Donnerstag, 24. Juni 2021

Umweltpolitik vergisst zu oft auf die Menschen

 

In Deutschland ist eine veritable Diskussion in Gang gekommen, weil der CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet und sein CSU-Kollege Markus Söder befinden, zu fliegen dürfe "kein Privileg von Reichen" werden. Für Erstaunen sorgte dieser Tage auch, dass die Schweizer in einer Volksabstimmung einer Verschärfung des ohnehin strengen CO2-Gesetzes und einer angeordneten Umstellung der Landwirtschaft auf Bio eine Absage erteilte, wohl weil man um Verteuerungen und Einschränkungen fürchtete. Und in Österreich wird die Landwirtschaft immer wieder kritisiert, weil sie den Green Deal der EU-Kommission nicht bejubelt und sich gegen immer neue Auflagen wehrt.

Schnell alteriert man sich in solchen Fällen über Sonntagsreden, die nichts mehr gelten würden, wenn man nur Wählerstimmen in Aussicht habe, man kritisiert die Differenz zwischen Schein und Sein und schimpft darüber, dass man, gleich ob Politiker oder Verbraucher, in die Knie gehe und alle Versprechungen, Bekundungen und Absichtserklärungen vergesse, sobald es ans Eingemachte, sprich, ans Geld und an Einschränkungen oder um Wählerstimmen gehe.

Freilich kann man darüber lästern und sich auch ärgern, und freilich kann man die Doppelmoral geißeln, die oft zu erkennen ist. Aber oft ist das doch nichts denn billig und oft entspricht es nicht der Realität. Handlungsbedarf in all diesen Feldern, sei es in der Umwelt, beim Artenschutz, beim Klima und Wasser oder auch in der Landwirtschaft sei gar nicht in Abrede gestellt. Aber es ist anzuerkennen, dass die Realität sehr viel vielschichtiger ist.

Das freilich spielt in der politischen Auseinandersetzung viel zu selten die Rolle, die ihr zustünde. Wie in vielen anderen Bereichen auch verstellen in der Umweltpolitik noch Jahrzehnte, nachdem Umwelt und Klima zum Thema wurden, Ideologie und Schwarzweißdenken den Blick auf Lösungen und die Bereitschaft, ebensolche zu finden.

Auch wenn die Problematik als solche mittlerweile in einem breiten Konsens anerkannt ist, ist Pragmatismus nicht hoch angesehen, wenn es darum geht, Klima und Umwelt zu retten. Da entstehen schnell Fronten, die mit Zähnen und Klauen verteidigt werden. Da geht es schnell hart auf hart. Niemand will dem anderen zuhören, weil er davon überzeugt ist, nur und ausschließlich selbst recht zu haben. Ein Kompromiss gilt schnell als Schwäche. Auf beiden Seiten. Da beharrt man allemal lieber auf Maximalforderungen und nimmt in Kauf, in der Sache gar nichts weiterzubringen.

Alte Ressentiments sind noch nicht überwunden, Feindschaften werden mitunter immer noch hingebungsvoll gepflegt, gegenseitiges Vertrauen und Wohlwollen gar gibt es immer noch nicht. Die Angst davor, über den Tisch gezogen zu werden und einen ungebührlich hohen Teil der Last schultern zu müssen oder hinters Licht geführt zu werden, überwiegt allemal. Das erzeugt schnell Misstrauen und hartnäckigen Widerstand. Die Sorgen der Landwirtschaft wegen der Folgen des Green Deals, den die EU plant, sind exemplarisch dafür. Der Widerstand ist verständlich, wird doch gerade, was Österreich betrifft, kaum berücksichtigt, was hierzulande bereits geschehen ist.

Da macht es nicht besser, wenn viele der Maßnahmen, die die Umwelt retten sollen, als nichts denn als ungebührliche Griffe in die Säckel der Steuerzahler empfunden werden, die aber nichts zu einer substanziellen Verbesserung der Probleme beitragen.

Die Umweltpolitik vergisst, das ist nicht zu übersehen, trotz aller Beteuerung immer noch viel zu sehr auf die Menschen, auf ihre Bedürfnisse und ihre Sorgen. Und darauf, wie sie mit all dem, was für die Umwelt gut sein mag, umgehen können. Auf den Pendler, der auf sein Auto angewiesen ist, auf den Bauern, der gute Erträge auf den Feldern braucht, auf den Gewerbetreibenden, der schon viel umgesetzt hat, der sich aber von immer neuen Auflagen überfordert fühlt.

Immer nur zu hören, es sei "Fünf vor Zwölf" und jeder habe seinen Beitrag zu leisten, greift da zu kurz. Schon gar, wenn diese Zurufe aus einer Welt kommen, die nichts mit der Lebenswelt der Betroffenen zu tun hat. Es sind das Augenmaß, das viel zu oft fehlt, und die Überzeugung, dass ein Kompromiss oft schneller Fortschritte bringen kann als ein Beharren auf Positionen, die doch nur Blockaden erzeugen und Verzögerungen. Oft, weil man vergisst die Menschen mitzunehmen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 24. Juni 2021

Montag, 21. Juni 2021

Ist gentechnikfrei bald zu teuer?

 

Die Bauern ächzen unter stark gestiegenen Betriebsmittelkosten. Weitgeben können sie die Mehrkosten kaum.

Hans Gmeiner  

Salzburg. Der enorme Anstieg vieler Betriebsmittelpreise wird für die Bauern zunehmend zum Problem. Vor allem bei Futtermitteln gingen die Preise in den vergangenen Monaten regelrecht durch die Decke. Gentechnikfreier Sojaschrot kostet heute gut 850 Euro je Tonne, fast doppelt so viel wie noch vor einem Jahr. Die Preisdifferenz zu gentechnisch verändertem Sojaschrot schnellte von 100 bis 140 Euro auf nunmehr 400 Euro je Tonne.

Besonders zu schaffen macht diese enorme Verteuerung des wichtigsten Eiweißfuttermittels der heimischen Geflügelwirtschaft, die sich zur ausschließlichen Verfütterung von gentechnikfreiem Soja verpflichtet hat. „Der Handel zahlt das nicht“, heißt es aus der Branche. Die Eierproduzenten „fahren im Minus“, wie man formuliert, die Schlachtbetriebe, die für ihre Vertragsbauern den Futtermittelkauf abwickeln, seien „am Ende“. „Der Preisunterschied ist wirtschaftlich nicht mehr darstellbar“, sagt Helmut Feitzlmayr von der Landwirtschaftskammer Oberösterreich.

Auch die Milchbauern, die sich ähnlich wie die Geflügelhalter zu GVO-freier Produktion verpflichtet haben, leiden unter den Kostenerhöhungen. Molkereisprecher Helmut Petschar fordert vom Handel höhere Preise. „Es kann nicht sein, dass Mehraufwendungen nicht abgegolten werden.“

Das könnte weitreichende Folgen haben. Mittlerweile sind die Sorgen so groß, dass manche bereits die gentechnikfreie Produktion von Eiern und Geflügelfleisch in Gefahr sehen. „Wir stehen knapp davor, dass wir sagen müssen, wir müssen von der Gentechnikfreiheit unter Umständen abgehen“, sagt etwa Rupert Bauinger, Chef des Futtermittelherstellers Fixkraft, eines der wichtigsten Lieferanten für die heimische Geflügelbranche.

Aber nicht nur die Geflügelhalter und die Milchbauern haben zu kämpfen. „Alle Bereiche, die auf Fremdfutterzukauf, etwa auch Schweinehalter, angewiesen sind, sind massiv betroffen“, sagen Marktkenner wie Bauinger. Denn auch Mais oder Gerste kosten derzeit knapp vor der neuen Ernte fast doppelt so viel wie vor einem Jahr. „Die Tierhalter sind schwer unter Druck, machen die Futterkosten doch rund zwei Drittel der variablen Kosten aus“, bestätigt auch Ökonom Franz Sinabell vom Wifo.

Unter Druck geraten aber auch die Bauern in anderen Produktionszweigen. Für sie alle bedeutet allein der Anstieg der Dieselpreise um rund 20 Prozent binnen Jahresfrist eine nicht unbeträchtliche Belastung. Auf die Ackerbauern etwa kommen zudem massive Preiserhöhungen bei Dünge- und Pflanzenschutzmitteln zu, die einen großen Teil der Preiszuwächse bei Getreide, Mais, Raps und Soja wieder auffressen. Der Preis für Stickstoffdünger wird von 210 Euro je Tonne im Vorjahr heuer in Richtung 280 Euro je Tonne steigen, die Phosphorpreise haben sich bereits verdoppelt und auch bei Kali zeigt die Preiskurve steil nach oben. Große Sorgen machen auch die Erhöhung der Baukosten und des Bauholzes sowie die Preissteigerungen bei Landtechnik, bei denen die hohen Stahlpreise durchschlagen.

Die zusätzlichen Kosten konnten die Bauern bisher nicht nur bei Geflügel und Milch noch kaum in den Preisen für ihre Produkte unterbringen. Wie weit das gelingt, hängt nach Einschätzung von Franz Sinabell von Verträgen und von der Verhandlungsposition ab. Und die sei schwierig, sagt er und macht den Bauern keine großen Hoffnungen. „Wenn man in einer vertikalen integrierten Produktion ist wie die Landwirtschaft, ist der Spielraum nicht so groß.“ Daher bekamen die Konsumenten bisher noch nicht viel zu spüren. Zumindest bei Sojaprodukten wie Tofu, Sojamilch oder Fleischersatz auf Sojabasis, die aus GVO-freiem Soja hergestellt werden, oder bei Rapsöl könnte das freilich bald anders sein. „Irgendwann wird das wohl teurer werden“, sagt Sinabell.

Weil sich in manchen Bereichen wie bei gentechnisch verändertem Soja, aber auch bei Weizen und Mais die Kurse zuletzt wieder etwas abgeschwächt haben, gehen manche Marktbeobachter davon aus, dass sich die Lage möglicherweise bald zumindest wieder etwas entspannen könnte. Einig ist man sich aber, dass die Preise auch nach der neuen Ernte hoch bleiben werden.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 21. Juni 2021

Donnerstag, 17. Juni 2021

Optimismus setzt sich durch

Geht es nach dem, was hierzulande seit Monaten die öffentliche Diskussion beherrscht, ist Österreich ein tief zerstrittenes Land mit frustrierten und unzufriedenen Bürgerinnen und Bürgern, die die Nase bis oben hin voll haben, ausgelaugt von der Pandemie und ihren Mühen und satt und verbittert darüber, was ihnen die Politiker Tag für Tag zumuten -das Land pfeift und ohne jede Zuversicht und Perspektive quasi aus dem letzten Loch.

Da ist nichts davon zu merken, dass sich längst ein Optimismus breit gemacht hat im Land, den man nie erwartet hätte nach all dem, was in den vergangenen eineinhalb Jahren geschah. Die Zuversicht wächst in Riesenschritten.

"Trotz Krise stieg das Wohlbefinden", war dieser Tage in den Medien zu lesen. Die renommierte Boston Consulting Group reihte im Wohlergehensindex unter 141 untersuchten Ländern Österreich auf den fünften Platz. Sogar drei Ränge besser als noch im Jahr zuvor. "Nur die Schweizer, Norweger, Finnen und Isländer fühlen sich demnach noch wohler als die Österreicher.

Nun mag man den Wohlergehensindex als eines der üblichen und zuweilen inflationär gewordenen Rankings abtun und seine Bedeutung anzweifeln, das Ergebnis trifft sich in hohem Masse mit Einschätzungen, die aus der Wirtschaft zu hören sind. "Es geht uns wirtschaftlich erstaunlich gut, darauf kann man aufbauen", ist zu hören. Von einem "robusten Wachstum" ist die Rede. Und hinter vorgehaltener Hand wird der Politik gute Arbeit attestiert. Selbst vor einer Insolvenzwelle brauche man sich nicht zu fürchten.

Die Einschätzung heimischer Wirtschaftskapitäne deckt sich mit den internationalen Erwartungen. "Kommt jetzt ein neues Wirtschaftswunder?", fragt die deutsche Wochenzeitung "Die Zeit" und umreißt schon im Vorspann zur vorwöchigen Titelgeschichte die Gründe dafür. "Die Firmen sind aus dem Lockdown erwacht, die Leute geben lustvoll Geld aus."

Diese allerorten blühende Zuversicht wird auch von den sehr optimistischen Wirtschaftsprognosen genährt. Nach einem Rückgang von 6,7 Prozent im Vorjahr rechnet nun etwa die Nationalbank für heuer mit einem Wachstum von 3,9 Prozent, das sich im kommenden Jahr dann auf 4,2 Prozent beschleunigen soll. 2023 werde der Aufholprozess abgeschlossen sein, hieß es etwa kürzlich aus der Nationalbank. Auch der Tenor in Wirtschaftsforscherkreisen gibt Grund zu Zuversicht. "Es zeichnet sich jetzt ab, das sich die Konjunktur recht schnell erholen wird, vielleicht schneller, als wir eigentlich gedacht haben", ist zu hören und zu lesen. Und: "Das Vorkrisenniveau -zumindest was das BIP angelangt -könnte in den nächsten Monaten erreicht werden", sagt etwa Margit Schratzenstaller vom Wifo.

Es ist nicht allein das, was überrascht. Untersuchungen zeigen auch gesellschaftliche Nebeneffekte der Pandemie, die durchaus als sehr positiv zu bewerten sind. So sei das nachbarschaftliche Zusammenarbeiten und die gegenseitige Hilfe deutlich angestiegen, hat das Austrias Corona Panel der Uni Wien ermittelt, das seit Pandemiebeginn regelmäßig für das Wohlbefinden entscheidende Faktoren abfragt.

Freilich dürfen bei aller wachsender Zuversicht die Probleme, die die Pandemie mit sich brachte, nicht vom Tisch gewischt werden. Als typisch dafür sei angeführt, was AMS-Chef Johannes Kopf kürzlich sage. Der Arbeitsmarkt entwickle sich zwar besser als die Prognosen, hinter den Detailzahlen versteckten sich aber nach wie vor viele Probleme. Und nicht übersehen werden darf, dass Branchen wie der Fremdenverkehr, die Gastronomie, die Luftfahrt noch längere Zeit mit den Folgen der Krise zu kämpfen haben werden. Der Sommertourismus wird den Winterausfall nicht ausgleichen können und die internationalen Gäste fehlen noch. Ganz abgesehen davon, dass man noch nicht wirklich weiß, ob wirklich alles so schnell aufgeht, wie man sich das derzeit erwartet.

Und trotzdem und auch trotz aufkeimender Inflationssorgen ist es hoch an der Zeit die Dinge wieder nüchterner zu sehen und weniger aufgeregt. Wir werden davonkommen. Überraschend gut sogar, wie es ausschaut.

Viele Österreicher zeigen sich davon freilich noch wenig beeindruckt. Die Verschwörungstheoretiker haben nach wie vor großen Zulauf, heißt es. Noch sehe man keinen Lerneffekt, sagen Beobachter der Szene.

Aber was nicht ist, kann ja bekanntermaßen noch werden.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 17. Juni 2021

Donnerstag, 10. Juni 2021

Beamte auf dem Traktorsitz

In Österreich sei die öffentliche Diskussion über die Landwirtschaft „sehr von Romantik getrieben“ meinte kürzlich die Landwirtschaftsministerin. Da ist ihr nur beizupflichten. Das freilich gilt auch für die Diskussion innerhalb der Landwirtschaft, respektive für die agrarpolitische Diskussion. Auch sie scheint, schaut man sich die Forderungen rund um die EU-Agrarreform und das ÖPUL an, durchaus von Romantik getrieben zu sein. Im Eifer helfen zu wollen, im Streben um Stimmen und freilich oft genug auch, um die eigene Existenz zu sichern, übersieht man wie sehr die Dinge in der Landwirtschaft und in der Agrarpolitik längst aus dem Lot geraten sind.

Schaut man genau hin wird schnell klar, dass die Agrarpolitik über die Jahre ein Konstrukt geworden ist, das mit der Realität immer weniger zu tun hat. Vor allem kann sie all den Bemühungen zu Trotz vielen Bauern kaum mehr Perspektiven bieten.

Im Schnitt machen die Förderungen bereits 70 Prozent des Einkommens aus. Schlimm genug. Noch besorgniserregender ist, dass bei 60 Prozent der Bauern die Förderungen höher sind, als das Einkommen, das ihnen bleibt, wie die Bundesanstalt für Agrarwirtschaft errechnete. Der Nettoumsatz dieser Bauern liegt unter 40.000 Euro, das Einkommen, das sie erzielen, beträgt trotz Ausgleichszahlungen und Förderungen in der Höhe von 13.600 Euro nur magere 7740 Euro. Im Klartext: Sechs von zehn österreichischen Bauern rackern das ganze Jahr über um von 13.600 Euro, die ihnen AMA und EU aufs Konto überweisen, 7750 Euro als Einkommen zu retten. 

Freilich kann man sagen, dafür wird ein Beitrag zur Sicherung der Lebensmittelversorgung und Landschaftserhaltung geleistet und auch Arbeitsplätze in der vor- und nachgelagerten Wirtschaft gesichert. Man kann das aber auch Geldvernichtung nennen, Vernichtung von Steuergeldern gar.

Darüber freilich mag niemand reden. Schon gar nicht in der Landwirtschaft. Auch nicht darüber, dass vor dem Hintergrund der obigen Zahlen sechs von zehn Bauern nichts anderes sind als Beamte auf dem Traktorsitz, die völlig am Tropf des Staates hängen und ihm mit Haut und Haar ausgeliefert sind.

Das soll freilich keine Häme sein, sondern aufrütteln. Es braucht ganz andere Antworten als die, die derzeit die Diskussion bestimmen. So verständlich die Forderung nach höheren Förderungen für kleine Betriebe ist, eine tragfähige Lösung für die Zukunft kann das nicht sein, treibt sie die Bauern nur noch mehr in die Abhängigkeit von öffentlichen Geldern. Nur Zyniker sagen bei der Müllabfuhr oder bei Lehrern sei das nicht anders.

Bauern verstehen sich anders. Darum braucht es andere Ansätze, zumal das Gros dieser Betriebe am öffentlichen Tropf auch im Nebenerwerb bewirtschaftet wird und die Preise sich nicht über Nacht verdoppeln werden. Neue Ansätze braucht es auch bei der Förderung, die nach Ansicht von Experten zu sehr auf klassische Produktionsformen abzielt und sich kreativen Lösungen verweigert.

Es ist hoch an der Zeit sich Fragen wie diesen zu widmen. Viel zu lange schon wurde das versäumt. Auch weil sich Agrarpolitik in den vergangenen Jahren allein auf das Aufstellen von Geldmitteln für die Bauern reduzierte.

Gmeiner meint - Blick ins Land 10.Juni2021

Vom Polit-Schmuddelkind zum neuen Star?

In der österreichischen Politik gibt es in diesen Tagen so etwas wie ein Deja-vu. Die Freiheitliche Partei schickt sich - wieder einmal - zu einem Neustart an. Nach Haider und Strache ist es nun Kickl, dem je nach Blickwinkel von allen Seiten viel Guten oder viel Schlechtes zugetraut wird und der, je nach dem, was man glauben mag von dem, was zu lesen ist, von den Türkisen als "Albtraum" empfunden wird, den Kanzler in die "Bredouille" bringt oder "Folgen für alle Parteien" haben wird.

Die Aufregung ist nicht unbeträchtlich und es steht in der Tat zu befürchten, dass wir wieder sehen, was schon bei Haider und Strache zu sehen war. Da scheint wieder einer, wie schon damals, mit einer Mischung aus Bewunderung, Verachtung und Abscheu gar zu einer Bedeutung hochgeschrieben zu werden, die man ihm eigentlich gar nicht zugestehen will, nur um sich dann darüber zu wundern.

Dabei sollte man aus der Vergangenheit gelernt haben. Nicht zuletzt die überbordende Berichterstattung und just die breit publizierte Verachtung für sein Denken und Tun können sich als Nährboden erweisen dafür, dass er genau jene Bedeutung erlangt, die man verhindern, ihm aber jedenfalls nicht zugestehen will.

Bei Haider war es nicht anders und auch nicht bei Strache. Letzterem widmen auch zwei Jahre nach Ibiza manche Zeitungen noch rührselige Homestorys und halten ihn damit als politischen Geist am Leben, statt endlich über ihn zu schweigen und ausschließlich die Gerichte sprechen zu lassen.

Nun also Kickl. Auch da wird inzwischen thematisiert, dass man im Ausland von ihm und der FPÖ Notiz nimmt und erreicht wieder nichts anderes, als dass man ihn damit gleichsam adelt und ihm eine Bedeutung gibt, die man ihm eigentlich gar nicht geben will. Die Medien sind voll mit Porträts, Einschätzungen und Analysen des Schmuddelkindes der österreichischen Innenpolitik und bereiten so nolens volens den Boden für einen Höhenflug auf.

Der freilich hat schon unter dem Parteiobmann Hofer, angeleitet von Kickl, begonnen. Ibiza hat heute nicht mehr die FPÖ am Hals, wie man meinen könnte, sondern die ÖVP. Und während jüngste Umfragen die FPÖ gar schon wieder bei 20 Prozent sehen, müssen sich die Türkisen von Kurz mit Umfragerückgängen, Vertrauensverlust und unappetitlichen Chats herumschlagen und gegen das Image wehren, Säulen des Rechtsstaates mit politischer Spielmasse zu verwechseln.

Dass wir das alles in Österreich jetzt wieder sehen und erleben müssen und dass einer wie Kickl in der Tat wieder in die Position kommt, das politische Gefüge in diesem Land aufmischen zu können, ist die Krux freilich nicht nur dieses Landes. Auch in anderen Staaten gelingt es nicht, Populisten in die Schranken zu weisen und sich noch von ihnen treiben zu lassen, sondern sich freizuspielen.

Und dennoch müssen sich auch die Parteien Versäumnisse vorhalten lassen. Nicht nur die Türkisen, die gerne an den Pranger gestellt werden wegen des harten Kurses, den sie in der Migrationsfrage und anderen Themen, die der FPÖ die politische Luft nehmen sollten. Sie haben den Freiheitlichen bei den letzten Nationalratswahlen 250.000 Wählerinnen und Wählern abspenstig gemacht. Nun scheint es so, dass sie zumindest einen Teil davon wieder verlieren könnten. Vor allem jene, die von Kurz enttäuscht sind, Wutbürger und all die zahllosen Frustrierten, die sich von der Corona-Politik gegängelt, verachtet und missachtet fühlen, und die mit Freude und Genugtuung sahen, wie Herbert Kickl sein "Kurz muss weg"-Trommelfeuer startete.

Das ist aber nur ein Teil. Versäumnisse müssen sich auch die anderen Parteien vorhalten lassen, allen voran die SPÖ. Sie gewann von den Freiheitlichen bei den letzten Wahlen zwar nicht so viel wie die Türkisen, aber die 141.000 Wählerinnen und Wähler, die laut Sora-Analyse von Blau zu Rot wechselten, sind auch nicht ohne Bedeutung. Auch dort muss sich erst zeigen, ob es gelungen ist, die Wähler nachhaltig für sich zu gewinnen, oder ob die nicht doch, wenn es Kickl nur geschickt genug anstellt, wieder zur FPÖ wechseln.

Aber vielleicht kommt ja doch alles ganz anders. Denn anders als Haider und auch Strache fehlen Kickl Ausstrahlung und Charisma, die in der Politik gemeinhin als die halbe Miete für den durchschlagenden Erfolg gelten.

Aber vielleicht wird ihm auch das noch auf den Leib geschrieben.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 10. Juni 2021

Samstag, 5. Juni 2021

Bio: Nachfrage ist oft höher als das Angebot

 

Der Biomarkt wächst. Neue Weideregeln könnten das Angebot noch verknappen. Die Biobauern wollen ihre Chance nutzen.


Hans Gmeiner  

Salzburg. Zu Jahresbeginn feierte die Biobranche, dass ihre Produkte im Lebensmittelhandel erstmals einen Marktanteil von zehn Prozent erreichten. Nun, nach dem ersten Quartal dieses Jahres, liegt der Anteil sogar bei mehr als elf Prozent. Das freut auch die Bauern. „Im Prinzip haben wir in allen Segmenten ein tolles Wachstum mit zum Teil sogar zweistelligen Zuwachsraten“, sagt Hermann Mittermayr, Vermarktungschef bei Bio Austria, dem größten heimischen Biobauernverband. „Der Markt ist intakt, die Nachfrage teilweise größer als das Angebot, die Zeichen stehen klar auf Wachstum.“ Sogar auf dem Getreidemarkt, der in den vergangenen Jahren unter Überschüssen und schlechten Preisen litt, sei inzwischen ein Wendepunkt erreicht.

Die Sorgen der Politik und der Standesvertretung, dass sich Bioproduktion und Absatz nicht im Gleichklang entwickeln, und Vorhaltungen, dass man in manchen Bereichen bereits jetzt auf Exporte als Ventil angewiesen sei, die den Preisdruck auch im Inland erhöhen könnten, mag Mittermayr nicht teilen: „Märkte und Produktion haben sich noch nie auf Dauer parallel entwickelt, da müssten wir woanders daheim sein, aber dieses System gibt’s nicht mehr.“ Er hält wenig von Eingriffen in die Entwicklung der Märkte: „Es wird immer Schwankungen geben, damit muss man leben.“ Daher will er Gelegenheiten, die sich im Export auftun, nicht ungenutzt lassen. „Wenn ich sehe, wie ein Markt über Jahre wächst, muss ich chancenorientiert denken.“ Viele Verarbeiter sähen das so wie er. „Meine Aufgabe ist es, die Nachfrage zu befriedigen.“

Typisch dafür ist die Entwicklung bei Masthühnern in Deutschland. „Der dortige Markt wuchs in den vergangenen zwei Jahren um mehr als 60 Prozent, dort reißt man uns die Ware aus den Händen“, sagt Mittermayr. Aber auch die anderen Märkte, auf denen die heimischen Biobauern und die Verarbeiter unterwegs sind, entwickeln sich sehr gut. Bei Getreide gehen gut 50 Prozent der Ware ins Ausland, vorwiegend nach Deutschland und in die Schweiz. Bei Biomilch wird die Exportquote auf rund ein Drittel geschätzt. Viele Bauern liefern seit Jahren direkt an deutsche Molkereien. „Aber auch alle heimischen Molkereien sind mit Bioprodukten im Ausland präsent“, sagt Mittermayr. Als zukunftsträchtiger Markt gilt die Sojaproduktion, bei dem im Biobereich der Exportanteil bereits bei rund 25 Prozent liegt.

Die Biobauern dürfen sich über die Situation freuen. „Die Entwicklung ist grundsätzlich positiv, weil die Marktchancen intakt sind“, sagt der oberste Bio-Austria-Vermarkter. Ein „Turnaround-Jahr“ nennt er das heurige Jahr für die Getreidebauern. „Die Lager sind geräumt, der Markt und die Preise haben angezogen“, sagt Mittermayr. Auch der Milchpreis sei jetzt „nicht grundsätzlich schlecht“ und auch im Ausland seien die Preise gut. Und auch bei Fleisch sei die Nachfrage größer als das Angebot. Während Mittermayr bei Schweinefleisch von einem kontinuierlichen Wachstum spricht, sieht er bei Faschierfleisch hohe Wachstumsraten. Bei Mastrindern sei in Deutschland das Angebot längst verkauft.

Bei Milch und bei Rindfleisch könnte sich die Lage sogar noch weiter zuspitzen. Der Grund dafür ist die Verschärfung der Weideregeln im Zuge der neuen EU-Biovorschriften. Noch fehlen zwar die Verordnungen zur Umsetzung der neuen Regularien, aber in Kreisen der Bauernschaft rechnet man längst mögliche Szenarien durch. Je nachdem wie streng die neuen Regeln ausfallen, geht man davon aus, dass bis zu 20 Prozent der Rindfleisch- und Milchproduzenten aus Bio aussteigen müssen, weil sie die neuen Vorschriften nicht erfüllen können. „Für uns geht das dann darum, trotzdem den Markt versorgen zu müssen“, sagt Mittermayr.

Dieses Thema ist auch für die heimischen Molkereien sehr brisant, weil dadurch ihre Verarbeitungs- und Vermarktungsstruktur, aber auch das Preisgefüge bei den Bauernpreisen kräftig durcheinanderkommen können. Weniger Bioangebot von den Bauern bedeutet für sie automatisch mehr konventionell erzeugte Ware, weil der Großteil der Bauern weiter Milch liefern wird, auch wenn sie die Biokriterien nicht mehr erfüllen können. Da nimmt nicht wunder, dass die Molkereien mit Kopfschütteln verfolgen, dass sich die Politik nicht mehr für die speziellen Anliegen der österreichischen Biobauern bei den Regelungen für die Weidehaltung einsetzt.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 5. Juni 2021
 
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