Donnerstag, 27. April 2023

Drüberfahren und in die Taschen greifen

Eine ordentliche Portion Populismus, eine Brise Protest und dazu ein Schuss "Anti-Establishment-Furor", wie die Kurier-Chefredakteurin das nennt, führten die Freiheitlichen fünf Jahre nach Ibiza wieder an die Spitze der Umfragen und von Wahlerfolg zu Wahlerfolg. Die ÖVP tut sich schwer mit so einem Stil zumal sie selbst regiert und muss neuerdings gar fürchten, dass ihr nun auch von anderer Seite das Wasser abgegraben wird. Denn, und das ist neu, nun macht sich auch auf der linken Seite des politischen Spektrums ein Populismus breit, mit dem schwer umzugehen ist.

Da ist mit einem Mal dieser unverhohlene Ruf nach noch mehr Staat, wenn nicht gleich überhaupt gefordert wird, in die Demokratie einzugreifen. Das gilt nicht nur für Parteien wie die in Salzburg so erfolgreiche KPÖ Plus, das gilt auch für die SPÖ, wo der Kampf um die Stimmen der SPÖ-Mitglieder vor allem bei den männlichen Kandidaten Kräfte und Phantasien freisetzt, die man längst vergessen und überwunden glaubte. Auch bei vielen, die sich der Klimarettung verpflichtet fühlen, macht sich dieses Gedankengut breit. Unverhohlen fordern da inzwischen sogar Leute wie der Generalsekretär des honorigen Club of Rome, das "demokratische System für lange Zeit außer Kraft zu setzen", um das Klima zu retten, und junge Klimaaktivisten liebäugeln mit der Abschaffung der Marktwirtschaft.

All das fühlt sich nicht anders an als das, was gerade von diesen Seiten des politischen und gesellschaftlichen Spektrums immer kritisiert wurde und wird - wie der Ruf nach einer starken Hand, die ohne viel Rücksicht durchgreift und aufräumt.

Es könnte einem anders werden. Als Beobachter staunt man, was da an Forderungen inzwischen alles möglich ist. Rechtfertigen die Probleme und die Herausforderungen, vor denen Gesellschaft und Politik stehen, wirklich, was da allen Ernstes vorgeschlagen und versprochen wird?

Ein regelrechtes Wettrennen ist da in den vergangenen Wochen entstanden. Wer kann noch besser lizitieren, ohne jede Rücksichtnahme auf die Folgen, die man damit anrichten kann. Doskozil oder Babler? Ein Machtpolitiker der eine, der in seinem Bundesland dirigistische Maßnahmen durchsetzte, die nicht nur staunen lassen, sondern auch viel Kopfschütteln und oft richtig Kopfweh verursachen in Branchen wie der Landwirtschaft, über die er gnadenlos und ohne jede Rücksicht drüberfährt.

Kaum anders der andere. Ihn unterscheidet - abgesehen vom Migrationskurs - allenfalls die noch höhere Aggressivität von seinem Konkurrenten. "Endlich wieder ein echter Roter", wird von ihm geschwärmt.

Klassenkampf 4.0 sozusagen, in dem man alles schlecht macht, selbst das, was man selbst respektive die eigene Partei und die eigenen Organisationen erreicht und aufgebaut hat -soziale Versorgung, freier Zugang zu Bildung, Kollektivverträge, Mieterschutz und vieles mehr. In diesem Umfeld tut sich selbst die amtierende SP-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner, die dritte Kandidatin, schwer.

Was auffällt, ist, dass Forderungen wie staatliche Job-Garantien, 32-Stunden-Woche, Gratis-Bio-Essen in Kindergärten und Schulen, eine Grundsicherung für Kinder oder finanziell gestaffelte Öffi-Tickets eifrig und oft mit einem Schuss Bewunderung in der Öffentlichkeit rapportiert, aber kaum wo ernsthaft ihrer möglichen Tragweite diskutiert werden. Über Geld redet man offenbar nicht, Geld nimmt man, scheint allerorten verbreitetes Verständnis von guter Politik zu sein. Nach der Finanzierung fragt niemand. Die Vermögenssteuern und die Erbschaftssteuern sollen es richten -so ein Konzept gefällt vielen in diesem Land. Drüberfahren und in die Taschen greifen. Staatlich verordnetes und verwaltetes Glück scheint in diesem Land viel häufiger der Traum und die Erwartung der Menschen zu sein, als man glauben möchte.

Es scheint nicht darum zu gehen, im Sinne der Menschen und des staatlichen Ganzen bessere Lösungen zu finden, sondern nur darum, wer der Stärkere und Rücksichtslosere ist bei der Durchsetzung seiner Agenda.

Die Wirklichkeit zählt da wenig, und auch nicht die Frage, was man mit dem vorhandenen Geld besser machen kann, wo es nutzlos versickert und wo die Falschen davon profitieren. Schließlich zählt Österreich zu den Ländern mit den höchsten Sozialausgaben pro Kopf. An Spielräumen mangelt es da nicht.

Aber derzeit gilt allemal eher, was die Tageszeitung "Die Presse" so formuliert: "Die Utopie wird salonfähig." Aber wie das mit Utopien so sei, halten sie der Realität nicht stand.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 27. April 2023

Dienstag, 25. April 2023

Totschnig lässt bei Mercosur nicht locker

Nicht nur in Österreich, auch in anderen EU-Ländern gibt es in der Landwirtschaft Widerstand gegen das Freihandelsabkommen.

Hans Gmeiner

Linz. Obwohl der Druck vonseiten der Wirtschaft und Industrie immer größer wird, denkt die österreichische Landwirtschaft nicht daran, den Weg für den Abschluss des Mercosur-Handelsabkommens zwischen der EU und den vier südamerikanischen Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay freizugeben, für den in der EU Einstimmigkeit vorgeschrieben ist.

„Wir sind mit unserer ablehnenden Haltung nicht allein in Europa“, sagt Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig im Gespräch mit den SN. „Wir haben im letzten Agrarministerrat das Thema auf die Tagesordnung gebracht und waren selbst überrascht von der Reaktion.“ Im Mittelpunkt dabei standen mögliche Begleitmaßnahmen, Schutzklauseln, Unterstützungen, aber auch die Herkunftskennzeichnung.

Laut Totschnig haben sich zumindest zwölf der 27 EU-Mitgliedsstaaten „unterstützend“ gezeigt. „Das zeigt, dass man sich auch in anderen Mitgliedsstaaten in der Landwirtschaft der Auswirkungen bewusst ist.“ Die Bauern befürchten durch einen Abschluss des Mercosur-Abkommens nicht nur Wettbewerbsverzerrungen und Preiseinbußen auf dem Rindfleischmarkt und in anderen Bereichen wie bei Bioethanol. Zumindest ebenso große Sorgen macht den Landwirten, dass weder Themen wie Nachhaltigkeit und Klimaschutz noch Biodiversität ihrer Ansicht nach ausreichend berücksichtigt sind. Die sind aber gerade in Europa große Herausforderungen, denen sich die Landwirtschaft stellen muss.

„Mercosur ist im Vergleich zu neueren Abkommen wie etwa dem Neuseeland-Abkommen ein altes Abkommen, bei dem diese Themen noch nicht entsprechend berücksichtigt sind“, sagt Totschnig. Das steht seiner Ansicht nach in krassem Gegensatz zu dem Weg, den die EU gehen will. Darum hält der Minister auch den Vorwurf, dass ausgerechnet die österreichische Landwirtschaft blockiert, die doch selbst in hohem Maß von Exporten lebt, für ungerechtfertigt.

„Themen wie etwa Nachhaltigkeit müssen unserer Meinung nach bei derartigen Abkommen schon relevant sein, weil wir ja in Europa mit dem Green Deal genau diese Richtung einschlagen.“ In Europa werde die Frage diskutiert, wie viele CO2-Äquivalente bei der Produktion von Lebensmitteln anfielen, „und auf der anderen Seite soll das dann nicht relevant sein, wenn es um Importe geht?“, fragt Totschnig. „Also das passt für uns nicht zusammen.“

Weil in all diesen Fragen keine Änderungen absehbar seien, sehe er auch für die Landwirtschaft keine Möglichkeit, die Position zu ändern, sagt Totschnig. Ganz abgesehen davon, dass ein Nein zu Mercosur nicht nur im aktuellen Regierungsabkommen festgeschrieben sei, sondern es nach wie vor einen gültigen Nein-Beschluss im Nationalrat aus dem Jahr 2019 gebe. „Die Bundesregierung ist sich in dieser Frage einig.“

Und wenn es, wie in Diskussion steht, zu einer Abtrennung des handelspolitischen Teils des Abkommens und damit zu so etwas wie einem Freihandelsabkommen durch die Hintertür käme, bei dem in der EU keine Einstimmigkeit erforderlich wäre? Auf diese Frage gibt sich Totschnig abwartend. „Wie das die Kommission letztendlich in der formalen Beschlussfassung vorlegen wird, wissen wir nicht.“

Salzburger Nachrichten, Wirtschaft - 25. April 2023

Donnerstag, 20. April 2023

Pragmatismus schmerzlich vermisst

Im oberösterreichischen Haslach wurde in der vorigen Woche eine indische Familie abgeschoben. Obwohl bestens integriert, trotz 1000 Unterschriften, trotz Arbeit und Ausbildung und trotz gutem Deutsch. "Wir haben klare Regeln und an die haben wir uns auch zu halten", mauerte just die Jugendstaatssekretärin, deren Eltern sich in diesen Tagen in einem ähnlichen Abschiebungsfall engagieren, im Fernsehen. "Der Fall wurde letztinstanzlich vom Bundesverwaltungsgericht entschieden, das ist zu akzeptieren", sagte der Innenminister.

Die Härte und die Gesetze, an die man sich halten muss - das mag ja nachvollziehbar sein. Aber man tut sich trotzdem schwer damit, auch wenn man guten Willens ist. Zum einen sind da die unüberhörbaren populistischen Töne, die da durchdringen, die gar keine Zweifel am eigenen Tun erkennen lassen, kein Verständnis gar, sondern nur schiere Rechthaberei. Zum anderen aber, das vor allem, vermisst man dabei jede Vernunft und jeden praktischen und praktikablen Zugang zu dem Thema. Dabei hätte beides da längst mehr Raum verdient. Auch weil beispielsweise die Mitarbeitersuche derzeit das größte Problem der heimischen Wirtschaft und im Sozialbereich ist.

Irgendwo wurde dieser Tage an die Geschichte vom nationalen Skisprung-Helden erinnert, der sich seinerzeit in Sachen Staatsbürgerschaft vergaloppierte und dem man doch flugs rasch und unbürokratisch helfen konnte. Man weiß, dass man sich in Österreich mit diesen Wegen auskennt und mit dieser Art Probleme zu lösen.

Nur ein kleines Quäntchen von diesem Geist wünscht man sich, wenn es darum geht, neue, praktikable und sinnvolle Wege für und mit Menschen wie jene in Haslach zu finden. Genau dieser Geist ist es, der heute vermisst wird. Es mag schwierig sein, einen gesetzlichen Rahmen dafür zu finden, aber arbeiten daran sollte man dringend.

Österreich braucht Leute, Österreich braucht gute Leute. Aber stattdessen zeigt man lieber billige Härte, setzt wie vorige Woche Leute in den Flieger und schickt sie in ihr Herkunftsland zurück, die man eigentlich dringend bräuchte. Leute, die all das erfüllen, was in diesem Land so vermisst und gesucht wird. Die in der Gastronomie, die vorne und hinten nicht weiß, wo sie Mitarbeiter herkriegen könnte, in der Küche einen guten Job machen. Die eine Ausbildung in der Pflege machen, wo Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterinnen händeringend gesucht werden.

Wo just in der nämlichen Woche, in der die Familie abgeschoben wurde, zu lesen war, dass in Oberösterreich alleine 1300 Pflegebetten in Altenheimen leer stehen müssen, weil es an Personal fehlt. Und nicht nur dort. Im Handwerk fehlen dem Vernehmen nach gar 170.000 Mitarbeiter und in vielen anderen Sparten auch.

Die Frage ist zu stellen, wie lange sich Österreich diese von Populismus geprägte Politik, die jeden Pragmatismus vermissen lässt, noch leisten kann und die von vielen ohnehin als nichts denn als "schädliche Symbolpolitik", die nirgendwo Erfolg zeigt, gegeißelt wird. Die Probleme werden kaum kleiner, sondern eher größer, die Unzufriedenheit auch.

Das zeigt sich nicht nur beim Umgang mit den Geflüchteten aus dem Nahen Osten und aus Asien, das zeigt sich auch bei denen, die im vergangenen Jahr aus der Ukraine zu uns gekommen sind und mit denen man nichts rechtes anzufangen weiß. Das zeigt sich aber auch dabei, dass man kaum etwas beim vielzitierten "geordneten Zuzug" für die österreichische Wirtschaft voranbringt. Die "Österreich-Card", die dabei immer in den Mund genommen wird, gilt trotz mancher Verbesserungen da und dort nach wie vor als veritabler Flop. 6182 solcher Karten wurden im vergangenen Jahr ausgestellt. Nicht wirklich viel für ein zentrales Instrument der Zuwanderungspolitik auf dem an Personalnot leidenden heimischen Arbeitsmarkt mit zigtausenden offenen Stellen. Da muss man sich schon freuen, wenn, wie in den ersten beiden Monaten diese Jahres, die Zahl der ausgestellten Karten von 764 im vergleichbaren Vorjahreszeitraum auf 1131 heuer gestiegen ist.

Da ist viel Luft nach oben. Der Druck, Lösungen zu finden, wächst in allen Bereichen. Man muss wohl verschiedene Themen neu denken und den Mut zu neuen Wegen aufbringen. Der verlangt nicht nur eine große Portion guten Willen und den nötigen Pragmatismus. Billiger Populismus hat da keinen Platz. Dem Wirtschaftskammer-General ist nur recht zu geben, wenn er sagt, "wenn wir nicht auf eine kontrollierte, aber offensive Zuwanderungspolitik setzen, versündigen wir uns am Wohlstand unserer Bevölkerung".

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 20. April 2023

Donnerstag, 13. April 2023

Es passt so viel nicht zusammen

Allerorten schöne Bilder auf Social Media vom Allerheiligen-Trip nach Venedig, der Stippvisite in Laibach über den Jahreswechsel, von den schönen Oster-Tagen in Italien und vom Skiurlaub dazwischen. Dazu Schlagzeilen von einer jubilierenden Reisebürobranche, die sich über die Rückkehr der Touristen freut. Gar nicht zu reden von den proppenvollen Einkaufsstraßen, den Meldungen von einem leergeräumten Arbeitsmarkt, dem Teilzeitarbeits-Boom und davon, dass viele nur vier Tage pro Woche arbeiten, weil man es sich leisten kann.

Und das alles in einer Zeit, die als die schlimmste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg gilt. Wie schlecht geht es uns wirklich, fragt man sich da unwillkürlich. Wie passt das zu den lauten Klagen und zu den zahllosen Forderungen, die nicht verstummen wollen? Wie passen dazu die Warnungen vor einer drohenden Verarmung der Bevölkerung und die Berichte davon, dass die Krise die Mitte der Gesellschaft erreicht habe?

Irgendwo war in diesen Tagen die Rede davon, dass es für "die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung" de facto kaum einen Kaufkraftverlust gebe. Da kann man schon fragen, ob man mit all den Milliarden für Strompreisbremsen, Teuerungsboni und Wohnkostenzuschüssen nicht aufs Neue die Ineffizienz und die mangelnde Treffsicherheit des Systems bewiesen hat, statt wirklich dort zu helfen, wo es nötig ist, und ob es nicht doch sehr viel eher um die Befriedigung der eigenen Wählerklientel ging als um wirkliche Hilfe. Denn auf der anderen Seite sind die Hilferufe der Caritas nicht zu überhören, die Meldungen von leergekauften Sozialmärkten, von Familien, die mit der Teuerung nicht zurande kommen, die bei den Lebensmitteln sparen müssen und für die die monatliche Miete eine Herausforderung geworden ist -Meldungen von Menschen, für die die Krise trotz aller Hilfen wirklich eine Krise ist, die ihr Leben einschränkt und wie ein Schatten auf ihnen liegt.

Die Lage ist unübersichtlich. Wenn sie von irgendetwas Ausdruck ist, dann wohl am ehesten davon, dass so viel nicht zusammenpasst in diesem Land. Nicht die veröffentlichte Meinung und die tatsächliche Lage, nicht das politische Getöse zu den tatsächlichen Erfordernissen und nicht das Verhalten zur Wirklichkeit. Jammern, was geht, scheint allerorten das einzig Verbindende - man könnte ja zu kurz kommen.

Das wirft Fragen auf und es ist an der Zeit, Dinge zu sortieren. Allein schon, um zu erkennen, wie die Dinge wirklich liegen.

Da ist zunächst festzuhalten, dass Österreich weltweit zu den Staaten mit den höchsten Sozialausgaben gehört. Weit mehr als 130 Milliarden Euro werden inzwischen für die soziale Absicherung der Bevölkerung ausgegeben. Das ist doppelt so viel wie noch vor zwanzig Jahren, rechnet die Agenda Austria vor. Das passt nicht zur allerorten geäußerten Unzufriedenheit.

Festzuhalten ist zum Zweiten auch, dass der Staat auf unsere Einkommen greift wie kaum anderswo. In kaum einem anderen Land kommt wegen der hohen Lohnnebenkosten von dem, was eine Firma für die Mitarbeiter an Steuern und Abgaben zahlt, so wenig auf dem Lohnkonto an - was Beleg dafür ist, dass bei uns die Menschen durchaus mehr Geld haben könnten um mit dem Leben besser zruechtzukommen.

Zum Dritten wird bei uns gerne unter den Teppich gekehrt, dass sechs von zehn Haushalten ohnehin bereits jährlich mehr öffentliche Gelder aus dem System beziehen, als sie einzahlen. Sie sind Nettoempfänger und mithin Profiteure des Systems, an dem sie so gerne ihr Mütchen kühlen - was vor allem zeigt, dass es am System krankt.

Da passt vieles nicht zusammen. Vieles will man nicht zur Kenntnis nehmen und vieles nicht akzeptieren. Nur, dass man nicht umgehen kann damit, beweist Österreich seit Jahrzehnten. Und dass eine hohe Steuerbelastung und extrem angestiegene Sozialausgaben kein Garant für einen funktionierenden Sozialstaat sind. Aber davon mag man in diesem Land nicht reden. Schon gar nicht darüber, dass der österreichische Sozialstaat wohl zu den ineffizientesten zu zählen ist. Was freilich jene freuen dürfte, die vom Osterurlaub zurückkommen und schauen, ob der Stromlieferant die versprochene Strompreisbremse berücksichtigt hat, um dann die Reisebürokataloge auf der Suche nach einem Ziel für den Sommer zu durchsuchen.

Nicht aber die, die jetzt wirklich in der Krise stecken und jeden Euro dreimal umdrehen müssen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 13. April 2023

Dienstag, 11. April 2023

Die hohen Kosten der Dürre

Dürreschäden kosteten die Bauern in zehn Jahren eine Milliarde Euro.

Hans Gmeiner

Salzburg. Die vergangenen Wintermonate waren ungewöhnlich trocken und warm. Von Dezember bis März hatte es in ganz Österreich vergleichsweise wenig geschneit und geregnet. Im Vergleich zum langjährigen Schnitt beträgt das Niederschlagsdefizit laut Geosphere Austria rund 13 Prozent. „In manchen Gebieten haben wir von Jahresbeginn bis heute im Vergleich zum zehnjährigen Durchschnitt ein Niederschlagsdefizit von mehr als 50 Prozent“, sagt Kurt Weinberger, Chef der Österreichischen Hagelversicherung. Josef Moosbrugger, Präsident der Landwirtschaftskammer Österreich, prägte das Wort von den „leeren Akkus“, mit denen die Landwirtschaft heuer in die neue Saison starten müsse.

Auch wenn es noch zu früh ist, schon jetzt von Schäden zu reden, ist die Anspannung in der Landwirtschaft groß. Was nicht verwundert. Von den zehn heißesten Sommern in der Messgeschichte entfielen nicht weniger als sieben auf die Jahre seit 2012. Vervielfacht hat sich in den vergangenen Jahren auch die Zahl der „Hitzetage“ mit Tagestemperaturen von mehr als 30 Grad Celsius. Gab es in den 1980er- und 1990er-Jahren im Osten Österreichs nur zehn solcher „Hitzetage“, so sind es mittlerweile rund 30.

Längst ist damit der Klimawandel nicht nur zu einer großen Herausforderung für die landwirtschaftliche Produktion geworden, sondern auch zu einer immer größeren finanziellen Gefahr. Allein in den vergangenen zehn Jahren seit 2013 betrugen die Schäden in der Landwirtschaft durch Hagel, Frost, Sturm, Überschwemmung und Dürre knapp zwei Milliarden Euro.

Die Hälfte davon entfiel allein auf Dürreschäden. Gab es zu Beginn der Beobachtungsdekade noch starke Schwankungen, so gibt es gerade bei Dürre seit 2020 nur mehr eine Richtung – steil nach oben. Von 30 Millionen Euro 2020 kletterten die Schäden 2021 auf 70 Millionen Euro und erreichten im Vorjahr 130 Millionen Euro. Dass die Dürreschäden in manchen Jahren zuvor schon deutlich größer waren, dürfe einen nicht täuschen, sagt Weinberger. „Die Trendlinie zeigt in den vergangenen 20 Jahren eindeutig nach oben.“ Heute seien Katastrophenjahre deutlich häufiger als früher, sagt der Hagelversicherung-Chef und verweist zudem darauf, dass auch die Ausschläge deutlich stärker seien.

Gab es zwischen 2003 und 2012 nur zwei Jahre, in denen Dürre die Bauern zehn Prozent der Erträge kostete, während es in den anderen acht Jahren kaum zwei Prozent waren, so waren es in den Jahren 2013 bis 2022 bereits vier Jahre mit mehr als zehn Prozent Schädigung – und oft sogar mit noch deutlich mehr. 2022 erreichte die ausbezahlte Entschädigung der Dürreversicherung sogar 14 Prozent der Versicherungssumme, die sich an den erwarteten finanziellen Erlösen der Bauern ausrichtet. Dazu kamen weitere drei Jahre, in denen die Schäden zwischen acht und zehn Prozent gelegen sind.

Auch wenn die Folgen dieses Trends noch kaum in den Erntebilanzen ablesbar sind und in den üblichen jährlichen Ertragsschwankungen untergehen, steht inzwischen außer Frage, dass diese Entwicklung für die Bauern, aber auch für die Versorgungssicherheit weitreichende Folgen haben wird. „Die Erderwärmung wirkt sich nicht nur auf die Landwirtschaft, sondern auch auf die Ernährungssicherheit aus“, warnt Weinberger. „Steigende Lebensmittelpreise sind auch eine Folge von Missernten.“ Ein Land mit immer weniger Selbstversorgung mache sich von Importen abhängig und werde verletzbar.

Schon vor fünf Jahren kam die Agentur für Ernährungssicherheit Ages in einer Studie zu alarmierenden Ergebnissen. „Aufgrund der Klimaänderung geht der Ertrag in der landwirtschaftlichen Produktion, insbesondere im Osten und Südosten Österreichs, dramatisch zurück.“ Weil zusätzlich durch den Bodenverbrauch wertvolle Agrarflächen für immer aus der Produktion genommen würden, sei davon auszugehen, dass bei den meisten bedeutenden Feldfrüchten nach 2030 keine Autarkie mehr gewährleistet werden könne, hieß es schon damals.

Inzwischen habe sich die Situation eher weiter verschärft, sagt Andreas Baumgarten von der Ages, einer der Autoren der damaligen Studie, die ein „moderates“ und ein „extremes“ Szenario berechnete. „Inzwischen ist es so, dass die extremere Variante die wahrscheinlichere ist“, sagt Baumgarten heute. Die verheißt freilich nichts Gutes. Die Weizenernte würde demnach im Zeitraum 2036 bis 2065 um rund 500.000 Tonnen geringer ausfallen als in den Jahren 1980 bis 2010. Der Selbstversorgungsgrad würde von 109 auf 58 Prozent fallen. Bei Körnermais erwartet die Studie einen Rückgang des Selbstversorgungsgrads von 107 auf 69 Prozent, bei Gerste von 142 auf 96 und bei Kartoffeln von 66 auf 40 Prozent.

Während sich die Bauern im Osten Österreichs auf markante Verschlechterungen einstellen müssen, dürfen die Bauern in der Mitte des Landes und im Westen auf Verbesserungen durch den Klimawandel hoffen. „Der Knackpunkt ist ja nicht so sehr die Gesamtmenge der Niederschläge, sondern die Verteilung“, sagt Baumgarten. „Wir sehen, dass sich die optimalen Produktionsbedingungen immer mehr in den Westen verschieben.“ Überall dort, wo die Niederschläge ausgeglichen seien und die Temperaturen höher werden, wie etwa in Oberösterreich und im niederösterreichischen Alpenvorland, wachse es einfach besser.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 11. April 2023

Ernteausfälle durch Trockenheit Selbstversorgung ist in Gefahr

Die zunehmende Trockenheit und die Folgen des Klimawandels zeigen bereits jetzt in der heimischen Landwirtschaft immer stärkere Folgen – und die Lage dürfte sich noch verschärfen. „Die Erderwärmung wirkt sich nicht nur auf die Landwirtschaft, sondern auch auf die Ernährungssicherheit aus“, warnt Kurt Weinberger, Chef der Hagelversicherung. Ein Land mit immer weniger Selbstversorgung mache sich von Importen abhängig und werde verletzbar, betont er.

Schon vor fünf Jahren kam die Agentur für Ernährungssicherheit (Ages) in einer Studie zu dem Schluss, dass der Ertrag in der Landwirtschaft insbesondere im Osten und Südosten Österreichs dramatisch zurückgehen dürfte. Inzwischen habe sich die Situation eher weiter verschärft, sagt Andreas Baumgarten, einer der Studienautoren, heute. So dürfte laut jetzigen Prognosen die Weizenernte im Zeitraum 2036 bis 2065 um 500.000 Tonnen geringer ausfallen als in den Jahren 1980 bis 2010. Der Selbstversorgungsgrad würde von 109 auf 58 Prozent fallen. Bei Körnermais erwartet die Studie einen Rückgang des Selbstversorgungsgrads von 107 auf 69 Prozent, bei Gerste von 142 auf 96 und bei Kartoffeln von 66 auf 40 Prozent.

Während sich die Bauern im Osten Österreichs auf markante Verschlechterungen einstellen müssen, dürfen die Bauern in der Mitte des Landes und im Westen auf Verbesserungen durch den Klimawandel hoffen. „Der Knackpunkt ist ja nicht so sehr die Gesamtmenge der Niederschläge, sondern die Verteilung“, erläutert Baumgarten. „Wir sehen, dass sich die optimalen Produktionsbedingungen immer mehr in den Westen verschieben.“

Auch heuer ist die Lage im Osten Österreichs durch ausbleibenden Niederschlag angespannt. Landwirtschaftskammer-Präsident Josef Moosbrugger sprach jüngst von den „leeren Akkus“, mit denen die Landwirtschaft heuer in die neue Saison starten müsse. 

Salzburger Nachrichten - Seite 1, 11. April 2023

Dienstag, 4. April 2023

Molto simpatico

Die „Frankfurter Allgemeine“ ist nachgerade verzückt von den Plänen Italiens die Produktion von Laborfleisch zu verbieten. „Die Italiener haben ein inniges Verhältnis zu ihrer Landwirtschaft, die bekanntlich viele gute Nahrungsmittel hervorbringt“, schreibt der Korrespondent der deutschen Tageszeitung und befindet: „Die Regierung in Rom hat nun ein starkes Zeichen für den Erhalt ihrer Landwirtschaft und Tierzucht gesetzt“.

Man mag Laborfleisch und andere künstlich erzeugte Lebensmittel sehen, wie man will. Man mag sie verteidigen wegen des Tierschutzes und wegen der Umwelt und nichts von Verboten halten, aber dass man just in Italien, einer der Festungen der europäischen Kochkunst, alles daransetzt, Laborfleisch zu verbieten, ist, wie soll man sagen – zumindest sehr sympathisch.

„Höchste Zeit“ denken sich wohl viele, dass man sich gegen das wehrt, was da in den Labors rund um den Globus als so genannter Ersatz für von der Landwirtschaft erzeugte Produkte zusammengemixt wird und die Zukunft sein soll. Und es geht wohl vielen auch bei uns hinunter wie Öl, wenn der italienische Bauernverbandspräsident wettert, dass dadurch „die Natürlichkeit der Lebensmittel, die den größten Teil unserer Ernährung ausmachen, gefährdet wird“.

In Wahrheit verwundert, dass es so einen Aufstand bisher noch nicht gegeben hat. Dass die Diskussion so lange schon in nur eine Richtung gelaufen ist. Dass man sich die Bezeichnungen für ursprünglich agrarische erzeugte Produkte, von denen die Bauern leben, von den Erzeugern von Imitaten sehenden Auges stehlen lassen musste. Dass nun bei uns sogar Insekten und Würmer als Nahrungsmittel ein Thema sind.

Freilich muss es bei der Zukunft des Essens und der Nahrungsmittel auch ums Tierwohl gehen, um die Umweltbelastung, die Ressourcenverschwendung und vieles andere mehr, was vielen gestandenen Bauern wahrscheinlich nicht schmeckt. Aber ist deswegen alles andere mit einem Mal nichts mehr wert? Nicht die Originalität des Lebensmittels, die Echtheit und die Herkunft? Nicht die regionale Erzeugung? Nicht die Natürlichkeit, die sich so viele auf ihre Banner schreiben?

Stattdessen schaut man ungerührt zu, wie da in Labors zusammengemischt wird was nicht zusammengehört und hält das für die Zukunft. Selbst wenn Produkte so völlig fleischlos und zuweilen „steril verpackt wie Damenbinden“ daherkommen, wie kürzlich eine Dame eines der neuesten Produkte auf dem österreichischen Markt beschrieb.

Argumente dagegen verhallen, ein Mittelweg wird gar nicht erst gesucht, nicht nach dem ökologischen Fußabdruck gefragt, nicht nach Zusatzstoffen, und schon gar nicht nach den sozialen Folgen und denen für die Umwelt. Denn auch die sind nicht so toll, wie man glauben machen möchte, benötigt doch rein pflanzliche Ernährung mehr Ackerfläche, als eine Landwirtschaft mit Tierhaltung, um die erforderliche Eiweißmenge für die menschliche Ernährung zu gewinnen wie Wissenschaftler vorrechnen.

Auch wenn die Chancen von Italiens Plänen gering, die rechtlichen und politischen Schwierigkeiten groß und Argumente dagegen richtig sein mögen - sympathisch sind die Pläne eben allemal.

Gmeiner-meint - Blick ins Land - April, 4. 4. 2023

 
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