Donnerstag, 27. Januar 2022

Ungustiöse Realitäten

Bilder können sehr mächtig sein. Oft viel mehr und viel rascher ausdrücken, was viele Worte nicht zu sagen vermögen. Mehr als die sprichwörtlichen "1.000 Worte". Zwei solcher Bilder sorgten in den vergangenen Tagen und Wochen für Aufsehen.

Da war dieses Luftbild von einem abgeholzten Wald in Oberösterreich. Dicke Holzstämme, aufgeschlichtet entlang einer Forststraße, Bagger, ein paar Autos, dahinter in der Morgensonne eine kahle Fläche. 18 Hektar groß dem Vernehmen nach. Gekauft von einem ehemaligen Großunternehmer, der mit der Umwidmung im Handstreich Millionen machte und Geschäfte wie diese als sein Hobby bezeichnet. Das Setting erinnert an bayerische Vorabendserien inklusive eines zuständigen Landesrates, der im legendären Landrat Toni Rambold, dem Gegenspieler des "Bullen von Tölz", sein Vorbild haben muss. "Obwohl substanzielle Rechtsakte fehlen, genehmigen die Behörden in Oberösterreich die Umwidmung und erlassen den Rodungsbescheid," tobte es in den Leserbriefspalten der Tageszeitungen im Land ob der Enns. "Eine unerträgliche Zustimmung des Landesrates, entgegen forstlichen Gutachten und Stellungnahmen" war zu lesen. Und so sehe es auch aus in diesem Bundesland -"ungebremster Bodenverbrauch, Zersiedelung, Zerstückelung, solange sich's Politiker und Hobbyinvestoren offenbar richten können".

Eine ähnliche Wirkung hatten auch Bilder von der täglichen Vernichtung von Supermarktfleisch. Die Schwenks der Kamera über Berge von abgepackten Fleischstücken, aufgeschüttet zur Vernichtung in einer Entsorgungsanlage, gingen vielen direkt ans Gemüt. Die Kamera zoomte über perfekt wirkende Steakstücke, über lange Karrees, auf Ablaufdaten, die keine zwei Tage zurücklagen, auf AMA-Gütesiegel-und auf "-25 Prozent"-Pickerl und auf Aufkleber wie "Lebensmittel sind wertvoll -minus 50 Prozent". Auch da war die Aufregung groß. "Das waren ja Tiere, Lebewesen, da bricht es einem das Herz," hieß es. Als "haarsträubend" galten vielen diese Bilder und als "Schlag ins Gesicht einer jeden Bäuerin und eines jeden Bauern".

Die Bilder zeigen, wie groß der Handlungsbedarf ist, wie willfährig die Politik sein kann, wie leichtfertig all das geschehen kann und wie wenig bisher noch erreicht wurde. Wenn Kurt Weinberger, Chef der Hagelversicherung, und der Mann, der in Österreich den Bodenverbrauch zum Thema gemacht hat, die Waldrodung in Oberösterreich geißelt und sagt, "eine gigantische Naturfläche wird unwiederbringlich und fahrlässig mit Beton und Asphalt versiegelt und damit Lebensraum für Mensch und Natur zerstört", ist ihm nur beizupflichten. Genauso wie dem Präsidenten der Landwirtschaftskammer, der die Fleischvernichtung auch als "gesellschaftliches Problem" sieht.

Beide Bildbotschaften werfen aber auch ein Schlaglicht auf die Realität und damit einhergehende Zwänge, die viele nicht so gerne sehen wollen und auch nicht wahrhaben und mit der sie auch nichts zu tun haben wollen. Die Wirtschaft braucht Flächen, und Lebensmittel können nicht endlos gelagert werden.

Da mag schon zu verstehen sein, wenn der Unternehmer in Oberösterreich sein Wald-Geschäft damit rechtfertigt, dass das Grundstück ohnehin bereits umringt von Industrie-und Gewerbetreibenden sei und die Westautobahn "mittendurch" führe. Immerhin wird offenbar nicht wieder irgendwo abgelegen ein Gebiet im Grünen erschlossen. Und es mag auch zu verstehen sein, wenn der Lebensmittelhandel die tägliche Vernichtung von tonnenweise Fleisch mit dem Verweis auf die Bürokratie und Hygienevorschriften rechtfertigt.

Aber blenden sollte man sich davon nicht lassen. Denn Heilige sind da allesamt nicht zugange. Und es ändert sich daher auch nichts daran, dass der Handlungsbedarf groß ist und vieles besser gemacht werden muss. Angefangen von der Politik, die sich allzuoft willfährig zeigt und nachgerade ungustiös ist.

Seit Jahren gelingt es bei Themen wie diesen freilich nicht wirklich, Fortschritte zu erzielen. Die Initiativen mögen inzwischen zahllos sein in Sachen Bodenverbrauch oder Lebensmittelverschwendung, die Erfolge sind dennoch sehr überschaubar geblieben. Die Aufregung wirkt immer noch viel eher wie ein Strohfeuer ohne Konsequenzen. Und sie ist symptomatisch für den Umgang mit großen Herausforderungen - man schiebt die Probleme vor sich her statt sie anzugehen.

Wie so vieles in Österreich.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 27. Jänner 2022

Dienstag, 25. Januar 2022

Fördertöpfe für Bauern werden höher gehängt

Hans Gmeiner 

Wien. Auf deutlich weniger Ausgleichszahlungen als bisher müssen sich Österreichs Bauern einstellen. Die Prämien, die sie ab dem Wirtschaftsjahr 2022/23 bekommen, werden um mehr als ein Viertel geringer sein als bisher. Statt 288 gibt es in Zukunft nur mehr 208 Euro je Hektar (ha). Selbst Klein- und Kleinstbetriebe, für die die Kürzung nicht ganz so stark ausfällt, werden mit weniger Geld auskommen müssen als bisher. Betriebe mit Flächen bis zu 20 Hektar bekommen 254 Euro/ha, von 20 bis 40 Hektar Fläche gibt es 231 Euro/ha.

Ausgleichen könnten die Bauern diese Einbußen durch verstärkte Teilnahme am Umweltprogramm, sagte Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger. „Wer mehr für Umwelt- und Klimaschutz und für die Artenvielfalt tut, bekommt mehr Geld.“ Das Programm wurde ausgebaut und bietet mehr Möglichkeiten als bisher, aus einer Fülle von Umweltmaßnahmen wie Biodiversitätsförderung, längerem Weidegang oder bodennaher Gülleausbringung jene zu wählen, die am besten zu den Betrieben passen. Ob das Angebot für die Bauern attraktiv ist und ihnen eine Perspektive bietet, ist umstritten.

Während Köstinger am Montag Beispiele präsentierte, bei denen landwirtschaftliche Betriebe durch die verstärkte Teilnahme an Umweltprogrammen positiv aussteigen, sind viele Bauern skeptisch, sind doch die meisten Prämien für Umweltmaßnahmen so kalkuliert, das sie gerade die Kosten gerade decken. Josef Moosbrugger, Präsident der Landwirtschaftskammer Österreich, ist sich bewusst, dass es erst gelingen muss, die Bauern zu überzeugen. „Davon wird der Erfolg des neuen Programms abhängen.“

Noch steht das grüne Licht aus Brüssel für den „Nationalen Strategieplan“ zur nationalen Umsetzung der EU-Agrarreform aus. Anfang März wird eine erste Beurteilung erwartet, Mitte dieses Jahres das endgültige Okay. „Es kann aber sein, dass die EU-Kommission noch Änderungen bei den Prämiensätzen anregt“, sagte Köstinger.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 25. Jänner 2022

Donnerstag, 20. Januar 2022

"Durchwurschteln" mit Erfolg

"Letzter Ausweg: Durchwurschteln" steht im aktuellen "profil". "Omikron ist längst entglitten, der Krisenstab scheint eine gesteuerte Durchseuchung der Bevölkerung anzustreben." Die "Krone" schrieb dieser Tage vom "PCR-Desaster in Österreich"."Impfpflicht spaltet Parlament", vermeldete "Der Standard". Und die "Salzburger Nachrichten" widmeten sich dem "Chaos bei Schultests", das eine Debatte über die österreichische Teststrategie ausgelöst habe. Dazu Spekulationen um die Impfpflicht, die ohnehin zu spät komme, die emporschießenden Infektionszahlen und Äußerungen von Wissenschaftlern und Ärzten, die einander widersprechen. Die Medien sind in diesen Wochen voll von Meldungen wie diesen. Und sie werden immer mehr. Das Schauspiel, das geboten wird - vom Bundesheer-General im Tarnanzug bis zum Testchaos in vielen Bundesländern -ist schlimm, mitunter peinlich. Da verwundert nicht, dass sich rundherum so etwas wie Wurstigkeit breitmacht. "Omikron wird mich wohl erwischen, nutzt eh nichts, wird schon nicht so schlimm sein."

Für die Corona-Leugner, die Maskenverweigerer, die Impfgegner, die Schwurbler und all die, die seit Wochen immer wieder durch die Straßen ziehen und für Verkehrsblockaden und verstopfte Innenstädte sorgen, ist das Rückenwind und für viele wohl auch Bestätigung ihrer oft krausen Gedankenwelt. 

Dass manchen da das Gefühl beschleicht, dass all die Marschierer und Aluhutträger doch nicht ganz unrecht haben könnten, ist da nicht mehr ganz unverständlich. Vor dem Hintergrund all der Maßnahmen, die uns abverlangt werden, der Vorschriften, die oft nicht nachvollziehbar sind und ganz offensichtlich häufig mit zweierlei Maß gemessen werden, ist verständlich, dass die Überzeugungen und die Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger mitunter ins Wanken geraten und sich ein verärgertes und hilfloses Schulterzucken breitmacht.

Aber was ist die Alternative? Sollte man zuschauen und nichts tun? Die Pandemie, die wir erleben, hat es bisher in dieser Form nicht gegeben, schon gar nicht in unserer Generation. Da gibt es keine Blaupause, an der man sich orientieren könnte. Da ist vieles Neuland und vieles unabwägbar. Und da kann vieles nicht funktionieren und schiefgehen. Nicht nur Österreich dilettiert, auf der ganzen Welt dilettiert man. Man ist aber dennoch ganz unglaublich erfolgreich. Das beginnt bei der Entwicklung der Impfstoffe, die in unvorstellbar kurzer Zeit gelang, und reicht bis hin zur Verhinderung von Millionen Toten in aller Welt. Bei allen Unzulänglichkeiten sind die Erfolge in der Bekämpfung der Pandemie sehr groß. "Hätten wir im November ohne Lockdown einfach so weitergemacht wie im Herbst, dann hätte es in Österreich 10.000 Tote mehr gegeben", sagte erst kürzlich die Innsbrucker Virologin Dorothee von Laer. Im gesamten Verlauf der Pandemie sind es wohl sehr viel mehr Todesfälle gewesen, die durch die Maßnahmen verhindert wurden.

Man mag ja, gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen, Verständnis für die Impfgegner aufbringen, für ihre Argumente in Sachen Impfpflicht und auch dafür, dass sie ernstgenommen werden wollen. Aber sie haben bisher keinerlei Vorschlag gebracht, schon gar keine Strategie, mit der Pandemie umzugehen. Da war von Beginn an nichts als Verweigerung. Zuerst redete man von Covid, das wie eine Grippe sei. Man machte sich über die Masken lustig und verweigerte sie zu tragen. Man zweifelte die Zahlen an. Außer Ignorieren und Boykottieren gab es nichts. Aja, da war ja dann noch die Sache mit dem Wurmmittel, mit der Stärkung des Immunsystems, mit Knoblauch essen und auf Gott vertrauen. "Jesus hat es so gewollt."

Von all den Impfgegnern, all denen, die jetzt demonstrieren und Straßen blockieren, die schimpfen und klagen und mitunter am liebsten den Staat aushebeln würden, kam immer nur ein tumbes "Nein". Man hatte nie Argumente, sondern nur einen zuweilen wirr wirkenden Haufen von Schlagworten, die oft diametral gegeneinander liefen. Ganz abgesehen davon, dass nie auch nur einer von ihnen in einer Verantwortung stand und dafür gerade stehen musste für das, was sie fordern, und auch nicht für die Folgen ihrer Verweigerung. Und ganz abgesehen davon - wie kommen viele von diesen Leuten dazu, die Demokratie in Zweifel zu ziehen, die ihnen ermöglicht, genau das zu tun, was sie tun?

Das müssten eher die anderen tun. Aber je länger die Pandemie dauert, desto weniger ist das auf die Reihe zu bringen und desto absurder erscheint, was wir in diesen Wochen erleben.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 20. Jänner 2022

Donnerstag, 13. Januar 2022

Pippi Langstrumpf am Regiepult

"Zwei mal drei macht vier, widdewiddewitt und drei macht neune -ich mach' mir die Welt, widdewidde wie sie mir gefällt", trällerte Pippi Langstrumpf weiland fröhlich vergnügt vor sich hin. Dieser Tage kommen einem immer wieder diese Zeilen in den Sinn -sei es, wenn aus Brüssel zu hören ist, dass man dort die Atomkraft vor allem auf Drängen Frankreichs zu einer nachhaltigen Energieform erklären will, um sie weiter fördern zu können, und im deutschen Koalitionsvertrag just eine Anti-Atompassage spurlos aus dem Koalitionspapier verschwunden ist. Oder sei es, wenn aus Wien zu vernehmen ist, dass man den Kampf gegen Corona praktisch aufgegeben hat und Omikron, die jüngste Virus-Variante, offenbar ohne viel Gegenwehr durchrauschen lassen will.

Beides kann durchaus als Scheitern von politischen Vorhaben und Plänen -wie im Fall der Atomkraft -oder als Scheitern an der Realität - wie im Fall von Omikron -interpretiert werden. Aber ist es das wirklich? Oder ist es nicht schlicht eine Art von Vernunft, die da dabei ist, sich durchzusetzen? Ist es nicht möglicherweise auch ein Zeichen dafür, dass Politik im Kleinen wie im Großen durchaus lernfähig ist und bereit, starre Schranken, die man sich einmal gegeben hat, aufzuheben? Oder ist ihr doch fehlendes Rückgrat, mangelnde Verlässlichkeit, Schwäche oder gar Verantwortungslosigkeit vorzuhalten? In allem steckt jedenfalls ein gutes Stück Pippi Langstrumpf -"ich mach' mir die Welt, widdewidde wie sie mir gefällt". Wenn es politisch etwas bringt. Oder wenn es schlicht nicht mehr anders geht.

Nur schlecht ist das in keinem Fall, was da in den vergangenen Tagen geboten wurde. Man mag zur Atomkraft stehen, wie man will. Diese Energieform rundweg abzulehnen und keinerlei Diskussion zuzulassen, wie in den vergangenen Jahrzehnten, wird den Anforderungen gerade in Sachen Klimaschutz und CO2-Haushalt nicht gerecht.

"Egal, ob man Kernkraftwerke gut oder schlecht findet", schrieb der Physiker und Wissenschaftspublizist Florian Aigner von der TU Wien, "dass der Atomausstieg mitten in der Klimakatastrophe vor dem Kohleausstieg kam, wird in den Geschichtsbüchern als großer unverständlicher Fehler stehen -gleich neben der Impfverweigerung mitten in einer Pandemie." Gerade Österreich, wo die Ablehnung der Atomkraft ideologisch aufgeladen und längst Staatsdoktrin ist, schadet ein Schuss Realitätssinn nicht, brüstet man sich doch damit, kein AKWs zu haben, hat aber gleichzeitig keine Scheu, immer noch mehr als zehn Prozent des Strombedarfs aus Atomkraftwerken im Ausland zu importieren. Jetzt aber wird auf einmal wieder diskutiert und das ist gut so.

Das wäre auch anderen Bereichen zu wünschen. Aber "Ich mach' mir die Welt, widdewidde wie sie mir gefällt" hat auch eine andere Seite. Die Seite, auf der blockiert wird, auf der man sich Dinge zurechtbiegt, wie man sie braucht, um politische oder wirtschaftliche Interessen durchzusetzen. Der Umgang mit Gentechnik etwa ist so etwas. Rote Gentechnik, also der Einsatz von gentechnischen Verfahren in der Medizin, ist akzeptiert. Dort ist Wissenschaft alles, bei grüner Gentechnik hingegen ist sie nichts. Bei Themen wie dem Pflanzenschutz ist es nicht anders. Erkenntnisse aus vielen Jahrzehnten wissenschaftlicher Forschung werden einfach geleugnet.

Kritiker, die sich daran stoßen, sind zu verstehen, wenn sie meinen, dass manche Position von grün angehauchten Politikern und NGOs zu Gentechnik oder Pflanzenschutz von der Wissenschaft so weit weg ist wie die radikalen Impfgegner beim Thema Corona.

Zur anderen Seite des Pippi-Langstrumpf-Lebensmottos gehört wohl auch, was sich rund um Corona abspielt. Dass nun selbst die oberste Gesundheitsbeamtin des Landes eine Durchseuchung für unumgänglich hält, ist Wasser auf den Mühlen der Impfgegner und wird den FP-Obmann ganz besonders freuen.

Aber nicht nur das. Dort haben sich viele ihre eigene Welt längst zurechtgezimmert. Dass sie dabei mitunter benutzt und von fremden Interessen gesteuert werden, denen sie bislang wohl ferngestanden sind, will ihnen wohl nicht auffallen.

Wutentbrannt postete Ende vergangener Woche ein Biobauer, der sich seit Monaten am Umgang mit Corona abarbeitet, einen Aufruf einer Gruppe namens die "Freie Linke Österreich" zur Teilnahme an einer Kundgebung in Wien. Dass die angegebene Internet-Adresse mit ".ru" (für Russland) endete, sollte freilich nicht nur ihm zu denken geben.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 13. Jänner 2022

Montag, 10. Januar 2022

Bauern und Verarbeiter haben das Nachsehen

Bauernbrot, Bauerngeselchtes, Bauernbuffet. Mit den Produkten der Bauern werden gute Geschäfte gemacht. Die Bauern haben nur wenig davon. In der Wertschöpfung sind sie Schlusslichter.

Hans Gmeiner 

Salzburg. Wenn die Preise für Getreide, Milch oder Fleisch steigen, kommen die Bauern schnell unter Druck. Vor Weihnachten forderten Bäcker bei Weizen gar einen Exportstopp, weil sich die Preise binnen Jahresfrist verdoppelt haben. Solch heftige Reaktionen überraschen in der Landwirtschaft immer wieder. Zum einen sind die Anteile der Kosten für Agrarprodukte an den Gesamtkosten der Verarbeiter sehr gering. Zum anderen kommt nur wenig von dem bei den Bauern an, was die Konsumenten für Lebensmittel bezahlen müssen.

Der Anteil der Bauern an der Wertschöpfungskette in der Lebensmittelproduktion sank seit der Jahrtausendwende kontinuierlich und stabilisierte sich in den vergangenen Jahren, während die Anteile vor allem von Handel, Lebensmittelverarbeitern und Gastronomie beständig anstiegen. Daran änderte auch kaum etwas, dass im vergangenen Jahr nach vorläufigen Berechnungen der Statistik Austria die Wertschöpfung in der Landwirtschaft wegen der guten Preise für die meisten Agrarprodukte um fast neun Prozent zulegte.

Von einer Wende mag Franz Sinabell, Agrarexperte im Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo), mangels genauer Zahlen noch nicht sprechen, sagt aber: „Die Wertschöpfungssituation der Landwirtschaft, die sich schon in den vergangenen Jahren stabilisierte, hat sich 2021 deutlich verbessert.“

Weil aber auch die Kosten kräftig anzogen, ging sich trotz der guten Preissituation und des Zuwachses bei der Wertschöpfung wieder nur ein geringfügiger Einkommenszuwachs aus. Nominell geht die Statistik Austria in einer ersten Schätzung für 2021 von einem Plus bei den Bauerneinkommen von 3,2 Prozent aus, um die Inflation bereinigt betrage der Zuwachs im Vorjahr freilich lediglich 1,1 Prozent.

In den vergangenen 20 Jahren rutschten die Bauern in der Lebensmittel-Wertschöpfungskette kontinuierlich nach unten. „Betrug der Anteil der Landwirtschaft in der Wertschöpfungskette Agrargüter, Lebensmittel und Getränke im Jahr 2005 noch 20,2 Prozent, so verringerte sich dieser Anteil in den darauffolgenden 14 Jahren bis 2019 auf 17,5 Prozent“, sagt Sinabell. Der reale Zuwachs der Wertschöpfung in der Landwirtschaft betrug in diesem Zeitraum nur gut zehn Prozent, während Lebensmittelindustrie und Gewerbe um 34, der Einzelhandel mit Nahrungsmitteln und Getränken um 44 und die Gastronomie gar um fast 50 Prozent zulegten.

Nur gut vier bis sechs Prozent mache der Kostenanteil von Getreide an den Gesamtkosten für eine Semmel oder einen Laib Schwarzbrot aus, rechnet etwa die Landwirtschaftskammer Niederösterreich vor. Das entspreche bei einer Semmel nicht mehr als einem Cent und bei einem Kilogramm Schwarzbrot gerade einmal gut 20 Cent.

Wirtschaftsforscher Sinabell hat aber durchaus Verständnis für den Aufschrei der Bäcker und anderer Verarbeiter, wie etwa der Molkereien, die zuweilen beim Handel nachgerade um höhere Preise betteln, um nicht von den steigenden Kosten erdrückt zu werden. „Die Lebensmittelpreise für Konsumenten wurden bisher kaum erhöht“, beobachtet Sinabell. „Das heißt, dass die Verarbeiter derzeit die Preissteigerungen für die Agrargüter schlucken und leiden müssen.“

Aber auch für die Bauern ist die Situation nicht einfach. Allein mit der Erzeugung von Agrargütern sei eine Stärkung der Landwirtschaft in der Lebensmittel-Wertschöpfungskette nur schwer möglich, meint Sinabell. Weiterverarbeitung auf den Höfen, Kooperationen mit der Gastronomie und Serviceangebote hält er für Möglichkeiten, die Wertschöpfung zu erhöhen. Mit dem Nachsatz freilich: „Falls die Voraussetzungen passen.“

In der Landwirtschaftskammer leuchten alle Alarmlichter. „Es besteht massiver Handlungsbedarf“, richtet Kammerpräsident Josef Moosbrugger wiederholt einen Appell an Handel und Verarbeiter. „Ein Bekenntnis zu regionaler Qualität in der gesamten Wertschöpfungskette ist von größter Bedeutung.“

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 10. Jänner 2022

Donnerstag, 6. Januar 2022

Was ist mit der Verantwortung jenseits des Kuhschweifs?

In den Tagen vor Weihnachten ließ der Bischof von Linz aufhorchen. Er möchte „dazu ermutigen, zum eigenen Schutz und zum Schutz der anderen eine Impfung anzunehmen“ hieß es in seiner Weihnachtsbotschaft. Der Bischof fiel auf damit. Von Institutionen wie der Kirche in den vergangenen zwei Jahren so etwas kaum zu hören. Schon gar nicht als quasi offizielle Botschaft verpackt. Aber auch politische Parteien und die Sozialpartner hielten sich beim Thema Impfen bemerkenswert zurück.

Dass die Impfkampagne stockt hat auch damit zu tun. Denn da war kaum etwas zu hören. Kein Aufruf, keine Empfehlung, nichts. Da schob man Verantwortung weit von sich, wollte sich den Aufwand nicht antun und ging lieber auf Tauchstation, um niemand gegen sich aufzubringen. Wohl zu heiß das Eisen.

Das gilt auch für die Landwirtschaftskammern, die Agrarlandesräte, für den Bauernbund und andere Bauerngruppen, für die Bäuerinnenorganisationen, für die Verbände und auch für Unternehmungen, die sich sonst gerne als Partner der Bauern loben. Auch der Landwirtschaftsministerin wäre durchaus angestanden, zum Impfen einmal etwas zu sagen. Covid war und ist allenfalls ein Thema, wenn es um das Geld der Bauern, nicht aber wenn es um‘s Impfen geht.

„Unsere Aufgabe ist es die Interessen der Bauern zu vertreten und nicht Gesundheitspolitik zu machen“, sagte ein Kammerpräsident vor Weihnachten in einer Pressegespräch auf eine entsprechende Frage. Dieses Verhalten mag pragmatisch sein, aber es ist schon zu fragen, ob es auch der Verantwortung gerecht wird.

Denn wie sonst kaum wo wäre man in der Landwirtschaft aufgerufen, das Impfen zu thematisieren. Die Bauern zählen zur Berufsgruppe mit der zweitschlechtesten Impfquote. Nur 67 Prozent der Bäuerinnen und Bauern, also nur zwei von drei, waren Ende November geimpft. Sehr viel mehr dürften es inzwischen nicht geworden sein. Man hält sich für widerstandsfähig genug und anschaffen will man sich sowieso nichts lassen. Vor diesem Hintergrund verwundert nicht, dass in dem Vernehmen nach Landwirte bei der Impfgegnerpartei MfG ganz oben als Finanziers mitmischen. 

Da war nie ein Bemühen das zu ändern, Verständnis und ein Klima zu erzeugen, in dem gefördert wird, zur Impfung zu gehen. In einschlägigen Publikationen sucht man vergeblich etwas zum Thema. Meldungen und Inserate zur Zeckenschutzimpfung und Abhandlungen zur Impfung von Ferkeln und von Sojasaatgut sind alles was zu finden ist. Lediglich von der Tiroler Kammer war etwas zum Thema zu lesen und in den Tagesmedien wurde von Aktivitäten der Landjugend geschrieben. Aber das wars im Großen und Ganzen.

Könnte das nicht mehr sein? Ist die Verantwortung wirklich so begrenzt? Wo waren und sind Informationsveranstaltungen, wo Aktionen oder wo sind Kampagnen mit Testimonials, etwa mit Sportlern, die aus der Landwirtschaft kommen?

Die vergangenen Monate lehrten viel vom Selbstverständnis vieler Bauern und von ihrer Hartnäckigkeit. Sie lehrten aber auch viel davon, wie Kammern, Parteigruppen, Organisationen und Verbände Verantwortung jenseits des Milchpreises, der Brüsseler Agrarpolitik und des Kuhschweifs verstehen.

Das kann durchaus zur Sorge Anlass geben.

Gmeiner meint - Blick ins Land, 6. Jänner 2022


 
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