Donnerstag, 22. Dezember 2022

Kleiner Geist gegenüber großen Themen

Die Bilanz für des Jahr 2022 fällt sehr ernüchternd aus. Krise, überall nur Krise, mehr Krise denn je. So viel, wie man sich vor wenigen Jahren gar nicht vorstellen konnte. Schon gar nicht die Generation, die in den vergangenen fünfzig, sechzig Jahren großgeworden ist.

Die Welt ist nicht mehr das, was sie vor einem Jahr war. Und schon damals stand es nicht gut um sie. So viele Erwartungen gab es, und es wurde so viel Enttäuschung. In der Ukraine tobt ein fürchterlicher Krieg und führt uns vor Augen, auf welch dünnem Eis wir uns bewegen, gar nicht davon zu reden, wie gut wir es hatten, aber wie relativ dieses Gut war. Unsere Abhängigkeit von Energieimporten wurde uns drastisch vor Augen geführt, und wie schnell es gehen kann, dass wir um Strom und Wärme fürchten müssen. Gar nicht zu reden davon, dass heute alles sehr viel teurer ist als noch vor einem Jahr. Heizen, Strom, Essen, Treibstoff, Wohnen.

Die Politik tut sich schwer damit umzugehen. Vor wenigen Jahren noch war alles ein Kinderspiel, zumal in Europa und in Österreich, gegenüber dem, was ihr heute abverlangt wird. Es ist erstaunlich, was international auf den Weg gebracht wurde, wie man der Ukraine zur Seite steht und wie man einig ist im Kampf gegen die Bedrohung, die von Moskau ausgeht. Es ist auch beachtlich, was die österreichische Politik auf den Weg gebracht hat. Man denke nur an all die Hilfspakete, die man aus den leeren Taschen zauberte. Es ist freilich auch beachtlich, was sie alles nicht auf den Weg bringt, und sie dennoch nicht aus alten Geleisen herausfindet.

Großen Themen begegnet man gerade hierzulande auch in dieser Lage allemal lieber mit kleinem Geist. Und da ist die Rede nicht nur von den Regierungsparteien. Es ist mitunter erbärmlich, was da tagtäglich über die Agenturen verbreitet wird. Engstirnig, feindselig und arrogant. Weil sie in Grabenkämpfen, die seit Jahrzehnten das Land behindern, verhaftet ist und nicht bereit ist, über den Tellerrand zu schauen. Gemeinsame große Linien, ein gemeinsames Grundverständnis oder gar Lösungen, die von allen mitgetragen werden, gibt es kaum.

In der Gesellschaft hinterlässt das orientierungslose Gezänk längst Spuren. Die Gräben werden immer tiefer, die Fronten härter. Die Zusammenhalt schwindet und die Gefahr wächst, dass die Gesellschaft in Gruppen zu zerfällt, die nur mehr ihre Interessen verfolgen und diese mit immer drastischeren Mitteln durchsetzen wollen. Die Demonstrationen und Aufmärsche der Covid-Gegner in unserem Land und was dabei zu erleben war, und auch der geplante Aufstand der Reichsbürger in Deutschland, der offenbar im letzten Moment verhindert werden konnte, und seine Verästelungen nach Österreich, sind Ausdruck dafür. Die gesellschaftliche Lage ist, auch wenn das nicht immer offen zu Tage tritt, labil, wie kaum je zuvor.

Die Politik, aber auch gesellschaftliche Kreise, die die Wahrheit gepachtet zu haben glauben, stehen diesen Entwicklungen hilflos gegenüber und erreichen diese Menschen nicht mehr. Da gibt es keine Strategie und keine Gesprächsbasis und auch kein Angebot, sondern oft viel zu viel abschätzige Arroganz.

Dabei geht es inzwischen um rund ein Drittel der Bevölkerung, das sich aus dem, was über Jahrzehnte als Grundverständnis von Politik und gesellschaftlichem Zusammenleben in Österreich entstanden ist, verabschiedet hat, weil man meint, zu kurz zu kommen und sich zu wenig beachtet und wertgeschätzt fühlt.

Über die Jahre schaffte man es nicht, diese Strömung in den Griff zu bekommen oder sie gar wirklich von der eigenen Wertewelt zu überzeugen. Mehr als diese Menschen als Wählerstimmen immer wieder zu gewinnen und zu nutzen, brachte man bisher nicht zusammen. Eher selten gelang das den Sozialdemokraten, oft der Volkspartei, meist, und gerade jetzt wieder, trotz all des Chaos, das man in den vergangenen Jahren durchmachte, den Freiheitlichen.

In der Substanz freilich ist es nie gelungen, Änderungen herbeizuführen. Im Gegenteil -diese Gruppe, die nicht nur mit der Politik, sondern auch mit dem Staat unzufrieden ist, scheint immer größer zu werden.

In all den Krisen, mit denen wir zu kämpfen haben, ist das vielleicht die größte und die gefährlichste. Denn sie hat längst die Mitte der Gesellschaft erreicht. Die Mitte einer Gesellschaft, die gerade jetzt darauf angewiesen wäre, zusammenzustehen wie kaum je zuvor.

Meine Meinung, Raiffeisenzeitung, 22. Dezember 2022

Donnerstag, 15. Dezember 2022

Ein Windei namens Pflegebonus

Erinnern Sie sich noch, als die Leute klatschten und manche sogar die Nationalflagge hissten, um, wie es hieß, "allen SystemerhalterInnen eine kleine Freude zu machen und ihnen auf dem Weg in die Arbeit oder am Heimweg Danke zu sagen"? An all die Versprechungen, dass abgegolten werden müsse, was die Corona-Pandemie den Leuten in den Spitälern, Heimen und all den andere Einrichtungen, in denen man sich um Menschen kümmert, abverlangt. Sogar der Papst höchstselbst redete damals von "Heiligen von nebenan". Und unser Toni Innauer, hierzulande auch so etwas wie ein Papst, wenn es um solche Themen geht, sagte damals in einem Zeitungsinterview: "Jetzt merken wir, dass Krankenschwestern, Ärzte und Verkäuferinnen im Supermarkt wichtiger sind als die Topscorer und die großartigen Kicker, die das Tausendfache verdienen."

Keine drei Jahre ist das her -und von der damaligen Betroffenheit, den damaligen Versprechungen, dem damaligen Verständnis ist kaum mehr etwas zu spüren. Vielmehr scheinen jene Recht bekommen zu haben, die schon damals nichts mit dem Gesang, dem Applaus, der allerorts zur Schau gestellten Betroffenheit und dem Mitgefühl anfangen konnten und sagten, "Euren Applaus könnt ihr euch sonst wo hinschieben".

Vor allem unter dem Pflegepersonal in Spitälern und in Behinderten-und anderen Sozialeinrichtungen hat sich bei vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Enttäuschung breit gemacht. "Es muss rascheln im Börserl, ned klingeln", forderte damals der Gewerkschaftschef Wolfgang Katzian. Ersteres tut es heute immer noch kaum für wen, und Letzteres auch nicht für alle.

Prämien und Boni, wie der groß angekündigte Pflegebonus, der in diesen Wochen von der Regierung ausgezahlt wird, erweisen sich oft als nichts denn als ein hohles Windei. "Die Pfleger bekommen nur 800 statt der versprochenen 2.000 Euro Bonus für das Jahr 2022, andere gehen komplett leer aus", schreibt die Kronen-Zeitung etwa über den Pflegebonus, der in diesen Tagen vor Weihnachten für besondere Aufregung sorgt. Rund 160.000 Pflegekräfte und zigtausende weitere Beschäftigte im Gesundheitsbereich seien von der Regierung bitter enttäuscht und fühlten sich "mies" behandelt. "Die Pfleger sind zornig", schreiben die Zeitungen, und "Die Pfleger sind sauer"."Manche, die seit Jahren im Büro säßen, erhielten die Prämie -andere, die direkt mit den Klienten arbeiteten, schauten durch die Finger", zitiert "Der Standard" die Mitarbeiterin einer Behinderten-WG.

Ein Grund dafür: Die 2.000 Euro Bonus gibt es nicht brutto für netto, also ohne Abzüge auf die Hand, weil der Staat nicht auf Steuern und Abgaben verzichten mag und sich so einen Gutteil des Geldes wieder zurückholt. Lediglich in Niederösterreich sorgte die wahlkämpfende Landeshauptfrau mit einer 500-Euro-Extra-Prämie für einen Ausgleich.

Der zweite Grund: Der Bonus stellt, schwer verständlich, auf die Ausbildung und nicht auf die Tätigkeit ab. Der Kreis derer, denen er zugutekommen soll, ist eng gefasst -diplomierte Pflegekräfte, Assistenzpersonal und Angehörige der Sozialbetreuungsberufe. So als ob die Helfer, die für Krankentransporte in den Spitälern oder andere Tätigkeiten, die keine spezielle Ausbildung verlangen, weniger geleistet hätten und weniger leisten. Nur weil sie keine Ausbildung mit Diplom abgeschlossen haben. Hebammen, Labor-Mitarbeiter, Röntgenologen, Physiotherapeuten, Personal des medizinisch-technischen Dienstes, OP-Assistenten, die Tätigkeiten wie Pflegekräfte ausüben.

Der Ärger ist nachvollziehbar. Was all die Pflegekräfte erleben, denen seinerzeit applaudiert und so viel versprochen wurde, ist typisch für unsere Gesellschaft. Den VerkäuferInnen in den Supermärkten und all den anderen Berufen, denen seinerzeit applaudiert wurde, geht es kaum anders. Nichts an der Wertschätzung für sie hat sich geändert und nichts an der Anerkennung. Und nichts geändert hat sich, das zeigt sich drei Jahre nachdem die ersten Corona-Meldungen aus China und bald auch aus Italien kamen, am Wertekanon unserer Gesellschaft. Da ist nichts mehr von der Stimmung von damals, und längst läuft alles wieder in den eingefahrenen Geleisen, aus denen herauszukommen damals nicht wenige gehofft haben. Und nicht nur das -es ist auch eine vertane Chance, Dinge zurechtzurücken und sich für die Zukunft neu aufzustellen. Für eine Zukunft, in der es allen Prognosen nach sehr viel gerade auf diese Berufe ankommt.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 15. Dezember 2022

Mittwoch, 7. Dezember 2022

Überschätzt und unterschätzt

Wenn wahr wird, was die Zeitungen geschrieben haben, muss Thomas Schmid für nicht gerechtfertigte Aussageverweigerungen vor dem ÖVP-Untersuchungsausschuss nicht mehr als 800 Euro Beugestrafe zahlen. Man darf davon ausgehen, dass er die Strafe mit Handkuss annimmt. Drastischer als mit dieser Beugestrafe hätte das Theater rund um diesen Untersuchungsausschuss, aber auch um all die anderen Untersuchungsausschüsse der vergangenen Jahre, nicht vor Augen geführt werden können.

"Teuer, sinnlos, das interessiert niemand mehr", lautet das Urteil, das nicht nur die Stammtische dieses Landes längst gefällt haben. Viele sind von den schier täglichen Schlagzeilen, der künstlichen Aufgeregtheit, den Winkelzügen und den endlosen Geschäftsordnungstricksereien angewidert. Die Kritik wächst, das Verständnis sinkt. Zuweilen hat man den Eindruck, dass das Publikum längst auf Seiten derer steht, die da vorgeladen werden und genießt, wie nicht sie, sondern die Mitglieder des Untersuchungsausschusses vorgeführt werden.

Sinn und Zweck solcher Ausschüsse, nämlich den als Kontrollinstrument des Parlaments, sind längst desavouiert. Von allen Seiten. Nicht nur von denen, die vor einem Untersuchungsausschuss jede Aussage verweigerten, sondern vornehmlich auch von den Proponenten der Untersuchungsausschüsse selbst. Von all den Krainers, Hangers, Krispers, Hafeneckers, Sobotkas und wie sie alle heißen, die das für Politik halten, was sie dort machen.

Parlamentarische Untersuchungsausschüsse wurden zunehmend für parteipolitische Interessen instrumentalisiert. Und nicht nur das. Sie wurden zunehmend auch mit Politik verwechselt. So sehr, dass zuweilen der Eindruck entstehen konnte, die Politik in diesem Land bestehe nur mehr darin, sich mit der Politik der vergangenen Jahre und ihren Verfehlungen, respektive mit einem ehemaligen Kanzler zu beschäftigen.

Es steht außer Frage, dass die parlamentarische Arbeit, zumal wenn sie so verstanden wird, wie sie offenbar nicht wenige Politiker in diesem Land (miss-)verstehen, einer Kontrolle bedarf und all die Machenschaften und katastrophalen Fehler der Vergangenheit aufzuklären sind. Aber das hat effizienter zu geschehen. So, wie wir sie in den vergangenen Jahren erlebten, machen Untersuchungsausschüsse keine Sinn mehr. Da nimmt nicht wunder, dass das Ansehen der Politik und der Politikerinnen und Politiker in den Keller stürzt, das Vertrauen in das politische System immer neue Tiefpunkte erreicht, während ein "starker Führer" mittlerweile erstmals sogar mehrheitlich nicht mehr abgelehnt wird.

Das sollte als Alarmzeichen verstanden werden und als Weckruf. Denn Politik hat vornehmlich andere Aufgaben, als sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen und mit dem Anpatzen der politischen Gegner. Gerade in Zeiten wie diesen, in denen die Herausforderungen, wie jüngst Alexander Purger in den "Salzburger Nachrichten" schrieb, dem "Kampf mit der Hydra" gleichen. "Kaum schlägt man ihr einen Kopf ab, wachsen zwei neue Krisen nach. Corona, Ukraine-Krieg, Gaskrise, Teuerung, Massenmigration, Arbeitskräftemangel, das Scheitern der europäischen Politik des Gelddruckens -die unheimliche Serie scheint kein Ende zu nehmen. Und die nächsten Köpfe rühren sich schon."

Politik in Österreich hat sich in den vergangenen Jahren zunehmend auf das Negative konzentriert, auf politische und auch auf persönliche Aversionen. Vor diesem Hintergrund ist, bei Licht betrachtet und ohne die in diesem Land üblich gewordenen Filter, durchaus bemerkenswert, was die aktuelle türkis-grüne Regierung bei aller berechtigten Kritik zustande bringt. Die Zusammenarbeit scheint, trotz des jüngsten Scheiterns der Arbeitsmarktreform, zu gelingen. Minister von der Qualität eines Martin Kocher, eines Norbert Totschnig oder auch einer Eleonore Gewessler hat es schon lange nicht mehr gegeben. Und auch die Ergebnisse können sich durchaus sehen lassen. Die Bilanzen des ersten Jahres Nehammer fielen, trotz der katastrophalen Umfragewerte durchwegs positiv aus. "Die Regierung ist besser als ihr Ruf", hieß es dieser Tage allerorten. Dem kann man, bei allem was schiefläuft und besser gemacht werden könnte, zustimmen, muss aber nicht. Aber Projekte wie die Abschaffung der kalten Progression, die ökologische Steuerreform oder Rekordsummen für die Ökologisierung sind mehr, als viele andere Regierungen zusammengebracht haben.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 7. Dezember 2022

Dienstag, 6. Dezember 2022

Eine trügerische Sicherheit

 

Mit einer “Versorgungssicherheitstour“ tingelten der Landwirtschaftsminister, Kammern und Bauernbund in den vergangenen Wochen durchs Land. Bei der Agraria in Wels stellte die Landwirtschaftskammer Österreich das Thema ins Zentrum. Was als billiger Trick der Bauern verstanden werden kann, vor dem Hintergrund des Überfalls auf die Ukraine, der Energiekrise und der Teuerung Stimmung für ihre Anliegen zu machen, hat einen ernsten Hintergrund. Auch wenn es viele nicht hören wollen – die Versorgung mit Lebensmitteln steht in Österreich auf tönernen Füssen. Mit Geld und Zuschüssen allein ist das Problem nicht zu lösen. Abgesehen von Fleisch, Milch und Getreide sind die Selbstversorgungsgrade bei Produkten wie Eiern, Geflügel, sogar Butter und Kartoffeln, bei Obst und Gemüse, bei pflanzlichen Ölen und vielen anderen Produkten mitunter sehr bescheiden.

Eine wirklich bedrohliche Dimension bekommt das Thema, wenn man in die Details geht. Da zeigt sich schnell, dass Österreichs Landwirtschaft in der Produktion viel stärker auf Importe angewiesen ist, als ihr lieb sein kann. Denn selbst in Produktgruppen, in denen die Selbstversorgungsgrade über 100 Prozent liegen, kann es sehr schnell sehr eng werden kann.

Das beginnt bei der Abhängigkeit von importiertem Soja und Aminosäuren für die Eiweißversorgung in der Schweine- und Geflügelfütterung und hört bei den Getreidesorten aus dem Ausland nicht auf. Bei Mahlweizen, Gerste, Hafer, Roggen oder Raps kommen 75 Prozent der Genetik und des Saatgutes aus dem Ausland. Bei Gräsern kommen Genetik und das Zuchtmaterial praktisch zur Gänze aus Dänemark und Neuseeland und auch bei Gemüse gibt es in großem Stil weder Züchtung noch Saatgutvermehrung in Österreich. Auch nicht bei Biogemüse, wo alle Sorten in den großen Produktionsbereichen aus dem Ausland kommen – die besten Biotomaten-Sorten dem Vernehmen nach sogar von Monsanto und Bayer. Auch in der tierischen Produktion ist die Abhängigkeit vom Ausland wichtiges Thema. Weniger bei Rindern und Schweinen, aber vor allem bei Geflügel. Bei Mast- und Legehühnern muss die Genetik zu 100 Prozent importiert werden.

Seit Monaten etwa sorgt zudem der geplante Verkauf des Dünger-Erzeugers Borealis für Unruhe in der Bauernschaft. Eigene Entwicklungen von Pflanzenschutzmitteln oder gar Wirkstoffen gibt es schon seit Jahren nicht mehr. Produziert werden nur mehr - von zwei Unternehmen - überwiegend Generika, also Mittel, bei denen der Patentschutz abgelaufen ist.

Und da ist noch gar nicht die Rede von den Sorgen um Gas- und Strompreise und die Versorgung bei den Lebensmittelverarbeitern und Bauern, dem Kampf gegen die Bodenverschwendung und die „Umwelt“-Pläne der EU, die die Produktion weiter beschränken werden.

Vor diesem Hintergrund ist eigentlich erstaunlich, dass sich Politik und Standesvertretung erst jetzt,  drei Jahre nach Beginn der Corona-Pandemie und nicht ganz ein Jahr nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine, dieses Themas besinnen und ein Strategiekonzept erarbeiten wollen. Dass es ein solches Konzept längst gibt, hätte man eigentlich angenommen.

Gmeiner meint - Blick ins Land, Dezember 2022

Donnerstag, 1. Dezember 2022

Wenn Ideologie Politik verhindert

Vor zwei Wochen führte die UN-Weltklimakonferenz im ägyptischen Sharm el Sheik drastisch vor Augen, wie dramatisch die Klimasituation ist. Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite ist der Krieg in der Ukraine, der drastisch vor Augen führt, wie schnell die Versorgung der Welt mit Lebensmitteln aus dem Gleichgewicht kommen kann und wie schnell hunderte Millionen Menschen in die Gefahr kommen, hungern zu müssen. Und schließlich erleben wir auch Tag für Tag was es heißt, bei Energieformen wie Gas von Ländern wie Russland abhängig zu sein.

Die Welt tut sich schwer, den richtigen Weg zu finden zwischen diesen beiden Themen und den Herausforderungen, die sie mit sich bringen. Denn die sind enorm. Die Spannungen wachsen. Auf der einen Seiten stehen die zuweilen wild entschlossenen Klimaaktivisten, die unverdrossen den Klimaschutz einmahnen und nicht von Umweltzielen, auf die man sich vor den Krisenzeiten mühevoll geeinigt hat, abgehen wollen -trotz des Krieges in der Ukraine mit seinen weitreichenden Folgen, trotz der Inflationswelle, trotz der Hungergefahr in vielen Ländern. Sie kleben sich auf Fahrbahnen, als ob nichts anders wäre, sie schütten Kunstwerke an. Nicht so sehr aus Bosheit, sondern oft wohl wirklich, weil sie echt Angst haben um die Zukunft, weil es nicht fünf vor zwölf und auch nicht fünf nach zwölf ist, sondern weil der Zeiger, um im Bild zu bleiben, ihrer Ansicht nach längst in Richtung halb eins geht. "Die Welt hat keine Zeit mehr, Punkt" sagen sie.

Auf der anderen Seite stehen Unternehmen, Berufsgruppen und viele Menschen, die sich Sorgen um ihre Zukunft und ihr Leben machen, weil die Folgen des Krieges, die angespannte Versorgungslage und die Teuerung ihre Kalkulationen und alles durcheinanderwirbeln. Die Umweltprobleme erkennen meist auch sie, und sie sind grundsätzlich auch bereit, die Klimapolitik mitzutragen. Aber das sture Festhalten an vielen der Umweltvorgaben und Zukunftsstrategien passt für sie nicht zur aktuellen Situation. Sie sehen Zielkonflikte, die man ihrer Meinung nicht ignorieren darf.

Immer lauter wird der Ruf nach mehr Pragmatismus, nach Anpassung und Aussetzung von Plänen und Zielen, nach mehr Flexibilität und nach weniger Ideologie, weil man sich immer mehr Sorgen macht um die wirtschaftliche Entwicklung. Und auch, weil man sich zunehmend Sorgen um gesellschaftliche und politische Spannungen macht.

"Umwelt und Klimaschutz sind wichtig, aber genauso wichtig ist die Sicherung der Lebensmittelversorgung", sagte erst kürzlich Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig. Er und die Bauern stehen an dieser Front ganz vorne. Die Bauern gehören zu den Gruppen, die die größten Probleme damit haben. Gerade für sie passen viele der Pläne, insbesondere wie die EU sie im "Green Deal" hegt, mit der Halbierung des Pflanzenschutzes und dem Ziel, den ökologischen Zustand der 1950er-Jahre wiederherzustellen, nicht mit den Anforderungen zusammen, wie sie die Realität stellt. Sie befürchten, dass sie durch ideologische Blindheit und politische Sturheit unter die Räder kommen und die Folgen nicht bedacht werden. "Ein grünes Europa hilft nichts, wenn in Südamerika der Regenwald brennt." Und sie verstehen nicht, dass man ausgerechnet Nachhaltigkeit und Biodiversität von Holz in Frage stellt, während man Atomenergie und Gas ein grünes Mäntelchen umhängt.

Argumente und Argumentationen von Gruppen wie den Bauern klingen vernünftig. Und sie sind vor allem von einem Pragmatismus getragen, den die andere Seite oft vermissen lässt.

Dort sind die Hardliner am Ruder. Auch die muss es freilich geben. Gerade beim Klimaschutz. Zu groß wäre wohl die Gefahr, dass das Thema verschwindet. Gerade in einer Situation, wie wir sie derzeit erleben.

Dennoch darf nicht aus den Augen verloren werden, dass es gilt zu einem Ausgleich, zu einem fruchtbaren Kompromiss zu kommen, der alle in der Sache und die Sache selbst voranbringt. Das ist freilich oft mühsam.

Neu ist es nicht. In der Vergangenheit hat es das immer wieder gegeben. Verlangt sind Offenheit und Ernsthaftigkeit. Und Vernunft. Ideologie ist da fehl am Platz. Es geht um vernünftige Kompromisse. Und die scheinen, das muss gesagt werden, eher nicht von der Seite derer zu kommen, die nur den Klimaschutz im Auge haben, die auf Gefühle pochen und die den aktuellen Sorgen, Problemen und Gefahren keine Bedeutung zumessen. Jedenfalls nicht die, die ihnen zusteht.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 1. Dezember 2022

Donnerstag, 24. November 2022

Mit alter Tugend durch die Krise

 

Wir stecken in der Krise und die wird immer heftiger, herausfordernder und unerträglicher, heißt es Tag für Tag in den Medien. Auf den Straßen freilich ist davon nichts zu erkennen, nicht auf den Einkaufsmeilen und auch nichts in den Restaurants und Wirtshäusern, in denen oft ohne Reservierung gar nichts geht. "Wien brummt wieder" stand erst neulich in einem Überblick in der "Presse am Sonntag", Konzertsäle seien wieder ausverkauft, in den Einkaufszentren sei man mit dem Geschäft zufrieden und auch in der Gastronomie. "Die Leute kommen wieder, die Gästezahl stimmt." Und Wien ist in ganz Österreich.

Ist das jetzt wirklich die Krise, von der alle reden? Man mag nicht recht glauben, was man liest, weil der subjektive Eindruck oft ein anderer ist. Man hat den Eindruck, Sprit kann gar nicht teuer genug sein, auf den Urlaub möchte auch schon keiner verzichten und jetzt rüstet man für die Skisaison. Man jammert und klagt zwar über die hohen Preise, aber man bucht dennoch, greift zu und bestellt ohne viel Hemmungen. Gar nicht zu reden davon, dass die Wirtschaft im Großen und Ganzen immer noch gut läuft und der Arbeitsmarkt leergefegt ist wie kaum je zuvor.

Das alles passt oft nicht wirklich zu all den Krisen-Schlagzeilen. Die Lage ist eher undurchsichtig und der Verdacht liegt nahe, dass mit den Prognosen, Einschätzungen und Sorgen sehr viel Politik gemacht wird. Politik, die oft mit der Wirklichkeit ziemlich wenig zu tun hat. Pamela Rendi-Wagner wirft sich ins Zeug, der Gewerkschaftsboss auch und der Anführer der Freiheitlichen Partei will Punkte machen mit der Krise und den damit möglicherweise einhergehenden Gefahren.

Womit Schlagzeilen gemacht wird, sind oft Warnungen und Prognosen. Ob sie wirklich die Panik rechtfertigen, in die sich die Aufregung mitunter steigert, steht auf einem anderen Blatt. "Jeder Zweite muss schon beim Essen sparen" ist so ein Schlagzeile aus den vergangenen Wochen, die eine Dramatik erzeugt, die sich in der Realität zumeist anders darstellt. Auch dass der Lebensmittel-Wocheneinkauf heute um gut 15 Prozent teurer ist als vor einem Jahr, ist geeignet Schaudern zu verbreiten und Aufregung. Und selbst, dass aus Pfandhäusern gemeldet wird, dass dort vermehrt "teure Computer, Rennräder, Smartphones, Luxustaschen und Luxusuhren" versilbert werden.

Die Herausforderungen und Gefahren, vor denen wir stehen, sollen hier nicht kleingeredet werden. Aber es sei gefragt, ob die hitzigen Schlagzeilen und die Stimmung, die mitunter verbreitet wird, wirklich gerechtfertigt sind. "Noch ist es kein Erdbeben, aber der Seismograf schlägt schon aus", wird der Caritas-Generalsekretär in einer Zeitung zitiert. Das wird wohl der aktuellen Lage am ehesten gerecht. Denn zwischen all den zuweilen schrillen Umfrageergebnissen ist auch zu finden, dass der Großteil der Menschen in diesem Land ganz gut mit den Teuerungen und all den anderen Herausforderungen zurechtkommt. Man kann damit leben, genauer hinzuschauen und weniger einzukaufen. Da bricht nicht gleich die große Not aus. Man kann es sich leisten, zwei Euro für Diesel und Benzin zu zahlen. Und wenn man nicht jede Woche groß mit der Familie essen geht, bricht auch nicht gleich die Welt zusammen. Schließlich ist Sparen immer noch eine Tugend, die man hierzulande von klein auf lernt. Jetzt ist wohl die Zeit, sie anzuwenden.

Die meisten werden damit durchkommen. Viele freilich nicht. Und um die muss es in der öffentlichen Diskussion und in der Politik viel mehr gehen. Um jene, die wegen der Strom-und Gasrechnung und den hohen Preisen in den Supermärkten wirklich an ihre Grenzen kommen. Die müssen im Mittelpunkt der Sorge stehen. Die alleinerziehenden Mütter, die kleinen Pensionisten und all die anderen, die oft wirklich jeden Cent dreimal umdrehen müssen, um sich das Lebensnotwendige leisten zu können. Und nicht die, die in diesen Tagen jeden Euro dreimal umdrehen, um sich den Skiurlaub doch noch irgendwie leisten zu können oder das neueste Schuhmodell oder Smartphone um 1000 Euro.

Genau diese Unterscheidung scheint keine Rolle zu spielen. Nicht in der öffentlichen Diskussion und auch nicht in der Politik, die immer noch lieber mit der großen Förder-Gießkanne arbeitet, als ihren Ehrgeiz darein zu setzen, gezielt den wirklich Betroffenen zu helfen. Genau das aber wird die große Aufgabe und auch Herausforderung sein. Nur dann ist auch in schwierigen Zeiten genug für alle da.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 24. November 2022

Bei den Bauern sitzt das Geld locker

Auch nach Auslaufen der Coronahilfen brummt das Landtechnikgeschäft.

Hans Gmeiner

Wels. Traktoren und Landmaschinen glänzen im Scheinwerferlicht, dazwischen drängen sich die Besucher. Die Stimmung auf der Landtechnikmesse Agraria in Wels ist gut. Die Bauern freuen sich, dass sie sich nach den Coronajahren wieder auf einer Fachmesse über neue Trends informieren können. Und die Aussteller freuen sich, dass die Bauern mit geöffneten Brieftaschen durch die Hallen gehen.

Auch nach dem Rekordjahr 2021, als Landwirte nicht zuletzt dank der Coronahilfen die Ausgaben für Maschinen und bauliche Einrichtungen (PV-Anlagen) gegenüber dem Jahr davor um ein Drittel auf rund 3,2 Mrd. Euro steigerten, wird weiter investiert. Dass der Traktormarkt heuer um mehr als ein Fünftel eingebrochen ist, will man nicht überbewerten. „Wir sehen, dass das Investitionsklima in der Landwirtschaft gut ist“, sagt Reinhard Wolf, Generaldirektor der RWA, des Verbandes der Lagerhäuser. Auch Gunnar Hauser, Österreich-Chef des Traktorherstellers Steyr, ist zuversichtlich. „Wir verkaufen sehr gut, auch weil die Landwirte mit ihren Produkten ganz gut verdienen.“

Anders als bei Traktoren gibt es in der Landtechnik keine Rückgänge. „Wir hatten das Loch nicht“, sagt etwa Gregor Dietachmayr, Geschäftsführer bei Pöttinger, dem größten heimischen Landtechnikhersteller. „Der österreichische Markt läuft nach wie vor auf einem hohen Niveau, wir hatten im vorigen Jahr ein leichtes Wachstum, aktuell zeichnet sich sogar ein noch stärkerer Zuwachs ab.“

Sorgen machen unverändert Unterbrechungen in den Lieferketten und die damit verbundenen Probleme. „Die Zulieferindustrie ist nach wie vor überfordert“, sagt Dietachmayr. „Bei den Lieferzeiten sind wir daher noch lange nicht bei der Situation, wie wir sie vor Corona hatten.“ Bei Mähdreschern sowie bei manchen Traktormodellen redet man in der Branche von Lieferzeiten von bis zu zwei Jahren. Auch Steyr bleibt nicht verschont, „aber es wird merkbar besser“, sagt Hauser. „Unsere Lieferzeiten liegen derzeit bei rund vier Monaten, aber wir waren schon bei bis zu einem Jahr.“

Alle hoffen, dass die Stimmung hält. „Die Prognosen für Agrarpreise für die nächsten 12 bis 16 Monate sind gut“, sagt Dietachmayr, daher sollte die Nachfrage stabil bleiben. Man bleibt aber vorsichtig, „wir sind sensibilisiert, und wissen dass sich das Blatt schnell wenden kann“, sagt der Pöttinger-Chef.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft , 24. November 2022

Donnerstag, 17. November 2022

Die österreichische Seele

"Machen wir Buben-Urlaub" und "Jetzt musst du mir beim ORF helfen" schrieb der eine. Der andere riet dem damaligen Vizekanzler Strache ganz amikal, eine Intervention für einen ORF-Posten über seinen Parteifreund Steger zu spielen, weil "du brauchst ja eventuell noch Eskalationsstufen, bevor was auf Chefebene ist". Mit allzu freizügigen Chats haben sich in der vergangenen Woche gleich zwei Chefredakteure aus ihren Jobs gesprengt.

"Wie kann man nur so dumm sein, über so etwas zu chatten, wo doch jeder weiß, dass jedes Schriftl ein Giftl ist" ist nicht selten zu hören. "Da mach' ich doch so etwas nicht." Als ob sie das Problem wären. Dabei sind sie allenfalls Zeugnis einer besonderen Dreistigkeit. Das eigentliche Problem ist ein ganz anderes, es ist das Denken, das dahintersteckt. Dass man glaubt sich alles richten zu können und zu müssen. Dass nichts ohne Intervention gehen kann und nichts ohne gute Kontakte. Dass es überall diese Erwartungshaltung gibt, dass jemand etwas für einen in die Wege leitet. Sei es für einen Job als Generaldirektor in der größten Rundfunkanstalt des Landes oder für den Ferialjob in irgendeiner Besenkammer irgendeines Stadt-oder Gemeindeamtes.

Das Problem ist auch, dass man es sich in diesem Land offenbar ziemlich ungestört und immer akzeptiert richten kann, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. Ganz im Gegenteil, dass es als geschickt gilt, es so anzulegen, als gescheit und vernünftig. Und dass man allerorten Anerkennung erntet dafür.

Das Problem ist vor allem auch, dass es wirklich funktioniert. Weil alle mitspielen und wohl auch weil alle selbst erwarten, dass es ihnen einmal nützen könnte.

Und das ganz große Problem aber ist wohl, dass sich da offenbar jederzeit ein Staat im Staat etablieren kann, ein Klüngel, der es sich richtet in und auf Kosten öffentlicher Institutionen. Leute, denen Gesetze wenig gelten und demokratische Einrichtungen und entsprechende Wege.

Wer in diesem Land gute Freunde und Beziehungen hat, hat auch Anerkennung. Längst hat man alles institutionalisiert. "Netzwerken" heißt das neudeutsch. Und wer sich gut darauf versteht, wird bewundert. Und man denkt sich nicht einmal mehr etwas dabei und lädt zuweilen ganz offiziell zu sogenannten "Netzwerktreffen".

Früher hat man es Freunderlwirtschaft genannt und die ist wohl so alt wie Österreich. Eine Hand wusch schon immer die andere in diesem Land. Besonders eindrücklich zeigt das in diesen Wochen auch der Präsident des Fußballbundes, der in die Schlagzeilen geriet, weil er nichts dabei fand, für seinen Verlag bei ÖFB-Partnern Inserate zu akquirieren.

Immer spielten alle mit bei solchen Spielchen. Nun, man kann durchaus sagen, das Land ist nicht wirklich schlecht gefahren damit, nicht zuletzt deshalb, weil die überwiegende Mehrheit von diesem Verhalten profitierte. Überall, ganz oben wie ganz unten, erwartet man Hilfe und Unterstützung, als ob alles ein Geschäft wäre. Gibst du mir, geb' ich dir. Krieg' ich das, wähl ich dich. Setzt du dich da für mich ein, tu ich es dort.

Wir haben uns daran gewöhnt, dass das Land so funktioniert. Viele leben gut damit und davon. Aber wir haben dabei vergessen, dass viele deswegen draufzahlen. Dass das zu Lasten anderer geht, nicht nur von Menschen, sondern auch von Institutionen und der Allgemeinheit, die für private Interessen benutzt und ausgenutzt werden, als gehörten sie einem.

In anderen Ländern ist es angeblich anders. Um wie viel weiß man nicht. Anhalten kann man sich nur an internationalen Vergleichen, wie dem alljährlich von Transparency International veröffentlichten Korruptionsranking. Und das zeigt, dass Österreich seit Jahren permanent nach hinten rutscht.

Wie das Land aus diesem, wie es schon vor Jahrzehnten der damalige Bundespräsident Kirchschläger nannte, "Sumpf" kommt, muss sich erst weisen. Noch mehr Gesetze und Vorschriften, noch mehr Kommissionen und noch mehr Objektivierungs-Raster scheinen nicht unbedingt der allein zielführende Weg zu sein.

Was es bräuchte, wäre wahrscheinlich ein anderer Zugang zur österreichischen Seele. Denn die ist wohl ein Sonderfall, wie die jüngsten Umfragen zeigen, die ausgerechnet die FPÖ wieder an der Spitze sehen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 17. November 2022

Donnerstag, 10. November 2022

Sind wir die richtige Adresse beim Klimaschutz?

Seit Montag dieser Woche tagen, diesmal im ägyptischen Sharm el Sheik, wieder Heerscharen von Experten aus Wissenschaft und Politik bei der Welt-Klimakonferenz der UNO, der 27. mittlerweile. Von "tragischer Verspätung" im Klimaschutz ist die Rede und davon, dass die Welt weit entfernt davon ist, die immer bedrohlichere Erderwärmung zu stoppen. Und das, obwohl es seit Jahren heißt "Jeder muss tun, was er tun kann". Aber ist das wirklich so? Sind wir als Einzelne die richtige Adresse? Und überhaupt - ist es schon genug zu tun, was man kann? Man kann ins Grübeln kommen. Und man sollte es auch. Denn die Realität ist nicht so simpel, wie sie oft dargestellt wird und die Lösungskonzepte mit dem Problem zurechtzukommen sind es schon gar nicht. Natürlich soll jeder und jede seinen Beitrag leisten. "Ja eh" ist man aber geneigt zu sagen, "aber was ist mit den anderen, die das nicht tun?" und was mit der Politik, die die wirklich entscheidenden Weichenstellungen nicht zusammenbringt? Schon gar nicht auf internationaler Ebene.

Auf den Autobahnen verstopfen Lkws wie eh und je den Verkehr, um oft nicht viel mehr als Luft, billigen Tand und Sachen, die schnell weggeworfen werden, quer durchs Land und über den Kontinent zu transportieren, weil dem kein Einhalt geboten wird. Die Fluglinien bieten wie eh und je Flüge zu Schnäppchenpreisen an, weil niemand "Schluss damit" sagt. Schnell nach Paris, Spanien oder Griechenland zu fliegen, gehört wieder zum guten Ton. Und eine Spritzfahrt mit dem Auto auf einen schnellen Urlaub oder einen Wochenend-Trip sowieso. Lebensmittel werden, wie eh und je, rund um den Globus gekarrt und wenn die Super-Frachter mit Ware aus China nicht nach Europa kommen, wird der Wirtschaft schnell bange. Und da ist noch gar nicht die Rede von den USA, China oder Indien, davon, dass in solchen Ländern der Umweltschutz eine untergeordnete Rolle spielt und in Brasilien der Wald am Amazonas abgeholzt wird. Oder vom Krieg, der nur 1.000 Kilometer von uns entfernt tobt, mit allen seinen fürchterlichen Folgen, wohl auch fürs Klima.

Kann vor diesem Hintergrund der Einzelne wirklich so viel dafür, dass unser Klima am Kippen ist? Und kann er, respektive sie, so viel tun, dass alles wieder gut wird? Man kann verstehen, dass viele ratlos zurückbleiben und sich schwer tun damit mitzumachen. Dass sie die Kids von "Friday for Future" nicht mögen und schon gar nicht die Aktivisten, die sich auf die Straßen kleben oder Kunstwerke anschütten.

Dass vor diesem Hintergrund die Bereitschaft, um des Klimas Willen auf etwas zu verzichten, nicht überbordend ist, ist nachvollziehbar. Und auch, wenn jemand daran zweifelt, ob es überhaupt so viele Einzelne gibt, überhaupt im kleinen Österreich, die etwas bewirken könnten, wo es doch auf der weiten Welt ganz anders ausschaut.

Fraglos soll und muss auch vor diesem Hintergrund jeder Einzelne dazu angehalten sein, seinen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Das darf aber nicht davon ablenken, dass ganz andere Maßnahmen und Weichenstellungen nötig sind, als in Wien, Linz oder Graz mit dem Rad zu fahren, im Garten einen dritten Baum zu setzen oder ungebleichtes Papier in den Drucker zu legen. Da braucht es größere Weichenstellungen, um irgendetwas zu bewirken. Politische, technologische, internationale. Da sollte sich niemand etwas vormachen. Und darum sollte man auch niemanden überfordern. Nicht gesellschaftlich, nicht persönlich und nicht politisch.

Die großen und die wirksamen Lösungen müssen von woanders kommen. Und das kann nur die Politik sein. Durch internationalen Konsens, durch internationalen Willen und dadurch, dass sie gemeinsam Weichen stellt und klimafreundlichen Technologien und Konzepten zum Durchbruch verhilft. Es muss ja nicht gerade ein Krieg sein wie Putins Überfall auf die Ukraine, der der Energiewende im Westen offenbar einen Turboschub verpasst.

Möglich ist es, die Klimakrise zu stoppen. Auch wenn das, was bisher geschah, noch zu wenig ist. Aber unter all den schrill-negativen Tönen dieser Tage sind auch zuversichtliche zu finden. Die Internationale Energieagentur spricht bereits von einer historischen Wende. Erstmals sei der "fossil peak" nahe, ein endgültiges Abflachen des Verbrauchs von Kohle, Öl und Gas.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 10. November 2022

Donnerstag, 3. November 2022

Vier Pfoten, das FiBL und die Boku – mehr brauchen die Bauern nicht

 

Es war wieder eine dieser Studien, die Schlagzeilen machen, und die vor allem in der Landwirtschaft verunsichern und ärgern. Diesmal waren es die Tierschutzorganisation Vier Pfoten, die mit den Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) und das Zentrum für Globalen Wandel und Nachhaltigkeit der Universität für Bodenkultur, die gemeinsame Sache machten. „Pflanzliche Ernährung könnte den Weg zu den Klimazielen ebnen“ lautete der Titel der APA-Meldung noch vergleichsweise harmlos. Da wärmt man sich auf mit Sätzen wie „Je weniger Fleisch, desto besser für Tier, Umwelt und letztendlich auch den Menschen“, um dann zum Kern zu kommen. Zitat der Vier-Pfoten-Kampagneleiterin aus der Aussendung: Das Studienergebnis zeige, "dass bei einem geringeren Fleischkonsum nicht nur entsprechend mehr Platz und damit mehr Lebensqualität für die verbleibenden Tiere vorhanden wäre, sie könnten auch alle auf der Weide leben“. Man spreche von rund 140.000 Hektar, die im Fall einer Fleischreduktion um zwei Drittel frei würden und von rund 637.000 Hektar bei einer vegetarischen Ernährung. „Bei veganer Ernährung, bei der keine Nutztiere zur Produktion von Lebensmitteln nötig wären, beträgt die zusätzliche zur Verfügung stehende Fläche sogar fast 1.780.000 Hektar". Etwa für Renaturierung, für das Anlegen von Mooren zur CO2-Speicherung oder Bio.

Wie bei vielen dieser Machwerke geht es nicht um die Weiterentwicklung der Landwirtschaft und darum, wie sie ihre Aufgaben, zumal als unter den aktuellen Herausforderungen wie Versorgungs- und Klimakrise, erfüllen kann, und schon gar nicht um die Bauern, sondern einfach darum, der Landwirtschaft den Stecker zu ziehen.

Warum, fragt man sich, macht da die Universität für Bodenkultur mit? Und warum das FiBL? Warum lassen sich die beiden Einrichtungen mit solchen Auftragsstudien vor den Karren einer NGO spannen, der es ganz offensichtlich kaum ernsthaft um eine Sache, sondern um maximale Verunsicherung geht. Ist das niemandem von den Verantwortlichen dort peinlich?

Man mag ja über diese Zahlen diskutieren, aber mit der Realität und ihren Anforderungen auch mit der Sache, für die sie vorgeben sich einzusetzen, haben sie nichts zu tun. Und nichts zu tun haben Studien wie diese vor allem auch mit den Menschen, ihren Bedürfnissen, ihren Vorstellungen und ihren Nöten. Nicht mit denen der Menschen außerhalb der Landwirtschaft, die essen wollen was ihnen schmeckt, und das halbwegs günstig, und die nicht bevormundet werden wollen. Und schon gar nichts zu tun hat es mit Menschen, die in der Landwirtschaft arbeiten und davon leben müssen und wollen.

Warum gehen Studien wie diese völlig an den Menschen vorbei? Warum werden nie die wirtschaftlichen Folgen beleuchtet und die Folgen für den Arbeitsmarkt, für die Landschaftserhaltung und Naturpflege oder für die Preise für Lebensmittel? 

Warum lässt man sich immer an den Bauern aus? Es ist nicht nachzuvollziehen. Dabei gäbe es, wenn es schon ums Klima gehen soll, ganze Bereiche, um die man sich sehr viel dringlicher kümmern sollte.

Gmeiner meint - Blick ins Land, 3. November 2022


Mittwoch, 2. November 2022

Umweltpläne der EU machen Bauern nervös

50 Prozent weniger Pflanzenschutzmittel sollen Bauern ab 2030 einsetzen dürfen. Für sie eine „mission impossible“, sie schlagen anderes vor.

Hans Gmeiner

Wien. Die Pläne der EU-Kommission zur nachhaltigen Nutzung von Pflanzenschutzmitteln machen die Bauern zunehmend nervös. Um 50 Prozent soll bis 2030 die Menge an eingesetzten Pflanzenschutzmitteln reduziert werden. Das sieht die Farm-to-Fork-Strategie vor, mit der Europas Landwirtschaft umweltfreundlicher gemacht werden soll. In besonders sensiblen Regionen wie etwa in den Natura-2000-Gebieten im Salzburger Flachgau, im Marchfeld oder in der Wachau sollen überhaupt keine Pflanzenschutzmittel mehr verwendet werden dürfen.

„Wir glauben, dass die Ziele, wie sie jetzt formuliert sind, so nicht realisierbar sind“, sagen Christian Stockmar, Sprecher der Industriegruppe Pflanzenschutz, und Ernst Karpfinger, Obmann der heimischen Rübenbauern und Vorsitzender des Fachbereichs für Getreide in der AMA. „Das ist eine ,mission impossible‘“. Sie sehen insbesondere die Versorgungssicherheit gefährdet und warnen davor, dass der Landwirtschaft, die angesichts des Klimawandels, zunehmender Trockenheit und Ernteverlusten vor großen Herausforderungen stehe, wichtige Werkzeuge zur Produktion von Lebensmitteln genommen werden. Erträge könnten damit nicht mehr gut abgesichert werden und man warnt davor, dass es Europa mit der Versorgung mit Nahrungsmitteln gehen könnte wie derzeit mit der Gasversorgung. „Wenn dadurch in Europa die Produktion sinkt, wie es viele Analysen vorhersagen, müssen wir die Ware von anderswo herholen“, sagt Karpfinger. Damit würden Probleme nur verlagert und Abhängigkeiten erzeugt. „Damit ist dem Klima nicht geholfen, ist den Insekten nicht geholfen, damit ist niemandem geholfen.“

„Die Sorgen der Gesellschaft sind legitim, aber man darf nicht reflexartig alles auf das Thema Pflanzenschutz abladen“, sagt Manfred Weinhappel, Pflanzenbauexperte der Landwirtschaftskammer Niederösterreich. „Es gibt ja da auch noch Themen wie die Klimaerwärmung oder die Bodenversiegelung, die wichtige Rollen spielen, zudem haben auch nicht chemische Pflanzenschutzverfahren wie etwa Abflämmen Auswirkungen auf die Ökosysteme.“

Weinhappel stößt sich insbesondere an den starren Vorgaben. „Wir wollen Schaderreger und Pflanzenkrankheiten, die in der Natur auftreten, einer mathematischen Gesetzmäßigkeit unterwerfen, das funktioniert nicht.“ Da werde überhaupt nicht mehr berücksichtigt, was in der Natur stattfinde. „Wir haben heiße Jahre, wir haben feuchte Jahre, wir haben trockene Jahre, das kann man nicht einfach der Mathematik unterwerfen.“

Zu kämpfen haben die Bauern auch mit einer statistischen Besonderheit. In Österreich – als einem von ganz wenigen Ländern in der EU – werden „inerte Gase“ wie Kohlendioxid, das vorwiegend bei der Lagerung von Obst und Biogetreide eingesetzt wird, seit 2016 als Pflanzenschutzmittel geführt. Seither muss sich die Landwirtschaft vorhalten lassen, dass hier der Verbrauch von Pflanzenschutzmitteln so stark zunimmt wie kaum sonst wo. Tatsächlich ist aber das Gegenteil der Fall. Laut einer Aufstellung der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages) ist der Einsatz chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel, die im Fokus der Kritik stehen, von 2016 bis 2021 um 22,1 Prozent zurückgegangen.

„Wir haben sehr viel gelernt“, sagen die Bauernvertreter. „Es ist ja nicht so, dass nichts passieren würde.“ Sie verweisen auf ein aufwendiges Warndienstsystem, das für Bauern jederzeit abrufbar ist und aktuelle Informationen bietet, auf das Schadschwellenprinzip und auf neue Technologien wie GPS, die helfen, die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln zu optimieren und damit zu reduzieren.

Statt eines willkürlichen Einsparungsziels wünschen sich Bauern und Industrie mehr Verständnis, Kontinuität in der Weiterentwicklung und einen praxisgerechteren Weg. „Wir brauchen keine Politik der Verbote, sondern eine Politik, die Perspektiven schafft“, sagt Industriesprecher Stockmar. Mit diesem Wunsch stoßen er und die Bauern einstweilen auf taube Ohren. „Auf der einen Seite will man eine Technologie verbieten, auf der anderen Seite gibt es Anträge für neue, modernere und bessere Produkte, aber die werden nicht einmal bearbeitet.“ Es gäbe Lösungen, sagt er. „Die Pflanzenschutzmittelindustrie hat sich verpflichtet, bis 2030 insgesamt 14 Mrd. Euro in Forschung und Innovation mit Schwerpunkt biologische Pflanzenschutzmittel und Digitalisierung zu investieren.“

Die minus 22 Prozent beim Einsatz chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel in den jüngsten zehn Jahren waren für die Experten nicht das letzte Wort. „Wir denken schon, dass sich der Weg fortsetzen lässt und eine Einsparung in dieser Größenordnung auch in den kommenden Jahren möglich ist.“

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 2. November 2022

Bauern fürchten wegen Umweltschutz um Versorgung

 

Wien. Österreichs Bauern sehen die Versorgung mit heimischen Lebensmitteln in Gefahr, wenn Pläne der EU-Kommission zur nachhaltigen Nutzung von Pflanzenschutzmitteln umgesetzt werden wie vorgesehen. Die aktuellen Ziele seien in der aktuellen Formulierung „nicht umsetzbar“, es sei eine „mission impossible“, also ein nicht erfüllbarer Auftrag, sind sich Christian Stockmar, Sprecher der Industriegruppe Pflanzenschutz, und Ernst Karpfinger, Obmann der heimischen Rübenbauern und Vorsitzender des Fachbereichs für Getreide in der AMA, einig. In ihren Augen ist mit den geplanten neuen Zielen die heimische Versorgungssicherheit in Gefahr.


Die auf zehn Jahre angelegte sogenannte Farm-to-Fork-Strategie (F2F) der EU zielt darauf ab, das europäische Lebensmittelsystem nachhaltiger zu gestalten. Darin vorgesehen ist etwa, bis 2030 den Einsatz chemischer Pestizide um 50 Prozent zu verringern, auch die Verwendung gefährlicherer Pestizide soll um 50 Prozent gesenkt werden.

Die heimischen Bauern warnen nun davor, dass der Landwirtschaft – die angesichts des Klimawandels, zunehmender Trockenheit und Ernteverlusten ohnehin schon vor großen Herausforderungen steht – wichtige Werkzeuge zur Produktion von Lebensmitteln genommen werden. Erträge könnten damit nicht mehr gut abgesichert werden.

Europa könnte es bei der Versorgung mit Nahrungsmitteln so gehen wie gerade mit der Gasversorgung. „Wenn dadurch in Europa die Produktion sinkt, wie es viele Analysen vorhersagen, müssen wir die Ware von anderswo herholen“, sagt Karpfinger. Damit würde aber das Problem nicht gelöst, sondern nur verlagert. Dafür würden neue Abhängigkeiten erzeugt. Damit sei weder dem Klima noch den Insekten geholfen, warnen die Bauern

Salzburger Nachrichten - Seite 1, 2. November 2022

Donnerstag, 27. Oktober 2022

Die Normalität der Politik

Seit Tagen haben die Leitartikler und Kommentatoren Hochbetrieb, um die Folgen der Aussagen von Thomas Schmid bei der WKStA einzuordnen. Von der "lädierten Republik" wird geschrieben, von einer "Banausenrepublik" und davon, dass sich "hinter jedem Abgrund ein neuer Abgrund" auftut. "Das darf doch alles nicht wahr sein", stöhnte der Bundespräsident und mit ihm das ganze Land. Österreich hadert wieder einmal mit seinen Politikern, mit der Politik, mit dem, was dort passiert und mit dem, was sie anrichtet. Viele sehen sich bestätigt in ihrer Meinung, viele sind dabei, angesichts der jüngsten Ereignisse endgültig ihr Vertrauen zu verlieren, viele wenden sich ab und wollen am liebsten nichts mehr sehen und hören davon.

Politik, auch wenn das viele anders sehen und es sich für viele anders anfühlt, ist freilich nicht nur bei uns in der Krise und "zum Vergessen", wie man gerne sagt, wenn man dabei ist, sich in Rage zu reden. Und die Verwerfungen und der Wirbel können, auch wenn man das in Österreich kaum glauben mag, noch ganz andere Dimensionen haben. Man denke nur daran, was in diesen Tagen in Großbritannien abgeht, man denke an Deutschland, an Italien, an Frankreich oder an die USA, die immer noch mit dem Nachwehen der Trump-Ära zu kämpfen haben.

"Regierungsimplosion im Vereinigten Königreich -wie sich die Briten zum Gespött Europas machten", hieß es in diesen Tagen in den internationalen Gazetten. Als "Bananeninsel" wird seither über das einst stolze Großbritannien wenig zimperlich gespottet. Zimperlich freilich geht man auf der Insel mit seinen Politikern auch nicht um. Schon vor Wochen stellte ein Boulevardblatt einen Salatkopf auf und fragte, ob eher dieser Salatkopf verwelke oder doch eher die neue Premierministerin das Handtuch werfe. Nun, mittlerweile weiß man -der Salatkopf hielt länger.

In Italien, seit jeher für die Skandale in der Politik berüchtigt, ringt man in diesen Tagen darum, mit der neuen Ministerpräsidentin zurechtzukommen, die als Mussolini-Verehrerin und als Postfaschistin gilt. In Deutschland arbeitet man sich an Scholz, Habeck und Lindner ab und fürchtet unter der von vielen als zaudernd empfundenen Führung des sozialdemokratischen Kanzlers eine "Verzwergung" des führenden westeuropäischen Industrielandes. Und in den USA wurde gerade einer der mächtigsten Berater des ehemaligen Präsidenten ins Gefängnis gesteckt. Klare Verhältnisse, eine Politik der ruhigen Hand gar, zielorientiert und erfolgreich und wenn schon nicht skandalfrei, so doch skandalarm, gibt es heute kaum wo.

Zu fragen ist freilich, ob das jemals anders war. Wohl kaum. Im medialen Dauerfeuer empfinden wir es heute anders. Aber Krisen, Skandale, Verwerfungen, Implosionen hat es immer in irgendeinem Land zu irgendeiner Zeit gegeben. Nicht zuletzt deswegen ist auch schwer zu beantworten, ob die Politik heute schlechter und dreister ist, als sie es vor Jahren oder Jahrzehnten war. Es sei nur daran erinnert, wie sich früher bei uns in Österreich über Jahrzehnte Rot und Schwarz das Land und alles, was man haben konnte, teilten -von lukrativen Posten bis zu Wirtschaftszweigen. Und das sogar unter dem Mantel der Legalität, den man sich selbst geschneidert hat.

Und zu hinterfragen ist wohl auch, ob die aktuelle Politikergeneration wirklich schwächer und schlechter ist als ihre Vorgängergenerationen. Schwaches, wenig glanzvolles und eitles Polit-Personal hat es immer gegeben. Und viele der Politiker, die wir heute verehren und die als groß gelten, waren in ihren aktiven Zeiten oft alles andere als unumstritten. Dass Politik und Politiker heute als schlechter, unfähiger und inkompetenter empfunden werden als früher, hat wohl auch mit der permanenten Informationsflut, den Sozialen Medien, der Sensationsgier und einem modern gewordenen Populismus und seinem immanenten Interesse an Skandalisierung zu tun.

Entschuldigung darf das freilich keine sein. Wir sollten und dürfen uns nicht daran gewöhnen, dass Politik schlecht ist und Skandale normal sind. Woran wir alle, die gesamte Gesellschaft, aber arbeiten sollten, ist entspannter und sachlicher damit umzugehen -allein, um die Gräben nicht noch tiefer und die Fronten nicht noch härter werden zu lassen, wie das in Österreichs Parteienlandschaft, aber auch in der Gesellschaft mittlerweile der Fall ist.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 27. Oktober 2022

Donnerstag, 20. Oktober 2022

Vorwärts zurück?

Der gemeine österreichische Medienkonsument ist verdutzt in diesen Tagen und dazu geneigt, sich verwundert die Augen zu reiben. Da wird in den Zeitungen und im Fernsehen der ehemalige Kanzler Kurz rauf und runter interviewt. Und da scheut sein Vorgänger Kern seit Monaten keine Fotografen, schon gar nicht, wenn es um Fotos mit dem neuen Shooting-Star der Szene, Marco Pogo alias Dominik Wlazny, geht. Was wollen die Herren? Ist da was? Haben wir wieder 2015/16? Dreht sich das Land und die Politik zurück?

Was bei den beiden genannten Herren weniger zu befürchten ist, ist es angesichts der Bilder von den flugs aufgebauten Zelten für die Geflüchteten umso mehr. "Monumente des Versagens" nannten sie Kritiker und "Totalversagen", und betroffene Bürgermeister stellten umgehend Autobahnblockaden in Aussicht, während sich die Freiheitlichen freuen, wie man ihnen wieder in die Hände spielt und Wähler zutreibt. Alles wie damals 2015/2016. Als ob nicht sechs, sieben Jahre seither vergangen wären und als ob man nichts gelernt und zusammengebracht hätte. Die Fortschritte dürften in der Tat sehr überschaubar gewesen sein, nicht viel mehr als hohle Phrasen um das Publikum ruhig zu halten, ohne aber in der Sache sowohl national und schon gar nicht auf europäischer Ebene wirklich vorangekommen zu sein.

Die neue Krise rund um die Geflüchteten und die Aufregung sind typisch österreichisch. Aufschieben, wird schon werden und ist eh nicht so schlimm -aussitzen eben, wie man es kennt. Alles nur kein Fortschritt. Irgendwann freilich wird man von der Wirklichkeit eingeholt. Immer.

Die Geschichte der österreichischen Politik ist voll davon. Erst jüngst schlug, im Zusammenhang mit dem Budget, wieder die Finanzierung des Pensionssystems auf. "Wir versenken fast die gesamten Lohnsteuereinnahmen im Pensionsloch", ätzte Agenda Austria-Chef Franz Schellhorn wieder einmal spitzzüngig und scharf. 17 Milliarden Euro nehme die Regierung an neuen Schulden auf, das liege auch an den steigenden Pensionsausgaben.

In einer Krise, wie wir sie jetzt zu meistern haben, und wie sie wohl noch lange andauern wird, ist das pures Gift. Die Staatsschulden sind hoch wie noch nie zuvor. Sie wieder zumindest einigermaßen in den Griff zu kriegen, wird Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern. Im wahrsten Sinn ein "Budget für Generationen", wie es "Die Presse" nannte. Eine Last für Generationen war wohl gemeint damit.

Aber wir sind dabei, uns daran zu gewöhnen. "Lieber ein paar Feuerlöscher zu viel als einen Flächenbrand", sagt der Finanzminister zu seinem Erstlingswerk und formuliert, was seit dem denkwürdigen "Koste es, was es wolle" von seinerzeit zur Maxime geworden zu sein scheint. Geld spielt keine Rolle.

Auf das Anpassen, auf das Reagieren, auf das Nachjustieren und Stellen von Weichen scheint man auch in diesem Fall wieder vergessen zu haben. All das kann auf der langen Bank, auf die es geschoben wird, warten. Nicht einmal auf mehr Treffsicherheit von Maßnahmen und Förderungen mag man pochen. Und schon gar nicht auf Einsparungen. Es herrscht ja Krise, und selbst da will man keinen möglichen Applaus auslassen.

Auch wenn das Budget für den Wegfall der kalten Progression und für die Valorisierung der Sozialleistungen zu loben ist, darf man den Handlungsbedarf, der dadurch eher sogar noch verschärft wurde, nicht übersehen. Aber auch dieser Handlungsbedarf ist nicht neu, sondern wurde schon damals, als die eingangs angeführten Herren das Ruder in der heimischen Politik in der Hand hielten, in jedem besseren Kommentar eingemahnt.

Der Fortschritt ist also auch hier überschaubar. Das mag auch mit dem Lauf der Dinge zu tun haben, den die Politik nach dem Abtreten der ehemaligen Kanzler Kurz und Kern genommen hat, respektive der durch ihr Handeln verursacht wurde.

Ihr Rückzug, der des einen wie der des anderen, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, war kein geordneter. Und man kann streiten darüber, ob ihre Regierungszeit damals eine gute war. Man kann aber kaum streiten darüber, dass die politische Führung des Landes seither eher eine von Notlösungen geprägte war. Freilich eine ohne Alternative. Denn die Opposition, oder auch nur Teile von ihr, sind das ganz sicher nicht. Sie ergeht sich ungeachtet der Anforderungen in populistischer Kleinkariertheit und lässt jede Perspektive und Linie, zumal große und überzeugende, vermissen, die eine Alternative zu den bestehenden Verhältnissen sein könnte.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 20. Oktober 2022

Donnerstag, 13. Oktober 2022

Lernen vom Nobelpreisträger

"Wir sind Nobelpreis" hat keine Zeitung geschrieben. Auch sonst blieb es rund um den Physik-Nobelpreis für Anton Zeilinger verhältnismäßig unaufgeregt im Land. Die Versuche, den strahlenden Glanz des Nobelpreises für den österreichischen Paradewissenschafter für sich zu nutzen, blieben beschränkt und im Rahmen. Was Zeilinger wirklich macht und wofür er den Nobelpreis erhielt, verstehen in diesem Land wohl die wenigsten. Am ehesten kann man sein Tun noch begreifen, wenn man hört, dass man ihn "Mr. Beam" nennt.

Zeilinger ist erfrischend unkonventionell und fällt damit im österreichischen Umfeld auf. Nicht abgehoben, offen und nicht zurückgezogen im elfenbeinernen Turm der Wissenschaften, sondern unter den Leuten, auf Bällen gar und im Wissenschaftsbetrieb neben seiner Forschertätigkeit in verantwortungsvollen Positionen wie etwa als Präsident der Akademie der Wissenschaften. Dazu passt, dass er sich in der ersten Stellungnahme nicht nur, wie das wohl jeder täte, bei seiner Familie bedankte, die ihn immer unterstützt habe, sondern auch, und das täte wohl kaum jemand anderer, bei den österreichischen Steuerzahlern -denn, "na es ist einfach so", ohne diese wäre sein Erfolg nicht möglich gewesen.

Von Zeilinger kann man lernen. Und man sollte es auch. Er sagte viel, was schon lange nicht mehr gesagt wurde in der Öffentlichkeit, zumal von einem Mann seines Zuschnitts. Er hob hervor, dass sein Studium kaum verschult war, dass er die Fächer frei wählen durfte und als Jungforscher großzügige Förderungen bekam, um seine Ideen zu erproben. Das kann nicht genug hervorgehoben werden in einer Zeit der Zugangsbeschränkungen zu den Unis, der Verschulungen des Lehrbetriebs an den Universitäten, der viel zu oft zugeschnitten ist auf Karrierechancen der Studierenden und die Bedürfnisse von Geldgebern. "Wichtig ist, dass Forschung nicht allein aus dem Nutzen definiert werden kann", sagte Zeilinger in einem der zahllosen Interviews der vergangenen Tage. Ihm sei von früh an möglich gewesen, Dinge zu machen, die ihn interessierten.

In der Aufgeregtheit der heutigen Zeit nimmt sich das wie aus ebendieser gefallen. Solche Töne waren schon lange nicht mehr zu hören in der Öffentlichkeit. Nicht in dieser Klarheit und nicht von jemand dieses Kalibers. Darein fügt sich nahtlos sein Rat, den er, gefragt ebenfalls in einem Interview, den jungen Wissenschafterinnen und Wissenschaftern mitgeben möchte. "Wenn du an etwas dran bist, das du spannend findest, dann mach das und pfeif drauf, was andere sagen, das ist das Allerwichtigste", sagte er darauf. Eine Anleitung fürs Leben in einer immer schnelleren Zeit, die man gar hoch genug wertschätzen kann.

Zeilingers Nobelpreis kommt für Österreichs Wissenschaft in einer schwierigen Zeit. Und doch ist es vielleicht gerade deswegen die rechte Zeit. Nicht nur, dass es an allen Ecken und Enden an Geld zu mangeln scheint, dass die steigenden Kosten Milliardenlöcher in die Budgets der heimischen Forschungsstätten reißen. Man hat auch damit zu kämpfen, dass das Vertrauen in die Wissenschaft und auch die Glaubwürdigkeit in den vergangenen Jahren regelrecht abmontiert wurden. Das Verständnis für wissenschaftliches Tun, gar für Grundlagenforschung ohne genaue Ziele und Vorgaben, ist in diesem Land endlich geworden. Da fuhr die Politik drüber und der Covid-Pöbel. In kaum einem anderen Land ist die Wissenschaftsskepsis so groß. Die Wissenschaft ist damit überfordert und ging in der Diskussion, so sie sich denn überhaupt darauf einließ, unter. Da scheint allzu vielen der elfenbeinerne Turm als die sicherere Position, in der man trachtet, das Ungemach über sich ergehen zu lassen.

Österreich spielt trotz Zeilinger und einiger anderer herausragender Namen auf der internationalen Wissenschafts-Bühne nicht in der Top-Liga. Man darf sich allenfalls freuen drüber, dass wir Europameister bei den Patentanmeldungen sind. Ernster zu nehmen ist wohl, dass im letzten weltweiten Uni-Ranking nur zwei heimische Universitäten unter den Top 200 zu finden sind. "Vergleichbare Länder wie die Schweiz oder die Niederlande können da ganz andere Zahlen vorweisen", merken Zeitungskommentatoren spitz an.

Heinz Faßmann, als Präsident der Akademie der Wissenschaften Nachfolger Zeilingers, sagte, er hoffe, dass sich all die Gratulanten von heute auch morgen an ihr Bekenntnis zur Grundlagenforschung erinnern. Bleibt wohl nichts, als mit ihm zu hoffen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 13. Oktober 2022

Donnerstag, 6. Oktober 2022

Großmäuler als Bettvorleger

In Gang gekommen ist der Wahlkampf um das Amt des Bundespräsidenten in den vergangenen Wochen nie wirklich. Keine Wunder, dass neuerdings immer öfter von einem müden Wahlkampf geschrieben wird, der da nun in die Zielgerade biegt. Vorübergehend sah es zwar so aus, als könnte es dem regierenden Bundespräsidenten passieren, dass er doch in eine Stichwahl muss, zwischenzeitlich scheint aber selbst diese Gefahr und damit das einzige Spannungsmoment, das es geben hätte können, gebannt und höchst unwahrscheinlich. Alle Umfragen haben Alexander Van der Bellen klar vorne. Freilich kann man darüber diskutieren, ob die knapp 60 Prozent, die ihm prognostiziert werden, befriedigend sein können, und es besteht wohl kein Zweifel, dass sich einige finden werden, die das Schlappe nennen werden.

Das Land ist in den vergangenen Wochen erstaunlich gelassen geblieben. Der Wahlkampf wurde in all den Wochen nie ein Kampf. Vielmehr kommt einem in den Sinn, dass da viele großmäulig als Löwen weggesprungen sind und nun dabei sind, als Bettvorleger zu landen. Selbst der blaue Kandidat, der davon redete, dass er "unser Österreich" zurückhole und immer und überall wissen ließ, dass er die Regierung entlassen wolle, wenn er ins Amt käme, schafft nun, wie es aussieht, nicht einmal die Umfragewerte, die seine Partei, die FPÖ, derzeit zusammenbringt.

Da ist der Wiener Rechtsanwalt, der als Kolumnist der "Krone" noch mit seitenweiser Unterstützung seines Blattes starten konnte, dann aber, alleine gelassen, sang-und glanzlos unterging. Nicht viel anders erging des Impfgegner-Kandidaten und dem ehemaligen BZÖ-Generalsekretär und Medien- und Social-Media-Rabauken - das Grosz-Maul brachte es auf ein paar Zeitungszitate, aber das war es auch schon. In dieser Rubrik ist wohl auch der Wahlkampf des Chefs der Bierpartei zu verbuchen. Der konnte immerhin Sympathiepunkte sammeln, rutschte aber aus, sobald die Fragen nach Ideen und Lösungen ernster und insistierender wurden. Nachgerade persönlich tragisch hingegen entwickelte sich die Wahlbewerbung des Waldviertler Schuhfabrikanten. "Wie kann es sein, dass jemand wie er kein soziales Umfeld hat, das ihn vor all diesem Irrsinn bewahrt? Der Typ zerstört gerade sein Lebenswerk -für nichts. Gut gemeint, aber völlig gaga", war auf Twitter zu lesen. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Es war wohl ein Wahlkampf zur falschen Zeit und mit falschen Themen für eine Wahl, die zwar auf dem Kalender steht, sonst aber weithin angesichts der klaren Verhältnisse und der Zufriedenheit mit dem Amtsträger nicht für wirklich nötig gehalten wird. Österreich und die Österreicherinnen und Österreicher beschäftigt derzeit anderes als die Wahl eines Staatsoberhauptes. Noch dazu, wo man den aktuellen Bundespräsidenten als einen kennengelernt hat, auf den man sich auch in schwierigen Zeiten verlassen kann. Van der Bellen musste das angesichts der politischen Wirrnisse in den vergangenen Jahren beweisen wie kein anderer Präsident vor ihm. Man schätzt, dass zumindest er ein stabiler Faktor im heimischen Politgefüge ist, das jede Woche aus den Fugen zu geraten droht.

Dennoch sollte man den Wahlkampf um das Amt des Bundespräsidenten nicht gleich abhaken und vergessen als einen der skurrilsten Wahlgänge, den dieses Land je gesehen hat. Vor allem die hohe Zahl der Wahlwerber ist durchaus als Ausdruck des populistischen, krawalligen, lautstarken und respektlosen populistischen Verständnisses von Politik zu sehen, das sich in den vergangenen Jahrzehnten in diesem Land breitmacht.

Noch nie bewarben sich, ganz dem Geist der Zeit entsprechend, so viele Kandidaten, ohne überhaupt den Anspruch zu haben, Politiker zu sein, um das höchste Amt im Staat. Ohne Konzepte und Idee, ohne Grundwissen um das Amt, ohne Wissen um Politik und Zusammenhänge und ohne jedes politische Verhältnis und Gespür. Getragen meist von maßloser Selbstüberschätzung oder vom Kalkül, den Wahlkampf als PR-Plattform für das eigene Unternehmen, für Bücher, Schuhe oder Musik zu nutzen.

Da fehlte es zumeist an Respekt. An Respekt dem Amt gegenüber, aber auch an Respekt dem Land und den Menschen gegenüber.

Bleibt nur zu hoffen, dass die Umfragen richtig liegen. Wenn sie das tun, zeigt die Wahl am Sonntag, dass das Gspür der Wählerinnen und Wähler doch noch funktioniert. Und ihnen nicht alles zugemutet werden kann.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 6. Oktober 2022
 
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