie ZiB2-Moderator Armin Wolf: "Im Vergleich zur Wiener Magistratsabteilung 35 dürfte die berühmte MA 2412 aus dem Fernsehen ein serviceorientiertes Hochleistungszentrum sein."

Was in der MA 35 geschah respektive nicht geschah, ist typischer für Österreich, als man annehmen möchte. Und da muss man gar kein Ausländer sein mit dem Wunsch nach einer Aufenthaltsberechtigung oder gar einer Staatsbürgerschaft.

In diesem Land etwas zu wollen, ist heute schwieriger denn je. Allen Versprechungen von Bürgerservice und Transparenz, allen flockigen PR-Strategien und allen Servicenummern zum Trotz -wer etwas will in diesem Land hat schlechte Karten. Vorne glänzen die Plakate, versprechen eingängige Slogans das Blaue vom Himmel und feiert man sich als serviceorientiert. Will man dann aber wirklich etwas, Unterstützung von der Gemeinde etwa, eine Serviceleistung eines öffentlichen Dienstleisters oder auch nur, dass jemand die Straße vorm Haus ausbessert, ist sehr schnell Schluss mit lustig in unserem angeblich so serviceorientierten, freundlichen und kundenorientierten Land. Dann ist man schnell verloren. Im Nu wird man zum Bittsteller. Hilflos oft mit seinem Begehr, chancenlos mit seinem Anliegen. Da gehen die Telefonnummern mit einem Mal ins Leere. Versprechen sind schon vergessen, noch ehe der Satz fertig ist und Ansprechpartner unauffindbar. Da herrscht Schulterzucken und Kopfschütteln. Gläserne Wände gehen hoch -schon gar wenn etwas nicht ins Konzept passt oder Arbeit machen könnte.

Und das nicht nur in der MA 35 in Wien, in Ämtern und bei Behörden. In vielen anderen Einrichtungen und Unternehmen des Landes ist es um nichts anders. Oft eher noch sehr viel ausgefeilter. Nicht vorgelassen oder abgewimmelt zu werden, zählt da noch zu den schlichteren Methoden. Das kann jeder. Jedes Amt, jedes Unternehmen, jeder Politiker respektive jede Politikerin. Telefongesellschaften und andere Großunternehmen dieses Zuschnitts etwa können das, jeder hat schon dutzende Mal diese Erfahrung gemacht, noch sehr viel perfider. Stundenlang hängt man oft in den Warteschleifen der Service-Hotlines oder sieht sich unfein aus der Leitung geworfen vom sich besonders freundlich gebenden Mitarbeiter, der verspricht einen zum zuständigen Experten weiterzuverbinden. Bei der MA 35 weiß man wenigstens, wo die sitzt, bei vielen der Servicehotlines weiß man nicht einmal das.

Vor allem große und internationale Unternehmen zu erreichen, wird immer schwieriger. Telefonnummern abseits von Hotlines werden auf den Homepages meist nicht angeführt. Bei E-Mail-Adressen ist es kaum anders. Stattdessen versteckt man sich hinter Chatbots, Service-Apps und vielem anderen, das die Kommunikationstechnologie heute zu bieten hat. Mit echten Menschen, gar solchen mit Expertise, soll man tunlichst nichts zu tun kriegen.

Die MA 35 ist überall, was uns als Servicefreundlichkeit vorgegaukelt wird hingegen viel zu oft nirgends. In vielen Bereichen, auch in vielen Ämtern, das sei ausdrücklich hervorgehoben, hat sich in den vergangenen Jahren vieles zum Besseren gewendet. Das muss man anerkennen. Amtstermine können auch Freude machen. Servicethemen mit Unternehmen auch.

Dennoch ist nicht zu übersehen, dass sich jenseits davon das Verhältnis zu den Kunden und ihre Position verschlechtert hat. Aller Technik und allen Unternehmensstrategien zum Trotz. Der Kunde ist sehr oft viel weniger Kunde, als er einfach ein "Fall" ist -ein Fall, der nichts mehr als lästig ist, wenn er etwas will.

So wie die Antragsteller bei der MA 35.

Meiner Meinung - Raiffeisenzeitung, 2. September 2021

 

 
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