Donnerstag, 25. Juni 2020

Ungleiche Verpflichtungen



Die zuweilen völlig außer Kontrolle geratene Corona-Entwicklung in großen deutschen Schlachtbetrieben erschüttert auch bei uns. Die Zeitungen sind voller Berichte über die untragbaren Zustände und das System, das sich dort in der Fleischproduktion entwickelt hat.

Als schon vor sieben Jahren Johann Schlederer, auf bäuerlicher Seite Chefvermarkter der Schweine in Österreich, unterstützt von ein paar heimischen Schlachtbetrieben, die Zustände in Deutschland anprangerte und auf das dort übliche "Lohndumping" aufmerksam machte, war das Echo sehr überschaubar. Dass dort dank eines ausgeklügelten Werkvertragssystems mit um 50 Prozent geringeren Arbeitskosten kalkuliert werden kann, rührte niemanden. Und auch der Verweis auf die Arbeitsbedingungen, die Schlederer schon damals als "moderne Sklaverei" bezeichnete, machte wenig Eindruck. Nicht einmal bei der Gewerkschaft. Ein paar Zeitungsartikel, ein paar Gesprächsrunden in Brüssel und in Wien - und das Thema war wieder vom Tisch. "Hat ja einer aus der Landwirtschaft gesagt und denen geht es ja ohnehin immer nur um den eigenen Vorteil", war überall durchzuhören.

Ein Reaktionsmuster, wie es gerade die Landwirtschaft sattsam kennt. Staat zu machen war mit solchen Themen und vor allem den eklatanten Wettbewerbsnachteilen, die damit einhergehen, noch nie.

Nicht nur den Schweinebauern geht es so, auch den Geflügelbauern, den Milchbauern und den Obst-und Gemüsebauern. Wenn sie über Wettbewerbsnachteile wegen höherer Löhne und allerlei Produktionsauflagen klagen, kümmert das niemand. Schon gar nicht, dass man es schätzt, dass hierzulande unter zuweilen deutlich strengeren Bedingungen produziert wird. Allenfalls, dass die Handelsketten das als Werbeargument für sich nutzen und neuerdings dafür gelobt werden wollen, wenn sie "ausschließlich österreichisches Frischfleisch" in ihre Regale legen. Dass gleich nebenan weiterhin genug andere Ware -Schinken, Wurst, Gemüse, Obst, Milchprodukte und vieles andere auch aus dem nahen und fernen Ausland -liegt, die sehr oft auch unter Bedingungen erzeugt wird, die weder den Sozial-, Umweltnoch den Lohnstandards entsprechen, zu denen die Bauern in Österreich arbeiten, spielt da keine Rolle. Denkt man nur an die zahllosen Berichte über die Obst-und Gemüseproduktion etwa in Südeuropa, muss man an der Ernsthaftigkeit der Bemühungen zweifeln.

Viele Branchen leiden unter ähnlichen Verhältnissen und Reaktionsmustern. Die Bauern aber ganz besonders, sind sie doch zu einer Branche geworden, in der inzwischen fast jedermann glaubt, mitreden zu können. Erst jüngst tat sich wieder einmal Greenpeace hervor und befand, die Selbstversorgung mit Agrarprodukten könnte größer sein, weil man zu viel Fleisch und Milch produziere, von dem es ohnehin bereits zu viel gebe. Dann ließ sich auch noch die Universität für Bodenkultur, die den Bauern ohnehin schon seit Jahren keinerlei Impulse für ihre praktische Arbeit liefert, noch vor den Greenpeace-Karren spannen und redete von "falscher Bodenbearbeitung" und hielt den Bauern vor, der Bodenerosion Vorschub zu leisten, weil man die ganzjährige Begrünung nicht wolle. Dass genau das Gegenteil der Fall ist und man nicht zuletzt deswegen darum kämpft, Glyphosat zumindest begrenzt einsetzen zu dürfen, wurde von den Herren im Elfenbeinturm unter den Teppich gekehrt.

Es ist wie immer -die Bedürfnisse der Bauern und auch ihre Einschätzungen und Warnungen spielen, und das fügt sich zu all diesen Themen, nur selten eine Rolle. Ganz so, als ob sie Spielmaterial wären, das man beliebig für seine Pläne und Ideen einsetzen kann, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, was das für sie bedeutet.

Völlig unbeachtet ist dabei, dass die Bauern in dem Spiel die einzigen sind, die mit allerlei Vorschriften und Auflagen in die Pflicht genommen werden, Boden und Klima zu schützen und all die anderen Wünsche der Gesellschaft zu erfüllen. Sie können, Gesetze und Vorschriften zuhauf sorgen dafür, dem nicht entkommen. Der Handel aber und auch die Konsumenten hingegen haben immer die Möglichkeit, sich aus der Verantwortung zu drücken und auf Billigprodukte auszuweichen, bei deren Erzeugung Standards und Löhne keine Rolle spielen, wenn es ihnen zu teuer wird. Sie werden in keiner Weise in die Pflicht genommen, um mit ihrem Einkaufsverhalten die gleichen Ziele zu verfolgen, wie sie von den Bauern verlangt werden. Darüber aber mag niemand reden.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 25. Juni 2020

Donnerstag, 18. Juni 2020

Die Wirklichkeit und die Befindlichkeiten



Die Überschrift "Der Höhenflug der ÖVP ist vorbei" wählte dieser Tage ein heimisches Politik-Magazin in seinem Newsletter. Wohl um für die Printausgabe Aufmerksamkeit zu erregen. Die Fakten rechtfertigen diese Einschätzung wohl nicht, wenn die ÖVP nun bei 44 Prozent und nicht mehr wie vor ein paar Wochen noch bei 47 Prozent liegt und die anderen Parteien im besten Fall 16 und 17 Prozent der Stimmen erreichen.

Aber auf diesem Niveau bewegt sich die politische Diskussion in diesem Land. Abseits der Realität und einer klaren Sicht auf die Dinge, zuweilen keinesfalls um Ernsthaftigkeit bemüht, sondern sehr viel eher um Quoten, Verkaufszahlen und Clicks. Da geht es nur mehr selten um Probleme und eine Gesamtsicht, sondern meist um eigene Interessen und um Gemeinheiten, die man anzubringen versucht. Gnaden-wie rücksichtslos wird übertrieben und die Wirklichkeit nach den eigenen Bedürfnissen und Befindlichkeiten zurechtgebogen. Großes und Gutes wird klein-und schlechtgemacht, Mücken aber werden nachgerade lustvoll zu Elefanten aufgeblasen.

Ohne Panikmache scheint es nicht mehr zu gehen. Die Methoden, sich mit völlig überzogenen Meldungen Gehör verschaffen zu wollen, sind unerträglich geworden. Und sie tun nichts Gutes. Den Politikern und der Politik nicht, der Sache nicht und auch dem Land nicht. Twitter ist dabei einer der Brutkästen für dieses Klima der Bosheit und Intoleranz. Was eine tolle Plattform für auch pointierte Diskussionen sein könnte, ist meistens nicht viel mehr als ein Hasstribunal, das tiefe Blicke in die Seelen jener öffnet, die sich für Macher und Meinungsbildner halten in diesem Land und für die, die das Gute und Richtige auf ihrer Seite vermeinen.

Längst scheinen alle Relationen verloren gegangen zu sein. Dass man sich im Ton vergreift, scheint zum guten Ton zu gehören. Das ist längst nicht mehr nur dem Stammtisch vorbehalten oder Politikern einschlägiger Parteien und Journalisten einschlägiger Blätter oder irgendwelchen Beratern, die Aufträgen nachrennen. Längst macht sich dieser Ton auch in den Parteien breit, die sich für staatstragend halten. Und da ist noch gar nicht vom Luder-Sager die Rede, der das ganze Land in hechelnde Aufregung zu versetzen schien.

Da gab es dieser Tage etwa auch den Tweet des SP-Abgeordneten Kohlross, dem die geplante Einmalzahlung für Arbeitslose missfällt. Das sei ihm unbenommen und die Maßnahme ist durchaus wert diskutiert zu werden. Doch statt zu sagen, warum ihm das missfällt, und was er vorschlägt, nannte er die Pläne der Regierung gleich ohne Federlesens ein "sozialpolitisches Verbrechen".

"What's next?", fragte ein Abgeordneter der Grünen auf Twitter zurück, was sich angesichts solcher "Keulen" wohl viele fragen.

Viel zu selten, aber doch ist sogar auf Twitter zu finden, was zur Relativierung beiträgt. Als die Hysterie um Corona ihrem Höhepunkt zustrebte, war auch dieser Text dort zu finden: "Stell dir für einen Moment vor, du wärst 1900 geboren. Wenn du 14 Jahre alt bist, beginnt der 1. Weltkrieg und endet, wenn du 18 wirst mit 22 Millionen Toten weltweit. Kurz darauf beginnt die weltweite Pandemie der Spanischen Grippe mit 50 Millionen Todesopfern." Der Text nennt die Weltwirtschaftskrise und den Börsencrash 1929, den 2. Weltkrieg mit 60 Millionen Toten, den Koreakrieg und den Vietnamkrieg. Und schließlich heißt es, "Die Großeltern haben mehrere Kriege überlebt. Heute befinden wir uns mit allen Bequemlichkeiten der modernen Welt in einer Pandemie. Wir haben Strom, Handy, warmes Wasser und ein Dach über dem Kopf. Geschäfte und Unternehmen erhalten Hilfen vom Staat. All das gab es in früheren Zeiten nicht und doch haben es die Menschen überstanden und ihre Lebensfreude nicht verloren."

Der Text soll nicht die Probleme kleinreden, in denen jetzt viele stecken. Aber er kann dazu beitragen, Dinge vielleicht doch sachlicher zu sehen. Dazu beitragen, die Dinge richtiger einzuordnen, als dies die zur Kultur gewordene Hysterie, Zuspitzung und Übertreibung kann.

Es gilt wieder den Blick zu schärfen für das Wesentliche und die Dinge so einzuordnen, wie sie sind.

Es läuft, keine Frage, vieles nichts so, wie es laufen könnte und sollte. Und es läuft vieles auch richtig schief und ist verbesserungswürdig. Mit dem Niveau freilich, auf dem sich viele in der öffentlichen Diskussion bewegen, ist es wohl sehr schwierig, tatsächlich zu Verbesserungen zu kommen.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 18. Juni 2020

Mittwoch, 10. Juni 2020

Die schwierige Gunst der Stunde



Viel war die Rede von mehr Wertschätzung für die Bauern, als das Coronavirus die Welt in den Griff nahm. Und auch von mehr Verständnis für die bäuerliche Arbeit und die Bedürfnisse der Landwirtschaft. Die Selbstversorgung und die Versorgungssicherheit waren mit einem Mal große Themen. Und auch die schlechten Preise für die bäuerlichen Produkte.
Hoffnung keimte da mit einem Mal auf vielen Höfen, dass der Landwirtschaft endlich wieder jene Bedeutung zugestanden wird, die man sich angesichts des ständigen Drucks und der oft unsäglichen Diskussionen und Angriffe so sehnlich wünscht. Dass die Arbeit anerkannt und nicht nur daran herumgemäkelt wird. Dass es mit der Geringschätzung endlich vorbei ist und mit dem ständigen Rechtfertigungsdruck auch. Und natürlich auch mit den niedrigen Preisen.
Inzwischen scheint all das dabei zu sein, sich wieder in Luft aufzulösen. Die Gunst der Stunde, als die Corona von vielen empfunden wurde, konnte bisher nicht wirklich genutzt werden. Längst macht sich wieder die alte Normalität breit. Die Preise sind nach wie vor im Keller, obwohl alle von Regionalität reden und vorgeben, beim Einkaufen mehr auf die Herkunft zu schauen. Der Handel quält die Bauern wie eh und je mit Billigimporten von Butter und Milchprodukten, von Spargel und anderem Gemüse und auch mit Billigkalbfleisch aus Holland oder Steaks aus Südamerika. Die Glyphosatdiskussion ist mit einem Mal wieder da. Und die EU sorgt mit ihren Plänen bis 2030 den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln halbieren zu wollen, die Verwendung von Dünger um 20 Prozent zu reduzieren und zehn Prozent der landwirtschaftlichen Fläche stillzulegen für Verunsicherung.
Stärkung der Landwirtschaft und Rückhalt für die Bauern schaut anders aus. Und auch der Ausbau der Versorgungssicherheit und der Unabhängigkeit von Importen. Längst meinen wieder alle mitreden zu können und zu müssen wie sich die Landwirtschaft entwickeln respektive nicht entwickeln sollen. Der Europäische Rechnungshof, der kritisiert, dass die EU-Agrarpolitik zu wenig zum Erhalt der Artenvielfalt beiträgt, genauso wie die Landwirtschaftssprecherin der SPÖ, die sich eine Koppelung der Agrarförderung an eine „sofortige und massive Reduzierung von Pestiziden“ fordert. Und die Landwirtschaft tut sich schwer wie eh und je Gehör zu finden.
Nicht besser macht es für die Bauern, dass Zeiten wie diese, zumal, dann wenn es noch dazu auch um eine EU-Agrarreform geht, auch innerhalb der Landwirtschaft Populisten aller Art wieder nach oben spülen. Mit plakativen Forderungen wie Erlassung der SV-Beiträge, der Einführung von Preislimits, ein 3,6 Milliarden-Investitionsprogramm für die Landwirtschaft oder dem schrulligen Wunsch nach „Kurzarbeitergeld für Kühe“. Das ist bestenfalls Provokation, fern jeder Realität, mehr aber auch nicht.
Damit wird man die Gunst der Stunde, wenn denn die vergangenen Wochen so eine gewesen sein sollte, nicht nutzen können.
Wie das doch noch gelingen könnte, muss freilich auch die offizielle Agrarpolitik erst noch zeigen. Auch wenn man vieles versucht und auf den Weg zu gebracht hat, sind freilich Zweifel nach all dem was bisher zu sehen war, nicht unangebracht.

Gmeiner meint - Blick ins Land 6/Juni 2010

Was kümmern die Sorgen von gestern



Es hat die Anmutung von Aufräumarbeiten nach einer Katastrophe. Nach und nach wird erst klar, was Corona wirklich angerichtet hat. Und welche Anstrengung es erfordert, alles wieder auf die Reihe zu bringen. Und wie schwierig das auch sein wird. Die allerorten aufdräuenden Auseinandersetzungen über die richtige Strategie dafür und über die Ziele sind beredetes Zeichen dafür. Und auch die heftigen Diskussionen darüber, wie alles finanziert werden soll. Längst sind die Grabenkämpfe und der politische Schlagabtausch in Gang. In Österreich, vor allem aber in der Europäischen Union.

Sichtbar wird auch, wie schwierig es wird, das umzusetzen, was in den vergangenen Wochen als selbstverständliches Ziel für die Zukunft galt und außer Streit stand. Dazu gehörte etwa, dass sich Europa und auch Österreich aus der Abhängigkeit von anderen Weltregionen lösen müssen. Dass man Produktionen wieder zurückholt aus Asien und von anderen Kontinenten, dass man wieder selbst produziert, was viel zu lange nur der Kosten und des Preises wegen ausgelagert wurde.

Weit ist man noch nicht gekommen. Denn das wirklich umzusetzen scheint sehr viel schwieriger zu sein, als man annehmen mag. Erst dieser Tage vermeldete eine Zeitung, "Masken kommen wieder aus China". In der Krise seien Schutzmasken Mangelware gewesen, heißt es. "Jetzt liefert Asien wieder und bringt die aus dem Boden gestampfte heimische Produktion in Bedrängnis." Die Lieferketten funktionieren wieder und was in Österreich erzeugt wird, interessiert nicht mehr.

Damit nicht genug. Wenn wirklich stimmt, dass, wie dieser Tage die OÖN publik machten, die Bundesbeschaffung GmbH über Jahre wirksame Aufträge für Schutzmasken und -bekleidung, für Desinfektionsmittel und andere Dinge für den Gesundheitsbereich in Milliardenhöhe ausgeschrieben hat, fügt sich das nahtlos dazu. Allein der Maskenauftrag, der ausgeschrieben ist, hat demnach ein Volumen von 168 Millionen Stück im Wert von 432 Mio. Euro. "Solche Mengen können nur Anbieter aus Fernost liefern", werden Branchenkenner zitiert. Heimische Anbieter hätten dabei kaum eine Chance zum Zug zu kommen.

Was für die Masken gilt, gilt wohl auch für all die anderen Bereiche. "Was kümmern mich die Sorgen und die Absichtserklärungen von gestern", heißt es vielmehr allerorten, während man sich längst wieder ins internationale Handelsgetümmel auf der Jagd nach niedrigen Kosten und besten Preisen geworfen hat.

Besonders bitter freilich ist das, wenn selbst die öffentliche Hand kein Bemühen erkennen lässt, wenn es nicht allein um Absichtserklärungen, sondern um konkrete Geschäfte geht. Das stellt vor allem auch die Politik vor besondere Herausforderungen. Nicht nur bei der unmittelbaren Auftragsvergabe, sondern auch, wenn es um die konkrete Umsetzung und um Weichenstellungen geht.

Längst auch ist der Bazar eröffnet, auf dem um die Mittel gefeilscht wird, mit denen man sich Zusagen und Veränderungen abkaufen lässt. "Die Europäische Kommission will mehr Unabhängigkeit in der Versorgung von Medikamenten schaffen", hieß es. Und als dann der Schweizer Konzern Novartis, von den hehren Zielen Brüssels unbeeindruckt, die Produktion von Penicillin im Tiroler Kundl einstellen wollte, war der Konzern dem Vernehmen nach nur durch "Zusagen" heimischer Politiker umzustimmen.

Es wird nicht das einzige Mal sein, dass es so läuft. Nicht in der freien Wirtschaft, aber auch nicht in den öffentlichen Einrichtungen. Was wurde etwa nicht alles versprochen und beschworen, als die Intensivversorgung in den heimischen Spitälern mit einem Mal gefährdet schien. Selbst einschlägig bekannte Wortführer, die über Jahre nicht müde wurden, die Spitalsdichte und die ihrer festen Überzeugung nach viel zu hohe Zahl der Spitalsbetten zu bekritteln, gaben klein bei und lenkten ein. Man darf gespannt sein, was davon bleiben wird, wenn es um die Kosten geht und man erkennt, dass es noch mehr Geld kostet als bisher, das Gesundheitssystem dorthin zu bringen, wie man es sich in der Krise wünschte.

Um das umzusetzen, wovon unter dem Eindruck der Krise geredet wurde, um all die Fehlentwicklungen, die man erkannte, zu korrigieren, braucht es das, was am Anfang der Krise als nationaler Schulterschluss bezeichnet und auch spürbar wurde.

Dazu braucht es den Geist, etwas gemeinsam erreichen zu wollen. Der freilich scheint bereits in Auflösung begriffen zu sein.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 10. Juni 2020

Montag, 8. Juni 2020

Preise für die Bauern bleiben gedrückt



In den Brieftaschen der Landwirte ist vom Trend zu regionalen Produkten wenig zu spüren. Nur Biobauern kamen ohne Preiseinbrüche davon.

Hans Gmeiner 


Salzburg. Konsumenten tun es, Politiker tun es und auch die Handelsketten tun es. Wer auf sich hält, behauptet in diesen Wochen, beim Lebensmitteleinkauf und beim Angebot mehr auf Regionalität und Produkte österreichischer Herkunft zu achten als bisher. Die Verkaufszahlen scheinen das in manchen Bereichen tatsächlich zu bestätigen. Nicht nur die bäuerlichen Direktvermarkter und die Biobetriebe, auch der Handel berichtet von guten Absatzzahlen für heimische Produkte. Das heißt freilich nicht, dass die Bauern wirklich davon profitieren. Denn in ihren Brieftaschen ist davon bisher nichts angekommen. Die Preise, die die Landwirte für ihre Produkte erhalten, sind bei Rindern seit Beginn der Coronakrise in den Keller gerasselt. Bei Schweinen sind sie um gut ein Viertel eingebrochen. Bei Milch stemmt man sich mit Lieferbeschränkungen und Aktionen bisher gegen einen Rückgang der Bauernpreise. Und bei Getreide sind die Märkte gedrückt wie eh und je. Einzig die Biobauern sind bisher einigermaßen ungeschoren davongekommen. Aber höhere Preise für die Bauern gab es auch dort nicht.

„Die Entwicklung der Preise, die den Bauern gezahlt werden, hält mit den Versprechungen nicht mit“, sagt Johann Schlederer, der als Chef der Schweinebörse jede Woche mit den Abnehmern die Preise für die Bauern verhandelt. „Dabei würde es durchaus bis zu den Bauernpreisen durchschlagen, wenn all das Wirklichkeit würde, was man verspricht“, meint Schlederers Kollege Werner Habermann von der Österreichischen Rinderbörse.

„Preismacher ist die Lebensmittelindustrie“, sagt Schlederer. Und dort sei man allenfalls bereit, für österreichische Ware kleine Zuschläge zu zahlen. „Referenzmarkt für die Rohstoffeinkäufer aber ist der deutsche Markt.“ Und dort gingen mit Ausbruch der Coronakrise und dem Wegfall des chinesischen Markts schon ab Jahresbeginn die Preise etwa für Schweinefleisch nach unten. Nach Ostern kam der Preisrutsch auch bei den heimischen Schweinebauern an. Statt knapp zwei Euro pro Kilogramm bekommen derzeit die Bauern nur zwischen 1,50 und 1,60 Euro. So viel wie vor einem Jahr auch.

Ähnlich schlimm getroffen hat es die Rinderbauern. Die Preise dort rutschten um bis zu 30 Prozent ab. Bei Häuten, wichtige Nebeneinnahme in der Branche, fielen die Preise gar von 90 auf 20 Euro pro Stück. Immerhin zeichnet sich eine Wende ab. Weil McDonald’s, wichtigster Abnehmer heimischen Rindfleischs, wieder offen hat, haben zumindest die Kuhpreise wieder um fünf Prozent auf zwei Euro je Kilo zugelegt. Mehr war für die Rinderbauern vom Trend zu Regionalität noch nicht zu spüren. Im Gegenteil. Sie ärgern sich über Billigangebote von holländischem Kalbfleisch und Karreerosen aus Deutschland in C+C-Märkten, in denen vor allem die Gastronomie einkauft.

Auch die Milchbauern sind sauer. Manche Handelskette, die ihnen in Flugblättern die Treue schwört, macht ihnen gleichzeitig mit Billigbutter, Käse und anderen Milchprodukten aus Irland und Deutschland das Leben schwer. Noch kamen sie ohne größere Preissenkungen durch die Krise, von einem Regionalitätsbonus aber keine Spur. „Über kurz oder lang muss sich aber das Bekenntnis zur Regionalität auch in der Preispolitik niederschlagen“, sagt Michael Wöckinger von der Landwirtschaftskammer Oberösterreich.

Selbst die Biobauern tun sich schwer, vom Trend, in dem in Umfragen die Rede ist, zu profitieren. „Wir sind im Wesentlichen bisher ohne Absatz- und Preiseinbrüche durchgekommen“, sagt Hermann Mittermayr, Marketingchef bei Bio Austria. Preiszuwächse für die Bauern gab es aber auch dort nicht. Und bei Getreide ist man nach dem Markteinbruch im Vorjahr froh, dass heuer zumindest kein weiterer Druck nach unten zu erwarten ist.

Auf eine Prognose für die heurige Ernte will sich Mittermayr dennoch nicht einlassen. „Zu heikel und gefährlich“, sagt er.


Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 8. Juni 2020
 
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