Donnerstag, 28. Oktober 2021

Blackout auf allen Linien

Anfang Oktober war es, als plötzlich nichts mehr ging. Trotz hektischem Tippen und Wischen auf den PCs und Handys dieser Welt war Facebook nicht erreichbar und auch nicht Instagram und WhatsApp. Mehr als sechs Stunden ging nichts mehr. 3,5 Milliarden Benutzer rund um den Globus waren betroffen. "Viele Menschen wurden schier in die Verzweiflung getrieben", hieß es in den Medien. Das alles nur, weil einem Facebook-Techniker in einer fernen Kleinstadt im Westen Kaliforniens ein Fehler bei der Netzwerkkonfiguration passierte, der sich nicht so schnell beheben ließ.

Selten wurde den Menschen rund um die Welt so drastisch vor Augen geführt, wie dünn das Eis ist, auf dem wir uns bewegen, und wie groß die Abhängigkeit. Von einer Sekunde auf die andere kann weg sein, was Tag für Tag selbstverständlich ist und worauf wir uns verlassen. Blind meist und ohne darüber nachzudenken, schon gar nicht über mögliche Folgen und Konsequenzen. Auf Dinge, die einfach da sind. Auf Facebook und seine Dienste, auf den Strom aus der Steckdose, auf das Wasser aus dem Wasserhahn, auf den Sprit an der Tankstelle, auf die jeden Tag gefüllten Regale in den Supermärkten, auf die Milch am Frühstückstisch, auf das Mehl zum Backen und auf das Schnitzel am Sonntag.

Beim Strom fürchtet man den Blackout, das plötzliche Zusammenbrechen der Versorgung. Erst unlängst meinte der Präsident der österreichischen Gesellschaft für Krisenvorsorge in einem Interview, ein baldiger Blackout sei "schon in den nächsten Monaten sehr realistisch". Europaweit werde es immer kritischer, zu jedem Zeitpunkt genug Strom aufzubringen. Heuer schrammte Europa und damit auch Österreich schon zweimal knapp an einem Blackout vorbei.

Genau betrachtet drohen solche Blackouts aber in den unterschiedlichsten Formen überall. Seit Monaten etwa zeigte sich, wie brüchig die Lieferketten sind und wie sehr die Welt von Fernost und insbesondere von China abhängt. In der Autoindustrie stehen Bänder still, weil Bauteile fehlen. Es ist nichts anderes als eine Variante eines Blackouts. Heute bestellt und morgen geliefert ist nicht mehr selbstverständlich. In vielen Sparten gibt es inzwischen zum Teil sehr lange Lieferzeiten. Mittlerweile müssen sich sogar schon die Kinder Sorgen machen, ob denn das Christkind wirklich bringt, was sie sich wünschen.

Achselzuckend nehmen wir all das zur Kenntnis. Mit Ärger vielleicht auch. Aber sonst? Wird schon nicht so schlimm werden. Irgendwer wird es schon richten. Wir werden schon zurechtkommen. Dass kaum jemand reagiert auf all die immer eindringlicheren Warnungen und darauf, wie uns die Abhängigkeit von fernen Weltregionen vor Augen geführt wird, will so gar nicht zur Versicherungsmentalität passen, der sonst Herr und Frau Österreicher oft so inbrünstig frönen, um nichts dem Zufall zu überlassen und vor jeder Überraschung gefeit sein zu wollen.

Sehr viel eher passt das Verhalten, das wir an den Tag legen, zur gerade in diesem Land so weit verbreiteten Versorgungsmentalität, die davon ausgeht, dass man für nichts selbst, sondern andere für alles und jedes zuständig sind. Der Staat, die Energieversorger, die Ölmultis, die Supermärkte, die Bauern.

Beteuerungen und Vorsätze, das ändern zu wollen und etwa die Eigenversorgung zu stärken, sind in akuten Krisensituation schnell ausgesprochen, bleiben aber vorübergehend. Immer. Auf der Jagd nach den günstigsten Preisen und Kosten ist alles schnell vergessen. Dass man sich nicht zuletzt damit selbst verkauft und nicht nur die Selbstständigkeit, sondern auch die Versorgungssicherheit, wird da im Handumdrehen vergessen und aus den Augen verloren.

Was uns einst eine ungeheure Angebotsfülle und günstige Preise bescherte und unseren Wohlstand schier grenzenlos wachsen ließ, ist längst in Abhängigkeit gemündet. Mangel und Knappheit sind mit einem Mal Thema. "Was lange kaum vorstellbar war, ist nun fast allgegenwärtig", schreibt die deutsche Wochenzeitung "Die Zeit". In Haushalten, in den Geschäften, in der Wirtschaft und in der Industrie. Blackout auch da.

Die Bemühungen, dem vorzubeugen, bleiben überschaubar. "Wird schon wieder werden", sagt man allemal viel lieber.

Hoffentlich, möchte man hinzufügen. Wiewohl der Zweifel daran nie größer war.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 28. Oktober 2021

Donnerstag, 21. Oktober 2021

Wie viel Kurz steckt in den anderen Parteien?

Kurz, Kurz, Kurz. Seit mehr als einer Woche scheint sich das ganze Land am Ex-Kanzler abzuarbeiten. Da ist nichts mehr vom Strahlemann, von der Bewunderung und der Verehrung. Da ist jede Menge Häme dabei, Bosheit natürlich auch und Verachtung. Der Karikaturist Gerhard Haderer, der einen herzlosen Kurz schon überdimensional auf eine Wiener Hauswand malte und ihn oft süffisant als Heiland zeichnete, nahm diesmal bei der Darstellung des Heiligen Sebastian Anleihe und traf damit wohl am besten die Stimmung, die sich seit der Verkündung des "Seitentritts" im Land breitgemacht hat und die zum Sport, wenn man das so nennen mag, geworden ist -Sebastian Kurz, der sich, wie der Heilige in den zahllosen Darstellungen, entblößt und durchbohrt von Pfeilen, im Schmerz windet.

Man mag zu Kurz stehen, wie man will, man mag froh sein darüber, dass er nicht mehr Kanzler ist, man mag sich über das "System Kurz" alterieren, über die "Familie" und über die Politik-Kultur, die er etablierte. Man, respektive die Parteien im Land, aber auch die Politiker, sollte sich dennoch an der Nase nehmen, und prüfen, wie viel Kurz ihn ihnen steckt. Hat man nicht gerade dort oft neidvoll auf Kurz geschaut, wie er es schaffte die Volkspartei auf seine Linie zu bringen? Darauf, dass alles auf seine Person zugeschnitten und ausgerichtet war und er sich alle Durchgriffsrechte sichern konnte? Hat man nicht sogar oft versucht sein Konzept und seine Methoden zu kopieren. War man nicht neidisch auf all diese Perfektion? Sah man sich nicht leid, dass von den Landeshauptleuten und anderen Parteigranden bis hinunter zum Kassier in den Ortsgruppen alle in der Partei geschlossen hinter dem jungen Mann standen? Dass Wähler, Parteimitglieder und selbst hochrangige Funktionäre nicht lange Fragen, unangenehme gar, stellten? Dass sie ohne zu mucken allem folgten, was er sagte und verlangte? Eingeschworen und ausgerichtet auf alles, was von oben kam und damit steuerbar? Hat man sich nicht oft dabei selbst ertappt, wie angenehm und nachgerade toll so eine Einigkeit in der eigenen Partei wäre und so eine Geschlossenheit, die man auf Knopfdruck einsetzen kann?

In den anderen Parteien findet man längst vieles davon auch. Kurz wirkte auch bei ihnen. Im öffentlichen Auftritt, in der Werbung, in den Corporate-Identity-und Marketing-Konzepten, in der Ausrichtung auf einzelne Personen bis hin zum Kleidungsstil. Auch die FPÖ und die NEOS sind auf eine einzige Person, den Parteiobmann, respektive die Parteiobfrau, zugeschnitten und von ihnen ausgerichtet. Man will gar nicht wissen, wie oft sich Pamela Rendi-Wagner in den vergangenen Monaten gedacht hat, ach, hätte ich meine SPÖ doch auch so auf Linie wie Kurz seine Volkspartei. Selbst Werner Kogler hat die Grünen in der Hand, wie es vor gar nicht langer Zeit noch völlig undenkbar gewesen wäre. Die Kurz oft vorgehaltene Oberflächlichkeit machte sich überall breit. Und Meinungsumfragen bestimmten nicht nur bei den Türkisen die Politik und nicht die Programme. Inhaltliche Diskussionen gerieten unter die Räder. Überzeugungen verschwanden und Grundwerte. Bei allen Parteien.

Sebastian Kurz hat zur Perfektion gebracht, was schon vor seiner Zeit in politischen Kreisen als wünschenswert, notwendig, modern und zukunftsträchtig galt. Politik als Marketing-Strategie. Kurz war der, der all das konsequent wie niemand vor ihm und mit einer oft beängstigenden Präzision umsetzte. Beobachter konnten sich oft nur wundern, wie ihm seine Leute folgten und was er mit ihnen anstellen konnte. Es konnte einem darob nachgerade bange werden. Mit Schaudern erinnern sie sich an die Bilder von Parteitagen, in denen sich alle in türkis zeigten - bis hin zu in türkiser Tracht gewandeten Blasmusikkapellen.

Der Traum eines jeden Marketingsprofis ist nun wohl ein Alptraum geworden. Nicht nur für Kurz, sondern auch für die Volkspartei. Schade angesichts des politischen Talents von Kurz. Und schade auch angesichts seiner politischen Leistungen.

Und dennoch ist vielen nun leichter. Auch vielen in der Volkspartei. Das Korrektiv funktioniert doch auch dort. Spät, aber doch, haben offenbar die Landeshauptleute eingegriffen.

Das ist gut so. Auch für die politische Kultur im Land. Auch wenn die Volkspartei den jüngsten Umfragen zufolge wohl wieder eine Partei unter mehreren ist.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 21. Oktober 2021

Donnerstag, 14. Oktober 2021

Sprachlosigkeit im Land

Es war erst am Mittwoch vergangener Woche, als Chats aus dem Fundus von Thomas Schmid bekannt wurden, die Sebastian Kurz in Zusammenhang mit einer Korruptionsaffäre brachten. Am Samstag trat der Kanzler zurück. Seit Montag dieser Woche hat das Land einen neuen Bundeskanzler. Der Bundespräsident erklärte die Regierungskrise für beendet und entschuldigte sich für das Bild, das die Politik in den vergangenen Wochen abgegeben hat. Wieder einmal. "So sind wir nicht", sagte er diesmal freilich nicht.

Es ist an der Zeit die Dinge zu sortieren und manches festzuhalten um es nicht zu vergessen.

Die Lösung, die man gefunden hat, war wohl die einzige Möglichkeit, einen politischen Totalschaden zu vermeiden. Alles andere hätte für Monate Stillstand und Blockade bedeutet. Selten hat man Politik, Kommentatoren und Berater so ratlos gefunden wie Ende der Vorwoche. Da gingen selbst dem sonst so beredten Peter Filzmaier die Worte aus.

Die Krise der Regierung mag vielleicht vorbei sein, das politische Theater ist es wohl nicht. Es wird weitergehen in dieser Tonart, solange Kurz in der Politik bleibt. Die Kurz-Jagdgesellschaft wird sich nicht zufrieden geben damit, dass Kurz nur den Ballhausplatz räumte, legte doch der neue Kanzler mit seiner Solidaritätsadresse sogar gleich nach.

Von Verantwortung ist nicht nur beim Kanzler und der Volkspartei zu reden, sondern auch bei ihren Gegnern. Auch bei der Justiz. Es drängt sich der Eindruck auf, dass es nicht um rasche Klarheit geht, damit das Land wieder auf Kurs kommt. Warum wird nicht alles auf den Tisch gelegt, warum weiß man in einschlägigen Kreisen, dass mit weiteren Chat-Protokollen und neuem Ärger zu rechnen ist? Verantwortung fürs Land schaut anders aus.

Viele Beobachter meinen in der Volkspartei eine Wende von Türkis zurück zum alten Schwarz erkennen zu können. So weit ist es wohl nicht. Sebastian Kurz ist nach wie vor ÖVP-Obmann und verfügt in der Partei über die Machtfülle, mit der man ihn bei seiner Wahl zum Obmann vor vier Jahren bereitwillig ausgestattet hat. Der starke schwarze Politiker, die starke schwarze Politikerin, der/die das Ruder an sich reißt, ist weit und breit nicht zu sehen. Die Landeshauptleute zeigen sich allenfalls halbherzig.

Die berüchtigte "Message Control" geriet zwar außer Kontrolle, das System lebt aber noch. Das zeigte sich in der Vorwoche in den zahllosen vorgefertigten und türkis durchgestylten Solidaritätsadressen vor dem Rücktritt. Und nach dem Rücktritt war es nicht anders, als es die Entscheidung zu verteidigen galt, dass Kurz in der Politik bleibt -mit dem Spin versehen, dass er auch bald ins Kanzleramt zurückkehrt.

Man lernte in den vergangenen Tagen, wie biegsam Meinungen sein können. Die Halbwertszeit von Zusicherungen und Versprechungen war wohl nie kürzer als am vergangenen Wochenende. "Alle Ministerinnen und Minister der Volkspartei haben festgehalten -sie bleiben ausschließlich unter der Führung von Sebastian Kurz", hieß es noch am Freitag. Am Montag gratulierte man Schallenberg artig und blieb selbstredend im Amt. "Jetzt gilt es gemeinsam für Österreich weiterzumachen", war nun die Devise.

Die politische Glaubwürdigkeit ist allen Entschuldigungen und Beteuerungen des Bundespräsidenten zum Trotz wohl noch viel mehr beschädigt worden, als sie es ohnehin war. Die Politiker, namentlich die VP-Mitglieder der Regierung, haben genau das getan, was die Leute an der Politik abstößt. Was soll man ihnen noch glauben, wie sollen sie noch Vertrauen schaffen? Etwa für die Coronapolitik.

Es ist erstaunlich, welchen Drucks es bedarf, dass in Österreich dem Recht freie Bahn gegeben wird. Das zeigt sich bei Kurz genauso wie beim Bürgermeister der oberösterreichischen Gemeinde Scharten, der sogar wegen Vergewaltigungsvorwürfen angeklagt war (und inzwischen verurteilt wurde) und trotzdem bei den Gemeinderatswahlen kandidierte. In beiden Fällen wurde mit dem, was man verharmlosend gerne "gesundes Volksempfinden" nennt, gespielt und gegen die Justiz mobilisiert.

Die Opposition und auch die Grünen haben sich mit Kickl angepatzt, als eine Vierer-Regierung ventiliert wurde. Namentlich die SPÖ in der Person von Pamela Rendi-Wagner, hat es auch diesmal mit ihrem Kuschelkurs mit Kickl geschafft, mit internem Streit Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, statt sich als mögliche Kanzler-Alternative zu positionieren.

Zu würdigen sind, auch wenn man das in der ÖVP ganz anders sehen mag, die Grünen, die das Heft in die Hand nahmen. Sie erwiesen sich als tragender Teil des Landes. Es tut dem Land gut, was sie auf sich nehmen. Kogler ist mit seiner Ruhe und Ausgeglichenheit zu bewundern.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 14. Oktober 2021

Donnerstag, 7. Oktober 2021

Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass

Das Land hat seine Steuerreform, eine ökosoziale Steuerreform noch dazu. Je nach Standpunkt gilt sie als sanfter Einstieg in einen Systemwechsel und gut austariert oder als große Enttäuschung. Wie auch immer. In der Diskussion, die der Reform voranging, war zu erleben, was symptomatisch ist für Österreichs Verhältnis zum Klimaschutz und zu den Klimazielen, die sich die internationale Gemeinschaft und auch die EU gesetzt hat. Man druckste herum, man ging in Deckung und man steckte wo immer es ging den Kopf in den Sand. Wirklich reif für den großen Schritt ist man aber nicht. Die Politik und die Wirtschaft genauso wie die Bevölkerung. Man kennt das seit Jahren und Jahrzehnten. Zahllos sind die Bekenntnisse zum Klimaschutz, groß ist jedes Mal die Betroffenheit, wenn Zahlen zur Erderwärmung veröffentlicht werden -alles freilich meist, ohne je wirklich ernst genommen zu werden.

Wenn in Österreich über die Rettung des Klimas diskutiert wird oder gar über mögliche Maßnahmen, geht es selten wirklich um das Klima, sondern meist vor allem darum, wie man die eigene Haut rettet und möglichst billig und ungeschoren davonkommt. Eine ernsthafte Diskussion, die über begrenzte Maßnahmen und Aktionen hinausgeht, fehlt bisher. Schon allein, weil das Wissen fehlt und weil die Diskussion immer noch ideologisch überfrachtet ist. Mit Begriffen die Dekarbonisierung weiß kaum jemand etwas anzufangen und nur wenige können erklären, wie das mit den CO2-Zertifikaten, dem Handel damit und dem Preis dafür wirklich geht.

Da neigt man allemal immer noch eher dazu, sich über Warner lustig zu machen. Das Bewusstsein über den tatsächlichen Ernst der Lage und darüber, wie ernst es mit dem Handlungsbedarf ist, fehlt in Österreich in weiten Teilen der Bevölkerung und auch in der Politik. Viele, auch dort, wo man es in der Hand hätte Entscheidungen zu treffen, haben noch nicht einmal eine Meinung. Allenfalls hält man es mit dem Satz: "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass."

Aber die Lage ist wohl ernst. Wenn Österreichs oberster Stromerzeuger, Verbund-Chef Michael Strugl, davon spricht, dass die Energiewende, die ansteht, auch in der Landschaft in Form von Energiegewinnungsanlagen sichtbar werden wird und sogar Enteignungen für den Bau von Windkraftanlagen ins Spiel bringt, kann man erahnen, was in den nächsten Jahren und Jahrzehnten auf uns zukommt und was notwendig sein wird, um die Erderwärmung tatsächlich zu begrenzen. Und wenn Gabriel Felbermayr, seit Anfang Oktober Chef des Wifo, davon spricht, dass das EU-Klimapaket, das die Treibhausgase in der Union bis 2030 um 55 Prozent reduzieren will, als das "vermutlich größte Vorhaben in der Geschichte der Europäischen Union" bezeichnet, stellt das die aktuelle Diskussion in einen ganz anderen Rahmen als bisher.

Die Umwälzung, vor der wir stehen, ist eine riesige. Die Verunsicherung auch. Verständlich, dass für viele die wirtschaftliche Gefahr größer ist als die, die von der Klimaveränderung ausgeht. Darum verwundert nicht, dass man sich allerorten mit Händen und Füßen gegen den Green Deal wehrt oder Verlängerungen für die Verteilung von Gratis-CO2-Zerfikaten fordert, wie jüngst die Wirtschaftsministerin, und sich vorzugsweise an den Status quo klammert. Man befürchtet in der Industrie, in der Landwirtschaft und in vielen anderen Bereichen zu denen zu gehören, die die Zeche zahlen müssen und hat Angst vor dem, was inzwischen "Grüne Inflation" genannt wird, also einer Verteuerung durch die Umweltmaßnahmen und die CO2-Besteuerung.

Man kann das nachvollziehen, noch dazu wo der Anteil der EU-Staaten an den weltweiten CO2-Emissionen bei lediglich acht Prozent, der von Österreich gerade einmal bei 0,2 Prozent liegt. "Und da sollen ausgerechnet wir die Welt retten?", fragen sich viele.

Ja, denn wir sind nicht alleine, lautet die Antwort. Es führt kein Weg an dieser Umwälzung vorbei. Auch, weil es darum geht, Chancen nicht zu verpassen. "Finanzbranche und Industrie sind der Politik weit voraus", schrieb dieser Tage "Die Presse". Erst jüngst forderte ein Gruppe aus der Industrie um den ehemaligen Verbund-Chef Wolfgang Anzengruber mehr Tempo und die wirtschaftlichen Chancen der Dekarbonisierung zu nutzen.

Mehr Tempo muss man ja nicht blindlings gehen. Aber man muss es gehen. Vor allem in Österreich. Die Steuerreform ist allenfalls ein Anfang.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 7. Oktober 2021

Montag, 4. Oktober 2021

Der digitalisierte Bauer

Ausgerechnet die Digitalisierung ermöglicht es den Bauern, die Sehnsucht vieler Menschen nach einer „Landwirtschaft wie früher“ zu erfüllen. Allerdings zu mitunter hohen Kosten.

Hans Gmeiner
 
Linz. Wenn die auf einem weißen Balken über dem Mähwerk montierten Infrarotsensoren im hohen Gras ein Rehkitz erkennen, wird das Mähwerk blitzartig angehoben. „SensoSafe-Wildtierretter“ heißt das System, das der oberösterreichische Landtechnikhersteller Pöttinger entwickelt hat und das bei der Grasernte schon vielen jungen Rehen das Leben gerettet hat.

Das Gerät ist eines von vielen Beispielen, die zeigen, wie stark digitale Technik mittlerweile in der Landwirtschaft genutzt wird. Tiersensoren, die Sennern auf der Alm das Auffinden von Tieren erleichtern oder Milchbauern melden, ob eine Kuh Probleme hat, gehören genauso dazu wie Melkroboter in vielen Kuhställen oder GPS-gesteuerte Traktoren und Landmaschinen, die wie von Geisterhand gelenkt auf den Äckern zentimetergenau ihre Spuren ziehen. Und ein Innviertler Unternehmen liefert gar per Drohne Daten für die Steuerung eines Düngerstreuers und einer Pflanzenschutzspritze, die es ermöglichen, die Mittel punktgenau einzusetzen.

„Die Landwirtschaft ist nicht mehr der Bauer in Lederhosen, der in der Früh mit der Sense hinausgeht“, sagt Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger. Während viele einer Landwirtschaft wie früher das Wort reden, die Ansprüche an die Bauern ständig nach oben geschraubt werden und der wirtschaftliche Druck damit wächst, fährt auf den Höfen der Zug in die Zukunft. Ausgerechnet die Digitalisierung bietet Möglichkeiten, die immer spezielleren Wünsche der Konsumenten, aber auch ökologische Anforderungen zu erfüllen. Die neue Technik hilft den Bauern vor allem in der Tierhaltung, aber auch im Pflanzenschutz, in der Unkrautbekämpfung und beim Düngen, die Arbeit effizient und zielgerichtet zu erledigen. Sie bietet Arbeitserleichterung, Zeitersparnis und ist oft auch eine Antwort auf die wachsenden Personalprobleme auf den Höfen. Auf der Rieder Messe stand kürzlich ein Roboter im Mittelpunkt einer großen Präsentation zum Thema Digitalisierung in der Landwirtschaft, der in Gemüse- und Zuckerrübenfeldern – ferngesteuert und solarbetrieben – Unkraut beseitigt. Rund um die Uhr und tagelang. Kostenpunkt für das gute Stück: 90.000 Euro.

Die Bauern nutzen digitale Technologien vor allem in Form von Programmen für die Betriebsführung und Aufzeichnungen für Behörden und Kontrollstellen, als vernetzte Landtechnik auf dem Feld und im Stall, für Marketing und Direktvermarktung bis hin zur Wetterbeobachtung und den Informationsaustausch mit Kollegen.

In den vergangenen Jahren gab es auf den Höfen einen markanten Digitalisierungsschub. Mehr als 15.000 Traktoren sind inzwischen mit automatischen Lenksystemen ausgerüstet, in den größeren Milchviehbetrieben gehören Melkroboter zum Standard. „Ich habe selbst einen Melkroboter angeschafft“, sagt Josef Moosbrugger, Präsident der Landwirtschaftskammer Österreich und Milchbauer in Dornbirn. „Warum? Der arbeitet 24 Stunden am Tag, das amortisiert sich schneller als jeder Traktor, den ich nur fahre, wenn ich ihn brauche.“

So wie ihr Präsident denken immer mehr Landwirte. „Wenn es funktioniert, die Arbeit erleichtert und leistbar ist, dann nutze ich die neuen Technologien gern“, beschreibt Johannes Mayr von KeyQuest die Einstellung der Bauern. Die hat Mayr erst im Sommer in einer Studie zum Thema Digitalisierung in der Landwirtschaft erhoben.

Die Digitalisierung ist trotz der oft hohen Kosten nicht nur etwas für Großbauern, sondern bietet auch für kleine Bauernbetriebe eine Perspektive, davon sind Experten überzeugt. „Viele Angebote sind auf die Betriebsgrößen abgestimmt“, sagt Heinrich Prankl von der vor drei Jahren für alle in diesem Bereich tätigen Unternehmen und Organisationen eingerichteten Plattform Innovation Farm. „Der Kleine zahlt wenig, der Große entsprechend mehr, das ist lässig.“ Zudem bieten sich in vielen Fällen überbetriebliche Lösungen und die gemeinsame Nutzung der neuen Technik gerade in diesem Bereich an. Erklärtes Ziel sei es, dass auch die Kleinen profitieren, sagt Prankl. „Die Großen machen es sowieso.“

Nach Einschätzung der Landwirtschaftsministerin ist die österreichische Landwirtschaft in der EU in Sachen Digitalisierung vorn dabei. Dabei soll es bleiben. Mit den Landtechnikherstellern im Land stehe man in engem Kontakt, neuerdings gebe es auch eine eigene Start-up-Förderung.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 4. Oktober 2021

Freitag, 1. Oktober 2021

Große Töne und maue Antworten

Als Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger vor knapp zwei Wochen wieder einmal wortreich zum Rundumschlag gegen die Handelsketten ausholte und Spar, Billa und Co. medienwirksam „erpresserische Zustände“ vorwarf, stand sie mit einem Mal selbst am Pranger. „Warum ist in Österreich die im Vorjahr von der EU verabschiedete Verordnung gegen unlautere Handelspraktiken in Österreich noch nicht in Kraft“ musste sie sich fragen lassen. Antworten darauf fielen eher mau aus. Die Richtlinie sei vom dafür zuständigen Wirtschaftsministerium vorgelegt worden und werde noch heuer beschlossen, hieß es zunächst. Dann wurde dieser Tage gar eilends eine Pressekonferenz einberufen. Der Entwurf gehe in Begutachtung, zudem komme eine Ombudsstelle. Ein „Meilenstein“ hieß es auch diesmal wieder. Wie schon so oft. Auch wenn offen ist, was die Bauern wirklich davon haben werden.

Zu den vollmundigen Ankündigungen und Erklärungen, die seit Jahren den Eindruck erwecken, als sei alles bereits umgesetzt, passt das freilich dennoch nicht. Schon vor vier Jahren ging die Verordnung gegen unlautere Handelspraktiken als Erfolgsstory durch die Medien. Dann wurde sie als großer Erfolg der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft vor drei Jahren gefeiert und als sie im April 2019 verabschiedet wurde, waren von Köstinger Sätze wie „Diese Richtlinie spricht ein klare Sprache. Wir werden uns unmittelbar an die Umsetzung machen“ zu hören und Vorreiter wolle man sein.

„Naja“, ist man geneigt zu sagen und über das „unmittelbar“ zu schmunzeln und über den „Vorreiter“, wenn man sich nicht gar ärgert. Und angemerkt sei: Termine, wann das alles in Kraft treten soll, wurden auch bei der jüngsten Pressekonferenz nicht genannt.

Köstinger, respektive die heimische Agrarpolitik, hat einige solcher Baustellen, auf denen es, wie Gutwillige sagen würden, nur langsame Fortschritte gibt, bei denen aber nicht ganz so Gutwillige schnell zum Urteil kommen, dass nichts weitergeht. Die Herkunftskennzeichnung insbesondere in der Gastronomie und der Eiertanz den Köstinger und Konsorten um dieses Thema aufführen müssen, um nicht mit ihren Parteifreunden in der Wirtschaftskammer übers Kreuz zu kommen, ist so etwas. Oder auch die Versorgung von Gemeinschaftsküchen in öffentlichen Einrichtungen mit regionalen Produkten ist so ein Thema, das sich wie ein Strudelteig durch die Jahre zieht, ohne dass jemals das erfüllt wurde, wovon seit Jahren die Rede ist. Immer wieder reibt man sich die Augen, wenn man erkennt, dass eigentlich immer noch nicht geschehen ist, von dem man glaubte, dass es längst umgesetzt ist. 

Aber es ist Kultur geworden in der Agrarpolitik schon erste Ideen als fertigen Erfolg zu verkaufen. Drei, vier, fünfmal kommt das gleiche Thema über Monate, mitunter über Jahre, aufs Tapet. Immer wieder neu aufgemascherlt, ohne dass es in der Sache wirkliche Fortschritte gegeben hätte.

Oft scheint der Applaus sehr viel wichtiger als das Ergebnis. Viel zu oft. Politik ist fraglos ein mühsames Geschäft. Aber die Bauern haben dennoch mehr als ein Recht auf ständige PR-Luftblasen und „Meilenstein-Ankündigungen“. Sonst könnten sie sich schnell fragen, warum die Partei, die sie gewählt haben, in der Regierung sitzt. Und das nicht als Beiwagerl.

Gmeiner meint - Blick ins Land, 1. Oktober 2021


 
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