Donnerstag, 5. Mai 2011

Ost-Phobiker tragen kleines Karo





Die Ost-Phobiker haben Hochkonjunktur in diesen Tagen. "Die Ost-Arbeiter kommen und nehmen unsere Arbeitsplätze weg“, heißt es allerorten in allen Varianten und Formen. Da wird gezetert und Angst verbreitet, da wird mit Emotionen gespielt, da werden politische Süppchen aufgekocht. Ganz so, als ob der Staat in Frage steht und ein Raub der Ungarn und Polen zu werden droht.

Fakten spielen - aber so ist es Phobien eigen - auch bei dieser speziellen Art eine untergeordnete Rolle. Die 25.000 bis 30.000 Arbeiter, die seriösen Berechnungen zufolge die Öffnung des österreichischen Arbeitsmarktes nutzen werden, um hier Arbeit zu finden, machen gerade einmal 0,7 Prozent der Erwerbstätigen in Österreich aus. Da schwanken die Zahlen zwischen den Quartalen weit mehr. Und: Mehr als die 30.000 werden es wohl nicht werden, hat doch Österreich in aller Eile und gleichsam als Manifestation der Phobie, ein Lohn-Dumpinggesetz aus dem Ärmel gezaubert, um sich auch nach Ablauf der siebenjährigen Übergangsfrist wirkungsvoll vor allzu viel Osten auf dem Arbeitsmarkt zu schützen und das Wolkenkuckucksheim zwischen Neusiedler- und Bodensee zu schützen.

Dabei hat Österreich wie kein anderes europäisches Land von der Ostöffnung profitiert. In den osteuropäischen Ländern ist Österreich eine Großmacht. Kein anderes Land verstand es so, den offenen Marktzugang zu nutzen. Milliarden werden dort gemacht. Milliarden Euro, die der heimischen Wirtschaft und den Menschen in diesem Land zugute kommen und ohne die sie heute gar nicht mehr auskämen. Alleine seit 2004, dem Jahr, als Länder wie Ungarn, Polen und Tschechien zur EU kamen, haben sich die Exporte in diese Länder auf mehr als 15 Mrd. Euro fast verdoppelt.

Man darf getrost davon ausgehen, dass die Zahl der Arbeitsplätze, die in der heimischen Wirtschaft durch die Ostöffnung entstanden sind, um ein Vielfaches größer ist als die, um die jetzt so schlagzeilenträchtig gefürchtet wird.

Aber so ist Österreich und so sind viele Österreicher. Am Küchentisch im Gemeindebau genauso wie im Tschecherl nebenan, im Parteilokal, im Wirtshaus, bei der Wirtschaftskammersitzung und unter Bauern.

Dabei könnte man sich auch fragen, warum man eigentlich glaubt, sich fürchten zu müssen. Und da könnte man draufkommen, dass die vorgeblich niedrigeren Löhne ja gar nicht immer der Grund sind. Dass es eigentlich ganz andere Themen sein könnten: Die Leistungsbereitschaft vielleicht, die Qualität der Arbeit, die Unkompliziertheit, oder dass sich - man denke nur an die Erntehelfer in der Landwirtschaft - für viele Jobs ganz einfach kein Österreicher mehr hergibt.

Verständlich, dass man da Zeter und Mordio schreit, droht doch Ungemach für das System, in dem man es sich so wohlig eingerichtet hat.

Ein ganzes Land zeigt sich auf einem Auge blind. Und ist es wohl auch. Man kann mit liberalen Konzepten und freien Strukturen nicht umgehen. Auf jede Liberalisierung wird erst einmal reflexartig mit Ablehnung reagiert. Wortreich werden Nachteile und Gefahren beschworen. Wer von Chancen reden will, hat es schwer in diesem Land.

Das ist bei der Ostöffnung so, das ist bei der EU so, das ist, so scheint es, immer so. Die Vorteile, die man selbst in Anspruch nehmen will und auch mit großen Geschick und Eifer nimmt, will man denen nicht zugestehen.

Statt dessen trägt man kleines Karo. Ein offenes Österreich, zumal ein weltoffenes, wird viel weniger als Chance denn als Gefahr begriffen. Und genau das ist durchaus für gefährlich zu halten. Das kleine Alpenland, in dem die Nabelschau in den vergangenen Jahren zu höchster Perfektion getrieben wurde, ist dabei, von der internationalen Karte zu verschwinden. Von der kulturellen, von den wissenschaftlichen, von der gesellschaftlichen und von der politischen sowieso.

Das freilich bemerkt man kaum - eben weil man mit der Nabelschau so beschäftigt ist.

Meine Meinung - Raiffiesenzeitung, 6. Mai 2011

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