Donnerstag, 29. April 2021

Der Keil in der Gesellschaft

Mit einer missratenen Youtube-Aktion, mit der sie auf ihre schwierige Situation in der Corona-Zeit im stillgelegten Kulturbetrieb mit all seinen beschränkten Auftrittsmöglichkeiten unter dem Hashtag #allesdichtmachen aufmerksam machen wollten, haben jetzt einmal die Schauspieler einen Shitstorm abgekriegt, der sich gewaschen hat, und landeten im Eck der Coronaleugner und Neonazis. Dabei zählen sie normalerweise zu jener Gruppe, die in der Regel weiß, was gut und was schlecht ist, was richtig oder was falsch, was zu tun oder was zu lassen ist. Nun wurden sie von ihresgleichen auf allen Kanälen niedergemacht und erlebten, was so viele Leute längst verbittert, Keile in die Gesellschaft treibt und zu einer politischen Herausforderung geworden ist, auf die es noch keine wirksame Antwort gibt.

Ein bisschen links, ein bisschen liberal, meist ohne darüber lange Diskussionen zuzulassen, meist von oben herab und meist ohne jeden Millimeter Toleranz geben Medienmenschen und Intellektuelle und alle, die sich dafür und für etwas Besseres halten, zu schier allen Themen die Meinung vor, die sich zuweilen schnell in regelrechte Denk-und Thematisierungsverbote auswachsen. Sei es in der Politik, Religion, in der Wirtschaft. In der Migrationspolitik, bei Energiefragen wie Atomkraft, bei Gentechnik und der Landwirtschaft sowieso. In diesem Milieu hat man immer und überall Ideen und Vorschläge und weiß immer besser, was zu machen ist, ohne überhaupt gefragt zu werden. Man nimmt sich ungefragt die Deutungshoheit in Sachen Moral und Richtigkeit. Wer sich dagegen stellt, wird ohne langes Federlesen gerne an den Pranger gestellt, ohne auch nur den Funken einer Chance zu haben, sich zu wehren. Als gebe es nur schwarz oder weiß, nur gut oder schlecht, nur richtig oder falsch. Diese Leute erzeugen damit in allen Gesellschaftsschichten Beleidigte und Frustrierte sonder Zahl und nicht selten Gegenwehr und Ablehnung, die inzwischen zu einem gesellschaftlichen und politischen Problem geworden ist.

Ausgerechnet der deutschen Paradelinken Sarah Wagenknecht, in der DDR sozialisiert und jahrelang Chefin der deutschen Partei "Die Linken", gelingt in ihrem neuen Buch "Die Selbstgerechten", was so viele nicht schaffen, die sich erdrückt fühlen von all dem, was sie für richtig halten sollen. Seitenweise liefert sie Argumente und Beispiele, die die Situation

beschreiben, unter der so viele leiden. "Jeder Satz ein Treffer", schreibt eine Zeitung und zitiert Sätze wie: "Das Grundproblem ist die Haltung: Wer nicht für mich ist, ist kein anders denkender, sondern ein schlechter Mensch." Die "Selbstgerechten" predigten eine offene, tolerante Gesellschaft, legten aber selbst im Umgang mit abweichenden Ansichten eine oft erschreckende Intoleranz an den Tag, die sich mit der äußersten Rechten durchaus messen kann, schreibt Wagenknecht. Liberal sei der "Lifestyle-Linke" nur im Dunstkreis seiner Filterblase, meint sie. "Diskontfleisch-Esser, Dieselautofahrer und Mallorca-Billigreisende sind ihm ein Graus. Er hält seine Privilegien für Tugenden, für moralische Überlegenheit".

Die deutsche Politikerin -und Ehefrau des einstigen SPD-und Linken-Chefs Oskar Lafontaine -trifft mit dem Buch einen Punkt. Dieses Klima, das durch diese "Selbstgerechten" etabliert wurde, treibt einen Keil in die Gesellschaft. Schnurgerade führt der Weg zu Frustrierten aller Art, zu Wutbürgern und Coronaleugnern, die keiner Diskussion zugänglich sind und jedes Vertrauen verloren haben.

Man lasse Vorbehalte gegen Wagenknecht auf der Seite und man verschanze sich auch nicht dahinter, dass sie vornehmlich Linke und nicht Liberale meint, und auch nicht dahinter, dass das allenfalls ein Thema der Linken oder der Grünen ist.

Denn das ist es mitnichten. Das Thema geht längst uns alle an. Es geht um den Umgang miteinander, um Respekt. Auch um Wertschätzung. Es ist hoch an der Zeit, wieder zu einer Gesprächskultur zurückzufinden, die allen Beteiligten Luft lässt und nicht auf Vernichtung und Abkanzelung aus ist.

Längst hat diese Spaltung, die von den "Selbstgerechten" auf allen Seiten ausgeht, die Mitte der Gesellschaft erreicht. Und längst ist dabei der Respekt verloren gegangen. Das vor allem. Inzwischen nicht nur hüben, sondern auch drüben. Und das ist nicht ganz unverständlich.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 29. April 2021

Donnerstag, 22. April 2021

Risiko und Risiko

Die Corona-Pandemie und erst recht die Impfstoffe haben das Risikobewusstsein vieler Menschen nicht geschärft, sondern erst recht durcheinandergebracht. Bei manchen völlig. Während viele in Panik verfallen, weil bei AstraZeneca, aber auch bei anderen Impfstoffen bei einer Million Impfungen vier, fünf, sechs oder sieben Fälle von Thrombosen aufgetreten sind, schluckt man weiterhin täglich die Pille, die erwiesenermaßen 500 bis 1.200 von einer Million Frauen Blutgerinnsel beschert oder zündet sich bei hitzigen Diskussionen darüber vielleicht gar auch noch gerne ein Zigaretterl an, und denkt sich nichts dabei, dass das bei 1.800 von einer Millionen Raucherinnen und Rauchern zu Thrombosen führt.

Da ist schwer zu verstehen, wenn Leute bei Impfterminen umkehren, wenn sie sehen, dass es nur AstraZeneca gibt, oder dass sie sich gleich nicht zur Impfung anmelden, obwohl die Risken in anderen Zusammenhängen meist um ein Vielfaches größer sind. Genauso wie auf der anderen Seite schwer zu verstehen ist, dass Woche für Woche tausende Menschen in vielen Städten Europas gegen die Lockdowns und als die anderen Maßnahmen demonstrieren, obwohl das Risiko an Covid und damit möglicherweise auch an allen seinen Folgen zu leiden zu haben, um ein Vielfaches größer ist, als die paar tausendstel Promille, derentwegen viele vor Impfstoffen zittern. Vollends absurd freilich wird es dann, wenn ebendiese Leute in ihren krausen Argumentationen dann allen Ernstes über AstraZeneca und Co herfallen.

Wissenschaftler scheinen machtlos gegen diese Ignoranz. Gegen die eine wie gegen die andere. Dass die Infektionssterblichkeit von Covid-19 im Mittel bei etwa 0,7 Prozent liegt, vermag nicht zu beeindrucken. Dabei bedeutet das nichts anderes, als dass einer von 140 Infizierten stirbt. Für Experten wie dem Molekularbiologen und Coronamythen-Jäger Martin Moder, einem breiteren Publikum als einer der Science Busters aus dem Fernsehen bekannt, ist klar, dass nicht zu impfen "deutlich mehr Menschen gefährdet und eine trockene Kosten-Nutzen-Rechnung nach wie vor stark für die Impfung spricht".

Dass das Risikobewusstsein so auseinanderdriftet, hat Gründe. Die Fülle an Daten, die einer breiten Öffentlichkeit zugänglich sind, war noch nie so groß. Und sie kommt auch in die Hände von Leuten, die damit nicht umgehen können und die sie nicht einzuordnen vermögen, die aber dennoch keine Scheu haben, das trotzdem zu tun. Tausende und abertausende selbsternannte Experten zimmern sich aus all den Informationen ihre persönlichen Wahrheiten zusammen oder biegen sich das Zahlengeflecht zurecht, um ihre Ansichten, Meinungen und Thesen zu stützen. Medien und natürlich auch die Politik mischen in diesem pseudowissenschaftlichen Tohuwabohu selbstverständlich eifrig und zuweilen hemmungslos mit, spitzen zu und schärfen nach -ganz wie sie glauben, dass es ihren politischen und wirtschaftlichen Interessen dienen könnte.

Da nimmt nicht Wunder, dass vielen jedes Gespür für vernunftbasierte Risikoabwägung abhanden gekommen ist, wie Journalisten wie Timo Küntzle meinen. "Politik und Medien schaffen ein hysterisches Stimmungsbild, bei dem jedes Risiko, unabhängig von der Größe, gleich bewertet wird." Er bringt damit auch die Verbraucherschützer und die Umwelt-NGOs in Zusammenhang und hat nicht unrecht damit. Sie hätten seit Jahrzehnten minimale Rest-Risiken zu fetten Schlagzeilen aufgeblasen, um gierige Journalisten damit zu verführen und Aufmerksamkeit zu generieren. "Dabei starren wir mit Scheuklappen auf das Risiko in Stecknadelgröße und übersehen das Risiko von der Größe eines Heuhaufens."

In Wirtschaftszweigen wie der Landwirtschaft leidet man seit Jahren darunter. Längst ist dieses Spiel dort dabei, nicht nur die Bauern, sondern die Selbstversorgung Europas zu gefährden. Ohne jede Rücksicht.

In der Pandemiebekämpfung geht es freilich um noch mehr. Die verantwortlichen Stellen in Europa und auch in Österreich haben das erkannt und lassen sich nicht von noch so fetten Schlagzeilen und von noch so mächtigen Politikern ins Bockshorn jagen, und auch nicht von den Demonstranten auf den Straßen. Und schon gar nicht von den zahllosen "Experten", die außer den Anführungszeichen nichts verdient haben.

Wenn es in der derzeitigen Situation etwas Tröstliches gibt, dann gehört das dazu, auf jeden Fall.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 22. April 2021

Donnerstag, 15. April 2021

"Familie" ohne Alternative

"Buberlpartie einmal anders. Über Haider und seine Buberln haben wir noch gelacht. Und jetzt bei uns. Respektlos, wenn man die Chats liest." Die Krise der Türkisen hat jetzt auch den Chatverkehr Ihres Kolumnisten erreicht. Ein Erz-ÖVPler, wie man wohl jene nennt, die sich seit Jahrzehnten von nichts und niemanden erschüttern lassen wenn es um ihre Partei geht, lässt tief in seine Seele blicken. Er ist nicht der einzige türkis-schwarze Parteigänger, bei dem sich in diesen Tagen Entsetzen breit macht und Verärgerung. Da ist kaum mehr was von Verteidigungsätzen für den Kanzler und seine Leute zu hören. Da macht man sich fast nur mehr Sorgen, wie das wohl weitergehen wird mit dem Kanzler und der Regierung.

Die Schmid-Chatprotokolle haben das Zeug dazu, dereinst als ein "Game-Changer" in der heimischen Innenpolitik und in den Karrieren von Kurz und seiner "Familie" gesehen zu werden, um einen vom Kanzler gerne eingesetzten Begriff zu verwenden. Die Art und Weise wie und der Ton, in dem die Chats geschrieben sind, die Wahl der Emojis, mit denen man darin die Gefühlswelt ausdrückt, das offene Geschacher, die Verächtlichmachung katholischer Würdenträger und der Hass, der dabei zu spüren ist -das ist eine neue Qualität, die jetzt auch bei vielen Kurz-Getreuen in der Wählerschaft für Ärger sorgt.

"Und jetzt bei uns. Respektlos, wenn man die Chats liest." Die Mischung beginnt toxisch zu werden für Kurz und die Seinen, zumal dann, wenn man in den Ländern hört und auch beobachtet, wie sich die türkis-schwarzen Landeschefs in den vergangenen Monaten wieder emanzipiert haben und wie groß der Groll dort zuweilen ist. Und wenn man verfolgt, wie in den Umfragen die Werte sinken, zumal jene, in denen es um Vertrauen geht.

Was die Türkisen bislang zu ihrer Verteidigung vorzubringen hatten oder dafür, um Vertrauen zurückzugewinnen oder gar Zweifel zu beseitigen, ist schwach. Blümels nach wie vor arrogante Auftritte in den Medien und auch nicht die Versuche, die politische Konkurrenz anzupatzen, weil auch die alles andere als weiße Westen hat, wenn es um Postenschacher und ähnliche Dinge geht, sind geeignet, die Partei-Yacht wieder in ruhigere Gewässer zu führen.

Und auch nicht Auftritte wie jener von Klubobmann Wöginger am vergangenen Samstag im Ö1 Mittagsjournal. Dort bot der wackere "Gust", wie ihn seine Freunde nennen, das Bild eines Mannes, der selbst knietief im Dreck steht und wie ein kleines Kind nichts anders im Sinn hat, als mit dem Kübel in seiner Hand die ganze Umgebung mit diesem Dreck anzuschütten. "Bundeskanzler Kern war Vorstand im Verbund und hat später die ÖBB geführt." Drozda sei in eine Wohnbaugesellschaft gewechselt und Ostermayr in eine Soziale Wohnbaugesellschaft, die über die Commerzialbank Mattersburg gerade 70 Millionen Euro in den Sand gesetzt habe. Dazu die "Milliardenverluste" in der Verstaatlichten "unter SPÖ-Herrschaft". Und auch den FP-ler Sidlo "hat uns nicht der Heilige Geist" in den Vorstand der Casinos Austria gesendet. Keine Antwort, ohne nicht Solcherlei einzuflechten.

Wöginger hat ja nicht unrecht, in der Sache bringt das der ÖVP wohl nichts. Dennoch haben die ÖVP respektive Kurz und seine "Familie" trotz all dem Getöse, das in diesen Tagen aus allen Ecken kommt, nicht wirklich Anlass nervös zu werden. Die Opposition schafft es nicht, aus all den Steilvorlagen, um ein Bild aus der Fußballersprache zu bemühen, einen Erfolg zu machen. Nicht die SPÖ, die die Parteivorsitzende, ohnehin nicht mit so etwas wie einem Zug zum Tor gesegnet, verhungern lässt. Auch nicht die Freiheitlichen, vor denen sich eine Zerreißprobe aufbaut, weil der Graben zwischen Kickl und Hofer immer tiefer wird. Und erst recht nicht die NEOS, deren zuweilen originelles, aber zahnloses Gebell kein Gehör findet bei den Leuten.

Und auch innerhalb der ÖVP - das vor allem - ist weit und breit keine Alternative zu Kurz und seiner "Familie" zu sehen.

"Österreich wird in diesen Tagen bis zur Kenntlichkeit" enthüllt, schrieb Andreas Koller in den "Salzburger Nachrichten". Er hat wohl recht damit. Dieser Satz sollte freilich nicht allein auf die Politik beschränkt gesehen werden. Denn die Politik spiegelt nichts als die Volksseele in all ihren Facetten wider. Niemand in diesem Land sind Interventionen, Mauscheleien und Sondervereinbarungen fremd, wenn es um das eigene Fortkommen geht. Um Jobs, um Wohnungen und um vieles andere mehr. Gut ist das nicht. In beiden Fällen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 15. April 2021

Dienstag, 6. April 2021

Steigende Preise bringen Bauern nichts

Auf dem internationalen Milchmarkt steigen seit Monaten die Preise. Alle Indizes zeigen nach oben. Österreichs Bauern haben davon nichts. Man könne nicht mehr zahlen, sagen die Molkereien, weil der Handel feilsche wie eh und je.

Hans Gmeiner 

Salzburg. Nach den Demonstrationen im März vorigen Jahres und nach den Erfahrungen des ersten Lockdowns, der die Bedeutung der heimischen Versorgung mit Lebensmitteln und insbesondere Milch auch einer breiten Öffentlichkeit drastisch vor Augen führte, schien sich eine Entspannung zwischen Bauern und Lebensmittelhandel bei den Milchpreisen anzubahnen. Aus den Chefetagen des Handels gab es Versprechen, den Milchbauern entgegenkommen zu wollen, sogar ein Pakt wurde geplant, der das Verhältnis auf eine neue Basis stellen sollte. „Davon ist heute oft nichts mehr zu spüren“, ärgert sich Helmut Petschar, Chef der Kärntnermilch und Sprecher der heimischen Molkereien, ein Jahr später.

Davon, dass auf den internationalen Märkten seit Monaten die Preise für Milch und Milchprodukte in die Höhe schießen und alle Indizes nach oben zeigen, hatten bisher weder die heimischen Molkereien noch die Bauern etwas. Im Gegenteil. Jetzt, nach dem Ende des Winters, wo die Anlieferung traditionell steigt, müssen manche Molkereien sogar die Preise zurücknehmen und die Liefermengen für die Bauern wieder beschränken. „Die Partner im Lebensmittelhandel haben teilweise schon wieder vergessen, was sie vor einem Jahr alles versprochen haben und wie die Einkäufer des Handels in persönlichen Telefonaten uns geradezu beknieten, unbedingt zu liefern, damit die Regale nicht leer blieben“, sagt Petschar. „In den vergangenen Wochen war wieder verstärkt zu bemerken, dass es den Handelsketten schon wieder nur mehr um Preis- und Konditionsforderungen geht.“ Man habe teilweise schon wieder aus dem Augen verloren, dass es letztendlich die Bauern und die regionalen Verarbeiter seien, die die Versorgung sicherstellten. „Ich glaube, die Bauern und wir haben unsere Hausaufgaben gemacht und die österreichische Bevölkerung nicht im Stich gelassen, jetzt darf man auch nicht schon wieder uns und die Bauern im Stich lassen“, sagt der Sprecher der Molkereien.

Aber auch mit der Politik haben die Milchverarbeiter eine Rechnung offen. Im aktuellen Verordnungsentwurf zur Herkunftskennzeichnung sind nun zwar auch Milch und Milchprodukte berücksichtigt, bei den Coronahilfen gehen die Milchverarbeiter aber nach wie vor leer aus. „Es tut weh, dass wir derzeit noch keine Hilfeleistung aus dem Coronafonds erhalten“, sagt Petschar. Vor allem in Fremdenverkehrsgebieten mussten Molkereien im Westen und Süden Österreichs kräftige Einbußen hinnehmen. Allein für sein Unternehmen beziffert er den Umsatzverlust mit mehr als 80 Mill. Euro. Die bisherigen Gespräche, bei denen man eine ähnliche Verlustregelung anstrebt, wie es sie für die Schweinebranche gibt, verliefen bisher ohne Ergebnisse.

Abgesehen davon sind die Molkereien im Großen und Ganzen passabel durch das Coronajahr 2020 gekommen. Der Gesamtumsatz legte gegenüber dem vorangegangenen Jahr um 3,2 Prozent auf 2,95 Mrd. Euro zu. An der angespannten Ertragslage änderte das freilich kaum etwas. Das Branchenergebnis vor Steuern lag bei schmalen 1,4 Prozent des Umsatzes. Die Milchgesamtanlieferung blieb im Vorjahr mit 3,38 Mill. Tonnen stabil. Der Bioanteil wuchs auf 19,1 Prozent. Die Exporte von Milch und Milchprodukten wuchsen mit plus 4,5 Prozent (auf 1,3 Mrd. Euro) kräftig.

Aus Sicht der Bauern schaut die Bilanz freilich anders aus. Obwohl die Milchpreise im Jahresschnitt um zwei Prozent auf 42,65 Cent brutto je Kilo zulegten, machten wieder gut 1000 Bauern die Türen ihrer Kuhställe für immer zu. Der Strukturwandel setzte sich ungebremst fort. Die Anzahl der Milchbauern ging 2020 um 3,8 Prozent auf 24.650 zurück. Weil die verbleibenden Betriebe aufstockten, blieb der Milchkuhbestand mit 525.000 Tieren unverändert. Mit nunmehr durchschnittlich 21,3 Kühen und einer jährlichen Milchlieferung von 137.000 Kilogramm Milch zählt Österreich im EU-Vergleich nach wie vor zu den Nachzüglern. In den Ställen ihrer deutschen oder dänischen Kollegen sind die Zahlen um ein Mehrfaches größer.

Wie es heuer weitergeht, ist ungewiss. Entscheidend sei vor allem die Entwicklung im Tourismus und in der Gastronomie, sagt Petschar.

Salzburger Nachrichten, Wirtschaft, 6. April 2021

Donnerstag, 1. April 2021

Wo ist der Platz der Bauern im Bio-Geschäft?

Die Landwirtschaftsministerin war emotional wie selten. „Ideologie alleine wird nicht reichen“ sagte sie bei der Präsentation der in ihrem Auftrag vom Schweizer-Bio-Papst Urs Niggli erstellte Studie zur Stärkung der Bio-Landwirtschaft in Österreich bis 2030 in Richtung der Bio-Austria-Chefin und anderer Biobauern-Vertreter, die mit dem nicht zufrieden sind, was sich beim neuen Öpul abzeichnet. „Allein mehr Förderung und mehr Produktion kann nicht der Weg in die Zukunft sein“. Gemeinsam mit dem Präsidenten der LK Österreich forderte sie einen „Gleichklang von Produktion und Absatz“, sonst gehe das auf Kosten der Erzeugerpreise und damit der bäuerlichen Betriebe.

Von Bio Austria und anderen Verbänden sind bisher keinerlei Reaktionen auf die Studie, in deren Mittelpunkt die Stärkung der Biobauern in der Wertschöpfungskette und der Vermarktung und die Absicherung der Vorreiterrolle im Biobereichs steht, in der Öffentlichkeit überliefert. Ganz anders war das zwei Tage darauf. Als die EU ihren Bio-Aktionsplan veröffentlichte, waren Bio Austria aber auch die NGO in der Sekunde mit Jubel-Reaktionen da.

Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Aber recht grün dürfte man sich, namentlich die beiden Damen, nicht sein. Als Beobachter kann man nur hoffen, dass man einen Weg zueinander findet. Denn Bio steht vor großen Herausforderungen. Alle Welt redet von Bio, alle wollen Bio, alle machen Geschäfte mit Bio - aber die Bauern drohen übrig zu bleiben.

In der Euphorie übersieht man, dass auf den Bauernhöfen die Sorgen wachsen. Die Preise stehen in vielen Bereichen unter Druck, der letzte Grüne Bericht wies sogar einen Einkommensrückgang von zehn Prozent aus. Während Burgenlands SP-Agrarlandesrätin den Ausbau der Bioflächen um fast ein Viertel auf 37 Prozent der gesamten Agrarfläche bejubelt, können sich die Biogetreidepreise seit zwei Jahren nicht erfangen. Und in der Euphorie über Biomilch vergisst man, dass inzwischen bereits weit mehr als 30 Prozent exportiert werden.

Noch funktioniert das halbwegs. Vor allem weil die anderen EU-Staaten bei Bio weit hinterherhinken. Was aber ist, wenn diese Staaten bald, wie es der EU-Bioaktionsplan vorsieht, wie jetzt schon Österreich, zu gut einem Viertel Bio produzieren? Wenn ein Land wie Polen, größtes Agrarland in der EU, den Bio-Anteil von 0,5 auf 25 Prozent steigert, oder Deutschland, unserer wichtigster Markt, Gas gibt?

Vor diesem Hintergrund und auch vor dem Hintergrund, was im Lebensmittelhandel rund um Bio abgeht, ist nur zu logisch, dass es für die heimischen Biobauern wichtiger ist, die Entwicklung zu konsolidieren, als die Produktion weiter voranzutreiben. Zu fragen ist, ob es darum gehen soll, die Produktion mit aller Gewalt weiter auszubauen um sich weiter als „Europa-“ oder irgendein anderer Meister feiern zu können und damit die Geschäfte jener zu machen, die Bio oft so Süßholz raspelnd umschwirren. Oder ob es nicht vielmehr darum gehen sollte, den Biobauern einen guten und ihnen zustehenden Platz in diesem Geschäft zu sichern.

Angesichts der Entwicklung auf den Märkten und dem was kommt, sollte wohl jedenfalls zunächst einmal letzteres im Vordergrund stehen.

Gmeiner meint - Blick ins Land, 1. April 2021

Die Dinge sind dabei sich zu verschieben

Die Pandemie hinterlässt immer mehr Spuren in unserem Leben. Statt leichter zu werden, scheint alles immer noch mühsamer. Die Hoffnung darauf, dass es bald vorbei ist, wird eher kleiner als größer. Immer wieder verschiebt sich, was uns als Horizont in Aussicht gestellt wird. Immer neue Hiobsbotschaften vom Virus, immer neue Gefahren, immer neue Hoppalas und Probleme. Und zuletzt wieder stark wachsende Sorgen - das vor allem.

Die Folgen werden immer deutlicher sichtbar. Kinder und Jugendliche die leiden, viele Unternehmer, die um ihre Zukunft bangen, und Arbeitnehmer, die um ihren Arbeitsplatz zittern, wenn sie ihn denn überhaupt noch haben. Die Arbeitslosigkeit hat Rekordniveau erreicht. So viele Langzeitarbeitslose gab es noch kaum jemals in der Geschichte des Landes. Der Schuldenberg der öffentlichen Hand wird immer größer. Und die Sorgen wachsen, dass "wir uns ein riesiges Armutsproblem züchten", wie Markus Marterbauer, Leiter der Abteilung Wirtschaft in der Arbeiterkammer formuliert.

Überall wird spürbar, dass das, was wir seit einem Jahr erleben, mehr ist als eine Krise, die schnell vorbei ist.

Aber es gibt auch im positiven Sinn Bemerkenswertes, das viel zu kurz kommt zwischen all den Sorgen um die Zukunft und dem Streit um die Corona-Politik, die Impfungen und die Lockdowns und all das andere, was uns zunehmend zur Last wird. Der Sozialstaat, der derzeit gefordert ist wie wohl noch nie, und der seine schärfste Bewährungsprobe seit Jahrzehnten durchmacht, funktioniert. Das Sozialsystem hält. Vorerst, sollte man wohl hinzufügen, denkt man an das, was noch kommen könnte. Man erkennt die Bedeutung und man erkennt auch den Wert halbwegs solider Staatsfinanzen, die Spielraum geben.

Denn die Dinge sind gerade dabei, sich krass zu verschieben. In den vergangenen Monaten mussten auch viele von denen im Sozialstaat Unterschlupf suchen, die oft nur abfällige Worte dafür übrig hatten, die über die hohe Abgabenbelastung klagten und die sich eher ausgenommen als behütet fühlten. Die sich damit brüsteten, den Staat zu erhalten und die -je nach Persönlichkeitsstruktur -ihr Selbstbewusstsein oder ihren Ärger damit speisten, dass sie davon ausgingen, dass sie mehr in die staatlichen Kassen einzahlten als sie zurückbekommen. Und die nie im Entferntesten dran dachten, jemals in dem Maße wie derzeit auf Hilfen des Staates angewiesen zu sein. Jetzt brauchen auch viele Unternehmer Unterstützung und auch viele Gutverdiener, auch in besten Jobs.

Längst schlägt sich das auch in den öffentlichen Kassen und in den Zahlen nieder. Was noch vor einem Jahr Gültigkeit hatte, stimmt nun nicht mehr. Nur noch 40 Prozent der Österreicherinnen und Österreich sind im System, in und von dem wir leben, Nettozahler, hat Agenda Austria herausgefunden. Nur mehr 40 Prozent zahlen also mehr ein, als sie herausbekommen. Was nichts anderes heißt, als dass heute 60 Prozent mehr vom Staat bekommen, als sie einzahlen. Sechs von zehn Österreicherinnen und Österreichern würde es also schlecht oder zumindest schlechter gehen, wenn nicht die 40 Prozent mehr einzahlten.

Vor der Krise, vor einem Jahr also, war das noch ganz anders. Da zahlten 73 Prozent der Österreicher mehr in den Staat ein, als sie bekamen. Nun sind es nur noch 55 Prozent, und wenn man die Sachleistungen wie Bildungs-und Gesundheitskosten berücksichtigt, eben nur mehr die 40 Prozent.

Alleine die Sozialquote, also der Anteil der Sozialausgaben an der Wirtschaftsleistung, hat ein Rekordhoch von mittlerweile 34 Prozent erreicht. Die Sozialausgaben machen inzwischen jährlich an die 110 Milliarden Euro aus.

Daran wird sich wohl so schnell nichts ändern. Auch wenn gerade die Pandemie zeigt, dass die Umverteilung Sinn macht und wirkungsvoll ist, bleiben viele Fragen offen. Wie lange kann man sich das leisten? Wie wird das alles einmal bezahlt? Und wie lange geht das, ohne dass die Nettozahler aufbegehren? "Die Agenda-Austria-Ökonomen fordern hier kreative Lösungen statt der ewigen Leier von zusätzlichen Steuern", schreibt die "Presse". Es gehe um Treffsicherheit und um Effizienz. Das vor allem. Und nicht um höhere Steuersätze und auch nicht um die Besteuerung von Vermögen oder Erbe.

Das freilich wollen viele in Österreich nicht recht hören. Vor allem nicht die, die zu den Nettoempfängern gehören.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 1. April 2021
 
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