Donnerstag, 30. Januar 2020

Ein Problem, das nicht vom Himmel fiel



Seit Wochen herrscht rund um die heimische Biolandwirtschaft, respektive um die EU-Bioverordnung und ihre Folgen für Österreich, hektische Betriebsamkeit. Papiere da, Nachrichten von Gesprächen dort, Pressekonferenzen, sogar der EU-Agrarkommissar wurde auf einen Biobauernhof ins Burgenland gelotst. 

Offiziell tut man alles, um Aktivität zu zeigen und Einsatz für die Biobauern, die mit der Weidepflicht, wie sie die EU nun unter Berufung auf mehr als ein Jahrzehnt gültige Vorschriften verlangt, in mitunter existenzielle Schwierigkeiten kommen. „Wir arbeiten gemeinsam an praxistauglichen Lösungen“, heißt es von der Landwirtschaftsministerin bis hin zur Bio Austria.

Aber all das Getöse, das nun gemacht wird, kann nicht verbergen, dass die Performance der Agrarier rund um die EU-Prüfung in Österreich, bei dem neben anderem auch der lockere Umgang mit den Weidevorschriften beanstandet wurde, sehr überschaubar ist. Die EU-Bioverordnung hat man von Anfang unterschätzt und man hat sich allerorten drauf verlassen, dass man das auf die gute österreichische Art wieder hinkriegt. „Man hat vielleicht zulange weggeschaut“, sagen inzwischen nicht nur notorische Kritiker der Gepflogenheiten der heimischen Agrarpolitik und Vertretung. 

Denn das Problem, ist nicht, wie man immer noch gerne den Eindruck zu erwecken versucht, einfach vom Himmel gefallen. Es ist seit Jahren bekannt. Die EU-Kontrolleure waren 2017 im Land und spätestens seither wusste man um den Handlungsbedarf. Dass die offizielle Beanstandung erst im Herbst des vergangenen Jahres in Wien ankam, ist da nur eine schwache Ausrede, die nun vielen Bauern zum Verhängnis wird, die vielleicht längst reagieren hätten können, wenn sie nur etwas davon geahnt hätten, dass etwas im Busch ist.

Der Rückblick zeigt auch, dass die heimischen Agrarier, respektive auch die Bio-Vertreter, das Problem Weidehaltung nie auf dem Radar, geschweige denn auf der Agenda hatten. Nicht bei der Umsetzung der Verordnung aus dem Jahr 2008, die jetzt für so viel Wirbel sorgt. Und auch nicht bei der Diskussion um die Gestaltung der neuen EU-Bioverordnung, die ab 2021 in Kraft tritt und längst beschlossen, die bestehende Regelung nur fortschreibt. Die Frage stellt sich daher – hat man das Thema schlicht übersehen, oder hat man es falsch eingeschätzt?

Faktum ist, dass „Unpraktikable Kontroll- und Berichtsvorgaben“, „Unklarheiten in Bezug auf Tierzukäufe und Umstellung auf biologische Produktion“ und die Absicht, den Biobauern die Verantwortung für Verunreinigungen durch Pflanzenschutzmittel in die Schuhe zu schieben, in den Stellungnahmen unter anderem von Bio-Austria immer ganz oben standen. Nie aber war die Rede von der Weideverpflichtung. Dass sich die Obfrau von Bio Austria nach der Einigung auf die neue Bioverordnung selbst dafür lobte, dass es gelungen sei, dem ursprünglichen Entwurf der EU-Kommission „die Giftzähne“ zu ziehen, nimmt sich angesichts des nunmehrigen Palawatsches, gelinde gesagt, als seltsam aus. 

Aber sei's drum. Die Biobauern brauchen möglichst rasch Klarheit. Sie können nur hoffen, dass das, was sie derzeit von allen Seiten an Versprechungen geboten bekommen, auch Wirklichkeit wird. 

Gmeiner meint - 30. Jänner 2020  Blick ins Land

Zwischen Versprechen und Wirklichkeit



In Österreich ist man ja gemeinhin stolz auf seine Freundlichkeit. Und die Unternehmen, wir leben ja in einer Dienstleistungsgesellschaft, auf die Kundenorientierung. Man weiß ja, worauf es ankommt. "Wir wollen ja zufriedene Kunden", sagt man gerne und "Bei uns ist der Kunde König", verspricht man mitunter so gerne wie vollmundig.

Der gemeine österreichische Kunde, respektive die gemeine österreichische Kundin, lässt sich davon nicht beeindrucken und pflegt, was die Versprechungen betrifft, eine große Portion Skepsis, sind doch die Erfahrungen oft ganz andere, die man selbst immer wieder machen muss. Und die oft wenig mit dem zu tun haben, was versprochen wird. "Bei der Kundenorientierung haben die Unternehmen noch viel Luft nach oben", fassten die Medien jüngst das Ergebnis einer Imas-Umfrage zusammen. Auf der Skala von eins bis zehn gab es in der Umfrage für die Kundenorientierung heimischer Unternehmen nur die bescheidene Note 5,9. Bestnoten verteilten in der der Umfrage nur 25 Prozent der Befragten.

Als ausschlaggebend für die Zufriedenheit, respektive die Unzufriedenheit, nennt Imas insbesondere das Auftreten des Personals. Unhöflichkeit, Inkompetenz und schlechte Beratung sind es, die die Konsumenten vor allem stören, wenn sie einkaufen. Rund 80 Prozent der Befragten gaben an, bei Inanspruchnahme einer Dienstleistung oder beim Kauf eines Produktes schlechte Erfahrungen gemacht zu haben. Jeder fünfte der Befragten nannte unfreundliches Personal als Begründung für die schlechte Benotung und elf Prozent beklagten die Inkompetenz der Verkäuferinnen und Verkäufer. Das ist ein sehr dürftiges Ergebnis, zumal für Branchen die Jahr für Jahr unter größeren Druck durch den Online-Handel und andere Online-Geschäfte kommen. Mit Kundenorientierung zumindest gelingt es derzeit allem Anschein nach nicht dagegen anzugehen.

Denn der Alltag zeigt den Konsumenten immer wieder, wie weit Versprechen und Wirklichkeit auseinanderklaffen. Etwa, wenn ein "Fachberater" bei der Beratung beim Kauf etwa eines elektronischen Gerätes allein damit glänzt, dass er die Angaben am Preisschild vorlesen kann, aber bei der ersten Nachfrage nach mehr Details passen muss. Oder wenn selbst an Einkaufssamstagen von den mehr als fünf Kassen nur eine einzige geöffnet ist. Gar nicht zu reden davon, wenn man stundenlang versucht, in Hotlines Auskunft zu bekommen. Und sehr schnell vorbei mit der Kundenorientierung ist es auch, das bestätigt die Umfrage, wenn es um Service-oder Garantiefragen geht. Da werden die Unternehmen sehr schnell sehr schmallippig und der Kunde, an dem zu orientieren angeblich das ganze Trachten des Unternehmens ist, sehr schnell zu einem lästigen Bittsteller.

Und enttäuscht wird oft auch, wer die Versprechen der Kundenorientierung ernst nimmt und auf das Angebot zurückkommt, sich in Fragekarten oder gar im Internet über die Erfahrungen und die Zufriedenheit mit einem gerade abgewickelten Geschäft oder ein in Anspruch genommenes Angebot zu äußern. Reaktionen darauf gibt es praktisch kaum, allenfalls, dass sich ein sogenannter Bot, ein auf Höflichkeit und Unverbindlichkeit programmierter Schreibautomat, bedankt. In Wahrheit ist das freilich meist nichts anderes als die Bestätigung dafür, dass man für den großen Papierkorb geschrieben hat.

Zu billig ist es, die gesamte Verantwortung dafür auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter abzuwälzen. Die mögen einen Teil dazu beitragen, aber sie haben es auch nicht immer einfach. Zum einen, weil die Kundinnen und Kunden auch keine Engel sind, sondern oft bis an die Grenzen der Erträglichkeiten unfreundlich und lästig sein können. Zum anderen aber auch, weil sie wohl auch allzuoft von den Unternehmen zu wenig Unterstützung und Anerkennung bekommen.

Viel wäre wahrscheinlich gemacht, wenn die Unternehmen ihre Versprechen selbst ernst nehmen würden. Wie überall geht es dabei um Glaubwürdigkeit. Wenn man schon beim ersten Lüfterl, wo es um Kundenorientierung geht, einknickt, wird man es wohl nie schaffen, der Online-Welt tatsächlich die Stirn bieten zu können.

Die Kunden sitzen am längeren Ast. Und ihre Erwartungen steigen. Das verlangt, dass Kundenorientierung nicht nur als Konzept aufgeschrieben und als Werbeargument eingesetzt wird, weil man weiß, dass es gut klingt und heute erwartet wird.

Sie muss auch gelebt werden. Nur dann kann sie ein Erfolgskonzept werden.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 30. Jänner 2020

Mittwoch, 22. Januar 2020

Man will es blitzen sehen



"Die schwarz-grünen Flitterwochen sind vorbei!" schrieb Norbert Hofer schon am 15. Jänner, gerade einmal eine Woche nach dem Amtsantritt der neuen Regierung ganz aufgeplustert. "Nur wenige Tage nach der Angelobung der schwarz-grünen Linksregierung" sei bereits das pure Chaos ausgebrochen, von Einigkeit, Gleichklang und Fortschritt fehle jede Spur. Schon jetzt erinnere alles an die seinerzeitige rot-schwarze Regierung, "wo es nur Stillstand und Dauerstreit" gegeben habe.

Eh klar, Norbert Hofer könnte man das leicht abtun. Wenn es denn wirklich nur er wäre. Es scheinen aber weite Teile des Landes mit nichts anderem beschäftigt, als (sieht man von des neuen Vizekanzlers Krawattengepflogenheiten, seinen Essgewohnheiten, bei denen es offenbar schon auch einmal ein Burger sein darf, ab) fliegende Fetzen und Streit zwischen Türkis und Grün auszumachen.

Als der frisch bestellte Sozialminister Rudi Anschober unmittelbar nach seiner Angelobung davon sprach, dass es zwischen Türkis und Schwarz Unterschiede gebe und es schwieriger werden werde als seinerzeit in Oberösterreich, rieben sich manche der professionellen Politzündler in diesem Land gleich die Hände. Und als der Nämliche signalisierte, dass er sich das geplante Ende der Hacklerregelung genau anschauen wolle, war gleich "vom ersten Zwist" die Rede.

"In der Woche nach der Angelobung der neuen Regierung treten die Differenzen zwischen Türkis und Grün vermehrt zu Tag" versuchte man selbst auf orf.at Zwist zu streuen. Man verbreiterte sich über die Kopftuchverbot-Aussagen der Integrationsministerin, "bei denen die Positionen der Regierungspartner offensichtlich auseinandergehen" und brachte im Handumdrehen die Absage des VP-Außenministers an das UNO-Migrationspaket als weiteres Signal in diese Richtung ins Spiel.

Dieses Sticheln, dieses Andeuten, dieses mit zwielichtiger Absicht Hinschreiben von Mutmaßungen ist so bezeichnend dafür, wie dieses Land tickt respektive wie viele in diesem Land ticken. Gibt es keinen Streit, fliegen nicht irgendwo die Hackeln, wird nicht irgendwer schlecht geredet, scheint man sich nicht wohlzufühlen und keine Ruhe zu finden. So als könne man es nicht aushalten, wenn zwei in diesem Falle Parteien, in Ruhe eine ohnehin schon sehr schwierige Übung versuchen, tut man alles, um Unruhe hineinzubringen. Kurz und Kogler sind jetzt seit etwas mehr als zwei Wochen am Ruder und streiten immer noch nicht, das kann doch wohl nicht sein. "Ganze Heerscharen von Journalisten und Politikberatern suchen mit Akribie und Verbissenheit nach den Haaren in der türkis-grünen Koalitionssuppe", schrieb eine Zeitung. Sie hat wohl recht damit.

Das ist so österreichisch. Die Haare in der Suppe zu suchen, die Fehler, die Schwächen.

Nicht die Chancen will man sehen, sondern sich an dem Streit ergötzen. Man will es krachen hören und blitzen sehen, um sich wohl zu fühlen. Erst dann ist die Welt wieder in Ordnung, kann man dann doch wieder über die Polit-Streithanseln und darüber, dass sie nur streiten und nichts zusammenbringen, schimpfen.

Das ist wohl auch Ausdruck dafür, dass man sich schwer tut, sich mit diesen neuen Verhältnissen zurechtzufinden. Die Oppositionsparteien suchen ihre Rolle, die Presse und die Kommentatoren, die gesamte interessierte österreichische Öffentlichkeit. Zu einem Ergebnis ist man noch nicht gekommen. Allenfalls zu einem Zwischenergebnis. "Die Regierung blinkt links-mitterechts" lautete das in einem Leitartikel der Salzburger Nachrichten zusammengefasste Ergebnis für viele. Es spiegelt die allgemeine Ratlosigkeit.

Dass man nicht willens ist, der ÖVP eine 100-Tages-Frist einzuräumen, die normalerweise einer neuen Regierung eingeräumt wird, mag noch nachvollziehbar sein. Dass man aber auch nicht willens ist, sie den Grünen zuzugestehen erstaunt doch. Zuweilen hat man den Eindruck, als sei man eher willens von ihnen zu verlangen, dass diese Regierung nicht länger als 100 Tage hält.

Am besten scheinen derzeit die beiden Parteien selbst mit dem "Ritt auf der Rasierklinge", wie es Werner Kogler nannte, zurechtzukommen. Ihnen scheint, das jedenfalls ist der Eindruck der ersten guten zwei Wochen, sehr bewusst zu sein, wie heikel der Weg ist, den sie gemeinsam gehen wollen und wie viel er ihnen abverlangt. Man weiß, was geht. Und man weiß, was nicht geht. Und man nimmt das, derzeit jedenfalls und trotz aller Zurufe, sehr ernst.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung 22. Jänner 2020

Donnerstag, 16. Januar 2020

Alte Themen, neue Töne



"Atomkraft könnte unser Klimaproblem sofort lösen", "Es sterben jedes Jahr Millionen Menschen wegen Luftverschmutzung durch fossile Brennstoffe und die Leute fürchten sich vor den Atomkraftwerken, wo oben nur Wasserdampf herauskommt." Ungewohnt klingen diese Sätze. Zumal für österreichische Ohren.

In letzter Zeit sind solche Sätze, wie diese von einem jungen österreichischen Wissenschafter, immer öfter zu hören. Und das ist gut so. Nicht, weil Atomkraft gut ist, aber weil es gut ist endlich wieder über etwas zu reden, worüber in diesem Land zu reden oder sogar darüber nachzudenken seit Jahrzehnten verpönt ist.

Nun scheint sich aber das Klima zu ändern und der Widerstand aufzuweichen. Paradoxerweise vor allem wegen des Klimawandels. "Atomstrom könnte ein wichtiges Puzzlestück im Kampf gegen den Klimawandel sein", ist mit einem Mal zu lesen, man beschäftigt sich mit der Frage "Klimaretter Atomstrom?", schreibt davon, dass es "eine beachtliche Pro-Atom-Fraktion der amerikanischen Ökobewegung" gebe und versucht sich sogar auf Greta Thunberg zu berufen, der das Zitat zugeschrieben wird: "Persönlich bin ich gegen Atomenergie. Allerdings kann sie ein kleiner Teil einer großen CO2-freien Energie-Lösung sein." Beim Thema Gentechnik ist die Haltung nicht anders seit Jahrzehnten. Auch dort sind, da und dort zumindest, andere Töne, selbst von grüner Seite zu vernehmen.

Während man auf internationaler Ebene damit umzugehen versteht und keine Scheu hat, diese Technologien auch einzusetzen, weigert man sich hierzulande freilich immer noch mit Bestemm gegen diese Technologien. Das Meinungsklima in diesem Land ist in Ablehnung erstarrt. Jede Diskussion wird seit Jahrzehnten abgewürgt, jede Auseinandersetzung mit solchen Themen erst recht. Man weigert sich Möglichkeiten zu sehen und ist ausschließlich auf mögliche Gefahren fixiert. Niemand will sich mehr antun, darüber zu reden. Nicht nur wegen der Aussichtslosigkeit, sondern auch wegen der einhelligen Verachtung, die jedem entgegenschlägt.

Die Ablehnung solcher Technologien und selbst der Diskussion darüber ist zur Kultur geworden in diesem Land. Die Ablehnung kommt reflexartig und ungeprüft. Und immer mit größtmöglicher Wucht. Die einhellige Ablehnung ist so sehr einbetoniert, dass jede ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema als vergeudete Zeit erscheint. Ganz abgesehen davon, dass es immer noch einem politischen Selbstmord gliche, mit einem dieser Themen anzustreifen. Und das nicht nur bei den großen Themen, sondern auch bei vielen kleineren wie etwa dem Pflanzenschutz, bei neuen Informationstechnologien oder anderen. Das ist schade. Und es ist auch fahrlässig. Denkverboten, zumal wenn sie auch wissenschaftliche Themen betreffen, sollte man sich nicht unterwerfen.

Die Ursachen dafür sind vielfältig. Das Vertrauen in Fortschritt und Lösungen ist nicht nur bei Technologien wie Atomkraft oder Gentechnik schwer beschädigt. Das freilich ist angesichts der zahllosen Sünden, Fehlentwicklungen und falschen Versprechungen aus der Vergangenheit nicht unverständlich. Aber damit blockiert man sich selbst, wenn man nach hinten denkt und nicht nach vorne.

Die Herausforderung ist es, die Blockaden zu lösen und wieder Vertrauen zu erzeugen. Vertrauen in die Fakten, um nicht nur die Gefahren, sondern auch die Möglichkeiten beurteilen zu können. "Die moderne Technologiefeindlichkeit speist sich aus dem mangelnden Wissen über Zusammenhänge" wird gerne ins Treffen geführt. Das scheint ein Ansatzpunkt zu sein.

Dazu braucht es freilich die Bereitschaft, sich überhaupt einmal auf eine Auseinandersetzung einzulassen. Und dazu braucht es auch das nötige Wissen. Vor allem, was die Naturwissenschaften betrifft. Dort gibt es, wie es der deutschösterreichische Journalist Timo Küntzle einmal nannte, einen regelrechten "Bildungsnotstand". "Politiker, Journalisten, Lehrer usw. versagen beim Unterschied zwischen Heu &Stroh, Medizin &Esoterik, Dünger &Pflanzenschutzmitteln".

Diesen Bildungsnotstand zu beheben, wäre wohl der erste Schritt zu einer offenen Diskussion und einer Auflösung der alles lähmenden Erstarrung bei vielen der Themen, bei denen hierzulande so etwas wie ein Denkverbot herrscht. Scheuklappen und Tunnelblick waren noch nie eine Lösung. Und sich davon zu lösen heißt ja nicht, auch alle Vernunft fahren zu lassen.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 16. Jänner 2020

Donnerstag, 9. Januar 2020

Ein gutes Zeichen



Das Spektrum der Meinungen ist wie das Spektrum der Sorgen weit gestreut, seit fix ist, dass die konservative ÖVP und die Grünen nun in einer Koalition gemeinsame Regierungssache machen. Von einem "Wagnis" ist die Rede, wenn man guten Willen zeigen will, von einer "Bauchwehpartie", wenn man zum Ausdruck bringt, dass man der Sache nicht wirklich traut, die da auf das Land zukommt. Und viele fragen wie die auflagenstärkste Zeitung in diesem Land: "Geht das gut mit dieser Regierung?"

Als gutes Zeichen ist jedenfalls zu werten, dass so etwas in unserem Land überhaupt möglich ist. Wenn es sein kann, dass zwei so unterschiedliche gesellschaftspolitische Richtungen und ideologisch einander so fernstehende Gruppen sich an einen Tisch setzen, um eine Programm für eine gemeinsam Regierung auszuarbeiten und um in den nächsten Jahren an einem Strang zu ziehen, dann ist das nur positiv zu bewerten. Vor allem vor dem Hintergrund der vergangenen Jahre, in denen der Riss im Land kaum mehr zu übersehen war, in denen Österreich in ein rechte und in eine linke Hälfte zu zerfallen drohte. Die sich mit oft nichts denn blankem Hass gegenüberstanden. Die ihre Energie darein setzten, sich gegenseitig schlecht zu machen, wo der Konsens verweigert wurde, jeder Kompromiss als schwach und schlecht galt.

Nun aber darf man hoffen, dass es, auch wenn die Mehrheit nur dünn ist, diese Klammer wieder gibt, die die Gesellschaft, jene, die sich nach links orientiert genauso wie jene, die sich nach rechts orientiert, zusammenhält. Das ist angesichts der Entwicklungen, die sich in den vergangenen Jahren abzeichneten, nicht hoch genug einzuschätzen.

Türkis-grün wird von vielen Beobachtern als historisch bewertet. Welche Motive auch immer dahinter stehen mögen, es ist jedenfalls die interessanteste Konstellation in der Geschichte der Zweiten Republik. Und vor dem Hintergrund, dass sich zwei einander fernstehende Lager über alle Gegensätze hinweg zur Zusammenarbeit entschlossen, sogar vergleichbar mit der Einigkeit nach dem Krieg, als es darum ging, Österreich gemeinsam wieder hochzubringen.

Die neue Koalition, die es in dieser Form auf Bundesebene zumindest in Österreich bisher noch nie gab, ist auch Übung in Demokratie und im gegenseitigen Umgang miteinander, etwas, was in den vergangenen Jahren zuweilen völlig untergangen ist.

Freilich ist das alles einstweilen nicht mehr als eine Hoffnung. Und die Zeit wird weisen, ob die sich auch erfüllen wird. Man weiß um die möglichen Spannungen, die dem türkis-grünen Regierungsprojekt innewohnen, man kennt die Minenfelder. Und man weiß, dass in jeder der beiden Parteien politische Scharfmacher auf ihre Stunde warten, um der Koalition die Arbeit und Leben so schwer wie möglich zu machen. Und doch soll man darauf hoffen, dass die Gräben in der Gesellschaft zumindest wieder kleiner werden.

Dem Land kann das nur guttun. Auch wenn es sehr fordernd nicht nur für die Politik, sondern auch für jeden von uns werden mag. Der Änderungsbedarf ist hoch, der Anpassungsbedarf auch. Es gibt genug zu arbeiten. Es ist zu hoffen, dass der Schwung der Verhandlungen möglichst lange anhält, dass sich die neue Koalition nicht gleich wieder an alten Fronten festbeißt und das Land in eine politische Lähmung verfällt.

Nach einem dreiviertel Jahr Stillstand, nach einem eher unappetitlichen Wahlkampf und nach langem Warten hoffen alle in diesem Land, dass nun wieder etwas weitergeht. Und dass es ruhig weitergeht. Ohne ständige Anpatzereien und ohne gegenseitiges Heruntermachen.

Das gilt übrigens auch für die Oppositionsparteien. Sie sollten sich einer konstruktiven Kritik verpflichten und es sich nicht zur obersten Leitlinie machen, die Regierung oder einzelne Personen, die ihr angehören, von vorneherein schlecht zu machen.

Die Politik in diesem Land hat in den vergangenen Jahren ihren Ruf arg strapaziert. Die neuen Verhältnisse sind eine Gelegenheit diesen Ruf zu korrigieren. Kurz und Kogler haben gezeigt, wie das gehen kann. Für andere sollten sie Vorbild sein. Auch, wenn es denen möglicherweise sehr schwer fällt. Viele im Land jedenfalls würden es ihnen danken.

Vielleicht ja sogar mit Stimmen bei der nächsten Wahl.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 9. Jänner 2020

Mittwoch, 8. Januar 2020

Welche Landwirtschaft wollen wir?



Der „Green Deal“ der neuen EU-Kommission, die EU-Agrarreform, die neue Regierung in Wien: Die Bauern sind verunsichert. „Was will man von uns?“, fragen sich viele. Dabei hätte die Landwirtschaft sehr viel zu bieten, gerade in Sachen Klimaschutz.

Hans Gmeiner 


Salzburg. In Deutschland fuhren vor wenigen Wochen Tausende Bauern mit ihren Traktoren nach Berlin, weil sie sich von der Gesellschaft immer weniger verstanden fühlen. Auch in Österreich formiert sich abseits der Agrarpolitik eine ähnliche Bewegung. Das sind Zeichen, dass die Bauern unter Druck stehen. Sie sind verunsichert, weil sie nicht wissen, welche Landwirtschaft gewünscht wird. Dazu ist in vielen Bereichen die Preissituation angespannt, selbst in der Biolandwirtschaft rutschen in manchen Sparten die Preise, weil der Markt das Angebot nicht mehr aufnimmt.

Für die Bauern ist daher besonders spannend, wie sich der von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen angekündigte „Green Deal“ in der EU-Agrarreform auswirken und was die Beteiligung der Grünen an der Regierung in Österreich bringen wird. Dazu kommt, dass die für 2030 gesetzten Klimaziele fordernd sind, obwohl die CO2 -Emissionen der Landwirtschaft im Vergleich zum Verkehr und zur Industrie gering sind.

„Die Landwirtschaft erreicht mit Ach und Krach die Ziele für 2020“, sagt Franz Sinabell vom Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo). „Um die Ziele 2030 zu erreichen, muss man den Ausstoß massiv reduzieren.“ Die Stickstoffemissionen wie Ammoniak und das Treibhausgas Methan stehen dabei im Zentrum. Vor allem die Tierhalter müssen sich auf zum Teil massive Ausgaben gefasst machen. „Wenn man ernst nimmt, was auf die Landwirtschaft zukommt, bedeutet das Investitionen in emissionsmindernde Stallsysteme“, sagt Sinabell. Dabei kann der Trend zu modernen Haltungssystemen, auf den die Agrarier seit Jahren setzen, im Hinblick auf das Klima sogar kontraproduktiv sein. „Solche Systeme verringern nämlich die Emissionen nicht, sondern verstärken sie eher“, sagt Sinabell. „Die Anbindehaltung von Rindern ist in dieser Hinsicht günstiger.“

Ein zweiter wichtiger Beitrag, den die Landwirtschaft leisten könne, sei der verstärkte Einsatz von Biotreibstoffen. Der gilt nicht nur in der Landwirtschaft, sondern auch im Verkehr als Gebot der Stunde. Dort brächte eine Erhöhung des Ethanolanteils von fünf auf zehn Prozent wie in Deutschland markante Fortschritte. Die Erzeugung der dafür notwendigen Rohstoffe wäre für die Bauern nicht nur Belastung, sondern ein wichtiger Produktionszweig. Dass die Debatte „Tank-Teller“ wieder aufflammt, glaubt Sinabell nicht. „Die technische Entwicklung ist weitergegangen, die zweite Generation Biotreibstoffe, für die Holz die Rohstoffgrundlage ist, ist jetzt reif für die industrielle Produktion.“

Was die Landwirtschaft noch zur Rettung des Klimas bieten kann, läuft unter dem Schlagwort „Bioökonomie“, die als eine der großen Zukunftschancen gilt. Erst im November legte Österreich, deutlich später als Deutschland, einen Aktionsplan vor, der nachwachsende Rohstoffe im Kampf ums Klima in den Mittelpunkt stellt. Als „besondere Stärkefelder“ werden neben Biotreibstoffen und der Nutzung von Bioenergie natürliche Bau- und Dämmstoffe, Werkstoffe auf biogener Basis, der Holzbau, aber auch chemische Produkte genannt. Zentraler Teil der Strategie ist auch der bewusste Umgang mit Lebensmitteln und die Wiederverwertung von Abfällen. Große Sorgen macht Sinabell die Forstwirtschaft. „Der Übergang vom jetzigen Waldbestand zu einem klimafitten Wald ist ein Riesenthema“, sagt er. Ohne regulierende Maßnahmen werde es weder bei Treibstoffen noch bei Holz, bei Biokunststoffen oder in anderen Bereichen gehen. „Ineinandergreifen kann das nur, indem wir fossile Rohstoffe massiv teurer machen, sonst geht das nicht.“

In den vergangenen Jahrzehnten wurden die Hoffnungen der Landwirtschaft, mit nachwachsenden Rohstoffen ein zukunftsträchtiges Standbein zu bekommen, mehrfach enttäuscht. Diesmal könnte es anders sein. „Wir brauchen nicht nur Lebensmittel von der Landwirtschaft, sondern auch Rohstoffe, um fossile Energieträger zu ersetzen. Sonst ist die Abkehr vom Öl nicht zu schaffen“, sagt Sinabell.

Zur Erfüllung dieser Aufgaben seien eine leistungsfähige Landwirtschaft und agrarische Produktion vor Ort nötig. „Dazu braucht die Landwirtschaft die nötigen Werkzeuge wie etwa Pflanzenschutzmittel und auch Dünger.“ Statt Verboten hält Sinabell es für „vernünftiger“, sich im Pflanzenschutz an dem zu orientieren, was die EFSA, die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, befindet.

Denn oft tun sich Widersprüchlichkeiten auf, die die Bemühungen im Klimaschutz erst recht hemmen. „Wenn ich verschiedene Mittel nicht mehr zur Verfügung habe, kann ich treibstoffsparende Maßnahmen oft nicht mehr durchführen.“ Der Agrarexperte warnt davor, die Landwirtschaft in eine Richtung zu drängen. „Man kann Bauern nur dabei unterstützen, ihren Weg zu gehen, gleich ob in Richtung Rohstofferzeugung oder in Richtung bio und Spezialitäten.“ Die Landwirte müssten vor allem danach trachten, „dass sie wettbewerbsfähig bleiben, und sie sollen erwarten können, dass sie von der Politik nicht ausgebremst werden“, sagt Sinabell.


Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 8. Jänner 2020

Donnerstag, 2. Januar 2020

Wie es ganz sicher auch nicht geht



Wenn die Führungsriege einer Landes-Landwirtschaftskammer zu einer Bezirks-Bauernversammlung lädt, um „das direkte Gespräch“ zu suchen, wie es in der Einladung heißt, und von gut 1000 Geladenen, wie unlängst im Oberösterreichischen, nur 40 kommen, dann hat die Landwirtschaftskammer ein Problem. Das jedenfalls ist die gängige Einschätzung und sie ist wohl auch nicht ganz falsch, ist doch das ein klares Zeichen dafür, das sich die Kammer schwer tut, die Bauern zu erreichen. Darüber muss man reden. Fraglos.

Wenn nur 40 Bäuerinnen und Bauern zu einer Veranstaltung in dieses Kalibers kommen, dann heißt das aber auch, dass gerade einmal ein Bruchteil der Bauernvertreter aus den Ortsbauernausschüssen und der Bezirksbauernkammer es der Mühe wert gefunden haben, ihre Einschätzungen und Wünsche gegenüber der Kammerführung zu artikulieren. Dann ist das Amtsverständnis dieser Leute zu hinterfragen und wie sie es mit der Vertretung der Interessen der Bauern halten, die sie gewählt haben.

Wenn keiner hingeht, sollte man freilich auch über das Verhalten der Bauern reden. Man kann verstehen, dass viele von ihnen unzufrieden sind und mit dem Gefühl kämpfen, ohnehin kaum gehört oder gar ernst genommen zu werden. Man muss aber freilich auch darüber reden, ob das nicht weniger eine Erklärung dafür ist, dass man nicht zu so einer Veranstaltung geht, sondern doch sehr viel eher eine Ausrede.

Letzteres passt wohl besser zum Denken und Verhalten vieler Bauern. Denn die lassen sich – nicht nur im Oberösterreichischen - oft viel zu gerne zurück, als ginge sie alles nichts an und schieben lieber die Verantwortung auf andere. Wenn es um das Fortkommen ihres Betriebes geht, im Geschäft also, ist das so, aber auch in der öffentlichen Diskussion, wenn es um Bauernthemen geht und wenn es um Politik oder Standesvertretung geht sowieso.

Zu letzteren wird auf den Höfen ohnehin ein eigentümliches Verhältnis gepflegt, ein nachgerade herrschaftliches - man lässt sich vertreten. Man fordert und lehnt sich zurück. Und gemault wird darüber bevorzugterweise am Stammtisch. Genährt scheint dieses Verhalten aus der Überzeugung, dass es doch die Bauern sind, die die Bevölkerung ernähren und dass sich die Vertreter ja haben wählen lassen und oft auch noch Geld verdienen damit.

Freilich ist heute das Umfeld ein anderes, als es früher war. Der Zusammenhalt hat sich verändert, die Bauernschaft ist für sie oft keine Heimat mehr, die berufliche Belastung ist eine andere und damit die Bereitschaft sich zu engagieren geringer geworden. Alarmierend ist diese Entwicklung allemal. Zumal in einer Zeit, in der es für die Landwirtschaft immer schwieriger wird, sich in der Gesellschaft zu behaupten und auch zu artikulieren.

Eine Lösung zu finden und Kommunikationsformen, die allen gerecht werden, ist schwierig. Da ist die Standesvertretung und auch die Agrarpolitik gefordert. Gefordert sind aber auch die Bauernvertreter auf Ortsebene und die Bauern selbst. Unbehagen oder Distanz dadurch auszudrücken, Veranstaltungen wie der eingangs erwähnten die kalte Schulter zu zeigen und nicht hinzugehen, ist jedenfalls keine Lösung, die Zukunft haben sollte.

Gmeiner meint - Blick ins Land 01/20
 
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